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Kleine Landeskunde der Niederlande | Gesundheitspolitik | bpb.de

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Kleine Landeskunde der Niederlande

Thomas Gerlinger

/ 4 Minuten zu lesen

In diesem Teil der Lerntour erhalten Sie grundlegende Informationen zu unserem Nachbarstaat Niederlande. Die Themenbereiche sind "Politik", "Wirtschaft" und "Wohlfahrtsstaat".

Die Niederlande sind ein vergleichsweise wohlhabendes Land. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf liegt bei 34.600 Euro (2009). (© picture alliance/chromorange )

Die Niederlande liegen im westlichen Teil Europas. Sie werden im Süden durch Belgien und im Osten durch die deutschen Bundesländer Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen begrenzt. Nach Westen und Norden bildet die Nordsee die natürliche Grenze des Landes. Die Niederlande haben eine Fläche von 41.526 Quadratkilometern (Deutschland: 357.093 Quadratkilometer) bei einer geschätzten Bevölkerungszahl von 16,8 Millionen Menschen (Juli 2011). Die Bevölkerungsdichte liegt im internationalen Vergleich sehr hoch. Auf einen Quadratkilometer kommen 405 Einwohner (Deutschland: 231).

Die Niederlande sind seit den 1950er-Jahren fester Bestandteil des europäischen Integrationsprozesses. Zusammen mit Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien und Luxemburg waren sie Gründungsmitglied der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) sowie der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM). Heute sind die Niederlande einer der 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU).

Politik

Die Staatsform der Niederlande ist die konstitutionelle Monarchie ("Königreich der Niederlande"). Staatsoberhaupt ist seit 1980 Königin Beatrix. Die formale staatliche Führungsrolle des Königshauses wird jedoch durch die Kompetenzen des Parlaments beschränkt. Die politischen Willensbildungsprozesse verlaufen in den Niederlanden auf der Basis einer parlamentarischen Demokratie. Da es keine Prozenthürde für den Einzug in das Parlament gibt, ist dort eine größere Zahl an Parteien vertreten als beispielsweise im deutschen Bundestag. Die größten Parteien sind die Christdemokraten (CDA) und die Sozialdemokraten (PvdA). Hinzu kommen verschiedene liberale, sozialistische, grüne und christliche Parteien. Von 1945 bis 2010 wurden die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten ausschließlich von Christdemokraten oder Sozialdemokraten gestellt. Seit dem Jahr 2010 ist Mark Rutte von der Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) niederländischer Ministerpräsident. Von 2002 bis 2007 wurde die Regierung von Christdemokraten und Liberalen gebildet. Nach der vorgezogenen Wahl trat im Oktober 2010 eine Minderheitsregierung aus der rechtsliberalen Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) und den Christdemokraten (CDA) unter Duldung der Freiheitspartei (PVV) von Geert Wilders in Kraft. Neuer Regierungschef wurde Mark Rutte von der VVD. Im Zuge der Verhandlungen um ein Sparpaket kam es im April 2012 zum Bruch der rechtspopulistischen PVV mit der Minderheitsregierung. Aus den Neuwahlen ging die Regierungspartei VVD jedoch gestärkt hervor, ebenso die Sozialdemokraten, während die Christdemokraten und Wilders' PVV deutlich weniger Wähler als 2010 erreichten. Seit November regiert mit dem Kabinett "Rutte II" ein Bündnis aus VVD und Sozialdemokraten das Land.

Die politische Kultur der Niederlande ist traditionell durch die einflussreiche Repräsentation und Kooperation unterschiedlicher religiöser und politischer Lager ("Versäulung") geprägt, die trotz der Verschiedenheit von Interessen und Weltanschauungen eine starke Orientierung auf die Herstellung politischer Kompromisse aufweisen. Die Niederlande werden daher auch als Konkordanzdemokratie bezeichnet, die im Gegensatz zu Mehrheits- oder Wettbewerbsdemokratien durch fest verankerte Mitwirkungs- und Mitentscheidungsrechte gesellschaftlich relevanter Gruppen geprägt ist.

Wirtschaft

Die Niederlande sind ein vergleichsweise wohlhabendes Land. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf liegt im Vergleich der EU-Mitgliedsländer an fünfter Stelle bei 41.711 Dollar (2013). Die Schweiz lag 2013 bei 46.430 Dollar, Großbritannien bei 37.307 Dollar, Schweden bei 41.188 und Deutschland bei 40.007 Dollar (Internationaler Währungsfonds 2014). Die Niederlande verfügen über eine hohe Erwerbsquote von 76,5 Prozent (2013), das heißt, drei von vier Erwachsenen zwischen 20 und 64 Jahren gehen einer Erwerbstätigkeit nach. Im EU-Durchschnitt liegt diese Quote bei 68,4 Prozent. Die Arbeitslosenquote lag im Juli 2014 bei 6,7 Prozent, während es in der gesamten EU 10,2 Prozent und in Deutschland 4,9 Prozent waren (Eurostat 2014). In den 1990er-Jahren galten die Niederlande als ein wirtschaftliches Erfolgsmodell ("Poldermodell") mit hohen Wachstumsraten und relativ geringer Arbeitslosigkeit.

Die niederländische Wirtschaft ist exportorientiert und erwirtschaftete in den vergangenen zehn Jahren einen deutlichen Leistungsbilanzüberschuss. Zwischen den Niederlanden und Deutschland bestehen enge wirtschaftliche Beziehungen. Deutschland ist der wichtigste Absatzmarkt für die niederländische Wirtschaft. Rund ein Viertel aller niederländischen Exporte werden nach Deutschland ausgeführt. Hauptausfuhrgüter sind Maschinenbauerzeugnisse und Fahrzeuge, chemische Produkte sowie Nahrungsmittel und lebende Tiere. Mehr als zwei Drittel des niederländischen Bruttosozialproduktes werden jedoch im Dienstleistungssektor erwirtschaftet. Eine wichtige Rolle spielen international agierende Finanzdienstleister. Darüber hinaus besitzen die Niederlande eine große Bedeutung im internationalen Handel. Der größte europäische Hafen (Rotterdam) und der viertgrößte Flughafen (Schiphol) machen das Land zu einem wichtigen europäischen Logistikzentrum.

Wohlfahrtsstaat

Die Niederlande verfügen seit den 1970er-Jahren über einen ausgebauten Wohlfahrtsstaat, der sich in seiner Finanzierung, der Steuerung und den Zugangsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger verschiedenartiger Konstruktionselemente bedient. Er wird daher im internationalen Vergleich als ein Mischtypus charakterisiert, in dem sozialdemokratische, liberale und konfessionelle Elemente nebeneinander existieren. Ein Beispiel dafür ist das Nebeneinander umfassender Volksversicherungen und Arbeitnehmerversicherungen, die in der Regel als Merkmale unterschiedlicher Wohlfahrtsstaatsmodelle gelten. Die Entstehung und Entwicklung des niederländischen Wohlfahrtsstaates ist nicht zuletzt eng mit der politischen Kultur des Landes verbunden. Eine im europäischen Vergleich besondere Stellung haben die christlichen Kirchen und die christliche Ideologie inne, die an der Entwicklung des Wohlfahrtsstaates nicht nur über die christlichen Parteien großen Anteil hatten. Die Konsensorientierung – auch in der niederländischen Sozialpolitik – wird nicht zuletzt als Ausfluss religiöser Orientierung interpretiert, die weniger den Gegensatz von Lohnarbeit und Kapital als die Vorstellungen einer Sozialpartnerschaft zum Gegenstand hat.

Anfang der 1980er-Jahre wurden strukturelle Probleme des niederländischen Wohlfahrtsstaates unübersehbar: Die Arbeitslosigkeit war stark angestiegen, die Sozialtransfers ebenfalls, das Haushaltsdefizit lag bei über zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts, und Steuern und Abgaben befanden sich auf einem hohen Niveau. Vor diesem Hintergrund einigten sich Regierung und Tarifpartner auf drastische Maßnahmen: Die Arbeitszeiten wurden verkürzt, und die Lohnentwicklung wurde gestoppt, der Staat nahm umfassende Sozialreformen vor, die unter anderem die Privatisierung von Sozialleistungen (zum Beispiel 1996 der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall), die Absenkung des Leistungsniveaus und eine stärkere Bindung der Sozialleistungen an das Bemühen um eine Erwerbstätigkeit (Kommodifizierung) zur Folge hatten.

Ein Kernbestandteil des niederländischen Wohlfahrtsstaates ist das Gesundheitswesen. Auch hier wurden in den 1980er-Jahren weitreichende Konzepte entwickelt, mit denen ein Umbau des Systems vorangetrieben werden sollte (Committee on the Structure and Financing of health care 1988). Lange Zeit blieb es allerdings bei inkrementellen gesundheitspolitischen Reformschritten, bis schließlich im Jahr 2006 eine Gesundheitsreform in Kraft trat, die die Finanzierungsmechanismen der Krankenversicherung auf eine neue Grundlage stellte.

Weitere Inhalte

Prof. Dr. Dr. Thomas Gerlinger ist Professor an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld, AG 1: Gesundheitssysteme, Gesundheitspolitik und Gesundheitssoziologie.