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Eröffnung: SHOAH, Filme und Zeugen - 50 Filme aus über 75 Jahren (Berlin, 16. September 2018) | Presse | bpb.de

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Eröffnung: SHOAH, Filme und Zeugen - 50 Filme aus über 75 Jahren (Berlin, 16. September 2018)

/ 5 Minuten zu lesen

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich begrüße Sie herzlich zum Auftakt der Shoah-Filmtage hier im Babylon-Kino. In den kommenden zwei Wochen werden 45 internationale Filme gezeigt.

Ein besonderes Augenmerk liegt auf dem Wirken Claude Lanzmanns, dessen großer Film gegen das Vergessen, SHOAH aus dem Jahr 1985, als zentrales filmisches Werk über die systematische Vernichtung der europäischen Juden durch die Nationalsozialisten gilt. Mit einer Produktionsdauer von elf Jahren und einer Laufzeit von neuneinhalb Stunden gehört der Film zu den umfangreichsten Arbeiten der Dokumentarfilmgeschichte. Auch wenn er selbst einmal bestritt, dass es sich um einen Dokumentarfilm handelt, denn „[…] ein Dokumentarfilm zeigt Dinge, die da sind. Aber in diesem Falle gab es nichts mehr, das abzufilmen gewesen wäre".

Der Regisseur wählte einen sehr speziellen Zugang zur Thematik, eine Herangehensweise, die die Sehgewohnheiten von Zuschauenden allein schon durch ihre Langsamkeit extrem herausfordert. Nachdem sie den Film gesehen hatte, stellte Lanzmanns Wegbereiterin Simone de Beauvoir seinerzeit fest:

„Weder Fiktion noch Dokumentation, gelingt SHOAH diese Verlebendigung der Vergangenheit mit erstaunlich sparsamen Mitteln: durch Orte, Stimmen, Gesichter. Die große Kunst von Claude Lanzmann vermag die Orte zum Sprechen zu bringen, sie mittels der Stimmen wiederzuerwecken und jenseits aller Worte das Unaussprechliche, Unsägliche durch Gesichter auszudrücken.“ (Simone de Beauvoir, 1985, Das Gedächtnis des Grauens)

Die Bundeszentrale für politische Bildung war bereits einmal daran beteiligt, als der Film hier in Berlin auf großer Leinwand gezeigt wurde. Damals in vier Teilen im Februar und März 2017 gemeinsam mit der Stiftung Toporaphie des Terrors. Hoffentlich noch in diesem Jahr wird es auch eine DVD-Edition des Films im Angebot der bpb geben.

Während der Shoah-Filmtage haben Sie gleich zwei Möglichkeiten diesen unschätzbar wichtigen Film hier auf Leinwand zu sehen.

Meine Damen und Herren,

Sie werden sich in den kommenden Tagen davon überzeugen können, dass es noch viele weitere und sehr unterschiedliche filmische Zugänge gibt, um an den Holocaust zu erinnern, ihn darzustellen, von ihm zu erzählen. Diese Versuche, das Unfassbare irgendwie fassbar zu machen, haben ihre jeweils eigenen Stärken und Schwächen, sie stammen erkennbar aus unterschiedlichen Zeitkontexten und Ländern. So lassen sich an den deutschen Produktionen im Programm die Unterschiede der Erinnerungskultur in der DDR, in der „Bonner“ und der „Berliner Republik“ sehr gut ablesen. Für alle Produktionen gilt, dass sie uns stets aufs Neue dazu einladen ins Gespräch zu kommen und über Erinnerung, über politisches Verantwortungsbewusstsein und letztlich auch über filmische Repräsentationsmodi zu reflektieren und zu diskutieren.

Filme vermitteln viel, können bestenfalls wie Simone de Beauvoir es sagte, das Unaussprechliche und Unsägliche durch Gesichter ausdrücken. Umso bedeutsamer ist es also heute noch die Gesichter, die Menschen und ihre individuellen Geschichten filmisch festzuhalten, für die Gegenwart und für die Zukunft. Sie können die persönlichen Begegnungen nicht ersetzen, sie können dennoch berühren. Es ist eine politische und gesellschaftliche Aufgabe hier anzusetzen.

Eine auch nur ansatzweise Wiederholung des Holocausts unbedingt zu verhindern und Antisemitismus in jeglicher Form entschieden entgegenzutreten ist integraler Bestandteil des Selbstverständnisses der postnationalsozialistischen deutschen Gesellschaft. Die Erinnerung an die Verbrechen der Nationalsozialisten und die Auseinandersetzung mit ihnen gehören deshalb immer noch zu den vordringlichsten Aufgaben politischer Bildungsarbeit. Dabei sind aber nicht alle Mittel recht. Stets sollte die Würde der Betroffenen geachtet werden. Lanzmann ist auch hier ein hervorragendes Beispiel. Er verzichtete auf alles Plakative und jegliche Effekthascherei. Er nutzte aus ethischen Gründen keine Archivbilder von Menschen in Häftlingskleidung und aus den Konzentrationslagern, keinen Voice-Over-Kommentar und keine Filmmusik, die das Gesagte stärker einordnen würden. Er verknüpfte Aufnahmen der historischen Orten des Holocaust in Ostmitteleuropa in ruhiger Montage mit Zeitzeugen-Intreviews und anti-dramatisch inszenierten Reenactments. Er führte Gespräche mit Überlebenden, mit Zeugen, aber auch ehemaligen NS-Funktionären und SS-Angehörigen.

Claude Lanzmann ist im Juli dieses Jahres gestorben.

Sein Tod verdeutlicht einmal mehr, vor welchen Herausforderungen die Holocaust-Erinnerung in Zukunft steht. Die persönliche Begegnung mit ihm, der während der Shoah-Filmtage mit einer Retrospektive all seiner Filme geehrt wird, ist nicht mehr möglich. Lassen Sie mich deshalb einen aktuellen Star unter den deutschen Dokumentarfilmern, zitieren, um deutlich zu machen, welche Relevanz er und sein Filmschaffen weiterhin besitzen. Angesprochen auf SHOAH sagte BEUYS-Regisseur Andres Veiel, dass dies ein Film sei, der „[…] wie kein anderer zeigt, dass die deutsche Vergangenheit schmerzlich gegenwärtig ist. Es hat nichts von seiner Aktualität eingebüßt. SHOAH muss gezeigt – und diskutiert werden.“ In Anbetracht des unmittelbar bevorstehenden Endes der Zeitzeugenschaft dieser Verbrechen ist es umso wichtiger, verschiedene Möglichkeiten zu schaffen, um ihr Andenken und ihre persönlichen Zeugnisse zu bewahren und zu reflektieren. Als Bundeszentrale für politische Bildung haben wir uns dieser Aufgabe verschrieben und tragen unseren Teil dazu bei, die filmische Dokumentation und Aufarbeitung zu unterstützen und zugänglich zu machen. Für uns gibt es ein wichtiges Grundprinzip. Egal in welcher Darreichungsform politische Bildung stattfindet – sei es ein einfacher Flyer, ein ganzes Buch, sei es im Rahmen eines Seminars oder in einem Clip auf YouTube: Es ist ganz besonders wichtig, nicht bei der reinen Vermittlung von Informationen stehen zu bleiben. Es muss die Gelegenheit geben, die Informationen zu verarbeiten, sich eine Meinung zu bilden und in einen Diskurs einzusteigen. Dieses Grundprinzip politischer Bildung lässt sich auch auf die Shoah-Filmtage übertragen.

Denn auch hier soll es nicht beim Screening der Filme bleiben! Die Filmtage bieten Ihnen die Möglichkeit, nicht bloß konsumierende Kinogänger zu sein, sondern in den Dialog zu gehen, das Gesehene gemeinsam zu verarbeiten und sich weiter damit auseinanderzusetzen. Nutzen Sie diese Gelegenheit! Hervorheben möchte ich an dieser Stelle die erstmalige Kinovorführung der Serie in Deutschland aufgenommener Videointerviews mit Überlebenden des Holocausts am kommenden Mittwoch. Am Projekt beteiligte Wissenschaftler, Interviewer und sogar Angehörige der Überlebenden werden anwesend sein, um ins Gespräch zu kommen.

Das wollen wir in den kommenden Tagen tun. Wir wollen über Claude Lanzmanns Werke und die zahlreichen weiteren Filme im Programm diskutieren. Ich persönlich freue mich über die Gelegenheit, im Anschluss an Frank Beyers „Jakob der Lügner“ von 1974 mit Ihnen, sehr geehrte Herren Schoeps, Baranowski und Siegele hier auf dem Podium zu diskutieren.

Ich wünsche den Veranstaltern der Filmtage gutes Gelingen. Und Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren, wünsche ich interessante Perspektiven und anregende Gespräche.

- Es gilt das gesprochene Wort. -

Fussnoten