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Impuls-Referat von Thomas Krüger im Rahmen der Tagung "Wer dreht am Rad der Politik?" in Berlin | Presse | bpb.de

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Impuls-Referat von Thomas Krüger im Rahmen der Tagung "Wer dreht am Rad der Politik?" in Berlin Thesen zum Thema "Die Demokratie – Gewinner oder Verlierer? Über die Rolle des Bürgers in der Berater-Gesellschaft"

/ 7 Minuten zu lesen

Anhand einzelner Thesen formuliert Thomas Krüger, dass die Demokratie nicht als Verliererin einer Entwicklung erscheinen darf, in der durch Beratung und Lobbying immer stärker auf die Politik eingewirkt wird.

Einleitende Bemerkungen

Wir haben heute im Laufe der Veranstaltung viel über das Lobbying, die Interessenpolitik und die Beratung der Politik durch Experten-Kommissionen, Beiräte, Think Tanks, Unternehmen, Public Affairs-Agenturen und Wissenschaftler erfahren. Es zeigt sich, dass die Intensivierung der Beratung der Politik unser demokratisches Gemeinwesen im Kern betrifft. Es geht um den Bestand und die Lebendigkeit der Demokratie in Deutschland und in Europa.

Denn das Schlagwort von "Beraterrepublik" oder der "Beratergesellschaft" bezeichnet die Tendenz, dass Politik zunehmend von demokratisch nicht legitimierten Experten mitgestaltet wird. Lobbygruppen und Berater, die beide kein demokratisches Mandat besitzen, beeinflussen politische Entscheidungen substanziell.

Ich bin der Auffassung, dass die Demokratie nicht als Verliererin einer Entwicklung erscheinen darf, in der durch Beratung und Lobbying immer stärker auf die Politik eingewirkt wird. Fatal wäre es, wenn das Parlament zur Ratifikationsinstanz von politischen Entscheidungen werden würde, die von Expertengremien und Lobbyisten im Vorfeld ausgehandelt werden. Fatal wäre es auch, wenn die Bürgerinnen und Bürger dabei zu Zuschauern einer politischen Inszenierung degradiert werden würden.

Gleichwohl bin ich der Meinung, dass die Politik den Rat von Experten und Bürgern nötig hat. Auch Lobbying hat – unter Einhaltung von bestimmten Regeln – seine Berechtigung. Diese Vorbemerkungen führen mich zu meiner ersten These.

These 1

Stärkung der Demokratie durch die Bürgergesellschaft
Mit dem Begriff Postdemokratie wird die Tendenz der Aushöhlung der Demokratie durch Lobbygruppen gekennzeichnet. Die Stärkung der Demokratie durch die Bürgergesellschaft ist angesagt. Die organisierte Zivilgesellschaft kann ein Gegengewicht zu den eng definierten Interessen der Lobbyisten schaffen. Sie kann die gemeinsamen Belange und die öffentlichen Güter wieder in den Mittelpunkt der Debatten stellen.

Erläuterung

Beratung der Politik und lobbyistische Beeinflussung politischer Entscheidungen nehmen in einer Wissensgesellschaft neue Dimensionen an. Die Nachfrage der Politiker nach Beratung hat notwendigerweise zugenommen – und hier schließe ich auch die lobbyistische Beratung mit ein, bei der Informationsweitergabe immer mit der Durchsetzung eigener Interessen verbunden ist.

Mit dem Begriff Postdemokratie wird die Tendenz der Aushöhlung der Demokratie beschrieben – der Reduzierung der Demokratie auf ein formales Gerüst und der Entmachtung der Parlamente durch mächtige Lobbygruppen. Gegen die Beschwörung des Endes der Demokratie können wir die organisierte Zivilgesellschaft in Stellung bringen. In den zivilgesellschaftlichen Organisationen lernen die Bürgerinnen und Bürger ihre Interessen zu artikulieren, ohne aber die allgemeinen Belange vollständig zu vernachlässigen.

Auch Bürgerinnen und Bürger sind Berater – darauf gehe ich später noch ein – aber Berater, bei denen die eigene Sache nicht die einzige Leitlinie ist. Ich gehe davon aus, dass Politik Beratung braucht und der Bedarf noch zunimmt. Doch solche Beratung kann auch von Bürgergruppen kommen und kann in einem offenen Prozess geschehen.

These 2

Bürgerinnen und Bürger brauchen Kompetenzen
Im Zentrum dieser bürgergesellschaftlichen Vitalisierung der Demokratie stehen politisch kompetente Bürgerinnen und Bürger. Diese politisch gebildeten Bürgerinnen und Bürger sind auch Experten, die der Politik Rat gegeben können. Sie sind auch in der Lage, den Rat der Lobbyisten und professionellen Politikberater kritisch zu prüfen und zu hinterfragen.

Erläuterung

Diese Kompetenzen haben vier Ebenen:
Es sind erstens kognitive Kompetenzen: Bürgerinnen und Bürger sollen die Fähigkeit zur politischen Urteilskraft besitzen. Voraussetzung dafür sind Informationen und die Fähigkeit abwägen zu können. Nur so sind Bürgerinnen und Bürger in der Lage, die eigenen Interessen begründet zu artikulieren und über andere Positionen zu urteilen. Es sind zweitens prozedurale Kompetenzen: Bürgerinnen und Bürger sollen die Fähigkeiten besitzen, sich zusammenzuschließen und ihren Willen zu artikulieren. Und es sind drittens habituelle Kompetenzen: Bürgerinnen und Bürger sollen sich auch mit dem Gemeinwesen identifizieren und Gemeinsinn ausbilden. In einer Mediendemokratie kommt eine vierte Dimension – die Medienkompetenz hinzu. Bürgerinnen und Bürger sollen fit sein im Ungang mit den Medien und diese auch für sich selbst nutzen können.

These 3

Bürger machen Politikberatung und nicht Politikerberatung
Wir sollten – dem Vorschlag von Susanne Cassel folgend – zwischen Politikberatung und Politikerberatung unterscheiden. Politikberatung wendet sich an die Öffentlichkeit und will Bürgerinnen und Bürger aufklären darüber, wie sie ihre gemeinsamen Interessen möglichst effektiv umsetzen. Politikerberatung orientiert sich dagegen an den Interessen der Politiker. Diese Interessen müssen nicht immer mit denen der Wähler identisch sein. Politikerberatung richtet sich an den Erfordernissen des politischen Prozesses aus und findet abseits der Öffentlichkeit statt.

Erläuterung

Politikberatung der Bürgerinnen und Bürger vollzieht sich öffentlich und hat die Aufklärung der Öffentlichkeit zum Ziel. Bei der Politikerberatung geht es hingegen um die Durchsetzung von politischen Programmen, hinter denen oft fremde Interessen stehen. Wir sollten Bürgerinnen und Bürger als Experten Ernst nehmen. Beratung und Lobbying wird nicht nur hinter verschlossenen Türen durch die Experten der Interessengruppen gemacht. Beide können sich auch auf anderem Weg vollziehen. In vielen Kommunen wird dies bereits heute gemacht. 10.000 Leute wissen mehr als der intelligenteste Bürgermeister. Ohne die Expertise der Bürgerinnen und Bürger ist in vielen Feldern erfolgreiche Politik kaum möglich.

These 4

Bürgerinnen und Bürger als Experten in Public Interest Groups
Bürgerinnen und Bürger müssen nicht untätig zusehen wie mächtige wirtschaftliche Lobbygruppen den Zugang zur Politik für sich in Anspruch nehmen und monopolisieren. Was in Amerika unter dem Stichwort "advocacy explosion" seit den 70er Jahren diskutiert wird, ist auch hier zu beobachten. Es gibt immer mehr Public Interest Groups – Gruppen, die sich um die Belange von Verbrauchern, Kindern, um die Natur, unsere gemeinsame Zukunft, um allgemeine Interessen kümmern. Das Wachstum der Lobbyliste des deutschen Bundestages ist allein darauf zurückzuführen.

Erläuterung

Es ist die organisierte Zivilgesellschaft, die der Politik Rat geben kann, und sie kann auch Expertise zu komplizierten Sachverhalten organisieren. Gerade auf der kommunalen Ebene ist der Rat der Bürgerinnen und Bürger gefragt. Die Planungszelle ist ein beispielhaftes Instrument wie solche Beratungsprozesse organisiert werden können.

Viele Experten von Public Interest Groups beraten die Politik:
Es sind die Umwelt-NGOs, humanitäre und entwicklungspolitische Gruppen, Menschenrechtsgruppen, aber auch Patienten- und Verbrauchergruppen; auf der europäischen Ebene, bei internationalen Verhandlungen und Organisationen und auch auf der nationalen Ebene. Wir sollten uns aber nicht der Illusionen eines Gleichgewichts hingeben, denn eine Waffengleichheit besteht noch lange nicht.

These 5

Demokratie lebt auch durch demokratische Prinzipien
Jede Demokratie lebt von der Einhaltung der demokratischen Spielregeln und Prinzipien. Politikberatung und Lobbying müssen die demokratischen Prinzipien respektieren. Hier sind an erster Stelle die Transparenz, die Zurechenbarkeit und die Vermeidung von Korruption zu nennen. Nur so kann dem Verlust von Vertrauen in die Politik und politischen Institutionen entgegen gewirkt werden.

Erläuterung

Bürgerinnen und Bürger sollen aber nicht nur selbst zu Lobbyisten für ihre eigenen Anliegen werden. Wichtig für ihr Vertrauen in die Demokratie ist, dass größtmögliche Transparenz herrscht. Transparenz sollte es auf der Seite der Lobbygruppen und Berater geben, genauso wie auf der Seite der Politik. Denn Politiker erzeugen eine steigende Nachfrage nach Beratung und einen wachsenden Bedarf nach lobbyistischer Expertise.

Wenn Offenheit bei der Politikberatung und beim Lobbying herrschen, dann können Bürgerinnen und Bürger erkennen, wer für welche Entscheidungen Einfluss ausgeübt hat. Offenheit fördert auch Zurechenbarkeit von Entscheidungen. Bürgerinnen und Bürger möchten wissen, wer für die sie betreffenden Entscheidungen verantwortlich ist.

Und schließlich ist es für die Lebendigkeit und die Leistungen einer Demokratie – und im Grunde für die gesamte Gesellschaft – elementar wichtig, dass Korruption ausgeschlossen wird; dass also politische Entscheidungen weder durch Geld, Gefälligkeiten, Geschenke, anschließende Jobs oder bevorzugte Informationen erkauft werden.

These 6

Neue Aufgaben für die politische Bildung
Die Entwicklungen auf den Feldern der Politikberatung und des Lobbying lassen die politische Bildung nicht unberührt. Aufklärung über diese neuen Themen ist die eine Sache. Notwendig ist auch, junge Menschen dazu zu befähigen, eigene und advokatorische Interessen zu vertreten. Denn das ist es gerade, was Politik ausmacht: Den eigenen Standpunkt zu transzendieren und eine umfassendere Perspektive zu entwickeln.

Erläuterung

Hier spreche ich auch pro domo als Präsident einer Institution, deren Auftrag es ist, die politische Bildung bei Jugendlichen zu fördern. Damit das Projekt meiner Eingangsthese – die Stärkung der Demokratie – gelingen kann, bieten wir zum einen Informationen an. Denn diese Informationen helfen politisch Interessierten die Welt der Politikberatung und des Lobbying zu verstehen. Solche Informationen sind auch ein Stück weit gesellschaftliche Selbstaufklärung und können so als Beratung der Gesellschaft verstanden werden.

Das reicht aber nicht aus. Wir wollen auch, dass die Jugendlichen zu handelnden Subjekten werden. Über unsere Angebote – so hoffen wir – werden sie auch zu Experten, die ihren Rat und ihre Interessen an die Politik herantragen. Wichtig dabei ist auch, dass die Jugendlichen lernen, sich selbst zu organisieren. Denn die Selbstorganisation ist eine der wesentlichen Voraussetzung dafür, dass Bürgerinnen und Bürger sich selbst als Experten verstehen und dass ihr Rat auch wahrgenommen wird.

These 7

Mediengesellschaft
Beratung und Lobbying finden heute unter den Bedingungen der Mediengesellschaft statt. Für die Ziele der Beratung und des Lobbying werden daher auch die Medien eingesetzt. Sie werden genutzt, um Deutungsmuster zu lancieren, die politische Agenda mit den eigenen Themen zu besetzen und um Konsens und Zustimmung zu beschaffen. Die Demokratie verliert, wenn die Öffentlichkeit für die Zwecke der Beratung und der Interessendurchsetzung instrumentalisiert wird.

Erläuterung

Der strategische Einsatz der Medien durch Berater und Beratungsinstitutionen wie Think Tanks, Expertenkommissionen, Kampagnen – und auch durch die Politik – dient der Absicht, Handlungsdruck zu erzeugen, die eigenen Interessen durchsetzen. Public Affairs ist das Stichwort hierzu. Nicht Aufklärung ist das Ziel dieser Beratung, sondern Interessendurchsetzung und Beschaffung von Akzeptanz für politische Programme. Die Bürgerinnen und Bürger sollen in die Lage versetzt werden, solche Konstellationen zu erkennen. Von den Medien ist zu erwarten, dass sie sich nicht von den PR-Strategien der Berater- und Lobbygruppen einspannen lassen.

Letztlich helfen hier nur klare Regeln für die Medien, eine kritische Öffentlichkeit, nachforschende Journalisten und Bürgerinnen und Bürger, die genügend Wissen und politische Urteilskraft besitzen, um dieses Geflecht der Einflussnahme zu durchschauen. Auch hier gibt es durch die neuen Medien-Formen (Blogs, Internetforen) mit denen andere Themen auf die politische Agenda gesetzt werden können.

− Es gilt das gesprochene Wort −

Fussnoten