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Die Finanzierung der Gesundheitsversorgung in Großbritannien | Gesundheitspolitik | bpb.de

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Die Finanzierung der Gesundheitsversorgung in Großbritannien

Thomas Gerlinger Kai Mosebach

/ 4 Minuten zu lesen

Die vier nationalen Gesundheitssysteme in Großbritannien finanzieren sich zum größten Teil aus öffentlichen Mitteln, insbesondere aus allgemeinen Steuern, zweckgebundenen Steuern und – wenn auch in geringem Umfang – Sozialversicherungseinnahmen. Da der Beitragssatz zur nationalen Sozialversicherung ("National Insurance", NI) vom Staat festgelegt wird, werden die Sozialversicherungsbeiträge als Steuern betrachtet.

Der schottische Gesundheitsminister Alex Neil (2. v. l.) bei der Demonstration eines künstlichen Patienten (Roboterpuppe) zur Unterstützung der Ausbildung im Schottischen Clinical Simulation Centre im Forth Valley Royal Hospital in Larbert / Schottland. (© picture-alliance, empics | Andrew Milligan)

Maßgeblich für die Entwicklung der finanziellen Ressourcen, die für die Gesundheitsversorgung in Großbritannien zur Verfügung stehen, bleibt trotz der Politik der Devolution das britische Finanzministerium in London ("Treasury"). Dieses verteilt die für die Gesundheitsversorgung geplanten Mittel als Teil von historisch gewachsenen Blockzahlungen für die gesamten öffentlichen Aufwendungen in Wales, Schottland und Nordirland. Zudem sind Prävention und Gesundheitsförderung ("Public Health") in allen vier Landesteilen originär öffentliche Aufgaben. Sie werden zwischen den verschiedenen betroffenen Ministerien koordiniert und auf der lokalen Ebene von kommunalen Gesundheitsbehörden umgesetzt.

Die Verteilung der vom britischen Finanzministerium zugewiesenen Finanzmittel auf die Gesundheitsversorgung wird in den vier Landesteilen allerdings nach unterschiedlichen Regeln und Zielsetzungen durchgeführt. Dies betrifft sowohl die Regeln und Prinzipien der Allokation als auch die Bereiche des Gesundheitssystems, die öffentlich finanziert werden. Insbesondere die Versorgungsstrukturen und die Regulierungen der Gesundheitsversorgung weichen wegen der an die Länder abgegebenen Kompetenzen zum Teil erheblich voneinander ab. Im Folgenden wird der Schwerpunkt der Darstellung auf die Entwicklung der Gesundheitsversorgung in England gelegt. Für nähere Informationen zu den Versorgungs- und Regulierungsstrukturen der Gesundheitssysteme in Wales, Schottland und Nordirland sei auf die Web-Links verwiesen (Boyle 2011).

Finanzierungssystem und Ausgabenentwicklung

Die Verteilung der Finanzmittel auf die Leistungserbringer im englischen nationalen Gesundheitsdienst ("National Health Service", NHS) folgt einem mehrstufigen System aus zentraler Planung, dezentraler Zuweisung und Wettbewerb. Zunächst wird zwischen dem Finanzministerium und dem Gesundheitsministerium ("Department of Health", DoH) für drei Jahre das Gesundheitsbudget ausgehandelt. Dieses wird dann auf der Grundlage einer komplizierten Formel an lokale beziehungsweise regionale Einrichtungen des nationalen Gesundheitsdienstes verteilt. Die Berechnungsformel orientiert sich dabei an verschiedenen Kriterien, die die Verteilung der Finanzmittel gemäß lokalem Bedarf sicherstellen sollen. Im Jahr 2010 wurden 102 Milliarden britische Pfund für die nationale Gesundheitsversorgung in England ausgegeben. Rund 50 Prozent dieser Ausgaben entfielen auf die Behandlung im Akutkrankenhaus, rund 10 Prozent auf die Primärversorgung. Die Pro-Kopf-Ausgaben für Gesundheit sind in Großbritannien deutlich niedriger als in Deutschland. Die OECD-Statistik weist im Jahr für das Jahr 2011 für Großbritannien pro-Kopf-Ausgaben in Höhe von 3.406 US-Dollar, für Deutschland 4.495 US-Dollar aus (jeweils in Kaufkraftparitäten) (OECD 2013).

Die laufenden Behandlungskosten werden den zuständigen Clinical Commissioning Groups (CCGs) überwiesen, die die lokale Gesundheitsversorgung sicherstellen Department of Health (2013). Die öffentlichen Mittel für große Investitionsprojekte werden durch eine Initiative zur Nutzung privaten Kapitals für Krankenhausneubauten ergänzt; diese Mittel der sogenannten Private Financing Initiative (PFI) machen mittlerweile das Gros der finanziellen Mittel für Krankenhausneubauten aus.

Investitionsmittel von Hausärztinnen und -ärzten ("General Practitioners", GPs) und alternativen Versorgungseinrichtungen der primären Gesundheitsversorgung werden in der Regel aus den laufenden Einnahmen der Leistungserbringer finanziert. Parallel zu dem PFI-Programm hat New Labour auch ein Programm zur Nutzung privaten Kapitals in der Primärversorgung aufgelegt (Local Improvement Finance Trust, LIFT).

Die soziale Betreuung und Pflege von pflegebedürftigen Erwachsenen und Kindern durch private und kommunale Leistungsanbieter von persönlichen sozialen Diensten erfolgt im Auftrag von 150 kommunalen Gemeinderäten in England. Die Kommunen erhalten zur Finanzierung dieser persönlichen sozialen Dienste finanzielle Mittel aus dem allgemeinen Steueraufkommen des Zentralstaates; zudem können sie auch begrenzt eigene lokale Steuern erheben. Die Inanspruchnahme dieser personalen sozialen Dienste ist abhängig von einer Bedürftigkeitsprüfung, wobei die Einkommen und Vermögen der Antragsteller zugrunde gelegt werden. Entsprechend existieren neben öffentlichen Aufwendungen hohe private Aufwendungen für die Finanzierung dieser persönlichen sozialen Dienste. Im Jahr 2006 wurden für persönliche soziale Dienste für Erwachsene insgesamt 21,2 Milliarden britische Pfund (circa 31 Milliarden Euro) ausgegeben; hiervon entfielen 43 Prozent auf die Unterstützung und Pflege von älteren Menschen, 25 Prozent für Familien mit Kindern, 16 Prozent für Menschen mit Lernbehinderungen, sieben Prozent für Menschen mit körperlichen Behinderungen und fünf Prozent für Menschen mit psychischen Erkrankungen. Die hiermit zum Teil einhergehende medizinisch notwendige Pflege ist – den Prinzipien des englischen NHS entsprechend – frei. Dies hat jedoch zu starken Abgrenzungsschwierigkeiten in der Finanzierung und Organisation von sozialen personalen Diensten und medizinisch notwendigen Pflegeleistungen geführt.

Der Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (Gesundheitsquote) ist in Großbritannien im Vergleich zu anderen Industrieländern gering. Dies hat in Großbritannien immer wieder zu der Kritik geführt, dass der nationalen Gesundheitsversorgung zu wenig finanzielle Mittel zur Verfügung stünden, sie mithin chronisch unterfinanziert sei. Seit dem Jahr 2000 jedoch sind die britischen Gesundheitsausgaben stark gestiegen, um vor allem das mit der Unterfinanzierung einhergehende Problem von (mitunter sehr langen) Wartezeiten für elektive, also planbare Behandlungen anzugehen. Zwischen 1990 und 2011 ist der Anteil der Gesundheitsausgaben in Großbritannien von 5,8 Prozent auf 9,3 Prozent gestiegen (Deutschland: von 8,3 Prozent auf 11,3 Prozent) (OECD 2013).

Prinzipien der Mittelaufbringung für das Gesundheitswesen

Jede Einwohnerin und jeder Einwohner des Vereinigten Königreiches hat das Recht auf einen freien Zugang zur medizinischen Versorgung des nationalen Gesundheitsdienstes ohne Beachtung seiner finanziellen Möglichkeiten. Deshalb zeichnet sich die Gesundheitsversorgung in Großbritannien durch einen hohen Grad an Solidarität aus. Dies ist vor allem auf das progressiv ausgestaltete Einkommenssteuersystem zurückzuführen.

Der Anteil von Zuzahlungen für Leistungen des englischen nationalen Gesundheitsdienstes an den gesamten Gesundheitsausgaben ist gering und betrifft hauptsächlich Zuzahlungen für Arzneimittel, aber auch Sehtests und einige zahnärztliche Leistungen. Besonders schützenwerte soziale Gruppen – Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, ältere Menschen über 60 Jahren und Bezieherinnen und Bezieher von Sozialleistungen – sind von der Aufbringung dieser Zuzahlungen befreit. Zuzahlungen und hohe private Aufwendungen existieren aufgrund der bedürftigkeitsgeprüften Gewährung kommunaler Transferzahlungen allerdings bei der Versorgung mit persönlichen sozialen Diensten.

Trotz der bedarfsbezogenen und universellen Krankenversorgung existiert im britischen Gesundheitssystem – und insbesondere im Großraum London – ein privater Krankenversicherungsmarkt. 11,3 Prozent aller Britinnen und Briten nehmen private Krankenversicherungsleistungen in Anspruch. Der Anteil dieser Leistungen an den gesamten Gesundheitsausgaben in Großbritannien macht jedoch weniger als drei Prozent aus. Die privaten Krankenversicherung ist anders als in Deutschland, zumeist keine Vollversicherung, sondern eine Zusatzversicherung. Ein wichtiges Motiv für den Abschluss einer solchen Zusatzversicherung ist der schnellere Zugang zur Versorgung, insbesondere die Verkürzung von Wartezeiten für Operationen.

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Antwort b) ist richtig: Die Verteilung der Finanzmittel auf die Leistungserbringer im englischen nationalen Gesundheitssystem erfolgt durch den "National Health Service", NHS.
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Antwort b) ist richtig: Die Verteilung der Finanzmittel auf die Leistungserbringer im englischen nationalen Gesundheitssystem erfolgt durch den "National Health Service", NHS.

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Prof. Dr. Dr. Thomas Gerlinger ist Professor an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld, AG 1: Gesundheitssysteme, Gesundheitspolitik und Gesundheitssoziologie.

Geb. 1970, Politik- und Gesundheitswissenschaftler, Vertretungsprofessor am Fachbereich Sozial- und Gesundheitswesen der Gochschule Ludwigshafen am Rhein.