Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Familie im Wandel | Demografischer Wandel | bpb.de

Demografischer Wandel Demografischer Wandel: Wachsen, Schrumpfen, Älterwerden Handlungsfelder Regionale Auswirkungen Sozialsysteme Staat und Verwaltung Umwelt Wirtschaft und Arbeit Debatten und Standpunkte Eine Debatte – viele Akteure Demografische Entwicklung als Chance Einwanderungsland Deutschland Familie Perspektive der jungen Generation Neue Alterskultur Arbeit 60+ Zukunft der Städte Städte mit Potenzial West und Ost Demografie weltweit Die wachsende Welt 7,7 Milliarden Menschen ... Europas demografische Zukunft Deutschland im Vergleich Interviews Herbert Brücker/Stefan Luft: Zuwanderung und Arbeitsmarktintegration Christoph Butterwegge: "Man reduziert soziale Probleme auf demografische" Anna Braam/Ursula Lehr: Die Jungen im Land der Alten Hans-Jürgen Urban: "Gegen die Spaltung zwischen den Generationen" Martin Krzywdzinski: "Digitalisierung kann altersgerechte Arbeitsplätze schaffen" Achim Goerres: "Wie wir wählen, hat nur noch sehr wenig mit dem Alter zu tun" Olga Pötzsch: "Die Vorausberechnung ist keine Zukunftsvision" Materialien Redaktion

Familie im Wandel

Anke Brodmerkel

/ 8 Minuten zu lesen

Familie ist für viele Menschen ein wichtiger Teil des Lebens. Die Formen familiären Zusammenlebens werden immer vielfältiger. Angesichts des demografischen Wandels sollen Familien stärker gefördert werden. Auch die Vereinbarkeit von Kindern und Karriere soll besser werden.

Familie im 21. Jahrhundert (© Martin Brombacher )

Zum Glücklichsein braucht es Familie. Das sieht zumindest die Mehrheit der Deutschen so: 68 Prozent der Menschen in Westdeutschland und 76 Prozent in Ostdeutschland erachten eine eigene Familie und Kinder als sehr wichtig für ihr Leben. Das geht aus dem Datenreport 2016 hervor, den das Statistische Bundesamt gemeinsam mit dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, dem Sozio-oekonomischen Panel und dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung zusammengestellt hat.

Andere Lebensbereiche wie beispielsweise der Beruf rangieren in ihrer Bedeutung deutlich hinter der Familie. Nur bei den unter Dreißigjährigen haben Familie und Kinder einen etwas geringeren Stellenwert. Doch selbst in dieser Altersgruppe erteilen immerhin 69 Prozent der Westdeutschen und 72 Prozent der Ostdeutschen auf einer Skala von eins (unwichtig) bis sieben (sehr wichtig) diesem Bereich ihres Lebens die Höchstpunktzahl.

Ein Leben ohne Familie ist demnach für die meisten Menschen undenkbar. "Sie ist der Lebensbereich, in dem Zuneigung, Verantwortung, Zusammenhalt und Solidarität eine besondere Rolle spielen", heißt es auch im Demografiebericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2011. Für die demografische Entwicklung sei die Familie von zentraler Bedeutung.

Familie heißt Verantwortung

Verheiratete heterosexuelle Eltern sind heute mit 5,6 Millionen noch immer die häufigste Familienform (70 Prozent an allen Familien). Und doch hat sich das Verständnis von Familie in den vergangenen Jahren deutlich erweitert. Familienleben findet für viele Deutsche heute dort statt, wo Menschen unterschiedlicher Generationen zusammenleben und füreinander Verantwortung tragen. So gaben im Jahr 2012 in einer Umfrage, die das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) in Auftrag gegeben hatte, beispielsweise mehr als vier von fünf Befragten (82 Prozent) an, dass sie unter Familie eine zusammenlebende Dreigenerationengruppe aus Großeltern, Eltern und Kindern verstehen. In einer vergleichbaren Umfrage aus dem Jahr 2000 hatten dies nur 68 Prozent so gesehen.

Familien werden bunter

Welch starkem Wandel das Bild von Familie unterworfen ist, wird aus anderen Zahlen noch deutlicher. Sahen im Jahr 2000 nur rund die Hälfte (53 Prozent) der Befragten ein unverheiratetes Paar mit Kindern als Familie an, waren es 2012 schon 71 Prozent. Auch alleinerziehende Mütter und Väter werden inzwischen von 58 Prozent der Deutschen als Familie wahrgenommen. Zwölf Jahre zuvor taten das es nur 40 Prozent der Befragten. In der Gruppe der 20- bis 39-Jährigen zeigt sich der Wandel noch deutlicher: 97 Prozent sehen hier ein unverheiratetes heterosexuelles Paar mit Kindern und 82 Prozent alleinerziehende Mütter als Familie an.

Auch die Toleranz gegenüber gleichgeschlechtlichen Paaren mit Kindern wächst. 42 Prozent der Befragten aus dem Jahr 2012 fanden, dass zwei Frauen oder zwei Männer, die gemeinsam Kinder großziehen, ebenfalls als Familie anzusehen sind. In der Gruppe der 20- bis 39-Jährigen gaben zuletzt sogar 88 Prozent an, dass homosexuelle Eltern mit Kindern eine Familie sind. Im Jahr 2000 war diese Form des Zusammenlebens nicht einmal abgefragt worden.

Patchwork ist im Kommen

Familie kann heutzutage somit auf vielerlei Weise gelebt werden. Selbst eine Trennung oder Scheidung der Eltern ändert in der Regel nichts an der großen Bedeutung, die Partnerschaft, Ehe und Familie für die meisten Menschen hat. Viele von ihnen halten an ihrem einst gewählten Lebenskonzept fest und gehen erneut eine Partnerschaft ein – wo sie vielfach sogar Verantwortung für die Kinder aus einer früheren Beziehung der Partnerin oder des Partners übernehmen.

Die "böse Stiefmutter", die in die einst so heile Welt der Kinder eindringt, gibt es inzwischen fast nur noch im Märchen. Patchworkfamilien mit Geschwistern und Halbgeschwistern jeder Altersstufe finden sich hierzulande immer häufiger. Im Jahr 2012, so schätzen Experten, waren etwa 10 bis 14 Prozent aller Familien in Deutschland Stieffamilien. Und sehr viel häufiger als in den klassischen Kernfamilien leben in Patchworkfamilien drei oder mehr Kinder mit den Erwachsenen unter einem Dach. Dies liegt vor allem daran, dass viele Menschen Kinder aus einer früheren Partnerschaft mit in die neue Familie hineinbringen und dass häufig noch ein gemeinsames Kind mit dem neuen Partner gewünscht wird.

Zwischen Küche und Karriere

Laut Demografiebericht sind es nach wie vor überwiegend die Frauen, die familiäre Aufgaben übernehmen und diese in Einklang mit einer Erwerbstätigkeit bringen müssen. (© picture alliance / ZB)

Trotz des hohen Stellenwerts, den die Familie für die allermeisten Menschen besitzt, klaffen Wunsch und Wirklichkeit vielfach aber noch immer weit auseinander. So wünschten sich in einer Befragung aus dem Jahr 2013 die 20- bis 39-Jährigen im Schnitt idealerweise 2,26 Kinder. Diese Zahlen liegen deutlich höher als die tatsächlichen Geburtenraten, die im Schnitt seit vielen Jahren zwischen 1,3 und 1,5 Kindern pro Frau stagnieren.

Einer der Gründe für diese Diskrepanz könnte in der noch immer schwierigen Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu finden sein. Das sieht auch die Bundesregierung so: "Wichtige Voraussetzung zur Entscheidung für Elternschaft ist es, dass sich Beruf und Familie besser miteinander vereinbaren lassen", heißt es in ihrem Demografiebericht von 2011. Nach wie vor seien es überwiegend die Frauen, die familiäre Aufgaben übernehmen und diese in Einklang mit einer Erwerbstätigkeit bringen müssten.

Um Frauen und deren Partner in ihrer Entscheidung für Kinder zu bestärken, hat das BMFSFJ in der Vergangenheit eine Vielzahl staatlicher Maßnahmen beschlossen. Im Jahr 2012 hatten die 158 verschiedenen ehe- und familienbezogene Leistungen ein Gesamtvolumen von 202,5 Milliarden Euro, ein Anstieg um 3,8 Milliarden Euro oder 1,9 Prozent gegenüber dem Jahr 2011. Davon entfielen etwa 38,5 Milliarden Euro auf das Kindergeld.

Auch in der gesetzlichen Rentenversicherung wird die Erziehungsleistung anerkannt: In den ersten drei Lebensjahren des Kindes gelten Pflichtbeiträge des erziehenden Elternteils auch dann als gezahlt, wenn dieser keine Beiträge geleistet hat. Das gilt für Kinder, die ab 1992 geboren wurden. Für früher geborene Kinder werden zwei Jahre anerkannt. In der gesetzlichen Krankenversicherung können Kinder und auch nicht erwerbstätige Ehegatten kostenlos mitversichert werden. Familien mit geringem Einkommen erhalten darüber hinaus Kinderzuschlag und Wohngeld.

Staatliche Familienförderung

Die wohl grundlegendste familienpolitische Reform der jüngsten Vergangenheit war die Einführung des Elterngelds im Jahr 2007. "Das Elterngeld schafft nach der Geburt eines Kindes den notwendigen Schonraum für einen guten Start in das gemeinsame Leben mit dem neuen Familienmitglied", heißt es auf den Internetseiten des BMFSFJ.

Frisch gebackene Mütter und Väter gemeinsam können das Elterngeld maximal 14 Monate lang beziehen. Beide Elternteile dürfen den Zeitraum nach Belieben untereinander aufteilen, wobei jeder Elternteil mindestens zwei und höchstens zwölf Monate für sich in Anspruch nehmen kann. Alleinerziehende können die vollen 14 Monate in Anspruch nehmen. In der Höhe orientiert sich das Elterngeld am durchschnittlichen monatlichen Erwerbseinkommen im Jahr vor der Geburt. Es beträgt jedoch mindestens 300 und höchstens 1.800 Euro.

Um Müttern und Vätern die gleichen beruflichen Chancen zu ermöglichen, hat Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) im März 2014 zudem Eckpunkte für ein reformiertes Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz vorgestellt. Am 1. Januar 2015 trat das Gesetz zur Einführung des sogenannten ElterngeldPlus mit Partnerschaftsbonus und einer flexibleren Elternzeit in Kraft. Das ElterngeldPlus soll die Pläne derjenigen anerkennen, die schon während des Elterngeldbezugs wieder in Teilzeit arbeiten wollen. Mütter und Väter, die maximal 30 Stunden in der Woche ihrer Arbeit nachgehen, haben die Möglichkeit, länger als bisher Elterngeld zu beziehen und so das volle Budget zu nutzen. ElterngeldPlus wird doppelt so lang wie das reguläre Elterngeld gezahlt, jedoch nur in halber Höhe. Wenn beide Partner sich entscheiden, ihre Arbeitszeit zu reduzieren, gibt es einen Partnerschaftsbonus in Form von vier zusätzlichen ElterngeldPlus-Monaten. Die neue Regelung gilt für Kinder, die nach dem 1. Juli 2015 geboren worden sind.

Deutschland braucht mehr Kitas

Geld allein macht die meisten Familien jedoch noch nicht glücklich. Wie eine Studie des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung in Rostock Ende 2013 herausgefunden hat, sind vor allem die fehlenden Betreuungsangebote für Kinder unter drei Jahren schuld an der – im Vergleich zu den Nachbarländern – niedrigen Geburtenrate in Deutschland.

Zu diesem Schluss kommt auch die Bundesregierung: "Für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist der Ausbau der Kinderbetreuung eine wichtige Komponente", heißt es in ihrem Demografiebericht. Im Jahr 2014 gaben immerhin 41,5 Prozent der Eltern an, eine Tagesbetreuung für ein Kind unter drei Jahren zu benötigen. Seit August 2013 haben Eltern einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für ihre ein- und zweijährigen Kinder. Finden sie keinen Platz bei einer kommunal geförderten Kita oder Tagesmutter, können sie die Differenz zu dem Geldbetrag einklagen, die sie die Betreuung bei einer privaten Kita oder Kinderfrau kostet.

Gesellschaftlich umstritten ist das ebenfalls 2013 eingeführte Betreuungsgeld, umgangssprachlich auch "Herdprämie" genannt. Es ist für Eltern gedacht, die sich gegen eine Betreuung ihres Kleinkindes in einer Kindertagesstätte entscheiden. Während Befürworterinnen und Befürworter die enge Eltern(Mutter)-Kind-Bindung hervorheben, gehen Kritikerinnen und Kritiker davon aus, dass falsche Anreize für die aktive Teilnahme der Kinder am Bildungssystem gesetzt werden. Unabhängig von dieser Debatte kippte das Bundesverfassungsgericht das Betreuungsgeld zwei Jahre nach der Einführung mit der Begründung, der Bund habe nicht die Kompetenz gehabt, eine solche Regelung zu erlassen. Lediglich in Bayern blieb das Betreuungsgeld als Landesleistung erhalten.

Auch beim Thema Kinderbetreuung möchte die Bundesregierung die Chancen nutzen, die der demografische Wandel bietet. Mit dem Anstieg der Lebenserwartung bei immer besserer Gesundheit verlängere sich die aktive Altersphase, heißt es im Demografiebericht. Dies verändere die Beziehungen zwischen Großeltern und Enkelkindern und böte neue Möglichkeiten des Engagements im Alter. Anders ausgedrückt: Für manche ist es wünschenswert, wenn sich die Großeltern künftig verstärkt an der Betreuung der Enkelkinder beteiligten. Womöglich ist die Dreigenerationenfamilie vergangener Tage ja tatsächlich auch ein Konzept für die Zukunft.

Weitere Inhalte

Anke Brodmerkel, geb. 1970, Studium der Biologie und Chemie, arbeitet seit 2003 als freie Wissenschaftsjournalistin mit den Schwerpunkten Medizin, Psychologie und Demografie, derzeit unter anderem für die Berliner Zeitung sowie viele andere Tageszeitungen, Magazine und Online-Portale.