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Welttag zur Beseitigung sexueller Gewalt in Konflikten | Hintergrund aktuell | bpb.de

Welttag zur Beseitigung sexueller Gewalt in Konflikten

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Vergewaltigungen und andere sexuelle Straftaten werden in bewaffneten Auseinandersetzungen gezielt als Mittel der Kriegsführung eingesetzt. Der von den Vereinten Nationen ausgerufene Internationale Tag für die Beseitigung sexueller Gewalt in Konflikten macht auf dieses lange vernachlässigte Thema aufmerksam.

Vereinte Nationen, 19. April 2019: Pramila Patten, die Sonderbeauftragte des UN-Generalsekretärs für sexuelle Gewalt in Konflikten, bei einer Pressekonferenz. Das Amt wurde vor zehn Jahren eingeführt. (© picture alliance/Xinhua)

Externer Link: Sexuelle Gewalt wird oft absichtsvoll und strategisch als Mittel der Kriegsführung und des Terrors eingesetzt. Neben staatlichen Akteuren steigt die Zahl nicht-staatlicher bewaffneter Gruppen, die solche Übergriffe begehen. Oftmals bildet ein Klima der Rechtlosigkeit den Rahmen für sexuelle Übergriffe. Betroffen sind hauptsächlich Mädchen und Frauen.

Gezielt eingesetzte Vergewaltigungen, wie in den Kriegen in Interner Link: Bosnien und Herzegowina in den 1990er-Jahren, im Interner Link: Kongo, in Ruanda oder vielen anderen Ländern, haben dazu geführt, dass der Sicherheitsrat der Interner Link: Vereinten Nationen seit 2008 mehrere Resolutionen verabschiedet hat, die sich mit sexueller Gewalt gegen Zivilisten in Kriegsgebieten befassen.

Maßnahmen der Vereinten Nationen

So verabschiedete die Interner Link: Generalversammlung der Vereinten Nationen am 19. Juni 2015 "in der Erkenntnis, dass wirksame Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung solcher sexuellen Gewalthandlungen in erheblichem Maße zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit beitragen können" die Resolution über den Internationalen Tag für die Beseitigung sexueller Gewalt in Konflikten. Außerdem hat die UN vor zehn Jahren das Amt eines Sonderbeauftragten für sexuelle Gewalt in Konflikten geschaffen. Seit 2017 wird es von Pramila Patten, einer Juristin aus Mauritius, bekleidet.

Definition von "konfliktverbundener sexueller Gewalt"

Die Vereinten Nationen definieren "konfliktverbundene sexuelle Gewalt" als: "Vergewaltigung, sexuelle Versklavung, Zwangsprostitution, erzwungene Schwangerschaften, Zwangssterilisation, angeordnete Schwangerschaftsabbrüche, Zwangshochzeiten und jede Form von sexueller Gewalt gegen Frauen, Männer, Mädchen und Jungen, die direkt oder indirekt (zeitlich, geographisch oder kausal) mit einem Konflikt verbunden sind".

Neben dem Begriff „sexuelle Gewalt“ wird insbesondere in Fachpraxis und Wissenschaft der Begriff „sexualisierte Gewalt“ verwendet. Dieser stellt den Aspekt der Ausübung von Gewalt und Macht in den Fokus, für die Sexualität als Mittel genutzt wird.

Vergewaltigung als Völkermord

Obwohl es bereits seit der Haager Landkriegsordnung von 1907 eine Normierung von internationalen rechtlichen Standards in bewaffneten Konflikten gibt, existierte über viele Jahrzehnte Unklarheit darüber, wie aus juristischer Sicht mit sexueller Gewalt umzugehen ist, die gezielt als Mittel der Kriegsführung eingesetzt wird.

Eine erste rechtliche Definition von sexueller Gewalt als Völkermordhandlung lieferte 1998 die Verurteilung des ruandischen Politikers Jean Paul Akayesu vor dem Interner Link: Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda mit Sitz in Arusha (Tansania). Unter seiner Verantwortung wurden im Rahmen des Völkermords an der Tutsi-Minderheit 1994 gezielt Tutsi-Frauen vergewaltigt. Erstmals kam es hier zu einem Urteil auf Basis der "UN-Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermords". Vergewaltigungen wurden von den Richtern hier als Mittel zum Genozid eingestuft.

Mit der im Jahr 2000 verabschiedeten UN-Resolution 1325 sollten Frauen in Konflikten besser vor sexueller Gewalt geschützt und stärker an Friedens- und Wiederaufbauprozessen beteiligt werden. Ein Jahr später urteilte der der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag, dass Vergewaltigungen im Zusammenhang mit kriegerischen Handlungen auch eine schwere Verletzung der Genfer Konventionen darstellen.

Im Jahr 2008 schließlich beschloss der Interner Link: UN-Sicherheitsrat die Resolution 1820, in der festgestellt wird, "dass Vergewaltigung und andere Formen sexueller Gewalt ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder eine die Tatbestandsmerkmale des Völkermords erfüllende Handlung darstellen können". Der Sicherheitsrat forderte die Mitgliedstaaten der UN außerdem dazu auf, sexuelle Gewalt in Kriegen von jeglicher Form der Amnestie auszunehmen und strafrechtlich zu verfolgen.

Fokus auf die Überlebenden

Unter der Leitung von Bundesaußenminister Heiko Maas verabschiedete der UN-Sicherheitsrat am 23. April 2019 die von Deutschland eingebrachte Resolution 2467. Ziel des Abkommen ist es, sexuelle Gewalt in Konflikten zukünftig wirksamer und schneller zu verfolgen. Zudem bekennen sich die Vereinten Nationen dazu, die Überlebenden und ihre physische sowie ökonomische Situation in den Mittelpunkt zu rücken. Die Strafverfolgung der Täter soll verschärft und die Taten sanktioniert werden. Während 13 Länder für die Resolution stimmten, enthielten sich Russland und China. Die USA hatten aufgrund von Textpassagen zu reproduktiver Gesundheit im Vorfeld mit ihrem Veto gedroht. Nicht nur hier wurde der Entwurf geändert, auch ein fester Mechanismus zur Verfolgung der Täter sowie die Etablierung einer UN-Arbeitsgruppe zur Erfassung sexueller Gewalttaten konnten sich nicht durchsetzen. Auch deshalb stieß die Resolution auf ein geteiltes Echo in der Öffentlichkeit.

Sexuelle Gewalt als Mittel zur Vertreibung

Wie viele Fälle von konfliktverbundener sexueller Gewalt es weltweit tatsächlich gibt, lässt sich nur schwer feststellen. Viele Opfer suchen weder medizinische Hilfe, noch zeigen sie die Tat an. In Konflikten mit zunehmender Entstaatlichung ist eine strafrechtliche Verfolgung der Taten darüber hinaus oft nicht möglich. Für einzelne Länder jedoch gibt es Anhaltspunkte, die auf die Dimension des Problems schließen lassen.

Ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit ist die Verfolgung und Vertreibung der Rohingya aus Myanmar. Seit August 2017 flohen über 700.000 Angehörige der muslimischen Minderheit vor der gezielten Gewalt in ihrer Heimat nach Bangladesch. Sexuelle Gewalt wurde in diesem Konflikt als Kriegswaffe eingesetzt. So berichten Frauen von Vergewaltigungen, Massenvergewaltigungen, Demütigungen und Versklavung, die von Angehörigen des Militärs „befohlen, orchestriert und durchgeführt wurden“, wie die Sonderbeauftragte der UN schilderte.

Im syrischen Bürgerkrieg kommt es ebenfalls zu sexuellen Übergriffen – Täter gibt es unter fast allen Kriegsparteien. Insbesondere im Kontext von Haft und Entführungen, aber auch an Checkpoints und in Flüchtlingscamps stellt sexuelle Gewalt weiterhin eine Bedrohung für Frauen und Mädchen dar. Zudem liegen Berichte von „mittelalterlichen Formen der Bestrafung“ von vermeintlich homosexuellen Männern vor. Aus Berichten von Augenzeugen und Opfern ist bekannt, dass es vom IS organisierte "Sklavinnenmärkte" gab. Außerdem kam es in der Vergangenheit oft zu Zwangs- und Kinderheiraten.

Auch Blauhelm-Soldaten, die im Auftrag der UNO in Krisengebieten im Einsatz sind, um für Sicherheit und Frieden zu sorgen, wurde immer wieder sexuelle Gewalt vorgeworfen. Zwischen 2004 und 2016 soll es insgesamt 2.000 Fälle weltweit gegeben haben, in denen den Truppen der Vereinten Nationen der Vergewaltigung von Frauen und Kindern beschuldigt wurden.

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