Das Modell des gleitenden Ruhestands
Aus verschiedenem Blickwinkel spricht viel für einen gleitenden Übergang in den Ruhestand mit schrittweise reduzierter Arbeitszeit.
Gesundheitliche Aspekte
Der zentrale Gedanke bei solchen Forderungen ist einerseits, den älteren Beschäftigten mehr Wahlfreiheit hinsichtlich des Altersübergangs zu gewähren, andererseits steht dahinter auch der Gedanke, dass ein reduzierter Arbeitszeitumfang eventuellen Verschleißerscheinungen und Belastungsfolgen Rechnung tragen kann und die/der Beschäftigte so einigermaßen gesund das nicht mehr ganz so fixe Rentenalter erreichen kann. Aber auch für die Lebenssituation nach dem Ausscheiden aus der Erwerbstätigkeit wird in einem gleitenden Übergang ein Vorteil gesehen (vgl. Kasten).
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Vorteile eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand
Der graduelle Abbau beruflicher Aufgaben wird zudem als Chance gesehen, gleichzeitig kontinuierlich außerberufliche Interessen und Aktivitäten zu entwickeln oder zu vertiefen. Damit soll die Anpassung an das Leben ohne Beruf erleichtert und negative Folgen für den weiteren Alternsprozess vermieden werden.
Quelle: Kruse (2000), S. 84 f.
Betriebliche Aspekte
Schließlich und nicht zuletzt wird gleitenden Übergängen in der Theorie auch ein Vorteil für die Betriebe zugeschrieben. Diesen ermöglichen es solche Altersübergänge vor allem, den Transfer des Erfahrungswissens absehbar ausscheidender Mitarbeiter/Innen an Jüngere gezielter anzugehen. Die Organisation von Tandems, Patenmodellen etc. gehört demgemäß auch zum Standardwerkzeug von Maßnahmen, mit denen Betriebe für den demografischen Wandel fit gemacht werden sollen. Dabei spielt selbstverständlich auch die Überlegung eine Rolle, dass bei einer reduzierten Arbeitszeit eventuell gesundheitlich eingeschränkter Beschäftigter die Belastungen noch eher getragen werden können und so die Produktivität gehalten werden kann.Genereller gesehen sind solche gleitenden Übergänge durch reduzierte Arbeitszeiten Teil der für alle Altersgruppen geforderten flexiblen Arbeitszeitmodelle, um die berufliche Tätigkeit besser mit Familie bzw. Privatleben vereinbaren zu können (von der Geburt von Kindern und deren Erziehung über Weiterbildungszeiten oder Auszeiten – so genannte Sabbaticals – bis hin zur in einer alternden Gesellschaft immer wichtiger werdenden Pflege von Angehörigen). Zentral ist dabei der Hinweis, dass solche Vereinbarkeitsmaßnahmen sich geschlechterneutral darstellen sollten, um zu vermeiden, dass die Vereinbarkeitslösungen nicht einseitig auf die Frauen zielen und so wiederum eine Geschlechterlücke bei Karrieremöglichkeiten, Einkommen und schließlich den Renten entsteht.
Zunächst unbenommen der Frage wie ein gleitender Übergang in den Ruhestand konkret ausgestaltet wird, ob über eine wirkliche langsame Reduzierung der Arbeitszeit oder in Form des Übergangs von Vollzeit- in Teilzeitarbeit, über Arbeitszeitkonten etc., ist festzuhalten: Einschlägige Umfragen zeigen, dass solche Maßnahmen auf abstrakter Ebene durchaus eine große Befürwortung bei den Beschäftigten finden (vgl. Kasten).
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Mehr arbeitnehmerbestimmte Flexibilität bei Arbeitszeitumfang und -lage
Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2010a), S. 78
Sonderregelungen
Hinzuweisen ist an dieser Stelle darauf, dass es in der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) historisch gesehen fast immer "besondere Altersgrenzen" gab (vgl. Grundlagen der Rentenversicherung und Geschichte der Rentenversicherung), die zwar nicht im eigentlichen Sinne als flexibel zu bezeichnen sind, die generelle "starre" Altersgrenze aber aufgelockert haben.Neben den fallabhängigen früheren Invalidenrenten bzw. heutigen Renten wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung sind z. B. zu erwähnen:
- die Rente an Arbeitslose ab 60 Jahren in der Angestelltenversicherung (1929 eingeführt, ab 1957 auch für Arbeiter)
- die Frauenrenten ab 60 Jahren (1946).
In der GRV wurden darüber hinaus in den 1970'er und 1980'er Jahren (insbesondere aus arbeitsmarktpolitischen Gründen) weitere Formen des vorgezogenen Rentenzugangs eingeführt, die einen früheren Ruhestand ermöglichten (vgl. Altersgrenzen, Alterserwerbstätigkeit, flexible Altersübergänge), z. B. 1972 das flexible Altersruhegeld für langjährig Versicherte (35 Versicherungsjahre). In eine ähnliche Richtung zielte 1984 das Vorruhestandsgesetz, das 1989 durch das Altersteilzeitgesetz abgelöst wurde.