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Deutschland - weiter gedacht / Rede zur Eröffnung des 2. Bundeskongresses der Neuen Deutschen Organisationen (26. und 27. Februar 2016, Berlin) | Presse | bpb.de

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Deutschland - weiter gedacht / Rede zur Eröffnung des 2. Bundeskongresses der Neuen Deutschen Organisationen (26. und 27. Februar 2016, Berlin)

/ 4 Minuten zu lesen

Sehr geehrte Damen und Herren,

herzlich Willkommen zum zweiten Bundeskongress der Neuen Deutschen Organisationen. Ich freue mich, dass die Bundezentrale für politische Bildung erneut Kooperationspartnerin dieser Veranstaltung ist. Die über 400 Anmeldungen zeigen, dass es einen großen Bedarf für ein solches Forum gibt ein solches Forum überfällig war.

Ich möchte den Organisatoren für ihre Initiative daanken, besonders der Koordinierungsstelle der Neuen Deutschen Organisationen für die Federführung in der Vorbereitung und allen, die bei der Vorbereitung mitgewirkt haben. Mein Dank geht auch an die weiteren Kooperationspartner und Unterstützer: Aydan Özoguz und die Stiftung Mercator.

Dieser Bundeskongress soll ein geschützter Raum für Aktivistinnen und Aktivisten sein: ein Ort des Empowerments und der Selbstvergewisserung. Er bietet die Möglichkeit zur Vernetzung und zur gegenseitigen Stärkung. Der Kongress ist aber auch ein Raum, vom dem wichtige Impulse ausgehen, wie die überwältigende Medienresonanz auf den letzten Kongress gezeigt hat.

Das Land in dem wir leben, hat sich in unterschiedlicher Hinsicht verändert. Die gesellschaftliche Pluralität nimmt zu und wird immer sichtbarer. Damit meine ich vor allem die Vielfalt familiärer Herkünfte und damit verbunden auch die unterschiedlichsten Erzählungen und Perspektiven auf die Gesellschaft.

Die Pluralität spiegelt sich nicht auf allen Ebenen wider. Große Teile der Öffentlichkeit wie auch viele Institutionen, egal ob staatlich oder zivilgesellschaftlich, sind personell nicht repräsentativ besetzt. An vielen Orten fehlt es an Stimmen und Perspektiven der Neuen Deutschen und öffentliche Debatten werden dominiert von zum Teil defizitorientierten Fremdzuschreibungen. Ich denke, alle hier Anwesenden können davon berichten.

Ein Beispiel aus dem Bildungsbereich, das wunderbar illustriert, wie viel noch zu tun ist, ist die Schulbuchstudie des Georg Eckert Institutes „Migration und Integration“, die von Aydan Özoguz im März letzten Jahres vorgestellt wurde. Die Studie zeigt, dass Migrationsthemen überwiegend konfliktträchtig und krisenhaft thematisiert werden, und sie macht deutlich, dass nach wie vor ein Manko an diversitätssensiblen Schulbüchern besteht.

Doch das Problem reicht weit über Schulbücher hinaus. Beispielsweise im aktuellen medialen Diskurs über Geflüchtete und Migration im Allgemeinen, der dominiert wird von Stichworten wie „Flüchtlingskrise“, „Migrationswelle“ oder „Obergrenze“.

Die auf dem letzten Kongress erhobene Forderung nach einem klaren Bekenntnis zur Einwanderungsgesellschaft, heißt auch für meine Profession, die politische Bildung: die Vielfalt als Selbstverständlichkeit und Normalität anzuerkennen und erlebbar zu machen.

Das herrschende Verständnis von Deutsch-Sein und der Blick auf die Gesellschaft insgesamt müssen sich wandeln, ebenso wie die Kategorien und Koordinaten, mit denen sie begriffen werden.

Die Frage nach dem „gesellschaftlichen Wir“ muss neu gestellt werden:

  • Wer sind „wir“?

  • Was ist deutsch?

  • Und was macht uns als Gesellschaft aus?

Im Namen der Veranstalter des Bundeskongresses, „neue Deutsche Organisationen“ steckt bereits eine mögliche Antwort auf die Frage nach dem neuen „Wir“ und ein neues Verständnis vom Deutsch-Sein. Sogenannte „neue Deutsche“: Menschen der zweiten und dritten Generation von Eingewanderten, die sich unabhängig von ihrer familiären Herkunft als Deutsche definieren und den legitimen Anspruch auf Teilhabe erheben.

Aber die Antworten für ein „neues gesellschaftliche Wir“ gehen viel weiter. Auch die bestehenden Institutionen werden sich wandeln. Es müssen sich „neue Deutsche Institutionen“ entwickeln. Institutionen, in deren Grammatik sich die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen eingeschrieben haben, in denen gesellschaftliche Vielfalt Normalität ist und die Pluralität der Lebensstile anerkannt und gelebt wird.

Die Beantwortung der Frage nach einem neuen „gesellschaftlichen Wir“ ist entscheidend für unsere Zukunftsfähigkeit. Deshalb muss die politische Bildung die Frage nicht nur an sich selbst stellen, sondern muss die öffentliche Debatte darüber befördern und mitgestalten und nicht zuletzt deshalb sind wir gerne Kooperationspartner dieses Kongresses.

Allerdings haben andere Prozesse, zum Beispiel der des Gender Mainstreaming, gezeigt, dass die alleinige Absicht, eine solche Institution zu werden und nach bestimmten Maximen zu handeln, unzureichend ist. Stattdessen bedarf es auf dem Weg dorthin der Zusammenarbeit mit und der Beteiligung vieler „neuer Deutscher“, wie sie im Sinne dieser Konferenz verstanden werden. Sie müssen ihre Perspektive einbringen können und als „Role Models“ fungieren.

Es bedarf auch gesellschaftlicher Bündnisse und Zusammenschlüsse mit all jenen, die zwar nicht qua Herkunft „Neue Deutsche“ sind, aber unabhängig davon ein „Neues Deutschland“ imaginieren. Ein Deutschland, das seine Pluralität als Gewinn sieht und diese auch lebt. Mit all jenen, die Deutschland auf neue Weise wahrnehmen und daran mitarbeiten einen grundlegenden Perspektivenwechsel auf die Gesellschaft zu vollziehen.

Entscheidend ist auch, wo und wie sich die gesellschaftliche Heterogenität in Institutionen und politischen Machtverhältnissen widerspiegelt. Es geht um nichts Geringeres als einen "Umbau staatlicher Institutionen", so Mark Terkessidis.

So verstehe ich auch eine der weiteren Forderungen des letzten Bundeskongresses: Die Forderung nach einer Gesellschaftspolitik, die sich auch an die Mehrheitsbevölkerung richtet. Denn Umkehrschluss dieser Forderung ist es, die Verantwortung und Gestaltungsmöglichkeiten der Akteure der Mehrheitsgesellschaft in den Blick zu nehmen.

Das bedeutet, auch die Frage nach Privilegien und Zugängen zu Ressourcen zu stellen: In welchen Institutionen werden Identitäten verhandelt und Ressourcen verteilt? Wer nimmt an diesem Aushandlungsprozess in welcher Form teil? Und welche Rolle spielt hierbei die Herkunft? Ganz konkret: Welche gesellschaftlichen Strukturen sind es, die eine herkunftsbedingte Diskriminierung und Ausgrenzung erlauben? Vielleicht sogar befördern?

Ich wünsche Ihnen spannende Tage und eine intensive Diskussion über diese und weitere Fragen, die uns alle – und da bin ich mir ganz sicher – ein gutes Stück voranbringen auf dem gemeinsamen Weg, Deutschland weiter zu denken!

- Es gilt das gesprochene Wort -

Weitere Informationen zur Veranstalung unter: Externer Link: www.neue-deutsche-organisationen.de/de/bundeskongress/2016/

Fussnoten