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Kommunen unter Druck Transformation kommunaler Handlungs- und Gestaltungsspielräume im Kontext der neoliberalen Globalisierung

Werner Heinz

/ 9 Minuten zu lesen

Die Handlungsspielräume der Städte sind eingeschränkt worden. Werner Heinz fragt nach den Gefahren eines kommunalen Ausverkaufs und der Entwicklung von „Divided Cities“.

(@ Meike Fischer)

Einleitung

Von der neoliberalen, auf die Vorrangstellung des Marktes und seiner Akteure setzenden Globalisierung und ihren Triebkräften werden nicht nur alle kommunalen Bereiche erfasst: Wirtschaft und Arbeitsmarkt, Bevölkerungs- und Sozialstruktur, Stadtgestalt und räumliches Gefüge. Gegenstand der Transformation ist auch die politisch-administrative Organisation der kommunalen Ebene. Der Beitrag skizziert die Transformation kommunaler Handlungsspielräume und Gestaltungsmöglichkeiten im Kontext der neoliberalen Globalisierung und diskutiert die Notwendigkeit eines Politik- und Paradigmenwechsels.

Das Modell der Kommunalen Selbstverwaltung (KSV)

Im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland stellen Gemeinden und Gemeindeverbände neben Bund und Ländern eine eigene Verwaltungsebene dar. Ohne eigene staatliche Hoheitsrechte (Gesetzgebungskompetenzen) sind sie staatsrechtlich zwar Teil der Länder, gleichzeitig steht ihnen aber – anders als Städten der meisten anderen europäischen Nationalstaaten – ein grundgesetzlich garantiertes Recht der kommunalen Selbstverwaltung zu. Danach sind sie berechtigt, „alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung“ zu regeln:

QuellentextGrundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Art 28 (2)

Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Auch die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung. Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfaßt auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung; zu diesen Grundlagen gehört eine den Gemeinden mit Hebesatzrecht zustehende wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle.

Bei den Selbstverwaltungsangelegenheiten der Städte und Gemeinden wird unterschieden zwischen Pflichtaufgaben (wie Bauleitplanung, Jugendhilfe, Schulverwaltung etc.) und freiwilligen Aufgaben (von Einrichtungen für Kultur und Freizeit bis zu Bürgerhäusern und Altentreffs). Für deren Erfüllung spielt der jeweilige kommunale Finanzrahmen eine maßgebliche Rolle, der in starkem Maße von außen bestimmt ist (von Steuerreformen des Bundes, Zuweisungen der Länder oder der Entwicklungsdynamik der Wirtschaft).

Neben den Selbstverwaltungsaufgaben können den Gemeinden zudem – dies macht deren „janusköpfige Doppelfunktion“ aus – auch staatliche Aufgaben übertragen werden. In Bezug auf den Aufgaben- und Verwaltungsvollzug nimmt die kommunale Ebene im bundesstaatlich-dezentralen Verwaltungssystem Deutschlands deshalb eine zentrale Rolle ein. Innerhalb der rechtlichen Vorgaben von Bund und Ländern wird der größte der Teil der öffentlichen Aufgaben von den Kommunen vollzogen.

Tiefgreifender Umbau der KSV, maßgebliche Auslöser

Seit den späten 1980er Jahren ist das Modell der deutschen KSV im Kontext der neoliberalen Globalisierung und ihrer Herausforderungen einem signifikanten Veränderungsdruck ausgesetzt, der nicht nur einzelne Momente, sondern den Gesamtrahmen kommunalen Handelns betrifft. Handlungsspielräume, Kompetenzen und Ressourcen der Städte werden zunehmend eingeschränkt, ihr Selbstverständnis in Richtung Privatwirtschaft verändert. Dieser Druck geht von verschiedenen Seiten aus: Von der als Umsetzungsinstanz für die Ziele der neoliberalen Globalisierung fungierenden Europäischen Union und ihren auf Marktintegration setzenden Politiken, den auf einen Umbau des Sozialstaats und eine Verschlankung der öffentlichen Hand zielenden Politiken von Bund und Ländern, der betriebswirtschaftlich geprägten Verwaltungsmodernisierung im Kontext des Neuen Steuerungsmodells (NSM) sowie von den Forderungen und Bedingungen global agierender Investoren und (trans-)nationaler Unternehmen mit keiner oder nur geringer lokaler Bindung.

Durch die auf Marktöffnung und Wettbewerb setzenden Liberalisierungspolitiken der EU sah sich das traditionelle, dem Gemeinwohl verpflichtete Leistungs- und Aufgabenverständnis der deutschen Kommunen zunehmend in Frage gestellt. Immer mehr Felder der kommunalen Daseinsvorsorge – öffentlicher Personennahverkehr, Versorgungs- und Entsorgungsunternehmen, kommunale Krankenhäuser, Wohnungsbaugesellschaften etc. – wurden nach den Vorgaben der europäischen Wettbewerbsregeln für den Privatsektor geöffnet.

Die mit dem Umbau des wohlfahrtsstaatlich geprägten Nationalstaats in Richtung eines auf Standortsicherung bedachten Wettbewerbsstaats einhergehenden Politiken von Bund und Ländern bedeuteten für die kommunale Ebene oft drastische Einnahmeausfälle bei gleichzeitig steigenden Ausgaben sowie rigide Sparerfordernisse. Zu diesen Politiken gehörten etwa Unternehmenssteuerreformen, ein Abbau sozialstaatlicher Leistungen bei gleichzeitiger Zunahme wirtschaftspolitischer Aktivitäten zur Stimulierung der Marktkräfte sowie die Praxis, unter Missachtung des Konnexitätsprinzips – und damit unter Missachtung der in allen Länderverfassungen verankerten Regelung, mit Aufgabenübertragungen auf die kommunale Ebene entstehende Mehrbelastungen ausgleichen zu müssen – „immer weitere Aufgaben und […] Ausgaben auf die Kommunen abzuschieben“.

Ergebnisse dieser Politiken waren in vielen Städten die Auflage immer neuer Haushaltskonsolidierungsprogramme, ein signifikanter Rückgang bei Investitionen im Infrastrukturbereich sowie Mittel- und Stellenkürzungen bei freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben wie Kultur, Sport und Soziales und die Privatisierung öffentlicher Leistungen und Einrichtungen. Ausdruck der defizitären Situation vieler kommunaler Haushalte ist auch, dass eine wachsende Zahl von Städten – vor allem in wirtschaftsschwachen Regionen – ihre laufenden Aufgaben nur noch mit Hilfe ständig steigender Kassenkredite, die eigentlich zur Überbrückung kurzfristiger Liquiditätsengpässe gedacht sind, erfüllen kann.

New Public Management (NPM)

Mit der Umsetzung des bereits Ende der 1980er-Jahre auf internationaler Ebene zum Einsatz kommenden New Public Management (NPM)-Konzepts in deutschen Kommunen in Gestalt des Neuen Steuerungsmodells (NSM) ist es in vielen Städten und Gemeinden zudem zu einem weitreichenden Umbau ihrer politisch-administrativen Strukturen und zu einem signifikanten Orientierungswandel in Bezug auf ihre Politiken und ihr Selbstverständnis gekommen. Städte verstanden sich nun zunehmend als auf Effizienzsteigerung und ökonomische Rationalität setzende ‚„Unternehmen‘“ oder ‚„Konzerne“. Wesentliche Politikelemente waren die Einführung privatwirtschaftlicher Managementprinzipien und Organisationsstrukturen sowie eine gezielte ‚„Verschlankung‘“ und damit quantitative und qualitative Schwächung kommunaler Verwaltungen durch Auslagerung einer steigenden Zahl von Leistungen und Aufgaben aus der Kernverwaltung. Dies geschah durch eine formelle (Gründungen von Eigengesellschaften) wie auch materielle Privatisierung (dauerhafte Übertragung kommunaler Leistungen und Einrichtungen an Akteure der Privatwirtschaft).

Schon kurz nach der Jahrtausendwende wurden Schätzungen zufolge im Zuge der Outsourcing-Strategien der Kommunen „mehr als die Hälfte der kommunalen Aktivitäten und Finanzmittel außerhalb der Kernverwaltung […] abgewickelt“. Als Folge des Umwälzungsprozesses der Wirtschaft und ihrer Unternehmen, der durch nationale und internationale Fusionen vollzogen wurde und von einer zunehmenden Standortunabhängigkeit sowie einer schwindenden kommunalen Verortung gekennzeichnet ist, nimmt der Wettbewerb der Städte im nationalen wie auch im internationalen Kontext kontinuierlich zu. Vorrang haben dabei immer neue Maßnahmen der Standortaufwertung sowie eine Stadtentwicklungspolitik, bei der es vor allem darum geht, die Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit von Städten im Sinne globaler werdender Märkte und ihrer Akteure wie auch einkommensstarker Schichten zu erhöhen.

Dem nationalen Wettbewerbsstaat entspricht die kommunale, an den Anforderungen der Wirtschaft orientierte Wettbewerbsstadt. Der Bewertung von Staaten durch Rating-Agenturen steht eine Vielzahl kommunaler Rankings gegenüber, in denen Standortfaktoren und Wirtschaftsdynamiken ausgewählter Städte verglichen und Anstöße zur Verbesserung kommunaler Wettbewerbspositionen gegeben werden.

Überschlägige Bilanz

(@ Meike Fischer)

Für Städte und Gemeinden hat der von supralokalen Institutionen der öffentlichen Hand wie auch von Finanz- und Realwirtschaft ausgehende Veränderungsdruck und die Modernisierung und Privatisierung (von Teilen) ihrer Verwaltungen nicht nur einen tendenziellen Funktionswandel und eine weitreichende Einschränkung ihres Handlungs- und Gestaltungsrahmens zur Folge, sondern auch einen politischen Substanzverlust.

Dieser Sachverhalt lässt sich bilanzierend festhalten. Die schrittweise Abkehr vom umfassenden und multifunktionalen, für den gesamten Stadtraum geltenden Modell der Kommunalen Selbstverwaltung und die Auslagerung immer weiterer kommunaler Aufgaben auf verselbständigte kommunale Eigengesellschaften und Akteure der Privatwirtschaft geht mit einer schleichenden Entmachtung der Kommunalpolitik und der kommunalen Vertretungskörperschaften einher. Durch den Verkauf infrastruktureller Einrichtungen gehen Städte und Gemeinden darüber hinaus ihrer wohnungs- und sozialpolitischen Einfluss- und Steuerungsmöglichkeiten verlustig. Wie bereits der frühere Oberbürgermeister von München, Christian Ude, sagte:

QuellentextÜber Privatisierung

Richtig ist: Wer seine Stadtwerke verkauft, hat keinen Einfluss mehr auf die Energiepolitik vor Ort oder auf die sozialen Standards im Nahverkehr und muss auch für alle Zeiten auf Gewinnausschüttungen verzichten. Und wer seine kommunalen Wohnungen verkauft, kann einkommensschwache Gruppen nicht mehr mit erschwinglichem Wohnraum versorgen, selber energiesparende Bauweisen oder neue Formen des Zusammenlebens alter Menschen organisieren.

Quelle: Christian Ude, 2007

Ein verändertes kommunales Selbstverständnis sowie kommunalpolitische Schwerpunktsetzungen auf Strategien und Projekte der Standortprofilierung führen zudem – vor allem in Zeiten knapper kommunaler Kassen – zu Kürzungen und Streichungen an anderen Stellen. Betroffen sind insbesondere Bereiche, die nicht der außenorientierten Attraktivitätsverbesserung dienen: Diese Bereiche reichen von Einrichtungen und Leistungen der sozialen und technischen Infrastruktur bis hin zu den Beständen des bezahlbaren Wohnraums. Soziale Probleme und Benachteiligungen sind deshalb hinter spektakulären (städte-)baulichen Projekten und verschönerten Fassaden nicht geringer geworden. Im Gegenteil: soziale, ökonomische und räumliche Spaltungstendenzen haben in den vergangenen Jahren weiter zugenommen. In vielen Großstädten liegen die Arbeitslosenzahlen weiterhin deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Gleiches gilt auch für kommunale Armutsquoten. Und obwohl eine wachsende Zahl von Städten mit dem Logo „Kinderfreundlichkeit“ wirbt, zählen Kinder zu den Hauptbetroffenen von Armut.

Entwicklung von „Divided Cities“

Zunehmende Gentrifizierungstendenzen und eine sich verstärkende räumliche Segregation (soziale Polarisierung) führen außerdem dazu, dass sich der aus (Groß-)Städten anderer Industrieländer schon seit längerem bekannte Trend zur Entwicklung von „Divided Cities“ auch hierzulande zunehmend verstärkt, das heißt es entwickeln sich Städte, in denen hochattraktive und problembelastete Stadtquartiere immer weiter auseinanderdriften. Problembelastete Stadtquartiere weisen oft eine Vielzahl von Versorgungsdefiziten auf.

Von den skizzierten Entwicklungen – von den funktionalen, finanziellen und politischen Einschnitten – sind Städte und Gemeinden in unterschiedlichem Maße betroffen. Relevante Einflussfaktoren sind regionale Lage, Größe, Wirtschafts- und Sozialstruktur, das Verhältnis von Einnahmen und Ausgaben wie auch der Umfang der von den Städten in der Vergangenheit realisierten Verschlankungs- und Privatisierungspolitiken. Nach einer Studie der Bertelsmann-Stiftung von 2013, in der es vor allem um die Schuldenlast von Städten ging, hat die Kluft zwischen armen und prosperierenden Städten in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen, Hessen und Rheinland-Pfalz haben bereits Entschuldungsfonds eingerichtet, die für die daran partizipierenden Kommunen mit einer Reihe von Vorgaben einhergehen und in der Regel eine weitere Einschränkung ihres Handlungsspielraums bedeuten.

Ist eine Renaissance der Kommunalen Selbstverwaltung möglich?

Die Frage, was nun erforderlich ist, um Städten wieder mehr Gewicht und Autonomie zu geben, damit sie ihrem grundgesetzlich verbrieften Recht zur Kommunalen Selbstverwaltung angemessen nachkommen können, lässt sich unschwer beantworten: Die funktionalen, finanziellen und politischen Handlungsspielräume von Städten müssten gestärkt und ihre Kompetenzen wieder ausgebaut werden.

Die Umsetzung dieser Forderung ist gegenwärtig allerdings weitgehend illusorisch, da sie einen tiefgreifenden Politikwechsel im komplexen politischen Mehrebenensystem auf europäischer Ebene voraussetzt, in das Städte und ihre Handlungsspielräume eingebunden sind. So müssten Städte und Gemeinden als diejenigen, die EU- und Bundesrecht umzusetzen haben, sowohl auf europäischer als auch auf Bundesebene bei sie betreffenden Gesetzgebungsverfahren und Entscheidungsprozessen über institutionalisierte Anhörungs- und Mitwirkungsrechte verfügen.

Kommunale Gestaltungsspielräume dürften nicht länger durch die Rechtsetzungen des Wettbewerbs- und Vergaberechts der EU nachhaltig beschränkt werden. Auch dürfte die gemeinwohlorientierte Daseinsvorsorge als eine der Säulen der Kommunalen Selbstverwaltung nicht länger den Marktkräften preisgegeben werden. Die strukturelle Unterfinanzierung der Kommunen müsste über eine Gemeindefinanzreform einer Verstetigung der kommunalen Steuerbasis Platz machen. Und Bund und Länder dürften nicht länger fortfahren, den ihnen durch die Schuldenbremse auferlegten Spardruck an die Kommunen weiterzugeben und diesen zusätzliche Aufgaben ohne Beachtung des Konnexitätsprinzips zu übertragen.

Eine Umsetzung dieser Forderungen von Seiten der Europäischer Union und von Bund und Ländern ist gegenwärtig kaum zu erwarten. Als Hauptbetroffene der aktuellen Entwicklungen und Fehlentwicklungen sind Städte und Gemeinden jedoch gefordert zu handeln. Unter Ausschöpfung der ihnen noch zur Verfügung stehenden, von Stadt zu Stadt stark differierenden Interventions- und Handlungsspielräume könnten Städte auch ungeachtet aller externen Abhängigkeiten und Restriktionen eigene Schritte in Richtung eines Politik- und Paradigmenwechsels unternehmen. Dazu müssten sie an erster Stelle ihr Selbstverständnis ändern und sich nicht länger als bloße Marktteilnehmer, sondern als steuernde Akteure einer kommunalen Entwicklung verstehen.

Veränderung politischer Prioritäten

Erforderlich wären hierzu auch veränderte politische Prioritäten. Die Prioritäten lägen dann nicht bei finanzstarken Partikularinteressen, sondern zielten auf das (Gemein-)Wohl aller städtischen Bewohnerinnen und Bewohner. Und sie verlagerten sich von „areas of opportunity“ und Leuchtturmprojekten auf „areas of need“.

Der Ausverkauf der Kommunalen Selbstverwaltung durch Privatisierung öffentlicher Leistungen und Einrichtungen müsste zur Rückgewinnung von Handlungsspielräumen und politischen Entscheidungsbefugnissen eingestellt, privatisierte Unternehmen bzw. Unternehmensanteile im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge rekommunalisiert werden. Die Versorgung mit bezahlbarem Wohnraum sollte der Marktlogik entzogen und als dauerhafte Aufgabe der öffentlichen Infrastruktur verstanden werden. Kommunale Liegenschaftspolitik sollte nicht mehr als kapitalistische Bodenverwertung begriffen, kommunale Grundstücke nur noch in Erbpacht vergeben, die kommunale Entwicklungsplanung aus den Händen von Immobilienbranche und Finanzmarktakteuren wieder in kommunale Zuständigkeit überführt werden. Und nicht zuletzt sollten Städte und Gemeinden mit Hilfe ihrer Spitzenverbände und kommunalen Netzwerke versuchen, Einfluss auf die marktliberalen Politiken und Entscheidungen der suprakommunalen Ebene zu nehmen.

Die meisten dieser auf eine Rückgewinnung der kommunalen Selbstverwaltung und eine Stärkung ihrer Handlungsfähigkeit zielenden Forderungen sind nicht neu. Warum sie bisher nicht eingelöst wurden, ist gleichfalls bekannt. Ihre Umsetzung scheiterte in der Regel an den politischen Rahmenbedingungen, den entscheidungsrelevanten Akteuren und den spezifischen Gegebenheiten vor Ort.

Literatur

Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): Kommunaler Finanzreport 2013. Einnahmen, Ausgaben und Verschuldung im Ländervergleich, Gütersloh 2013.

Häußermann, Hartmut: Nicht pendeln, nicht malochen, nur noch pennen, in: Die Zeit, 10.11.2005.

Heinz, Werner: (Ohn-)mächtige Städte in Zeiten der neoliberalen Globalisierung, Münster 2015.

Hirsch, Joachim: Der nationale Wettbewerbsstaat, Berlin 1995.

Kuban, Monika: Verursacher der desolaten Bilanz sind Bund und Länder, in: Frankfurter Rundschau, 13.3.2003.

Ude, Christian: Wie viel Kommune brauchen wir? – Kommunale Daseinsvorsorge im Wandel, in: DEMO 3/2007, S. 8.

Wollmann, Hellmut: Die traditionelle deutsche kommunale Selbstverwaltung – ein Auslaufmodell?, in: Deutsche Zeitschrift für Kommunalwissenschaften 2002/I, S. 24–51.

Werner Heinz, Dr. phil., Dipl.-Ing.; Studium der Architektur, Stadtplanung und Soziologie; bis 2009 Projektleiter im Deutschen Institut für Urbanistik, ab 1984 Leiter der Kölner Abteilung des Instituts. Durchführung und Leitung einer Vielzahl von Studien sowie zahlreiche Veröffentlichungen und Vorträge zu Fragen kommunaler und regionaler Entwicklung(spolitik), überwiegend im internationalen Kontext; vielfältige kommunale Beratungs- und Moderationstätigkeiten. Gegenwärtig freier Berater und Autor.