Leiharbeit / Zeitarbeit / Arbeitnehmerüberlassung
Leiharbeit ist durch eine Dreieckbeziehung zwischen Leiharbeitsfirma, Leiharbeitnehmer und dem entleihenden Unternehmen gekennzeichnet. Die atypische Beschäftigungsform Leiharbeit hat in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen und gleichzeitig viele Kontroversen ausgelöst. Ist die Leiharbeit eine Brücke in reguläre Beschäftigung? Werden in der Zeitarbeit besonders niedrige Löhne gezahlt? Diesen und weiteren Fragen geht der folgende Text nach.Historische Entwicklung
Leiharbeit ist durch eine Dreieckbeziehung zwischen Leiharbeitsfirma (Verleiher), Leiharbeitnehmer und dem entleihenden Unternehmen gekennzeichnet. Wenn ein Arbeitgeber als Verleiher einem Dritten (Entleiher) Arbeitskräfte (Leiharbeitnehmer) zur Erbringung einer Arbeitsleistung zur Verfügung stellt, wird von Leiharbeit bzw. von Arbeitnehmerüberlassung oder Zeitarbeit gesprochen. Die nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz festgeschriebene Bezeichnung der Arbeitnehmerüberlassung lautet "Leiharbeit". Der Begriff der Leiharbeit wird auch von Seiten der Kritiker verwendet, während Befürworter eher den Begriff Zeitarbeit benutzen und sich dafür einsetzen, die Wortwahl zu ändern. Aus ihrer Sicht unterläuft der Begriff der Leiharbeit die gesetzlichen Vorgaben des Bürgerlichen Gesetzbuches (§598 BGB), wonach ein Verleih grundsätzlich kostenlos sein muss. Die drei Begriffe werden synonym verwendet.Die Leiharbeit in Deutschland erlebte bis zum Ausbruch der Banken- und Finanzkrise einen regelrechten Boom. Im Juni 2008 gab es fast 800.000 Leiharbeitskräfte und damit fast doppelt so viele wie im Juni 2004. Während der Finanz- und Wirtschaftskrise sackte die Zahl der Leiharbeiter ab, erreichte dann aber Ende 2011 mit 872.000 ihren Höchststand. Ende 2012 waren 822.000 Leiharbeiter in Deutschland beschäftigt. Hintergrund des enormen Wachstums der Leiharbeit waren der konjunkturelle Aufschwung, die Veränderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen und veränderte betriebliche Strategien zur Nutzung der Leiharbeit.
Das entgeltliche Vermitteln von Arbeitskräften wurde erstmals durch das Arbeitsnachweisgesetz von 1922 geregelt. Teile davon wurden am 16. Juli 1927 in das neue Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) übernommen. In der Zeit des Nationalsozialismus wurden sämtliche Vermittlungsaktivitäten dieser Branche am 5. November 1935 zum uneingeschränkten Monopol. Die damalige Zeitarbeit war damit praktisch nicht mehr existent. Als am 10. März 1952 die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung gegründet wurde, traten wieder die Regelungen des AVAVG von 1927 in Kraft.
Vorreiter der modernen Zeitarbeit in Deutschland war das schweizerische Unternehmen ADIA Interim, das im Jahre 1962 eine Niederlassung in Hamburg errichtete. Sie verlieh kaufmännische Leiharbeitskräfte als freie Mitarbeiter und verstieß damit gegen geltendes Recht. Die Bundesanstalt für Arbeit stellte einen Strafantrag. Der Musterprozess zog sich durch alle Instanzen. Im April 1967 hob das Bundesverfassungsgericht das Verbot der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung auf.
Das Bundessozialgericht verlangte in einem Urteil aus dem Jahre 1970 Zeitarbeitnehmern einen Mindestschutz zu gewährleisten. Dies führte zum Gesetz zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung (Arbeitnehmerüberlassungsgesetz - kurz AÜG) im Jahr 1972. Der Grundsatz des Gesetzes, nämlich dass die Zeitarbeitsfirma alle Pflichten eines Arbeitgebers hat, ist bis heute unverändert gültig geblieben.
Kernelemente der ersten Fassung des AÜG von 1972 waren:
- Schutz der Leiharbeiter durch Befristungs-, Wiedereinstellungs- und Synchronisationsverbot. Das Synchronisationsverbot untersagte Leiharbeitsfirmen, die Beschäftigung einer Zeitarbeitskraft auf deren Ersteinsatz bei einem Kundenunternehmen in der Dauer zu beschränken. Das Befristungsverbot schrieb eine generell unbefristete Beschäftigung von Leiharbeitskräften vor, es sei denn eine Befristung ließ sich aus der Person des Arbeitnehmers rechtfertigen. Das Wiedereinstellungsverbot untersagte Leiharbeitsfirmen, einen Leiharbeiter zu entlassen und innerhalb von drei Monaten erneut einzustellen.
- Schutz der Stammbelegschaft durch eine festgelegte Überlassungshöchstdauer von drei Monaten.
- Zunächst auf ein Jahr befristete Vergabe der Konzession zur gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung durch die Bundesanstalt für Arbeit mit dem Ziel der Ordnung und Kontrolle der Verleihpraxis, die nach Feststellung einer dreijährigen kontinuierlichen und rechtskonformen Tätigkeit von dieser unbefristet erteilt wird.


Durch das Job-AQTIV-Gesetz (2002) wurde die Höchstüberlassungsdauer eines Leiharbeitnehmers an den Entleiher von 12 Monaten auf 24 Monate ausgedehnt, gleichzeitig aber der Gleichbehandlungsgrundsatz ab dem 13. Monat der Beschäftigung im selben Entleihbetrieb eingeführt. Er bezog sich auf die für die in diesem Betrieb geltenden Arbeitsbedingungen, einschließlich des Arbeitsentgelts.
Durch "Hartz I" wurde das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz grundlegend überarbeitet. Mit Beginn des Jahres 2004 wurden das besondere Befristungsverbot (eine Beschäftigung kann nicht wiederholt befristet werden, ohne dass ein sachlicher Grund in der Person des Leiharbeiters liegt), das Wiedereinstellungsverbot (Leiharbeitsfirmen dürfen gekündigte Mitarbeiter innerhalb eines Zeitraums von drei Monaten nicht erneut einstellen), das Synchronisationsverbot (Mitarbeiter dürfen von einer Zeitarbeitsfirma nicht nur für die Zeit der Leihtätigkeit eingestellt sein) sowie die Beschränkung der Überlassungsdauer auf 24 Monate ersatzlos aufgehoben. Zudem sind Ausnahmen vom Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in Betrieben des Baugewerbes durch Tarifverträge ermöglicht worden.
Zudem wurde ein allgemeiner Gleichbehandlungsgrundsatz eingeführt. Danach sollen die wesentlichen Arbeitsbedingungen (englisch: Equal-Treatment) einschließlich des Arbeitsentgelts (Equal-Pay) von Zeitarbeitskräften in einem Kundeneinsatz generell den Arbeitsbedingungen entsprechen, die im Kundenbetrieb für vergleichbare Arbeitnehmer gelten. Von diesem Grundsatz kann in zwei Fällen abgewichen werden:
- beim Einsatz vormals Arbeit Suchender in den ersten sechs Wochen der Beschäftigung: Untergrenze der Entlohnung bildet hier das zuletzt gezahlte Arbeitslosengeld,
- sofern ein Tarifvertrag eine andere Lösung vorsieht.
Die Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personaldienstleistungen (CGZP) wurde am 14.12.2010 auf Antrag der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di vom Bundesarbeitsgericht für tarifunfähig erklärt, da sie die Anforderungen an eine Tariffähigkeit nicht erfülle. Mit ihr abgeschlossene Tarifverträge sind also ungültig. Deshalb können zu 90 Prozent sozialversicherte Zeitarbeitnehmer und die Träger der Sozialversicherung – zumindest ab diesem Zeitpunkt – Restvergütungen und Sozialversicherungsbeiträge geltend machen. Umstritten ist, ob solche Forderungen auch rückwirkend für die Zeit vor dem Urteil berechtigt sind.
In der historischen Betrachtung der Leiharbeit ist weiterhin das erste Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes zur Verhinderung von Missbrauch in der Arbeitnehmerüberlassung aus dem Jahr 2011 von Bedeutung. Mit dem Gesetz, das einige Neuerungen für die Zeitarbeit brachte, hat die Bundesregierung die Europäische Richtlinie über Leiharbeit (2008/104/EG) in nationales Recht umgesetzt.
Der neue geschaffene § 3a AÜG gibt den Tarifpartnern der Zeitarbeit zukünftig die Möglichkeit, eine Lohnuntergrenze (Mindestlohn) für Beschäftigte in der Leiharbeit zu vereinbaren, die dann auf Antrag der Tarifpartner durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales per Rechtsverordnung verbindlich festgelegt wird. Die Mitgliedsgewerkschaften des Deutschen Gewerkschaftsverbundes haben daraufhin mit dem Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ) und dem Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister (BAP) Tarifverträge geschlossen, die einen Mindestlohn für die Leiharbeit festschreiben. Ab dem 01. November 2012 galt zunächst ein Mindestlohn in Höhe von 8,19 Euro West und 7,50 Euro Ost. Seit dem 01. Januar 2014 liegt der Mindestlohn in der Zeitarbeit bei 8,50 Euro im Westen und bei 7,68 Euro im Osten. Bis zum Jahr 2016 steigt der Mindestlohn in Westdeutschland auf 9 Euro und in Ostdeutschland auf 8,50 Euro. Durch die Mindestlöhne in der Zeitarbeit soll Lohndumping und die missbräuchliche Nutzung der Leiharbeit verhindert werden. Es bestand damals die Sorge, dass durch die vollständige Freizügigkeit für Arbeitnehmer in der EU ab dem 01. Mai 2011 vermehrt osteuropäische Arbeitskräfte zu Niedriglöhnen beschäftigt werden. Durch den Mindestlohn in der Zeitarbeit wollte man u.a. hier Vorsorge treffen.
Die Arbeitnehmerüberlassung ist in Deutschland grundsätzlich erlaubnispflichtig. Im Rahmen der Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes ist das Erfordernis der Erlaubnispflicht ausgedehnt worden. Alle privaten und öffentlichen Arbeitgeber, die Arbeitnehmerüberlassung im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit betreiben wollen, benötigen eine Erlaubnispflicht, die sie von der Bundesagentur für Arbeit erhalten können.
Weiterhin soll mit der überarbeiteten Vorschrift des § 9 Nr. 2 AÜG verhindert werden, dass Unternehmen Mitglieder der Stammbeschäftigung zum Wechsel in Zeitarbeitsfirmen "veranlassen", um sie sich von dort zu schlechteren Bedingungen zurück zu leihen. Somit sind den Unternehmen "Drehtüreffekte" untersagt, was einige versucht hatten. Diese Drehtürklausel ist auch als "Lex Schlecker" bekannt geworden. Die Drogeriekette Schlecker plante damals festangestellte Mitarbeiter zu entlassen und über neue Verträge mit einer Leiharbeitsfirma ("Meniar - Menschen in Arbeit") zu deutlich schlechteren Konditionen wieder im Unternehmen zu beschäftigten. Nachdem diese Praxis bekannt würde schaltet sich das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ein, prüfte den Vorgang und änderte anschließend das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz.
Das Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes beinhaltet zudem weitere Verbesserungen der Arbeitnehmerrechte für Zeitarbeitskräfte. Um den Übergang von Leiharbeitsbeschäftigten in die Stammbelegschaft eines Unternehmens zu verbessern, müssen die Entleihunternehmen die Zeitarbeitskräfte über freie Arbeitsplätze im Betrieb informieren. Den Zeitarbeitnehmern ist zudem der Zugang zu Gemeinschaftseinrichtungen (z.B. Kinderbetreuungsangebote, Betriebskantine) zu gewähren. Dadurch soll verhindert werden, dass Leiharbeiter im Entleihunternehmen wie Beschäftigte zweiter Klasse behandelt werden.
Eine weitere Kontroverse hat zudem ein neuer Satz ausgelöst, der im Rahmen der Umsetzung der Europäischen Richtlinie über Leiharbeit in das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz eingefügt wurde. Im §1 heißt es nun: "Die Überlassung von Arbeitnehmern an Entleiher erfolgt vorübergehend." Die Überlassungshöchstdauer, die 2004 im Rahmen des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Hartz I) abgeschafft wurde und der Einsatz von Zeitarbeitern, der seitdem zeitlich unbefristet möglich war, wird dadurch wieder eingegrenzt. Die Politik vermied es, eine konkrete Dauer vorzugeben und orientierte sich an den europarechtlichen Vorgaben, dass Leiharbeit vorübergehend erfolgt. Ein dauerhafter Einsatz von Leiharbeitern ist damit zwar verboten, doch was genau "vorübergehend" meint bleibt unklar und führte zu einigen Gerichtsverhandlungen, die die Frage klären sollten, wie lange ein Leiharbeiter in einem Unternehmen eingesetzt werden darf.
Im Dezember 2013 wurde eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts bezüglich der Frage erwartet, wie lange ein Unternehmen einen Leiharbeiter leihen darf, was also "vorübergehend" heißt. Das Bundesarbeitsgericht hat es in einer Entscheidung dann aber vermieden den Begriff "vorübergehend" zu definieren und den Gesetzgeber aufgefordert eine konkrete Definition vorzunehmen. Im Koalitionsvertrag haben sich SPD und CDU/CSU darauf verständigt, den Begriff "vorübergehend" in der Legislaturperiode mit einer Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten gesetzlich festzulegen. Weiterhin schreiben die Koalitionspartner, dass sie die Leiharbeit auf ihre Kernfunktionen hin orientieren wollen und spätestens nach 9 Monaten hinsichtlich des Arbeitsentgelts mit den Stammarbeitnehmern gleichgestellt werden sollen.
Im Jahr 2012 feierte das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz seinen 40. Geburtstag. Die historische Entwicklung der Zeitarbeit in Deutschland ist zunächst durch starke Deregulierungstendenzen geprägt. Ausweitung der Überlassungshöchstdauer oder die Lockerung von Befristungs-, Synchronisations- und Wiedereinstellungsverbot sind Teil dieser Entwicklung. Die Leiharbeit erlebte dadurch, insbesondere seit ihrer Reform im Jahr 2003/2004 einen enormen Aufschwung. Parallel traten jedoch immer neue Problem zu Tage, die zu einer schrittweisen (Re-)Regulierung der Leiharbeit führten. Heute ist Leiharbeit ein fester Bestandteil des deutschen Arbeitsmarktes, der aber weiterhin große Kontroversen hervorruft und immer wieder in der Kritik steht. Im nächsten Abschnitt werden zunächst die Zahlen und Wirkungen der Leiharbeit dargestellt, bevor die Kontroversen über diese Form der atypischen Form der Beschäftigung dargestellt werden.