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"Digitalisierung kann altersgerechte Arbeitsplätze schaffen"

Martin Krzywdzinski

/ 4 Minuten zu lesen

Mit der Digitalisierung werden Jobs wegfallen und neue entstehen. Zugleich erleben wir einen demografischen Wandel. Wie wirken beide Entwicklungen aufeinander? Werden vor allem die älteren Beschäftigten die Verlierer der Digitalisierung sein? Der Soziologe Martin Krzywdzinski sieht keinen Grund für Alarmismus. Er fordert Weiterbildung und eine langfristige Personalentwicklung.

Die Digitalisierung wird Jobs kosten. Zugleich wird sie Menschen bei körperlicher Arbeit entlasten: In der Automobilindustrie werden Mitarbeiter schon heute von Exoskeletten unterstützt. So können Beschäftigte länger den Arbeitsplatz behalten. (© AUDI AG)

bpb.de: Die Digitalisierung verändert den Arbeitsmarkt. Es entstehen neue Jobs, andere werden wegfallen. Wie viele Arbeitsplätze bedroht sind, dazu gehen die Schätzungen auseinander: Jeder zehnte Job in Deutschland könnte gefährdet sein. Das hängt auch stark von der jeweiligen Branche ab. Aber wie wirkt sich die Digitalisierung auf die verschiedenen Altersgruppen aus? Sind vom Jobverlust vor allem ältere Arbeitnehmer betroffen?

Martin Krzywdzinski, Arbeits- und Industriesoziologe, Wissenschaftszentrum Berlin (© WZB, David Ausserhofer)

Martin Krzywdzinski: Das lässt sich nicht eindeutig beantworten, denn hier wirken unterschiedliche Trends. Erstens haben wir Branchen, in denen die Belegschaft schon heute stark überaltert ist. Dazu gehört zum Beispiel die öffentliche Verwaltung: Laut Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sind dort 35 Prozent der Belegschaft über 55 Jahre alt. Zugleich gibt es in diesem Bereich einen großen Nachholbedarf bei der Digitalisierung von Prozessen. Deshalb könnte die Digitalisierung einen erheblichen Arbeitsplatzverlust in der Verwaltung bedeuten, der vor allem ältere Arbeitnehmer trifft.

Zweitens wissen wir aus verschiedenen Studien, dass gerade ältere Beschäftigte viel weniger von betrieblichen Weiterbildungsmaßnahmen erfasst werden als jüngere. Ebenso fehlen passende Maßnahmen, die gezielt auf die Bedarfe älterer Beschäftigter abgestimmt sind. Doch wenn die Älteren weniger stark an betrieblicher Weiterbildung partizipieren, sind sie dementsprechend auch stärker von Arbeitsplatzverlust durch Digitalisierung betroffen.

Neben dem Alter gibt es noch weitere Faktoren: Zum Beispiel ist in einem kleineren Betrieb generell die Gefahr größer, nicht an Weiterbildung zu partizipieren als in einem größeren; Geringqualifizierte werden weniger in Weiterbildungsmaßnahmen integriert als höher Qualifizierte. Zugleich ist es wichtig, auch die positiven Dynamiken der Digitalisierung zu sehen.

Wo zeigen sich diese positiven Entwicklungen – gerade mit Blick auf ältere Arbeitnehmer?

Es gibt eine Reihe technologischer Entwicklungen, die nicht darauf hinauslaufen Arbeitsplätze zu vernichten. Vielmehr können diese helfen, altersgerechte Arbeitsplätze zu schaffen. Aus der Forschung wissen wir, dass nicht allein das Alter die Leistungsfähigkeit beeinflusst. Entscheidend ist auch, ob der Arbeitsplatz an das Alter angepasst ist.

Viele Entwicklungen in der Robotik sind im Moment weniger darauf ausgerichtet, im großen Stil Prozesse zu automatisieren. Es geht eher darum, bei körperlich belastender Arbeit und/oder monotoner Tätigkeit die Arbeitskräfte zu unterstützen und zu entlasten. Dazu gehört zum Beispiel die Entwicklung von Exoskeletten. [Solche äußeren Skelette werden für die Industrie entwickelt. Es sind Roboter oder Maschinen, die am Körper tragbar sind und Arbeitskräfte bei Bewegungen unterstützen; Anm. d. Red.] Diese werden zum Beispiel von Ford für ergonomisch besonders belastende Arbeitsplätze eingesetzt, an denen Personen über Kopf heben oder montieren müssen. Solche Entwicklungen können Arbeitsplätze auch für ältere Beschäftigte erhalten.

Bleiben wir bei den älteren Arbeitskräften. Sie sagen, dass diese Gruppe nicht stark genug von Weiterbildung profitiert. Das heißt, man könnte älteren Beschäftigten durch mehr Weiterbildung die Angst und Unsicherheit vor der Digitalisierung nehmen?

Auf jeden Fall. Aber Betriebe haben Angst in jemanden zu investieren, der vielleicht nur noch fünf Jahre im Unternehmen bleibt. Und wie gesagt, es fehlt an gezielten Weiterbildungsangeboten. Ältere haben meist einen großen Erfahrungsschatz, aber vielleicht brauchen sie andere Lernformen oder andere Lernumgebungen, in denen sie nicht mit Jüngeren konkurrieren müssen. Hier gibt es einen großen Bedarf in den Betrieben, aber auch in der Bildungspolitik.

Was in den Betrieben auch generell fehlt, ist eine längerfristige Personalentwicklung. Für Manager und Top-Talente ist das Standard. Aber Betriebe müssen auch bei angelernten Kräften schauen, welche Entwicklungswege sie ihnen im Laufe des Arbeitslebens bieten – zum Beispiel in Richtung Fachtätigkeit. Das müsste noch viel stärker Thema sein.

Neben der Digitalisierung des Arbeitsmarktes, verändert sich eben auch die Bevölkerung: Wir werden immer älter und auf lange Sicht wird die Bevölkerung vermutlich schrumpfen. Wie bewerten Sie – mit Blick auf den Arbeitsmarkt – das Verhältnis dieser beiden Trends zueinander? Erleben wir eine besondere Situation? Oder ist das letztlich nichts Neues?

Ich bin gegen alarmistische Szenarien. Die Digitalisierung ist ein Prozess, der sich viel langsamer entwickelt als das oftmals – gerade auch in der Mediendebatte – dargestellt wird. Es ist keine Revolution, die morgen alle Fabriken umkrempelt. Digitalisierung ist ein gradueller Prozess, der sowohl auf Grund von Kompetenzwandel Beschäftigung für Ältere in Frage stellt als auch neue Beschäftigung von Älteren ermöglicht, indem Arbeitsplätze altersgerechter werden können.

Es ist schwierig, langfristige Trends zu bestimmen. Entscheidend ist auch die Frage, was im Zuge der Digitalisierung wichtiger wird: Die Entwertung von Kompetenzen, die vor allem die Beschäftigung von Älteren gefährdet oder eben die Unterstützung durch neue Technologien, die die Beschäftigung von Älteren möglich macht.

Eine Sache wird sicherlich eintreten: Ab 2025 werden die Babyboomer nach und nach in Rente gehen. Das sind die geburtenstarken Jahrgänge 1954 bis 1969. Das wird in den darauffolgenden Jahren die Erwerbsbevölkerung schrumpfen lassen. Ist das der Moment, wenn sich jüngere Arbeitnehmer ihre Jobs sehr viel einfacher aussuchen können?

Teils erleben wir das schon jetzt, eben weil am Arbeitsmarkt neue Kompetenzen benötigt werden. Zum Beispiel merken wir im Bereich Informatik, wie sich existierende Berufsbilder verändern. Zugleich entstehen neue Berufszweige mit Fokus auf Datenanalyse.

Der Arbeitsmarkt verändert sich und das könnte, wenn es insgesamt weniger Arbeitskräfte gibt, zu einem großen Problem werden. Zugleich ist Demografie etwas, das flexibel ist. Vielleicht werden wir endlich die offene Einwanderungsgesellschaft, die wir sein sollten. Wir müssen uns für Zuwanderung in unsere Arbeitsmärkte öffnen und zugleich in die Modernisierung unseres Ausbildungssystems investieren. Das könnte etwa bedeuten, die Integration Geflüchteter in den Arbeitsmarkt stärker zu integrieren. Und im Hinblick auf unsere Ausbildungssysteme ist der riesige Investitionsstau allgemein bekannt: Das fängt bei der Modernisierung der Ausstattung von Schulen an und geht bis zu einer Anpassung der Berufsausbildung an die Herausforderungen der Digitalisierung.

Das Interview führte Sonja Ernst.

Dr. Martin Krzywdzinski leitet am WZB (Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung) die Projektgruppe "Globalisierung, Arbeit und Produktion". Der Arbeits- und Industriesoziologe ist außerdem Projektleiter am Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft.