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Gleichberechtigung kommt noch... | Presse | bpb.de

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Gleichberechtigung kommt noch... Grußwort zum bpb:checkpoint extra

/ 5 Minuten zu lesen

Liebe Shermin Langhoff,

Liebe Anke Gimbal,

liebe Frau Professorin Wersig,

sehr verehrte Damen und Herren und alle, die sich nicht unter diese beiden Kategorien einordnen wollen oder können,

neulich habe ich mir erlaubt, in dem Buch von Kerstin Lücke und Ute Daenschel zu lesen. „Erlaubt“, weil der Titel „Weltgeschichte für junge Leserinnen“ lautet und ich mich natürlich von niemandem einer kategorialen Zuschreibung zuordnen lasse. In dem Buch heißt es an einer Stelle kurz nach dem 1. Weltkrieg: „Andererseits konnte es für die Frauen auf Dauer nicht genug sein, nur ausnahmsweise dazuzugehören.“

Zur Erinnerung: Weltweit forderten verschiedenste Bewegungen der Frauen seit hunderten von Jahren politische und gesellschaftliche Teilhabe ein. Seit der französischen Revolution und im Anschluss an Frauenrechtlerinnen wie Olympe du Gouge und Mary Wollstonecraft sind Frauenrechte dabei sofort als Menschenrechte aufgerufen worden. Denn die als universell formulierten Rechte galten vermeintlich und selbstredend zunächst nur für weiße, besitzende Männer. Frauen und Bürgerinnen und Bürger aus den Kolonien blieben davon ausgeschlossen. Die frühen Feministinnen wollten wählen, mitbestimmen, gehört werden. Nicht nur ausnahmsweise, sondern dauerhaft und nachhaltig. Und so erkämpften sie schließlich auch in Deutschland heute vor genau 100 Jahren das Frauenwahlrecht. Wählen und gewählt werden – für die damaligen Verhältnisse ein Fortschritt. Aber auch damals schon gingen die Forderungen eigentlich viel weiter. Sozialistische Feministinnen forderten schon bald die dominante Gruppe der bürgerlichen Mittelklassefeministinnen heraus. In den USA forderten afroamerikanische Feministinnen von Beginn an die Anerkennung ihrer Erfahrungen der mehrfachen Unterdrückung. Und auch heute verlaufen feministische wie auch andere emanzipatorische Kämpfe entlang zahlreicher Achsen der Ungleichheit. Auch in Deutschland. Ich begrüße Sie daher herzlich zum heutigen Checkpoint Extra „Gleichberechtigung kommt noch…“.

Rosa Luxemburg betonte1912 in ihrer Schrift »Frauenwahlrecht« zum II. sozialdemokratischen Frauentag in Stuttgart: „In jeder Gesellschaft ist der Grad der weiblichen Emanzipation (Freiheit) das natürliche Maß der allgemeinen Emanzipation“. Diese Worte haben nichts an ihrer Aktualität eingebüßt. Aber, wie Sie dem Titel der Veranstaltung entnehmen können, soll dieser Abend nicht nur ein historischer Rückblick werden. Vielmehr wollen wir einen kritischen Blick auf die Gegenwart werfen und die Frage stellen: Wie steht es eigentlich heute um die Gleichberechtigung? Welche Rolle nehmen Frauen wie auch andere Marginalisierte in der politischen Willensbildung ein, was bedeutet Gleichberechtigung (für alle)? De jure und de facto? Und an welchen Stellen müssen wir noch einen Schritt weiter denken und neue Diskussionen eröffnen? Welche anderen Ungleichheitsachsen überschneiden sich mit Geschlecht und befördern so intersektionale Unterschiede und Asymmetrien?

Die Ausnahme scheint in vielen Fällen noch immer die Regel zu sein, auch wenn es eine ganze Reihe von Gegenbeispielen und weiblichen Vorbildern gibt.

Dass Deutschland – immer noch - eine Kanzlerin hat, wird oft als Beispiel für die Gleichberechtigung in diesem Land genannt. Doch trotz Frauen an der Spitze – etwa auch an der Spitze der ältesten Partei Deutschlands – besteht ein Widerspruch zwischen "gefühlter Emanzipation" und der Realität in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. In der Breite hapert es nämlich immer noch mit einer angemessenen Repräsentation der Hälfte der Bevölkerung. Der Frauenanteil im Bundestag ist nach der letzten Wahl auf 30,9% gesunken, so niedrig wie seit knapp 20 Jahren nicht mehr. Doch damit nicht genug: Zumeist sind es die Vertreterinnen hegemonialer Weiblichkeiten, sogenannte Normfrauen, die den Sprung in die Politik und die Wirtschaft schaffen. Für nichtweiße und nichtheterosexuelle Frauen oder Frauen, die nicht aus gebildeten Mittelschichtsfamilien kommen, sieht es ungleich schwerer aus. Von nicht-hegemonialen Männlichkeiten, Transgenderpersonen oder Menschen, die sich nicht innerhalb binärer Geschlechterordnungen verorten, ganz zu schweigen.

Angesichts global geführter reaktionärer Diskussionen steht in diesen Tagen wieder viel auf dem Spiel steht.

Wir sollten uns daher auch die Frage stellen, ob es das politische Subjekt „Frau“ eigentlich so wie bisher noch geben kann. Vielleicht unterscheiden wir Menschen uns an der Schnittstelle von konzeptuell und individuell variierenden Merkmalen wesentlich stärker im Zugang zu Bildung, Arbeitsmarkt und politischer Repräsentation? Schließlich hat schon die auch für Berlin und Deutschland sehr einflussreiche afroamerikanische Dichterin und Aktivistin Audre Lorde in „Learning from the Sixties“ gesagt: „There is no thing as a single-issue struggle because we do not live single-issue lives.“

Im derzeitigen Kontext von neokonservativen und rechtspopulistischen Backlashes stehen Kämpfe um die Deutungshoheit von Geschlechterrollen, Geschlechternormen und Familienbildern im Zentrum zahlreicher hitziger Debatten. Zum einen fordern rechtspopulistische AkteurInnen, unterstützt von zahlreichen Konservativen, eine Rückkehr zu traditionellen Familienbildern und Geschlechterrollen und diffamieren die Gender Studies als Ideologie. Häufig – und schwer zu übersehen - dienen aber gleichzeitig vermeintliche Freiheitsrechte von Frauen und Homosexuellen dazu, rassistische Ressentiments zu schüren. Gabriele Dietze, die heute auf dem Podium sitzt und dazu wissenschaftlich gearbeitet hat, kann hierzu mehr sagen. Vor dem Hintergrund der erneuten Hinterfragung von der grundlegenden Gleichheit und den Rechten von Frauen und anderen Minderheiten haben sich in letzter Zeit weltweit enorm starke Frauenbewegungen gebildet. Sie reichen von den „Ni Una Menos!“ in Lateinamerika, den Protesten gegen die Wahl Bolsonaros in Brasilien unter dem Hashtag „#EleNao“ über #MeeToo bis hin zu den „Womens Marches“ in den USA mit einer beeindruckenden Zahl an Frauen unterschiedlichster Herkünfte und sexueller Orientierungen. Es kann, übrigens auch für das Land in dem wir leben, festgehalten werden: Immer wieder und immer noch bieten feministische Kämpfe eine zentrale Plattform, den gegenwärtigen beängstigenden Trends etwas entgegen zu setzen.

Diesen mehrdimensionalen klassischen und vor allem brennenden Fragen unserer Gesellschaften und damit auch der politischen Bildung wollen wir uns heute und im kommenden Jahr stellen und noch stärker daran arbeiten, dass die Teilhabe aller nicht die Ausnahme bleibt, sondern zur Regel wird.

Ich bedanke mich an dieser Stelle bei unseren Kooperationspartnerinnen, dem Maxim Gorki Theater und dem Deutschen Juristinnenbund e.V. für die gute Zusammenarbeit. Mit dieser Kooperation ist es uns gelungen, wichtige Akteurinnen der Gegenwart aus Justiz, Wissenschaft, Medien und Kunst zusammen zu bringen. Ich wünsche Ihnen einen kämpferischen und diskursiven, aber auch einen unterhaltsamen Abend! Denn „Gleichberechtigung kommt noch…“

- Es gilt das gesprochene Wort -

Fussnoten