Lohnentwicklung in Deutschland und Europa
Ungleichverteilung von Löhnen in Europa
Welchen Lohn eine Person generiert und wie sich die Löhne wiederum zwischen den Personen bzw. letztlich auch zwischen Staaten verteilen, hängt von einer Reihe von Faktoren ab. Individuell bestimmen im Wesentlichen natürlich Ausbildung, Qualifikation, Beschäftigungsart und Dauer der Beschäftigung (Arbeits- bzw. Markteinkommen) die Höhe der Einkommen. Welches Einkommen tatsächlich zur Verfügung steht (disponibles Einkommen) ist wiederum abhängig von der Abgabenlast (Steuern, Sozialabgaben etc.). Die daraus resultierende Kaufkraft wird über die Preise für den Lebensunterhalt (von Kleidung bis Wohnung) beeinflusst.So unterschiedlich Markt- und disponible Einkommen und Kaufkraft zwischen einzelnen Personen sein können, so unterschiedlich ist die Einkommenssituation aufgrund unterschiedlichster wirtschafts-, tarif- und fiskalpolitischer Bedingungen zwischen den Staaten der Europäischen Union.
Überblick: Entwicklung der Einkommensverteilung in Europa
Die Einkommensverteilung ist ein wichtiger Indikator für die Bestimmung von wirtschaftlicher Ungleichheit innerhalb der Staaten und zwischen den Staaten der Europäischen Union. Immerhin liefert sie Hinweise auf das Ausmaß und die Tiefe der Armut – insbesondere Hinweise auf die Armutsentwicklung trotz Erwerbstätigkeit.
Die folgende Abbildung stellt die Ungleichheit der Einkommensverteilung in der EU für das Jahr 2011 dar. Abgebildet sind die jeweiligen Anteilsverhältnisse der Einkommensquintile. In der EU 27 lag das Einkommen der 20 Prozent der Bevölkerung mit den höchsten verfügbaren Äquivalenzeinkommen um den Faktor 5,1 höher als das Einkommen der einkommensärmsten 20 Prozent der Bevölkerung (niedrigstes verfügbares Äquivalenzeinkommen).
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Verfügbares Äquivalenzeinkommen
Quelle: Eurostat: Statistics explained


Zwischen 2005 bis 2011 hat sich die Ungleichheit der Einkommensverteilung sehr dynamisch entwickelt – nicht zuletzt auch als Resultat der Banken- und Finanzkrise sowie der anhaltenden Staatsschuldenkrise in Südeuropa und der Eurokrise. Im Fall der Neumitglieder der EU wuchs die Ungleichheit aufgrund der Aufnahme in die EU.


Ursachen von Ungleichheit der Einkommen und Folgen für die soziale Gerechtigkeit
Natürlich bleiben Ungleichheiten von Einkommen, insbesondere dann, wenn sie wachsen, oder aber im Vergleich zu anderen Staaten sehr hoch sind, nicht folgenlos. Deshalb ist gerade auch die Frage nach ihren Ursachen und den zu erwartenden Folgen der Ungleichheit der Einkommen von erheblicher politischer und ökonomischer Brisanz.Ursachen von Ungleichheit der Einkommensverteilung
Grundsätzliche Ursachen für Lohn- und Einkommensunterschiede sind qualifikationsabhängige Produktivitätsunterschiede der Beschäftigten. Diese bilden die Leistungsfähigkeit der Beschäftigten ab, die über das Qualifikationsniveau und der Einsatzfähigkeit der Beschäftigten definiert ist. Das heißt also: je höher (niedriger) das Qualifikationsniveau und die Einsatzfähigkeit und umso höher (niedriger) die Produktivität, desto höher (niedriger) das Einkommen. Diese Ursache für Lohnungleichheit ist also vor allem individuell bestimmt, weil grundsätzlich jeder Beschäftigte über spezifische Grundkompetenzen verfügt und für sich selbst entschieden hat bzw. entscheidet, inwieweit er sich (aus)bildet, welches Qualifikationsniveau er erreichen möchte, welchen Arbeitseinsatz er leistet und wie lange er arbeitet. Insofern sind Lohn- und Einkommensunterschiede angesichts der Heterogenitäten in der Ausbildung, Qualifikation, Erfahrungen und Knappheit der Beschäftigten völlig natürlich und angesichts der Funktionsfähigkeit einer Volkswirtschaft auch absolut notwendig und vorteilhaft.
Weder natürlich noch volkswirtschaftlich notwendig oder gar vorteilhaft sind indes jene Ursachen von Ungleichheit der Einkommensverteilung, die aufgrund von äußeren Einflussnahmen, Grundvoraussetzungen oder Rahmenbedingungen erzeugt werden. Soll die obige Funktion, dass hohe Einkommen aus guten Qualifikationen (Bildungsprämie) bzw. hohen Leistungsfähigkeiten resultieren, funktionieren, dann sind auch die Möglichkeiten und Zugänge zu schaffen bzw. für alle auch offen zu halten, um ihre Produktivitätspotenziale einbringen zu können.
Darüber hinaus sind natürlich auch arbeitsmarktliche Ursachen dafür zu benennen, dass es zu Ungleichheiten in der Einkommensverteilung kommt. So führt natürlich die Knappheit von Arbeitskräften zu Lohnsteigerungen, während wiederum Überangebote Lohnsenkungen auslösen.
Europaweit und vor allem in zunehmender Intensität in Deutschland dynamisiert sich der Trend, dass Zugang zu (Aus)Bildung immer weniger eine Frage individueller Grundvoraussetzungen und Kompetenzen ist, aber immer mehr eine Frage der individuellen – oftmals elterlichen – Finanzkraft. Je höher also die Investitionsmöglichkeiten, umso offener die Zugänge zu einer qualitativen Bildung und Ausbildung und vice versa. Für Einkommensschwächere bestehen also "gläserne Decken", um hinreichende Qualifikationsniveaus zu erreichen. Damit sind allerdings unter ökonomischen, sozialen und politischen Gesichtspunkten zwei Risiken verbunden:
- Zum einen das Risiko der Intergenerationalisierung von Einkommensungleichheiten, da es für Einkommensschwache zunehmend schwieriger wird, ihren Kindern bessere Bildungschancen zu verschaffen, wodurch diese wiederum ggfs. in die Situation kommen, ebenfalls aufgrund geringerer Qualifikationsniveaus nur geringe Einkommen zu erzielen. Hieraus entsteht eine Verstetigung der Einkommensungleichheit über Generationen hinweg.
- Zum anderen das Risiko einer De-Humankapitalisierung, da der Zugang zu Bildungschancen bereits heute vielen aufgrund geringer Finanzkraft verwehrt bleibt, wodurch ggfs. ein hohes Humankapitalpotenzial nicht ausgeschöpft wird. Beide Situationen sind bereits heute keine neuen Phänomene mehr in Europa, sondern eine bekannte und wachsende Herausforderung.