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Sondergesetzgebung, strukturelle Gewalt und Repression

Sipua Ngnoubamdjum

/ 6 Minuten zu lesen

Im Angesicht einer Sondergesetzgebung müssen Schwarze Menschen, die sich als Flüchtlinge und Asylsuchende in Deutschland aufhalten, ihren Alltag bestreiten. Sie müssen sich mit Wert- und Moralvorstellungen auseinandersetzen, die oft die eigene Existenz in Frage stellen. Die Black Students Organisation leistet Hilfestellung im Kampf gegen staatliche Macht oder individuelle Ohnmacht.

Eine unvollständige, subjektiv und emotional vorgetragene Analyse zur existenzbedrohenden Gewalt staatlicher Institutionen in einem Land namens Deutschland

Einleitung

Dass es in Deutschland eine Sondergesetzgebung für Flüchtlinge und Asylsuchende gibt, ist sicherlich kein Geheimnis mehr. Vielmehr spiegelt sich hierin die Werte- und Moralvorstellung dieser Gesellschaft wider, in der sich auch Menschen dem ökonomischen Prinzip der Verwertbarkeit unterziehen und ihre Existenzberechtigung legitimieren müssen. Diese Werte- und Moralvorstellung wird immer wieder offen zur Schau gestellt, in ökonomischen Debatten diskutiert, bei politischen Gesprächsrunden präsentiert und im Alltag von Menschen in diesem Lande ganz praktisch umgesetzt.

In diesem Beitrag geht es um die Auswirkungen dieser Situation für uns als Schwarze Menschen. Schwarze Menschen, die im Angesicht einer Sondergesetzgebung ihren Alltag bestreiten müssen. Menschen, die sich mit Wert- und Moralvorstellungen auseinandersetzen müssen, welche die eigene Existenz in Frage stellen. Menschen, Schwarze Menschen, die Kinder großziehen, Familien gründen oder einfach nur glücklich werden wollen.

Ein kleiner Einblick in den bundesdeutschen Alltag, verbunden mit Beispielen aus der Arbeit der Black Students Organisation, kann hierbei als Orientierung dienen und auch hilfreich für den zukünftigen Umgang mit staatlicher Macht oder individueller Ohnmacht sein.

Die Black Students Organisation wurde vor fast zehn Jahren in Hamburg gegründet. Von Anfang an stand neben der akademischen Aufklärungsarbeit gleichberechtigt ein gesellschaftspolitischer und sozialer Anspruch, der die Würde Schwarzer Menschen in einem System weißer Vorherrschaft im Blick hatte. Hierdurch wurden wir mit Themen konfrontiert, die uns sehr schnell deutlich machten, dass all die menschlichen Schicksale keine Einzelfälle waren, sondern in ein System eingebettet sind. Ein System, welches wie ein Krebsgeschwür gewachsen ist und systematisch von Seiten der Behörden, von Seiten der Polizei, von Seiten der Justiz eine Repression auf uns als Einzelpersonen, aber auch auf uns als Community ausübt. In diesem Klima mussten wir aktiv werden und im Interesse der Community einen existentiellen (aber oft auch existenzbedrohenden oder -zerstörenden) Kampf führen.

Nobody knows, the trouble I´ve seen ...

Ein Beispiel, welches vielen noch im Kopf sein wird: In Hamburg wurde 1995 bekannt, dass in einem Polizeirevier am Hauptbahnhof systematisch Schwarze Menschen misshandelt wurden. Es gab das Einsprühen des nackten Körpers mit Reizgas und die Misshandlungen gingen bis hin zu Scheinhinrichtungen. Ein weiteres Beispiel ist das Verhalten der Polizei auf dem Polizeirevier in St. Pauli, der Davidwache, gegenüber einer Schwarzen Frau, die eine Anzeige erstatten wollte. Die Anzeige sollte aufgrund der Eintrittsverweigerung gegenüber allen Schwarzen Menschen in einer benachbarten Disco erfolgen. Die Polizisten weigerten sich, die Anzeige anzunehmen und warfen nach kurzer Zeit die Frau aus der Polizeiwache heraus und erteilten ihr ein Hausverbot. Weitere Beispiele, und das sind alles Themen, mit denen wir uns intensiv auseinandergesetzt haben und die wir entsprechend dokumentieren können, ist das Verhalten von BGS-Beamten am Flughafen Hamburg. Nur ein Beispiel: Ein Student, der mit einem gültigen Studierenden-Visum einreisen wollte, wurde am Flughafen aufgehalten, eine Nacht lang dort beleidigt und misshandelt und am nächsten Morgen zwangsweise wieder zurückgeschickt.

Flüchtlinge, all diejenigen, die als Flüchtlinge in Deutschland leben und überleben und auch die, die sich mit diesem Thema beschäftigen, wissen, dass Flüchtlinge täglich zu Opfern rassistischer Gewalt und Übergriffe durch Polizeibeamte, durch Wachpersonal, durch staatliche oder para-staatliche Strukturen und Institutionen werden. Oft geschieht dies im Rahmen von so genannten Razzien, bei denen dann Flüchtlingseinrichtungen durchsucht werden. Es werden Menschen beleidigt und erniedrigt und diejenigen, die dem Druck der repressiven Ausländer- und Asylgesetzgebung nicht standhalten können, werden in menschenverachtender und oft auch tödlicher Art und Weise abgeschoben.

Aus Angst vor einer solchen Razzia ist 1996 ein Flüchtling aus Sierra Leone in Hamburg von einem Flüchtlingsschiff in die Elbe gesprungen. Die Polizisten haben keine Rettungsmaßnahmen eingeleitet, sondern andere Flüchtlinge durch eine Absperrung an der Rettung des Ertrinkenden gehindert. Kurze Zeit später konnte nur noch die Leiche des 17-Jährigen aus dem Wasser gezogen werden.

Ein anderer Fall, den wir dokumentiert haben, ist derjenige einer jungen Schwarzen Frau, die im 7. Monat schwanger war und in einer Polizeiwache als "Negerschlampe" bezeichnet und geohrfeigt wurde. Eine andere Schwarze Frau wurde in der BGS-Wache am Hamburger Hauptbahnhof von Polizeibeamten brutal die Treppen herunter gestoßen und vor die Tür gesetzt.

Und am 14. Juli 2001 kamen zwei Polizeibeamte in eine Wohnung, um bei einem Streit zwischen einem Ehepaar in Aschaffenburg zu vermitteln. Der getrennt lebende weiße deutsche Ehemann hatte einige Tage zuvor das gemeinsame zweijährige Kind der Schwarzen Mutter entzogen und zu seinen Großeltern nach Köln gebracht. In dem Streit versuchte die Mutter, das Kind zurück zu bekommen. Die eintreffenden Polizisten begannen ein Gespräch mit allen Beteiligten und plötzlich sollte die Frau in die Küche gegangen sein, um ein Messer zu holen. Und mit dem Küchenmesser hätte sie dann versucht, einen der Polizisten anzugreifen und da hat der andere Polizist diese Frau einfach erschossen.

Auch den 9. Dezember 2001 sollten wir nicht vergessen. Am Sonntag, den 9. Dezember 2001, verhaftete die Polizei unseren Bruder Achidi, nahm ihn mit zum gerichtsmedizinischen Institut der Hamburger Universitätsklinik in Eppendorf. Gemeinsam mit einigen Ärzten setzte die Polizei Gewalt ein, um Achidi zwangsweise ein Brechmittel zu verabreichen. Kurz darauf verstarb unser Bruder.

Das sind einfach nur Schlaglichter, Einzelfälle, die sicherlich aus der Perspektive einiger auch als Einzelfälle gesehen werden. Wir als Schwarze Menschen, als Black Community, die mit diesen Situationen zu tun haben, die damit arbeiten müssen und dagegen arbeiten müssen, wissen, dass es keine Einzelfälle sind. Wir wissen, es ist ein System. Ein System, das einerseits die Polizei als direkte Konfrontationspartnerin auf den Straßen hier in Deutschland zum Einsatz bringt. Aber andererseits auch ein System, welches andere Möglichkeiten der Reaktion hat und diese anderen Möglichkeiten auch nutzt. Und hier kommt die Justiz ins Spiel.

Die juristische und politische Ebene: Kriminalisierung ist das Ziel

Zahlreiche Beispiele könnte ich hierzu anführen. Beispiele, die auch ganz konkrete Erfahrungen sind, die wir im Rahmen dieser Arbeit gesammelt haben bzw. sammeln mussten. Als Organisation, als Einzelpersonen, als Community wurden wir immer wieder zu Opfern staatlicher Repression auch durch juristische Maßnahmen. Wir wurden verurteilt zu Geldstrafen. Wir wurden verurteilt zu Strafen, die als ordentliche Gefängnisstrafen durchgesetzt wurden. Wir haben es immer wieder erleben müssen, dass Zeugen und Zeuginnen von diesen Ereignissen oder Menschen, die mit uns gemeinsam an diesen Fragestellungen gearbeitet haben, abgeschoben wurden, um eben nicht aussagen zu können, um nicht Stellung zu beziehen. Und auch im Fall unserer erschossenen Schwester Mareame sind wieder Anzeigen gegen uns erstattet worden. Wieder wurden wir als Schuldige hingestellt. Aber zumindest in diesem Fall ist es uns gelungen, durch ein geschlossenes Auftreten der Community zum einem das Andenken an unsere erschossene Schwester aufrecht zu erhalten und zum anderen der Kriminalisierung Einzelner entgegenzutreten.

Vor diesem Hintergrund gibt es jetzt auf politischer Ebene seit mehr als zwei Jahren eine Diskussion um die Einführung einer neuen Zuwanderungsgesetzgebung. Selbstverständlich wissen wir, dass diese Zuwanderungsgesetzgebung auf diesen Erfahrungen aufbauen wird. Sie wird auf den Moral- und Wertvorstellungen dieser Gesellschaft aufbauen und damit einen gesellschaftlichen Konsens widerspiegeln, der keinen Platz für eine Black Community lässt. Institutionalisierte Machtverhältnisse werden juristisch, politisch, ökonomisch und sozial aufrechterhalten oder ausgebaut. Und gerade im Zusammenhang mit der neuen "Sicherheitspolitik" (Sicherheitspaket I +II) wird die Perspektivlosigkeit für den Aufbau einer Schwarzen Gemeinschaft und Identität innerhalb des existierenden Systems deutlich.

Ein Blick auf die Sondergesetzgebung, wie sie beispielsweise durch die so genannten "Ausreisezentren" zum Ausdruck kommt, bestätigt diese Analyse.

Ausreisezentren? – Abschiebelager!
Ein Symbol der rassistischen Asyl- und Ausländerpolitik in Deutschland

"Ausreisezentren" sind Lager für Flüchtlinge und Migranten, die aufgrund fehlender Papiere nicht abgeschoben werden können. Sie werden dort zentral untergebracht, mit dem Ziel, so lange beratend auf sie einzuwirken, bis sie "freiwillig" ausreisen, als Illegale untertauchen oder abgeschoben werden können, weil ein potenzielles Herkunftsland bestätigt, dass es sich bei der jeweiligen Person um eine Staatsbürgerin oder einen Staatsbürger dieses Landes handelt.

Der Begriff "Ausreisezentrum" ist aber nur ein weiterer Versuch staatlicher Institutionen, die real existierende Ausländer- und Asylpolitik in Deutschland durch ein verharmlosendes Vokabular zu verschleiern. Tatsächlich handelt es sich bei diesen "Ausreisezentren" um "Abschiebelager", in denen Menschen unter menschenunwürdigen Bedingungen einer Repression ausgesetzt werden, die nur dem rassistischen Konsens in dieser Gesellschaft gerecht wird.

Für die politische Partizipation einer Black Community oder Schwarzer Menschen mit einer ebensolchen Identität an gesellschaftlichen Entwicklungen stellt sich daher immer eine elementare Frage: Kann unsere Perspektive einen Beitrag zur gesellschaftlichen Entwicklung leisten, ohne zuvor die eigene Identität verleugnet zu haben? Oder gilt immer noch der Spruch aus den Kindertagen unserer Sozialisation, der da lautet: Macht kaputt, was euch kaputtmacht?!?

Fussnoten

Sipua Ngnoubamdjum, politischer Aktivist in der "Black Community" (AG Reparationen und Pan-Afrikanismus). Er ist Mitbegründer und langjähriger Vorsitzender der "Black Students Organisation" sowie Vorstandsmitglied von "SOS Struggles of Students e.V.".