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Eröffnungsrede von Thomas Krüger zur Konferenz "Sprache. Mobiliät. Deutschland" am 6. November 2014 im Palais in der Kulturbrauerei in Berlin | Presse | bpb.de

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Eröffnungsrede von Thomas Krüger zur Konferenz "Sprache. Mobiliät. Deutschland" am 6. November 2014 im Palais in der Kulturbrauerei in Berlin

/ 4 Minuten zu lesen

Lieber Klaus Dieter Lehmann, lieber Herr Prantl, meine sehr geehrten Damen und Herren,

auch ich begrüße Sie sehr herzlich zu unserer gemeinsamen Fachkonferenz "Sprache, Mobilität, Deutschland" hier im Herzen von Berlin.

Wir arbeiten immer wieder gerne mit Ihnen und den Goethe Instituten in aller Welt zusammen, lieber Herr Lehmann: Sie sind für mich/für uns ein natürlicher Verbündeter der politischen Bildung in Deutschland und in Europa.

Sie haben die wichtigsten Themen dieser Konferenz schon präzise umrissen: es geht um die durch die Finanzkrise 2007/8 ausgelöste hohe Arbeitslosigkeit in weiten Teilen der Europäischen Union, es geht um Millionen junger Menschen in den Krisenstaaten, die quasi über Nacht ihre Zukunftsperspektiven verloren. Und so stolpert in Portugal, Griechenland, Spanien, Frankreich und Italien eine ganze Generation inzwischen orientierungslos in die Arbeitswelt hinein – so der FAZ Redakteur Sven Astheimer, einer der Referenten unserer Tagung.

Immer mehr junge Menschen aus den Krisenstaaten haben daher ihr Glück im Ausland gesucht, auch und vor allem in Deutschland, das in den letzten Jahren, wie die OECD in einer Studie bestätigte, zum zweitbeliebtesten Einwanderungsland der Welt geworden. Längst besteht die sogenannte "Generation Easyjet" zu einem nicht unerheblichen Teil aus Arbeitsnomaden.

Lange hat sich Deutschland, insbesondere seine staatlichen Institutionen, gegen den Status als Einwanderungsland gewehrt. Erst kürzlich, ausgelöst durch die Debatte um den Fachkräftemangel, haben sich Begriffe wie Willkommenskultur aus dem sprachlichen Abseits ins Mittelfeld der Politik bewegt. Diesen plötzlichen Aufstieg in die Championsleague der Einwanderungsländer gilt es aber genauer zu reflektieren.

Dazu nur einige kurze Bemerkungen:

Was heißt "Willkommenskultur" eigentlich genau, handelt es sich um mehr "als eine symbolische Inszenierung von Willkommenstechnik für Neuzuwanderer", wie Klaus Bade meint? Frank Walter Steinmeier hat es kürzlich sehr schön gesagt: Willkommenskultur sollte mit einem "mentalen Update" für uns selbst beginnen: In welchem Deutschland leben wir eigentlich heute? Gehört die Zuwanderung wirklich schon zu unserem selbstverständlichen Selbstbild? Willkommenskultur – so Steinmeier - bedeute eben nicht‚ nur einem Fremden höflich die Tür aufzuhalten. Sondern auch bereit zu sein, gemeinsam die Wohnung zu renovieren! Selbst wenn man sich über die Tapetenfarbe manchmal streitet.‘

Auch die politische Bildung, meine Damen und Herren, hat vor nun fast 15 Jahren ein "mentales Update" zum Thema Einwanderung in unserem Hause vollzogen. Denn über viele Jahrzehnte hatte auch die Bundeszentrale für politische Bildung den Kontinent Einwanderung nicht auf dem Radar. Im Jahr 1952, drei Jahre nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland, wurde die Bundeszentrale für politische Bildung/bpb als eine zunächst sehr "deutsche" Institution gegründet – das war verständlich, denn es darum ging erste eigene Anstrengungen der Deutschen zur Demokratieerziehung und politischen Bildung an die Stelle der amerikanischen "Re-Education" zu setzen.

Konsequent hieß es aber noch lange in den einschlägigen Erlassen zur Arbeit der bpb, dass politische Bildung nur im ‚deutschen Volk‘ stattzufinden habe. Erst im Jahr 2001 wurde diese Passage aus dem Erlass des Innenministeriums gestrichen, und erst seit den sogenannten "Nullerjahren" haben wir die politische Bildung schrittweise sensibel und sensibler für die deutsche Einwanderungsgesellschaft gemacht.

Was kann politische Bildung, was können wir als Bundeszentrale für politische Bildung nun zu einer neuen Willkommenskultur beitragen, die die Türen nicht nur offen hält, sondern auch zur Veränderung und Teilhabe einlädt?

Für die bpb ist die neue deutsche Einwanderungsgesellschaft eine dauernde Aufgabe, in der es immer um die Aufklärung und die Auseinandersetzung mit den Diskursen und auch Ängsten der sogenannten Mehrheitsgesellschaft gehen muss. Denn Einwanderungsgesellschaften generieren Konflikte, das lehrt die Erfahrung: es geht um wirtschaftliche und soziale Interessen, aber auch oft um emotionale Themen wie Identität und Kultur. Der Vormarsch populistischer und fremdenfeindlicher Strömungen in zahlreichen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union aber auch der Streit um die sogenannte Armutszuwanderung hierzulande zeigt dies ganz deutlich. Wenn Willkommenskultur mehr als eine politisch korrekte Floskel sein soll, dürfen wir auch die Konflikte und die Widersprüche einer Einwanderungsgesellschaft nicht aussparen.

So haben wir uns erst kürzlich auf unserer jährlichen NECE Konferenz in Wien, unserem europäischen Netzwerk zur politischen Bildung, ausführlich den Themen Xenophobie und Populismus gewidmet. Und dieses Netzwerk mit Studierenden, jungen Akademikern und Aktivisten aus fast allen europäische Ländern steht natürlich auch den jungen Einwanderern hier in Deutschland offen.

Zum anderen aber wollen wir mit unseren Angeboten aber mehr denn ja auch Einwanderer und vor allem die stetig steigende Zahl von Jugendlichen aus Einwandererfamilien in den deutschen Schulen und Bildungsstätten erreichen. Gerade diese Jugendlichen müssen eine Chance bekommen selbst zu Wort kommen lassen, um nicht nur toleriert, sondern als junge Bürger anerkannt zu werden.

Das erreichen wir z.B. in dem wir ein bundesweites Mentoringprogramm "Dialog macht Schule", aufgebaut haben, in dem sich junge Studierenden aus Einwanderfamilien für die politische Bildung von Hauptschülern und anderen sogenannten Risikogruppen unseres Bildungssystems einsetzen.

Die dabei gewonnenen Erfahrungen im Umgang mit den Problemen aber auch den Talenten dieser Jugendlichen werden dann an Schulen und Lehrer weiter vermittelt werden, denen der Umgang mit der neuen bunten Schülerschaft oft noch schwerfällt. Denn: Was für die Schulen gilt, gilt auch für alle anderen Institutionen: "Willkommenskultur" muss wirklich da greifen, wo sie am dringendsten gebraucht wird: sie muss zur nachhaltigen Veränderung, zu einem Umbau der eigenen vier Wände beitragen.

Die Bundeszentrale für politische Bildung will sich selbst an diesem Anspruch messen lassen!

In diesem Sinne soll unsere Konferenz dazu beitragen, neue Impulse und Ideen für die deutsche Einwanderungsgesellschaft zu generieren.

Ich wünsche Ihnen ertragreiche Debatten und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

- Es gilt das gesprochene Wort -

Fussnoten