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Corporate-Citizenship-Forschung in Deutschland | Corporate Citizenship | bpb.de

Corporate Citizenship Editorial Wie moralisch sind Unternehmen? Essay Gesellschaftliches Engagement von Unternehmen in Deutschland Traditionspfad mit Entwicklungspotenzial Making Money by Doing Good Euphorie des Aufbruchs und Suche nach gesellschaftlicher Wirkung Corporate-Citizenship-Forschung in Deutschland

Corporate-Citizenship-Forschung in Deutschland

Judith Polterauer

/ 16 Minuten zu lesen

Auch wenn die sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Forschung zu Corporate Citizenship noch am Anfang steht, lassen sich erste Charakteristika der Forschungslandschaft beschreiben.

Einleitung

Die Themen Corporate Citizenship (CC) und Corporate Social Responsibility (CSR) sind nicht nur als polarisierende Aufmerksamkeitsbeschaffer in Publikumsmedien, öffentlichen Veranstaltungen, Unternehmensabteilungen, Beratungsangeboten und Politikformulierungen präsent. Zunehmend wird das gesellschaftliche Engagement und die Verantwortung von Unternehmen auch in der Forschung thematisiert. Es dominieren zwar bisher Master- und Diplomarbeiten, kleinere Studien und Auftragsforschungen, aber einige aktuelle Forschungsprojekte lassen auf eine zunehmende wissenschaftliche Diskussion schließen und hoffen.


So setzt sich eine kürzlich erschienene Publikation im Rahmen des Kulturwissenschaftlichen Forschungskollegs "Medienumbrüche" ausführlich mit Konzepten und Forschungsergebnissen zu Corporate Citizenship und der Rolle von Konsumenten auseinander, und im Sonderforschungsbereich (SFB) 700 der Deutschen Forschungsgemeinschaft "Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit" wird CSR als eigenständiges Thema berücksichtigt. Auch die Sektionstagung "Soziologische Theorien" der Deutschen Gesellschaft für Soziologie im Oktober 2007 mit dem Titel "Die Gesellschaft der Unternehmen - Die Unternehmen der Gesellschaft" bezog sich an verschiedenen Stellen auf die Konzepte von CSR und CC. Nicht zuletzt lässt auch die neue Buchreihe "Wirtschaft und Gesellschaft" in Zukunft eine verstärkte Berücksichtigung des Themas erwarten.

Gleichwohl steht die wissenschaftliche Forschung noch am Anfang und müht sich mit Phänomenbestimmung, Begriffsabgrenzung und Verortung des Phänomens in den Einzeldisziplinen. Auch wenn man von einer Begriffsklärung noch weit entfernt ist - dies gilt sowohl für die Forschungsdisziplinen wie auch für die Demarkation zwischen ihnen -, und auch wenn die Abgrenzung beider Begriffe voneinander sowie zu inhaltsverwandten Konzepten wie Nachhaltigkeit, Wirtschafts- und Unternehmensethik unklar ist, entwickelt sich allmählich eine gemeinsame Diskussionsgrundlage: Beide Begriffe verweisen auf die Rolle von Unternehmen in der Gesellschaft, die einerseits (CC) mit Referenz zum Bürgerschafts-, Bürgergesellschafts-, Bürgerengagement- und Bürgerrechtsbegriff und andererseits (CSR) mit Bezug zum Verantwortungsbegriff spezifiziert wird.

Erste Begriffserläuterungen

Inhaltlich kristallisieren sich zur Erläuterung dieser beiden Referenzpunkte zwei Unterscheidungsdimensionen heraus. Im Grad der Freiwilligkeit bzw. der Verpflichtung sowie im Bezug von Engagement und Verantwortung zur direkten unternehmerischen Tätigkeit ("Kerngeschäft") scheinen Abgrenzungsmöglichkeiten zu liegen.

Unter Corporate Citizenship wird demzufolge vor allem das freiwillige gesellschaftliche Engagement verstanden, das zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beitragen soll. Nicht als Bürgerengagement versteht man deswegen die berufsbezogene Aus- und Weiterbildung von Beschäftigten, Arbeitszeitregelungen, die den im Unternehmen beschäftigten Eltern eine Vereinbarkeit von Familie und Berufstätigkeit ermöglichen, oder die Einhaltung von Qualitäts-, Umwelt- oder Sozialstandards bei Produktionsprozessen, da diese Aktivitäten unmittelbar zur Erfüllung des Unternehmenszwecks beitragen. Die berufsbezogene Weiterbildung erhöht vor allem die Produktivität der Beschäftigten, und familienfreundliche Arbeitszeiten ermöglichen eine Bindung qualifizierten Personals an das Unternehmen. Obwohl die Einhaltung von Standards, die häufig auf Selbstverpflichtungserklärungen von Unternehmen basieren und damit keine rechtliche Bindung enthalten oder schlichtweg nicht kontrolliert werden können, bis zu einem gewissen Maße als "freiwillig" verstanden werden können, sind bestimmte gesellschaftliche Erwartungen an das Unternehmensverhalten gebunden. Diese zu erfüllen wird eher der gesellschaftlichen Verantwortung als dem bürgerschaftlichen Engagement zugeschrieben. Die Freiwilligkeit ist hier insofern eingeschränkt, als Unternehmen den Handlungsbereich und die Handlungsform nicht frei wählen können, denn die Einhaltung von Sozialstandards und Umweltstandards stellen keine Alternativen dar, sondern werden beide gesellschaftlich erwartet.

Die Diskussion um Corporate Citizenship als bürgerschaftliches Engagement von Unternehmen dagegen betont stärker das gesellschaftliche Gemeinwohl bzw. die Gemeinnützigkeit und überlässt dem Unternehmen eine größere Wahlfreiheit und in diesem Sinne auch Freiwilligkeit des Engagements. Engagiert sich also ein Unternehmen nicht nur im Rahmen von betriebsinternen Regelungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sondern fördert es auch gemeinwesenweit ein modernes Verständnis der Rollenaufteilung zwischen Männern und Frauen, könnte man dies als emanzipatorisches Engagement im Sinne von Corporate Citizenship verstehen. Um zu betonen, dass es dabei weniger um Mildtätigkeit, sondern um Gesellschaftsgestaltung geht, wird von einigen Autoren auch der Begriff des gesellschaftspolitischen Engagements verwandt und damit auch auf die Nähe zum gesellschaftlichen Lobbying verwiesen. Empirisch und theoretisch ungeklärt ist allerdings die Beziehung beider Konzepte zueinander, denn möglicherweise werden Unternehmen nur dann als "Corporate Citizens" akzeptiert, wenn sie sich im engeren Sinne verantwortlich verhalten.

Alter Wein ... ?

Gesellschaftliches Unternehmensengagement ist den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften freilich nicht neu. Gemäß dem Zeitgeist der 1968er Jahre fragte bereits Friedhelm Nyssen nach dem Einfluss der Arbeitgeberverbände im Schulsystem. Drei Jahre später publizierten die Soziologieprofessorin und Adorno-Schülerin Helge Pross und ihr Forschungskollege Karl W. Boetticher ihre Untersuchungsergebnisse zur Rolle von Managern im gesellschaftlichen Demokratisierungsprozess. Auch hier ist die Analyse kritisch: Zwar werde politisches Verhalten nicht durch ökonomische Interessen determiniert. Gleichwohl bringe letzteres "besondere Denk- und Verhaltensneigungen" hervor: "Alle verfügbaren Unterlagen sprechen dafür, dass sie für ein konservatives Verständnis der Demokratie und für eine konservative Einstellung zur bestehenden Gesellschaftsverfassung prädisponieren." Michael Stitzel formulierte 1977 ganz ähnlich: "die Unternehmer, die von der Logik der Marktwirtschaft Motor der wirtschaftlichen Entwicklung sein sollen, (spielen) aus der gleichen Logik heraus im gesellschaftspolitischen Bereich eine beharrende, wandlungsnegierende Rolle (...). Die Rolle der Wandlungspromotoren fällt in einer Gesellschaft mit dezentraler Macht- und Interessenstruktur anderen Interessengruppen zu."

Während in den 1970er Jahren also keine gesellschaftliche Gestaltungsrolle von Managern und leitenden Angestellten im Sinne von (Corporate) Citizens erkannt werden konnte, entwickelte sich parallel dazu eine weitere Diskussion, deren Fokus auf "Sozialbilanzen" und der "gesellschaftsbezogenen Berichterstattung", also der Messung und Bewertung gesellschaftlicher Effekte durch Unternehmenshandeln, lag. Neben der thematischen Ausrichtung und der - weniger normativ-gesellschaftskritischen als deskriptiv-analytischen - Fragestellung verschob sich auch die Untersuchungseinheit. Statt einzelner Unternehmerpersonen standen Unternehmen als Organisationen im Blick. Mit Corporate Citizenship und Corporate Social Responsiblity ist heute ebenfalls das Unternehmen als Organisation der konzeptionelle Referenzpunkt.

Dieser Bezug zur Organisation spielt in zweierlei Hinsicht eine Rolle. Einerseits ist dort, wo Unternehmen von Kunden, politischen Entscheidungsträgern oder Nichtregierungsorganisationen als "good Corporate Citizens" wahrgenommen werden wollen, die Organisation und nicht eine einzelne Unternehmerperson die handelnde Einheit. Anderseits sind es auch Unternehmen, also meist über die Unternehmensmarke identifizierbare corporate actors, die von unterschiedlichen Seiten kritisiert werden. Dieser Organisationsbezug wird bisher kaum in konzeptionellen Überlegungen und noch weniger in der empirischen Forschung berücksichtigt.

Mit der Betonung des Organisationsphänomens ergibt sich ein zweites Merkmal der Konzepte CC und CSR, das sich besonders von den vorhergehenden Diskussionen abhebt: die Betonung der Legitimität von unternehmerischem Eigeninteresse (business case). Denn wenn eine profitorientierte Organisation eine gesellschaftliche Aufgabe oder Rolle erfüllen soll, so die Argumentation, darf diese zumindest nicht in direktem Widerspruch zu den ökonomischen Zielen stehen. Hier wird insbesondere eine Abgrenzung zu traditionellem Mäzenatentum oder philanthropischem Engagement vollzogen. Dieser in der Öffentlichkeit mit den Begriffen des win-win oder der Gleichzeitigkeit von business case und social case beworbene, scheinbar automatische Wirkungsmechanismus von CC oder CSR wird auch in der Forschung rezipiert, jedoch ohne dass dabei die Spannungsfelder zwischen den gesellschaftlichen und unternehmerischen Interessen diskutiert werden.

Ein weiterer Aspekt unterscheidet die aktuelle Diskussion von jenen der 1970er bis 1990er Jahre. Heute bestimmt die globalisierte Wirtschaft als entscheidende Rahmenbedingung die Debatte, der auf globaler Ebene weit weniger entwickelte politische und (zivil-)gesellschaftliche Strukturen gegenüberstehen. Der Handlungsraum und damit auch Verantwortungs- und Engagementraum von Unternehmen ist damit ungleich komplexer und differenzierter als noch vor wenigen Jahrzehnten. Vor diesem Hintergrund wird die Aufgabenverteilung zwischen staatlichen, zivilgesellschaftlichen und ökonomischen Akteuren verhandelt und die Rolle von Unternehmen mit den Begriffen CC und CSR umschrieben.

Charakteristika der Forschungslandschaft

Öffentliche Diskussion als Bezugspunkt empirischer Untersuchungen. Kennzeichnend für diese ersten wissenschaftlichen Arbeiten über CC und CSR ist die starke Orientierung an den von der öffentlichen Diskussion geprägten Argumenten und Themen. So wird im wissenschaftlichen Kontext in der Regel auf zwei Definitionsangebote zurückgegriffen, die aus der Praxis stammen: Arbeitsdefinitionen von CC beziehen sich häufig auf das frühe Definitionsangebot von Westebbe/Logan, das 1995 aus Erfahrungen in der Kommunikationspraxis vorgelegt wurde. Im Diskussionskontext von CSR nehmen zahlreiche Autoren auf das von der EU im Grünbuch formulierte Konzeptverständnis Bezug.

Diese Nähe von wissenschaftlicher und öffentlicher Diskussion zeigt sich auch in den ersten (häufig zitierten) Studien, die das Ausmaß und die Beschaffenheit des Engagements von Unternehmen in Deutschland wiedergeben. Deren Auftraggeber sind vor allem gesellschaftspolitische Akteure, etwa die Initiative Soziale Marktwirtschaft. Um den Stand der Forschung in Deutschland einschätzen zu können wurde im Rahmen des Projekts "Gesellschaftliches Engagement von Unternehmen in Deutschland" eine sekundäranalytische Recherche von sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Arbeiten durchgeführt. Einbezogen wurden Texte mit wissenschaftlichem Anspruch, die zum Themenbereich "gesellschaftliches Engagement von Unternehmen" zwischen 1985 und Juni 2007 in Deutschland publiziert worden sind.

Innovative Ansätze an den Rändern der Forschungsdisziplinen. Arbeiten zum Thema CC/CSR lassen sich nur schwer den einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen zuordnen. Erklärt man wie Rudolph Speth Corporate Citizenship als Möglichkeit der Ausgestaltung der Public Affairs eines Unternehmens, bewegt sich die Argumentation zwischen politologischen und betriebswirtschaftlichen Beobachtungen. Speth beschreibt CC als Konsequenz der verminderten Zufriedenheit von Unternehmen mit der Interessenvertretung durch die etablierten Verbände, so dass Unternehmen jeweils eigene "Public-Affairs"-Strategien entwickeln. Auch Arbeiten zu Kommunikationsleistungen von CC bewegen sich typischerweise an den Rändern der Disziplinen von Betriebswirtschaftslehre und Kommunikationswissenschaft.

Nicht so erstaunlich, aber dennoch bemerkenswert ist, dass insbesondere in den Forschungsbereichen, die sich als derartige Überschneidungsbereiche institutionalisiert haben, eine intensive Diskussion zum Thema stattfindet. Dies ist zum einen die Wirtschafts- und Unternehmensethik, zum anderen der Bereich der Nachhaltigkeitsforschung und der Ökologischen Managementforschung. Auch in Spezialbereichen anderer Disziplinen wie der Geographie (Regionalforschung), der Psychologie (v. a. im Bereich Wirtschafts-, Arbeits- und Organisationspsychologie), "Technik und Bildung", der Kommunikationswissenschaft und der Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte wird das Thema unter verschiedenen Gesichtspunkten bearbeitet. In der Regel wird hier jedoch nicht auf die Begriffe CC und CSR zurückgegriffen. Dies mag ein (weiterer) Grund dafür sein, dass sich die wissenschaftlichen Debatten bisher größtenteils gegenseitig nicht wahrnehmen.

Mangel volkswirtschaftlicher Beiträge. Besonders auffällig bei der Betrachtung des wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsstands ist das Fehlen volkswirtschaftlicher Publikationen. Trotz der thematischen Anknüpfungsmöglichkeiten makroökonomischer Fragestellungen an das Thema - als Beispiele seien die Analyse von Ressourcenflüssen zwischen Unternehmen und unterschiedlichen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Organisationen und Bereichen (Schule, Kultur) genannt oder auch wirtschaftspolitische Überlegungen zur gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt - konnten nur zwei Diskussionspapiere als Beitrag für die Volkswirtschaftslehre ausfindig gemacht werden.

Strategisches Management und Unternehmensführung in der Betriebswirtschaftslehre. In der Betriebswirtschaftslehre wird CC/CSR einerseits als übergeordnetes Thema der Unternehmensführung bzw. der Corporate Governance mit Bezug zu verschiedenen Stakeholdern, andererseits als strategisches Managementinstrument diskutiert. Im strategischen Management wird nach den Marktvorteilen eines engagierten bzw. verantwortlichen Unternehmens gefragt. Die beiden grundsätzlich unterschiedlichen Erklärungsansätze, market-based-view und ressource-based-view, finden sich auch in den Arbeiten zu CC/CSR wieder. Im ersten Fall wird argumentiert, dass der Reputationsgewinn eines engagierten Unternehmens Marktbarrieren für die Konkurrenten darstellt; in der zweiten Lesart wird der Wettbewerbsvorteil durch eine vorteilhafte Ressourcenkombination erklärt. Sozialkompetenzen, die sich Beschäftigte im Rahmen eines Mitarbeiterengagements aneignen, oder Netzwerke, die durch das Unternehmensengagement mit Vereinen entstehen, werden als solche Ressourcen interpretiert. Mit Fragen der Corporate Governance bzw. der Unternehmensführung beschäftigen sich einige Beiträge, welche die Umsetzung verantwortlichen Unternehmensverhaltens diskutieren. Im Mittelpunkt stehen hier Anreiz- und Kontrollmechanismen für eine Verbindung von gesellschaftlichen und unternehmerischen Interessen.

Fokus Global Governance in den Sozialwissenschaften. In den Sozialwissenschaften liegt der Fokus der CC/CSR-Forschung auf der internationalen bzw. der globalen Ebene von gesellschaftlicher Steuerung. Vor allem der von Kofi Annan initiierte United Nations Global Compact dient als Ausgangspunkt und Referenz für die politikwissenschaftliche Diskussion. Im Zentrum dieser Analysen steht das Handeln von global agierenden Unternehmen in Regionen und Bereichen, in denen der staatliche Regulierungsspielraum eingeschränkt ist. Das dadurch entstehende "Governance-Vakuum" wird am Beispiel von Konfliktprävention und -bearbeitung und von Etablierung, Umsetzung und Kontrolle von Sozialstandards in Entwicklungsländern problematisiert. Dieser globale Fokus überrascht, weil in der individuellen Engagementforschung die Bedeutung der Region als Hauptengagementraum betont wird. Auch in den vorliegenden empirischen Studien zum Unternehmensengagement zeichnet sich ein starker Fokus der Aktivitäten im lokalen und regionalen Raum ab.

Erste soziologische Problembeschreibungen. Verschiedene theoretische Ansätze aus der Soziologie werden als erste Erklärungsversuche der Entstehung der gesellschaftlichen Phänomene CC und CSR verwendet. Ein theoretisches Primat hat sich dafür, das ist angesichts der jungen Diskussion nicht verwunderlich, bisher nicht etabliert. Als eine mögliche Erklärung für die Entstehung von CC/CSR wird der Druck von Nichtregierungsorganisationen gegenüber international agierenden Konzernen erwogen. Diesem Druck begegnen Unternehmen mit einer Strategie der Entkopplung von Handeln und Kommunikation oder durch die Erstellung eines kollektiven CSR-Deutungsmusters, das umfassende unternehmerische Verantwortungsübernahme suggeriert. Einen anderen Blickwinkel nehmen konzeptionelle Überlegungen ein, die CC/CSR als denjenigen Zustand verstehen, in dem ökonomische und gesellschaftliche Anforderungen im Gleichgewicht stehen.

Mehrdimensionalität der Diskussion: Empirisches Phänomen und konzeptionelle Idee der modernen Unternehmensrolle. An dieser Übersicht zu den Deutungsangeboten von CC und CSR wird ein Spezifikum der Debatte deutlich, das nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in der Forschung Verwirrung stiftet: Viele Debatten über die Relevanz und Legitimität der Diskussion um CC/CSR sind durch eine Vermischung von zwei Ebenen gekennzeichnet. Einerseits werden CC/CSR bzw. deren kommunikative Verbreitung als empirisches Phänomen betrachtet. Andererseits dienen sie als Konzept, das - ähnlich dem Bürgergesellschaftsbegriff - die (positive bzw. good) gewünschte gesellschaftliche Rolle von Unternehmen in der Moderne widerspiegelt. So dient im argumentativen Streit der empirisch nachweisbare Mangel an positivem gesellschaftlichem Engagement, der sich in Korruptionsaffären, oder der Ausbeutung von Kindern in Produktionsbetrieben zeigt, als Argument dafür, CC/CSR sei an sich eine neoliberale oder sozialromantisierende Utopie und in der unternehmerischen Praxis vor allem als "Greenwashing" zu verstehen. In der (Sozial-)Wissenschaft zeichnet sich diese Argumentation oftmals bereits im Forschungsdesign oder den Forschungsfragen ab, wenn Unternehmensengagement hinsichtlich seines Beitrags zum Ausgleich von sozialer Ungleichheit betrachtet wird. Obwohl diese Fragestellung ohne Zweifel hohe Relevanz besitzt und empirisch sowie theoretisch differenzierter Antworten bedarf, wird dabei der Blick auf CC/CSR als Phänomen einer Anfangssituation gesellschaftlichen Wandels verstellt.

Herausforderungen für die Forschung

Daher ist für die wissenschaftliche Diskussion die Offenlegung des Referenzpunkts von CC und CSR wichtig. Dies schließt zunächst die Unterscheidung der Konzepte von Unternehmensverantwortung und -engagement ein, aber auch die Reflektion der gesellschaftstheoretischen Basis, denn ein kommunitaristisches Citizenship-Verständnis hat ein völlig anderes Referenzsystem als ein liberales. Ähnlich wie beim Zivilgesellschaftsbegriff werden also auch bei CC und CSR auf unterschiedlichen Ebenen normative Annahmen getroffen, etwa über die "richtige" Aufteilung politischer Aufgaben oder die Definitionshoheit von Gemeinwohl. Diese Annahmen dienen dann entweder der Bewertung von "gutem" oder "erfolgreichem" CC oder generell zur Anerkennung der legitimen Verwendung des CC-Begriffs und müssen deswegen offengelegt werden.

Nach der Phase der Begriffsab- und Verständniserarbeitung des Phänomens wird es essentiell sein, zentrale themenspezifische Fragestellungen als empirische Forschungsfragen voranzutreiben. Ausgangspunkte mit Aussicht auf Erkenntnisgewinn verspricht dabei die Berücksichtigung von thematischen Bezügen in unterschiedlichen Disziplinen, auch wenn diese begrifflich nicht als CC/CSR gekennzeichnet sind. In den Sozialwissenschaften ist beispielsweise im Bereich der Elitenforschung Informatives über sich wandelnde Gesellschaftsbilder und Selbstverständnisse von Managerinnen und Unternehmern zu erwarten, die mit organisationstheoretischen Überlegungen erweitert werden müssten. Die Nonprofit-Forschung und die Umweltsoziologie können die Diskussion über die Erstellung von Kollektivgütern und damit zu Chancen und Potentialen von Corporate Citizenship befruchten.

Die Entwicklungssoziologie und die Transformationsforschung sind einerseits auch mit der spezifischen Herausforderung konfrontiert, soziales Handeln vor dem Hintergrund unterschiedlicher kultureller Blickwinkel zu untersuchen, was bei CC und CSR zum Beispiel bei Fragen globalen Engagements relevant ist. Andererseits stehen dort insbesondere gesellschaftliche Wandlungsprozesse im Fokus - eine Perspektive, die für die CC/CSR Forschung erkenntnisreich sein kann.

Trotz der Vielzahl der derzeit am Markt erhältlichen Publikationen zum Thema CC und CSR besteht also beachtlicher Forschungsbedarf. Und trotz der multidisziplinären Anknüpfungspunkte des Themas scheint zu diesem Zeitpunkt vor allem eine profunde fachspezifische Auseinandersetzung notwendig. Ein fachübergreifender Austausch ist freilich begrüßenswert, jedoch gilt es zu verhindern, dass die disziplintypischen Blickwinkel mit ihren jeweils legitimen und eigenlogischen Fragestellungen zu Gunsten einer interdisziplinär harmonisierten Forschungsarbeit geopfert werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Den Hintergrund dieses Beitrags bildet eine Teilstudie im Rahmen einer breiter angelegten Untersuchung über "Gesellschaftliches Engagement von Unternehmen in Deutschland. Eine sozialwissenschaftliche Bestandsaufnahme der Potenziale unternehmerischen bürgerschaftlichen Engagements". Die Untersuchung zielt darauf ab, den Forschungsstand und die gesellschaftspolitische Diskussion in ihren internationalen Bezügen zu rekonstruieren. Sie wird durchgeführt in Kooperation zwischen dem Forschungszentrum für Bürgerschaftliches Engagement an der Universität Paderborn und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg wie auch dem Zentrum für zivilgesellschaftliche Entwicklung (zze) mit Mitteln des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). Der Ergebnisbericht wird im Jahr 2009 veröffentlicht. In diesem Beitrag werden ausgewählte Befunde vorab präsentiert.

  2. Vgl. Holger Backhaus-Maul/Christiane Biedermann/Stefan Nährlich/Judith Polterauer (Hrsg.), Corporate Citizenship in Deutschland, Wiesbaden 2008.

  3. Vgl. Sigrid Baringhorst/Veronika Kneip/Annegret März/Johanna Niesyto (Hrsg.), Politik mit dem Einkaufswagen, Bielefeld 2007.

  4. Vgl. auch Peter Imbusch/Dieter Rucht (Hrsg.), Profit oder Gemeinwohl? Fallstudien zur gesellschaftlichen Verantwortung von Wirtschaftseliten, Wiesbaden 2007.

  5. Im VS-Verlag, Wiesbaden.

  6. Vgl. Ulf Schrader, Corporate Citizenship: Die Unternehmung als guter Bürger? Berlin 2003; Thilo Pommerening, Gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen, Diplomarbeit, FU Berlin, 2005.

  7. Diese beiden Dimensionen ermöglichen keine trennscharfe Unterscheidung zwischen CSR und CC, sie dienen dennoch in der noch relativ jungen Fachdiskussion als erste Orientierung.

  8. Vgl. Jens Beckert, Sind Unternehmen sozial verantwortlich?, MPIfG Working Paper 4 (2006).

  9. Vgl. z.B. Holger Backhaus-Maul/Christiane Biedermann/Stefan Nährlich/Judith Polterauer, Corporate Citizenship in Deutschland - Die überraschende Konjunktur einer verspäteten Debatte, in: dies. (Anm. 2), S. 13 - 42.

  10. Vgl. Rudolf Speth, Lobbyismus als Elitenintegration? Von Interessenvertretung zu Public Affairs-Strategien, in: Herfried Münkler/Grit Straßenberger/Matthias Bolender, Deutschlands Eliten im Wandel, Frankfurt/M. 2006, S. 221 - 235.

  11. Vgl. Friedhelm Nyssen, Schule im Kapitalismus, Köln 1969.

  12. Helge Pross/Karl W. Boetticher, Manager des Kapitalismus, Frankfurt/M. 1971.

  13. Michael Stitzel, Unternehmerverhalten und Gesellschaftspolitik, Stuttgart 1977, S. 148.

  14. Vgl. z.B. als Überblick H.-Helmut Heymann, Sozialbilanzen, Grafenau 1984; Meinolf Dierkes, Die Sozialbilanz, Frankfurt/M. 1974.

  15. Jedoch anders: Bernhard Seitz, Corporate Citizenship: Zwischen Idee und Geschäft, in: Josef Wieland/Walter Conradi (Hrsg.), Corporate Citizenship, Marburg 2002, S. 23 - 195.

  16. Vgl. dazu den Beitrag von Stefan Nährlich in diesem Heft.

  17. Vgl. Andreas G. Scherer/Guido Palazzo/Dorothée Baumann, Global rule and private actors: toward a new role of the transnational corporation in global governance, in: Business Ethics Quarterly, 4 (2006), S. 505 - 532. Über die Auswirkungen dieser Entwicklung auf die Konstruktion des deutschen korporatistischen Systems schreibt Sebastian Brandl, der CSR als Anknüpfungspunkt dieser Diskussion zur sozialen Dimension der Nachhaltigkeit betrachtet: "Deutsches Modell" oder globalisiertes Arrangement?, Berlin 2006.

  18. Vgl. Achim Westebbe/David Logan, Corporate Citizenship, Unternehmen im gesellschaftlichen Dialog, Wiesbaden 1995; Kommission der Europäischen Gemeinschaft, Grünbuch, Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung der Unternehmen, KOM(2001) 366, Brüssel 2001.

  19. Vgl. forsa, "Corporate Social Responsibility" in Deutschland, 2005; Als Überblick zu Ausmaß, Art und Weise des Unternehmensengagements siehe Judith Polterauer, Unternehmensengagement als "Corporate Citizen", in: H. Backhaus-Maul u.a. (Anm. 2), S. 149 - 182; vgl. auch Holger Backhaus-Maul/ Sebastian Braun, Gesellschaftliches Engagement von Unternehmen in Deutschland, Stiftung&Sponsoring 2 (2007), Rote Seiten, S. 1 - 14.

  20. Vgl. Anm. 1.

  21. Dazu wurde nach den Begriffen CC und CSR und deren deutschsprachigen Äquivalenten (soziale/gesellschaftliche Verantwortung, soziales/gesellschaftliches/bürgerschaftliches Engagement von Unternehmen) in Monographien, Sammelwerken, Zeitschriften, Forschungsberichten, Diplom- und Masterarbeiten sowie wissenschaftlichen Diskussions- oder Arbeitspapieren recherchiert. Die Eingrenzung auf Publikationen in Deutschland liegt in der Fragestellung des Gesamtprojekts begründet. Genauere Angaben zur Methodik der Recherche können bei der Autorin erfragt werden.

  22. Vgl. R. Speth (Anm. 10).

  23. Vgl. Ulla Wittke, "Tu Gutes, aber verständige dich vorher darüber", Magisterarbeit, FU Berlin 2003; Simone Paar, Die Kommunikation von Corporate Citizenship, Bamberg 2005.

  24. Vgl. u.a. Peter Ulrich, Republikanischer Liberalismus und Corporate Citizenship, in: Herfried Münkler/Harald Bluhm (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn, Berlin 2002, S. 273 - 291; J. Wieland/W. Conradi (Anm. 15); Karl Homann, Gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen in der globalisierten Welt, Wittenberg-Zentrum für globale Ethik, Diskussionspapiere 1 (2006); Uwe Schneidewind, Die Unternehmung als strukturpolitischer Akteur, Marburg 1998.

  25. Vgl. Robert Fischer, Regionales Corporate Citizenship, Frankfurt/M. 2007.

  26. Vgl. Alexander Pundt/Erko Martins/Claes S. Horsmann/Friedemann W. Nerdinger, Gesellschaftliche Verantwortung als Unternehmenswert, in: Wirtschaftspsychologie, 1 (2007), S. 31 - 39.

  27. Vgl. Eileen Lübcke/Klaus Ruth/Il-Sop Yim, Corporate Social Responsibility "Made in China", Bremen 2006.

  28. Vgl. Simone Bender, Corporate Social Responsibility als strategisches Instrument der Unternehmenskommunikation zur Stärkung der Unternehmensreputation. Unveröff. Diss., Universität Essen 2007.

  29. Vgl. Jan-Otmar Hesse/Jens Scholten/Tim Schanetzky (Hrsg.), Das Unternehmen als gesellschaftliches Reformprojekt, Essen 2004.

  30. Vgl. Oliver Falck/ Stephan Heblich, Corporate Social Responsibility: Einbettung des Unternehmens in das Wirtschaftssystem, Passauer Diskussionspapiere V-45 (2006); Viktor J. Vanberg, Corporate Social Responsibility and the "Game of Catallaxy": The Perspective of Constitutional Economics, Freiburger Diskussionspapiere zur Ordnungsökonomik, 6 (2006).

  31. Meist werden allerdings nur einzelne CC/CSR-"Instrumente" (Sozialsponsoring, Spenden, Cause-Related-Marketing, Public Relations) isoliert diskutiert und deren Nutzen in den unterschiedlichen Unternehmensbereichen betrachtet.

  32. Vgl. Jonas Meckling, Netzwerkgovernance, Münster 2005, Josef Wieland/Jürgen Volkert/Michael Schramm, Corporate Social Responsibility (CSR) und Netzwerkgovernance, Eine Projektskizze, KIeM Working Paper, Konstanz 2007; André Habisch/Hans-Peter Meister/René Schmidtpeter (eds.), Corporate Citizenship as investing in social capital, Berlin 2001.

  33. Vgl. z.B. Anja Schwerk, Strategisches gesellschaftliches Engagement und gute Corporate Governance, in: H. Backhaus-Maul u.a. (Anm. 2), S. 121-145. Matthias Münstermann, Corporate Social Responsibility - Ausgestaltung und Steuerung von CSR-Aktivitäten, Wiesbaden 2007. Besonders interessant aus Sicht der modernisierungstheoretisch orientierten Umweltforschung: Ralf Weiß, Unternehmensführung in der Reflexiven Modernisierung, Marburg 2002.

  34. Global Compact ist ein Programm zur ökologischen und sozialen Gestaltung der Globalisierung, das auf zehn Prinzipien zur Einhaltung von Standards beruht, zu denen sich Unternehmen freiwillig bekennen (sollen).

  35. Vgl. Klaus D. Wolf, Möglichkeiten und Grenzen der Selbststeuerung als gemeinwohlverträglicher politischer Steuerungsform, in: Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik, (2006) 1, S. 51 - 68; Lothar Rieth, Deutsche Unternehmen, Soziale Verantwortung und der Global Compact: ein empirischer Überblick, in: Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik, (2003) 3, S. 372 - 391.

  36. Vgl. Lothar Rieth/Melanie Zimmer, Transnational Corporations and Conflict Prevention, The Impact of Norms on Private Actors, Tübinger Arbeitspapiere zur internationalen Politik- und Friedensforschung 2004; Moira Feil/Alexander Carius/Aike Müller, Umwelt, Konflikt und Prävention, Berlin 2005; E. Lübcke u.a. (Anm. 27).

  37. Vgl. H. Backhaus-Maul/S. Braun (Anm. 19).

  38. Aus Sicht des soziologischen Neoinstitutionalismus diskutiert dies Stefanie Hiss, Warum übernehmen Unternehmen gesellschaftliche Verantwortung?, Frankfurt/M. 2006. Siehe außerdem aus Sicht der systemtheoretischen Organisationsforschung: Dodo zu Knyphausen-Aufseß, Auf dem Weg zu einer postmodernen Organisationstheorie ohne französische Philosophie, in: Georg Schreyögg (Hrsg.), Organisation und Postmoderne, Wiesbaden 1999, S. 129 - 155.

  39. Vgl. Janina Curbach, Corporate Social Responsibility - Unternehmen als Adressaten und Aktivisten einer transnationalen Bewegung, in: Karl-Siegbert Rehberg (Hrsg.), Die Natur der Gesellschaft, Frankfurt/M. - New York 2008 (i.E.).

  40. Vgl. Judith Polterauer, Corporate Citizenship - Systemfunktionalistische Perspektiven, in: Frank Adloff/Ursula Birsl/ Philipp Schwertmann (Hrsg.), Wirtschaft und Zivilgesellschaft, Wiesbaden 2005, S. 97-126; aus wirtschaftsethischer Perspektive: Johanna Brinkmann/Ingo Pies, Corporate Citizenship: Raison d'être korporativer Akteure aus Sicht der ökonomischen Ethik, Wittenberg-Zentrum für globale Ethik, Diskussionspapiere 1 (2005).

  41. Mit Greenwashing werden Methoden in der PR und Öffentlichkeitsarbeit bezeichnet, die einem Unternehmen ein verantwortungsvolles Image geben sollen. Es wird v. a. im Bereich des Umweltschutzes angewandt.

  42. Vgl. die Überlegungen zum Citizenship-Konzept bei Jeremy Moon/Andrew Crane/Dirk Matten, Can corporations be citizens?, ICCSR Research Paper, Nottingham 2003.

  43. Vgl. Judith Polterauer/Stefan Nährlich, Corporate Citizenship: Funktionen und gesellschaftliche Anerkennung von Unternehmensengagement in der Bürgergesellschaft, in: Ingo Bode/Adalbert Evers/Ansgar Klein (Hrsg.), Bürgergesellschaft als Projekt, Wiesbaden (i.E.).

Diplomsoziologin, geb. 1976; bis 2005 Promotionsstipendiatin der Aktiven Bürgerschaft an der Otto-Friedrich Universität Bamberg; Projektleiterin Bürgergesellschaft bei der Aktiven Bürgerschaft, Kompetenzzentrum für Bürgerengagement der Volksbanken Raiffeisenbanken, Albrechtstraße 22, 10117 Berlin.
E-Mail: E-Mail Link: judith.polterauer@aktive-buergerschaft.de