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Vor zehn Jahren: Einführung der "Schuldenbremse" | Hintergrund aktuell | bpb.de

Vor zehn Jahren: Einführung der "Schuldenbremse"

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Am 12. Juni 2009 stimmte der Bundesrat einer Grundgesetzänderung zu, die den Weg für die Einführung der sogenannten Schuldenbremse ebnete. Ziel dieses Instruments war es, die Neuverschuldung von Bund und Ländern zu begrenzen. Wie stellt sich die Situation zehn Jahre später dar?

Am 03. April 2009 beriet sich der Bundesrat unter anderem über die Schuldenbremse. (© picture-alliance/dpa, dpa - Report)

Mitten in der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 sollten mit der Föderalismusreform II Interner Link: neue Regelungen für die Staatsverschuldung in Deutschland geschaffen werden. Ziel war es, die Finanzlage von Bund und Ländern langfristig zu stabilisieren, indem der Neuverschuldung strenge Grenzen gesetzt wurden. Dafür beschloss der Bundestag am 29. Mai 2009 nach hitzigen Debatten mit der nötigen Zweidrittelmehrheit die Einführung der sogenannten Interner Link: Schuldenbremse für die Haushalte des Bundes und der Länder.

In einer namentlichen Abstimmung votierten 418 Abgeordnete für die Grundgesetzänderung. Dagegen stimmten 109 Abgeordnete, 48 enthielten sich. Kritiker befürchteten unmittelbare Investitionseinbußen in Politikfeldern wie etwa der Bildung und monierten zudem den Eingriff in die Haushaltshoheit der Länder. Auch die generelle Funktionsweise des Mechanismus wurde aus ökonomischer Perspektive in Frage gestellt. Die Grundgesetzänderung wurde wenig später auch vom Bundesrat bestätigt. Nur Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein enthielten sich, alle anderen Länder stimmten für die Grundgesetzänderung.

Damit trat das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes am 1. August 2009 in Kraft. In Artikel 109 (3) heißt es seither: "Die Haushalte von Bund und Ländern sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen." Acht Länder haben die Schuldenbremse außerdem in ihre Landesverfassungen aufgenommen.

Was bedeutet die Schuldenbremse für Bund und Länder?

Die Schuldenbremse begrenzt die strukturelle Neuverschuldung des Bundes ab 2016 auf höchstens 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Um dieses Ziel zu erreichen, begann der Bund schon 2011 mit dem Abbau der bestehenden Schulden. Die sogenannte Konjunkturkomponente bezieht die gesamtwirtschaftliche Entwicklung mit ein, indem sie die Nettokreditaufnahme in konjunkturell schlechten Zeiten erweitert und in guten Zeiten begrenzt. Für Krisenzeiten sind Ausnahmereglungen vorgesehen.

Die Länder dürfen ab 2020 keine neuen Schulden mehr machen und müssen ihre Haushalte ab diesem Zeitpunkt ohne Einnahmen aus Krediten ausgleichen. Für Abweichungen von der normalen Konjunkturentwicklung sowie für Katastrophenfälle dürfen auch sie Ausnahmeregeln vorsehen.

Bis 2019 gilt eine Übergangsfrist. Strukturschwache Bundesländer wie Bremen, Berlin, das Saarland, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein, die seit vielen Jahren eine hohe Verschuldung verzeichnen, sollen bis dahin mit insgesamt 7,2 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt bei der Konsolidierung ihrer Haushalte unterstützt werden. Die Unterstützung ist allerdings an die Auflage geknüpft worden, die Neuverschuldung dieser Länder bereits ab 2011 schrittweise gen Null zu reduzieren. Die Überprüfungen des Stabilitätsrats bestätigten in den vergangenen Jahren, dass die Länder ihre Konsolidierungsverpflichtungen eingehalten haben.

Zehn Jahre später

Bereits seit 2012 liegt die strukturelle Verschuldung des Bundes unter der Obergrenze von 0,35 Prozent des BIP – dabei gilt diese eigentlich erst seit 2016. Ende 2018 war die öffentliche Hand mit über 1,914 Billionen Euro bei nicht-öffentlichen Gläubigern (wie Kreditinstituten und Unternehmen) verschuldet. Damit ist die Neuverschuldung um 2,7 Prozent gesunken. Außerdem wurden 2018 zum fünften Mal in Folge keine neuen Schulden für den Bundeshaushalt aufgenommen. Auf Basis des vorläufigen Jahresabschlusses ergab sich für den Bundeshalt ein struktureller Überschuss von 0,15 Prozent des BIP – das heißt es wurden 11,2 Milliarden Euro weniger ausgegeben als eingenommen.

Nach der Bankenrettung im Zuge der Finanzkrise war die Staatsverschuldung 2010 kurzzeitig noch auf über 80 Prozent gestiegen. Seither sank der Stand aller öffentlichen Schulden der Bundesrepublik im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt deutlich – allein von 2017 auf 2018 von 64,5 Prozent des BIP auf 60,9 Prozent. Für das laufende Jahr erwartet das Bundesfinanzministerium einen Wert von unter 59 Prozent. Deutschland würde damit erstmals seit vielen Jahren die Maastricht-Kriterien (Gesamtverschuldung von maximal 60 Prozent des BIP) wieder erfüllen.

Die Bundes- und Landeshaushalte profitierten in diesem Jahrzehnt von der guten Konjunkturlage in Deutschland sowie von der gesunkenen Arbeitslosigkeit. Dadurch waren die Einnahmen des Fiskus sehr hoch, der Bund konnte sich lange Zeit sogar über Rekordsteuereinnahmen freuen. Zuletzt sorgte die schwächere Konjunktur jedoch dafür, dass die Einnahmen des Staates nicht mehr so stark stiegen wie zuvor prognostiziert.

Die Zinsen für deutsche Staatsanleihen sind seit Jahren historisch tief. Letzteres ist nicht nur der Haushaltsführung, sondern auch der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank geschuldet. Weil sich die Bundesrepublik günstig Geld leihen kann, muss sie etwa im Vergleich zu anderen Ländern weit weniger für ihre bereits bestehende Schuldenlast bezahlen. Nach Berechnungen der Bundesbank hat der deutsche Staat so von 2008 bis Ende 2018 gut 368 Milliarden Euro eingespart.

Nicht nur der Bund, auch viele Bundesländer verringerten ihren Schuldenstand – und das auch in absoluten Zahlen. So etwa Bayern und Mecklenburg-Vorpommern, aber auch das finanzschwache Berlin. In den Jahren 2017 und 2018 hat außer Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein kein Bundesland neue Schulden aufgenommen.

Investiert der Staat noch genug?

Ob diese Entwicklung allein oder vor allem auf die – aus Sicht der Befürworter gewünschte – disziplinierende Wirkung bei der Ausgabenpolitik zurückzuführen und ob eine zurückhaltende Ausgabenpolitik in Zeiten historisch niedriger Zinsen überhaupt sinnvoll ist, darüber gehen die Meinungen auseinander.

Die „Schuldenbremse ist sicher nicht perfekt, aber ein großer Erfolg“, urteilt Clemens Fuest, Präsident des ifo-Instituts. Er kommt zu dem Schluss, dass „der Anstieg unsinniger Staatsausgaben“ in den vergangenen zehn Jahren ohne diese Regulierung deutlich größer ausgefallen wäre.

Während viele Ökonomen die Schuldenbremse für richtig halten, steht sie bei anderen in der Kritik. So stellt etwa Sebastian Dullien, Wissenschaftlicher Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), fest: "Die Schuldenbremse ist ein gewaltiger Reinfall. Wir haben seit mindestens zehn Jahren, eigentlich aber schon seit 2003 die staatlichen Investitionen massiv zurückgefahren." Die Folgen würden erst jetzt sichtbar, etwa bei der teils überalterten Infrastruktur.

Die Bundesbank konstatierte im Oktober 2018 in einem Bericht: "Die Lage der Länderfinanzen verbesserte sich im laufenden Jahrzehnt deutlich. Ausschlaggebend waren stark wachsende Steuereinnahmen und äußerst niedrige Zinsen." Die Banker warnten jedoch auch vor steigenden Belastungen: "Die Pensionsausgaben der Länder werden noch einige Zeit erheblich zunehmen. Die vorhandenen Pensionsrücklagen können dies aus heutiger Sicht nicht auffangen."

Rücklagen gewinnen mit Inkrafttreten der Schuldenbremse künftig nach Ansicht der Bundesbank "als Haushaltsinstrument für die Länder an Bedeutung". Mecklenburg- Vorpommern habe pro Kopf vor Bayern die größten Rücklagen gebildet. Andere Länder wie Nordrhein-Westfalen verfügten dagegen "über keine nennenswerten allgemeinen Rücklagen".

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