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Die Kompetenzen von EU und ihren Mitgliedstaaten in der Gesundheitspolitik

Thomas Gerlinger

/ 7 Minuten zu lesen

Wichtigste Rechtsgrundlage für die Gestaltung der Europäischen Union ist der "Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union" (AEUV) Was sind die gesundheitspolitischen Aufgaben, Kompetenzen und Ziele der EU?

Die spanische Ministerin für Gesundheit und Verbraucherschutz, Elena Salgado Mendez (links), auf der EU-Konferenz "Verantwortung und Partnerschaft - Gemeinsam gegen HIV/Aids" 2007 in Bremen. (© picture-alliance/dpa)

Die Zuständigkeiten der einzelnen Handlungsebenen und Institutionen in der Europäischen Union sind im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) festgeschrieben. Auf ihn einigten sich die Staats- und Regierungschefinnen und -chefs der Mitgliedstaaten auf dem Gipfel von Lissabon 2007. 2009 trat er in Kraft. Dieser Vertrag, auch "Vertrag von Lissabon" genannt, stellt eine Reform des bisherigen europäischen Vertragswerks dar (EG-Vertrag), nachdem zuvor die Verabschiedung einer europäischen Verfassung durch Referenden in Frankreich und Irland gescheitert war. Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union stellt gemeinsam mit dem Vertrag über die Europäische Union (EUV) die wichtigste primärrechtliche Grundlage des europäischen Integrationsprozesses dar.

Grundsätzlich darf die EU nur auf solchen Feldern tätig werden, auf denen die Mitgliedstaaten ihr zur Erreichung der Gemeinschaftsziele entsprechende Kompetenzen übertragen haben (Art. 5 Abs. 1 EUV – Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung). Dabei darf sie von diesen Kompetenzen nur in dem Maße Gebrauch machen, wie dies zur Erreichung dieser Gemeinschaftsziele erforderlich ist. Darüber hinaus gilt für alle Gemeinschaftsaktivitäten das Subsidiaritätsprinzip: Die EU darf demzufolge nur dann und insoweit tätig werden, als die betreffenden Ziele durch das Handeln auf supranationaler Ebene besser verwirklicht werden können als auf einzelstaatlicher Ebene (Art. 5 Abs. 2 und 3 EUV). Die Union kann also auch auf den Feldern, auf denen sie über explizite Regelungskompetenzen verfügt, nur Regelungen vornehmen oder Aktionsprogramme auflegen, wenn diese Voraussetzung gegeben ist.

Seit den 1980er-Jahren sind die politischen Gestaltungskompetenzen der Europäischen Union schrittweise ausgebaut worden.

Diese Vertiefung der Europäischen Union hat sich auch in der Gesundheitspolitik niedergeschlagen. Der EG-Vertrag weist der EU auf diesem Feld mittlerweile eine Reihe von Zuständigkeiten zu, die in Artikel 168 AEUV geregelt sind.

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Antwort b) ist richtig: Die Rechtsgrundlage für die Gestaltung der Europäischen Union ist der EG-Vertrag.
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Welcher Vertrag bildet die Rechtsgrundlage für die Gestaltung der Europäischen Union?

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Antwort b) ist richtig: Die Rechtsgrundlage für die Gestaltung der Europäischen Union ist der EG-Vertrag.

Die Europäische Gemeinschaft hat demnach grundsätzlich die Aufgabe, "bei der Festlegung und Durchführung aller Unionspolitiken und -maßnahmen […] ein hohes Gesundheitsschutzniveau" sicherzustellen (Art. 168 Abs. 1 AEUV). Der Gesundheitsschutz lässt sich somit als eine "Querschnittsaufgabe" charakterisieren, die auf allen Politikfeldern wahrgenommen werden muss. Darüber hinaus sieht der AEUV vor, dass "die Tätigkeit der Union […] auf die Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung, die Verhütung von Humankrankheiten und die Beseitigung von Ursachen für die Gefährdung der körperlichen und geistigen Gesundheit gerichtet" ist (Art. 168 Abs. 1 AEUV). Folgende Aufgaben werden explizit als Handlungsfelder der EU genannt:

  • "die Bekämpfung der weitverbreiteten schweren Krankheiten" (Art. 168 Abs. 1 AEUV)

  • "die Erforschung der Ursachen, der Übertragung und der Verhütung dieser Krankheiten sowie Gesundheitsinformation und -erziehung" (Art. 168 Abs. 1 AEUV)

  • "die Beobachtung, frühzeitige Meldung und Bekämpfung schwerwiegender grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren" (Art. 168 Abs. 1 AEUV)

  • die "Verringerung drogenkonsumbedingter Gesundheitsschäden einschließlich der Informations- und Vorbeugungsmaßnahmen" (Art. 168 Abs. 1 AEUV)

  • die Förderung der "Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, die darauf abzielt, die Komplementarität ihrer Gesundheitsdienste in den Grenzgebieten zu verbessern" (Art. 168 Abs. 2 AEUV)

Darüber hinaus können "das Europäische Parlament und der Rat […] gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren […] auch Fördermaßnahmen zum Schutz und zur Verbesserung der menschlichen Gesundheit sowie insbesondere zur Bekämpfung der weitverbreiteten schweren grenzüberschreitenden Krankheiten, Maßnahmen zur Beobachtung, frühzeitigen Meldung und Bekämpfung schwerwiegender grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren sowie Maßnahmen, die unmittelbar den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung vor Tabakkonsum und Alkoholmissbrauch zum Ziel haben, erlassen" (Art. 168 Abs. 5 AEUV). Allerdings haben diese Maßnahmen "unter Ausschluss jeglicher Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten" (Art. 168 Abs. 5 AEUV) zu erfolgen.

Aus den genannten Aufgabenbestimmungen erwächst jedoch nicht jenes Maß an Gestaltungskompetenzen, das sich auf den ersten Blick vermuten ließe. Denn zugleich begrenzt der AEUV die Zuständigkeit der EU auf dem Gebiet des Gesundheitsschutzes in vielfältiger Weise:

  • Ihre Rolle ist darauf beschränkt, die Politik der Mitgliedstaaten zu ergänzen (Art. 168 Abs. 1 AEUV) sowie ihre Zusammenarbeit zu fördern und die Tätigkeit der Mitgliedstaaten, falls erforderlich, zu unterstützen (Art. 168 Abs. 2 AEUV).

  • Die Mitgliedstaaten behalten grundsätzlich ihre Zuständigkeit und Verantwortung auf diesen Feldern. Die ergänzende, koordinierende oder unterstützende Tätigkeit der EU hat unter Ausschluss jeglicher Harmonisierung nationalstaatlicher Bestimmungen zu erfolgen (Art. 2 Abs. 5 AEUV).

  • Darüber hinaus gilt grundsätzlich für alle Gemeinschaftsaktivitäten das Subsidiaritätsprinzip (siehe oben).

Ausdrückliche Rechtssetzungskompetenzen hat die EU hingegen auf zwei ausdrücklich im EG-Vertrag genannten Feldern der Präventionspolitik:

  • dem Gesundheitsschutz in der Arbeitsumwelt (Art. 153 Abs. 1 und 2 AEUV),

  • dem Verbraucherschutz, der neben den wirtschaftlichen Interessen auch den Gesundheitsschutz und die Sicherheit der Verbraucherinnen und Verbraucher einschließt (Art. 169 AEUV).

Auf beiden Feldern kann die EU nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren durch Richtlinien supranationale Mindeststandards festsetzen. Den Mitgliedstaaten ist es freigestellt, in ihrem Hoheitsgebiet strengere Schutzmaßstäbe anzulegen. Die betreffenden Richtlinien werden vom zuständigen Ministerrat, also durch die Mitgliedstaaten erlassen. Da für eine Entscheidung lediglich eine qualifizierte Mehrheit notwendig ist, können einzelne von ihnen überstimmt und damit zu Maßnahmen gezwungen werden, die sie eigentlich missbilligen oder nicht für notwendig halten. Allerdings gilt auch für Maßnahmen zum Arbeits- und gesundheitlichen Verbraucherschutz das erwähnte Subsidiaritätsprinzip. Außerdem schränkt der AEUV die Reichweite der Maßnahmen zum Gesundheitsschutz in der Arbeitsumwelt ein: Sie "berühren nicht die anerkannte Befugnis der Mitgliedstaaten, die Grundprinzipien ihres Systems der sozialen Sicherheit festzulegen, und dürfen das finanzielle Gleichgewicht dieser Systeme nicht erheblich beeinträchtigen" (Art. 153 Abs. 4 AEUV).

Die Europäische Kommission überwacht die Umsetzung dieser Vorschriften durch die Mitgliedstaaten. Werden Richtlinien inhaltlich nicht angemessen oder nicht fristgerecht umgesetzt, so drohen den betreffenden Mitgliedstaaten Sanktionen, zumeist in Form von Geldstrafen. Da es sich bei den Richtlinien um Mindeststandards handelt, können die Mitgliedstaaten für ihr Hoheitsgebiet schärfere Bestimmungen erlassen, allerdings dürfen sie diese dann nicht zum Anlass nehmen, den freien Verkehr von Waren und Dienstleistungen auf dem europäischen Binnenmarkt zu behindern.

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Erläuterung

Antwort c) ist richtig. Den betreffenden Mitgliedstaaten drohen Sanktionen in Form von Geldstrafen.
Werden Richtlinien inhaltlich nicht angemessen oder nicht fristgerecht umgesetzt, so drohen den betreffenden Mitgliedstaaten Sanktionen in Form von Geldstrafen.
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Welche Sanktionen drohen den Mitgliedstaaten, wenn EU-Richtlinien nicht fristgerecht umgesetzt werden?

Erläuterung
Antwort c) ist richtig. Den betreffenden Mitgliedstaaten drohen Sanktionen in Form von Geldstrafen.
Werden Richtlinien inhaltlich nicht angemessen oder nicht fristgerecht umgesetzt, so drohen den betreffenden Mitgliedstaaten Sanktionen in Form von Geldstrafen.

Neben diesen Kompetenzzuweisungen enthält der AEUV eine gravierende Einschränkung der EU-Zuständigkeit in der Gesundheitspolitik. Denn er sieht ausdrücklich vor, dass "bei der Tätigkeit der Union […] die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Festlegung ihrer Gesundheitspolitik sowie für die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung gewahrt [wird]. Die Verantwortung der Mitgliedstaaten umfasst die Verwaltung des Gesundheitswesens und der medizinischen Versorgung sowie die Zuweisung der dafür bereitgestellten Mittel" (Art. 168 Abs. 7 AEUV). Die Kompetenz zur Gestaltung des Gesundheitssystems liegt damit nach wie vor bei den Mitgliedstaaten. Dies betrifft:

  • die Organisation der Prävention, einschließlich ihrer institutionellen Gestaltung;

  • die Organisation des Krankenversorgungssystems, einschließlich der institutionellen Gliederung und der Arbeitsteilung zwischen den Berufsgruppen;

  • die Verteilung von Kompetenzen bei der Steuerung der Gesundheitssysteme;

  • Art und Umfang der sozialen Sicherung im Falle von Krankheit und Pflegebedürftigkeit (also die Finanzierung von Leistungen und der Leistungsumfang).

Darüber hinaus hält der AEUV ausdrücklich fest, dass von der EU getroffene Maßnahmen im Bereich des Sozialschutzes (einschließlich der Gesundheitspolitik) – sofern sie vorhanden sind – "die anerkannte Befugnis der Mitgliedstaaten, die Grundprinzipien ihres Systems der sozialen Sicherheit festzulegen", nicht berühren und "das finanzielle Gleichgewicht dieser Systeme nicht erheblich beeinträchtigen" dürfen (Art. 153 Abs. 4 AEUV).

Aus den erwähnten Zuständigkeiten für den Gesundheitsschutz erwächst für die EU, abgesehen von den Mindestrichtlinien zum Arbeitsschutz und zum gesundheitlichen Verbraucherschutz, keine Kompetenz für die Rechtsetzung im Gesundheitswesen. Die Kompetenz zur Gestaltung des Gesundheitssystems liegt damit nach wie vor bei den Mitgliedstaaten. Dies betrifft:

  • die institutionelle Organisation von Prävention und Gesundheitsförderung sowie Art und Umfang von Handlungsprogrammen auf diesen Feldern, einschließlich ihrer institutionellen Gestaltung;

  • die Organisation des Krankenversorgungssystems einschließlich der institutionellen Gliederung und der Arbeitsteilung zwischen den Berufsgruppen;

  • Art und Umfang der sozialen Sicherung im Falle von Krankheit und Pflegebedürftigkeit (also die Finanzierung von Leistungen und der Leistungsumfang);

  • die Verteilung von Kompetenzen bei der Steuerung des Gesundheitssystems.

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Erläuterung

Antwort c) ist richtig. Im Artikel 392 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union sind die Zuständigkeiten zur Gesundheitspolitik geregelt.
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Antwort a) ist richtig. Der Gesundheitsschutz ist eine Querschnittsaufgabe, die auf allen Politikfeldern wahrgenommen werden muss.
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Antwort b) ist richtig. Nein, sie dürfen keine bindenden Bestimmungen für die Mitgliedstaaten beinhalten.
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In welchem Artikel des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union sind die Zuständigkeiten zur Gesundheitspolitik geregelt?

Erläuterung
Antwort c) ist richtig. Im Artikel 392 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union sind die Zuständigkeiten zur Gesundheitspolitik geregelt.

Der Gesundheitsschutz ist eine Querschnittsaufgabe, die auf allen Politikfeldern wahrgenommen werden muss.

Erläuterung
Antwort a) ist richtig. Der Gesundheitsschutz ist eine Querschnittsaufgabe, die auf allen Politikfeldern wahrgenommen werden muss.

Dürfen EU-Maßnahmen zur Prävention und zur Gesundheitsförderung bindend sein?

Erläuterung
Antwort b) ist richtig. Nein, sie dürfen keine bindenden Bestimmungen für die Mitgliedstaaten beinhalten.

Unterschiede zwischen den Gesundheitssystemen der Mitgliedstaaten

Da die Gesundheitssysteme der Mitgliedstaaten in die jeweiligen Systeme sozialer Sicherung eingebunden und in ihnen historisch gewachsen sind und zudem die europäischen Gestaltungskompetenzen recht schwach ausfallen, gibt es zwischen ihnen große Unterschiede (zum Beispiel Freeman 2000; Blank/Burau 2010; Rothgang/Cacace/Grimmeisen/Wendt 2005; Marmor/Freeman/Okma 2009; Marmor/Wendt 2011; Rothgang/Cacace/Frisina/Grimmeisen/Schmid/Wendt 2010; Schölkopf 2010; Wendt 2009; siehe auch das Modul Interner Link: "Gesundheitspolitik in ausgewählten europäischen Nationalstaaten"). Diese betreffen sowohl die Finanzierungs- und Versorgungsstrukturen als auch die Regulierungsstrukturen. Europäische Harmonisierungsbestrebungen in der Gesundheitspolitik blieben stets schwach, und wenn sie sichtbar wurden, scheiterten sie in der Regel recht bald am starken Widerstand einer Mehrzahl von Mitgliedstaaten. Dies hat eine Reihe ökonomischer, institutioneller und politischer Ursachen:

  • Es existiert ein erhebliches ökonomisches Gefälle zwischen den Mitgliedstaaten, das wiederum große Unterschiede im Niveau der Absicherung des Krankheitsrisikos zur Folge hat. Zudem weisen die Mitgliedstaaten unterschiedliche Traditionen in der Sozialpolitik auf.

  • Die nationalstaatlichen institutionellen Arrangements im Politikfeld Gesundheit sind Ausdruck national spezifischer Kräfteverhältnisse zwischen den beteiligten Akteuren und konstituieren bei ihnen Interessen, die ihrerseits zumeist eine große Beharrungskraft entwickeln.

  • Die Frage nach der sozialen Sicherung im Krankheitsfall berührt die Zuständigkeit der Nationalstaaten und ist im Hinblick auf die Entwicklung der öffentlichen Finanzen der Arbeitskosten von großer Bedeutung.

  • Die Gesundheitspolitik eignet sich in besonderer Weise dafür, staatliche Sozialleistungen gegen Bürgerakzeptanz und Wählerstimmen zwischen Regierungen und Bevölkerungen politisch zu tauschen (Urban 2003).

Angesichts dieser ökonomischen, institutionellen und politischen Restriktionen wundert es nicht, dass in der EU keine wirklich relevanten Tendenzen einer Harmonisierung der institutionellen Arrangements im gesundheitspolitischen Feld zu beobachten sind. So ist denn auch die 1992 verabschiedete Empfehlung der EU-Kommission zur Konvergenz der sozialen Sicherungssysteme in den Mitgliedstaaten ohne praktische Auswirkung geblieben.

Zwar finden in den nationalstaatlichen Gesundheitsreformen seit den 1980er-Jahren oftmals ähnliche Steuerungsinstrumente Anwendung, und bei der Analyse der Gesundheitssystementwicklung lassen sich dementsprechend auch gewisse Konvergenztendenzen erkennen. Jedoch sind diese nicht auf eine Etablierung transnationaler Regelungskompetenzen zurückzuführen (Freeman/Moran 2000), sondern in erster Linie eine Antwort auf gemeinsame wirtschafts- und finanzpolitische Rahmenbedingungen, auf vergleichbare gesundheitliche Problemlagen und vielfach ähnlich gelagerte Defizite der jeweiligen Versorgungssysteme.

Quellen / Literatur

Blank, Robert H./Burau, Viola (2010): Comparative Health Policy, 3rd. ed. Basingstoke/New York

Freeman, Richard/Moran, Michael (2000): Reforming Health Care in Europe. West European Politics, Vol. 23, No. 1, S. 35 - 58

Freeman, Richard (2000): The Politics of Health in Europe. Manchester

Marmor, Theodore R./Freeman, Richard/Okma, Kieke G.H. (Hrsg.) (2009): Comparative Studies and the Politics of Modern Medical Care. New Haven/London

Marmor, Theodore R./Wendt, Claus (Hrsg.) (2011): Reforming Health Care Systems, 2 Bde. Cheltenham

Rothgang, Heinz/Cacace, Mirella/Frisina, Lorraine/Grimmeisen, Simone/Schmid, Achim/Wendt, Claus (2010): The State and Healthcare. Comparing OECD Countries. Basingstoke/New York

Rothgang, Heinz/Cacace, Mirella/Grimmeisen, Simone/Wendt, Claus (2005): The Changing Role of the State in Healthcare Systems. In: European Review 13, Supp. 1: 187 - 212

Schölkopf, Martin (2010): Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich. Gesundheitssystemvergleich und die europäische Gesundheitspolitik. Berlin

Urban, Hans-Jürgen (2003): Europäisierung der Gesundheitspolitik? Zur Evolution eines Politikfeldes im europäischen Mehrebenen-System. Discussion Paper SP I 2003-303, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Berlin

Wendt, Claus, (2009): Krankenversicherung oder Gesundheitsversorgung? Gesundheitssysteme im Vergleich, 2., überarb. Aufl., Wiesbaden

Fussnoten

Weitere Inhalte

Prof. Dr. Dr. Thomas Gerlinger ist Professor an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld, AG 1: Gesundheitssysteme, Gesundheitspolitik und Gesundheitssoziologie.