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Exzessives Spielen und Abhängigkeit

Matthias Engel

/ 10 Minuten zu lesen

Digitale Spiele faszinieren uns und haben großes Potenzial. Unter bestimmten Voraussetzungen kann sich Spielen aber auch zu einer Abhängigkeit entwickeln. Für die Diagnose wurden weltweit Standards etabliert.

(© Foto: Matthias Engel)

Nur noch den einen Gegner, nur noch das eine Level – diese Gedanken kennen viele, die regelmäßig digital spielen. Die Gestaltung vieler Spiele ist ganz bewusst darauf ausgerichtet, Spielende bei der Stange zu halten und zum Wiederkommen zu animieren; viele Spiele locken mit täglichen Aufgaben, die mit besonders hohen Belohnungen wie Boni oder Extrapunkten ködern.

Der Flow und die Flucht vom Alltag

Digitale Spiele fesseln ihre Nutzer*innen wie kein anderes Medium. Die wesentlichen Gründe für die Faszination an Games sind Immersion und Interaktivität. Immersion beschreibt, dass Spieler*innen in das Geschehen regelrecht hineingesogen werden. Dies wird verstärkt durch die Interaktivität in Spielen, also die Tatsache, dass Spielende auf das Geschehen Einfluss nehmen können. Die Interaktivität hält Spielende dabei in einem sogenannten Flow: Sie werden gefordert, aber nicht überfordert. Zudem winken ständig Erfolgserlebnisse. Alle Unterhaltungsmedien zeichnen sich dadurch aus, dass sie uns eine geistige Flucht vom Alltag ermöglichen. Dieser Ausstieg aus dem Alltag wird in der Wissenschaft als Eskapismus diskutiert. Schon im Jahr 1914 beschreibt die Kinosoziologin Emilie Altenloh die Mediennutzung als „die einzige Zeit völliger Loslösung aus der Tretmühle des Alltags“. Ein gutes Spiel schafft es, dass wir in ihm versinken. Wir vergessen die Welt um uns herum. Dieses Bedürfnis nach Flucht vom Alltag hat seine Berechtigung, birgt jedoch auch die Gefahr, sich zu einer Abhängigkeit zu entwickeln.

Exzessives Spielen und die offizielle Anerkennung von Videospielabhängigkeit

Digitale Spiele haben sich als Unterhaltungsmedium weithin etabliert. Die Spieleindustrie in Deutschland erwirtschaftet mehr Umsatz als die Film- und Musikindustrie zusammen. In Deutschland spielen rund 34 Millionen Menschen regelmäßig digitale Spiele. Entgegen dem Klischee sind dies nicht nur Kinder und Jugendliche. Zehn Millionen der regelmäßigen Spieler*innen sind über fünfzig Jahre alt (vgl. Verband der deutschen Games-Branche 2019). In Wissenschaft und Gesellschaft sind Fragen nach exzessiver Nutzung und Abhängigkeit von Videospielen relevant geworden: Wann wird es zu viel mit dem Spielen? Für lange Spielzeiten ist der Begriff der „exzessiven Nutzung“ gebräuchlich. Er soll das Phänomen als Oberbegriff wertungsfrei beschreiben, ohne eine weitergehende Aussage über Ursachen und Auswirkungen des Spielens zu treffen. Sowohl für Familien als auch für Expert*innen ist schwer zu unterscheiden, ob

  1. sich das exzessive Spielen zum Beispiel in der Pubertät als Phase herausstellt und der Jugendliche selbst nach einiger Zeit das Interesse verlieren wird;

  2. das Nutzungsverhalten als problematisch bewertet werden muss, weil schon negative Konsequenzen (sinkende Schulleistungen, Rückzug aus dem sozialen Leben) zu beobachten sind;

  3. es sich tatsächlich um eine pathologische Form der Nutzung handelt und entsprechende Unterstützungsleistungen anberaumt werden sollten (Rosenkranz 2017, S. 21).

Während exzessives Spielen in den Fällen a) und b) in der Regel durch medienpädagogische Ansätze aufgefangen werden kann, ist die Abhängigkeit als pathologisch zu verstehen und sollte mit therapeutischen Maßnahmen behandelt werden. Wie viele Menschen vom Spielen abhängig sind, lässt sich schwer sagen. Je nach Forschungsdesign, Altersgruppe und Region ergeben sich Werte zwischen einem und sechs Prozent aller Befragten (vgl. Wartberg, Levente & Thomasius 2017).

In den 2010er-Jahren ist die Abhängigkeit von digitalem Spielen offiziell als Erkrankung anerkannt worden. Der diagnostische und statistische Leitfaden psychischer Störungen (DSM) ist das führende Klassifikationssystem für psychische Erkrankungen in den USA. Die aktuelle Version DSM-5 wurde im Mai 2013 von der Amerikanischen Psychiatrischen Gesellschaft herausgegeben. Im DSM-5 wurde die Internet Gaming Disorder (IGD) eingeführt, also die Störung durch Spielen von Internetspielen. Der Name ist irreführend, denn es ist nicht entscheidend, ob online oder offline gespielt wird.

Die Diagnose der IGD stützt sich auf insgesamt neun Kriterien, die von der Diagnostik anderer Verhaltenssüchte abgeleitet wurden. Es müssen mindestens fünf dieser neun Kriterien zwölf Monate lang erfüllt werden, um die IGD diagnostizieren zu können.

Diagnosekriterien der Internet Gaming Disorder

Diagnosekriterien der Internet Gaming Disorder

Kriterium 1Übermäßige Beschäftigung (zum Beispiel gedankliche Vereinnahmung durch Computerspiele)
Kriterium 2Entzugssymptomatik (zum Beispiel Reizbarkeit, aggressive Ausbrüche, Ängstlichkeit oder Traurigkeit), wenn das Spielen wegfällt
Kriterium 3Toleranzentwicklung (zum Beispiel Bedürfnis nach zunehmend längeren Spielzeiten)
Kriterium 4Erfolglose Versuche, das Spielen zu beenden oder einzuschränken
Kriterium 5Interessenverlust an früheren Hobbys und Freizeitbeschäftigungen (als Ergebnis des Spielens)
Kriterium 6Fortführung eines exzessiven Spielens trotz Einsicht in die psychosozialen Folgen
Kriterium 7Täuschen von Familienangehörigen, Therapeut*innen und anderen bezüglich des Umfangs des Spielens
Kriterium 8Nutzen von Spielen, um einer negativen Stimmungslage zu entfliehen oder sie abzuschwächen (zum Beispiel Gefühl der Hilflosigkeit, Schuldgefühle, Ängstlichkeit)
Kriterium 9 VGefährdung oder Verlust einer wichtigen Beziehung, der Arbeitsstelle oder Ausbildungs- / Karrieremöglichkeit aufgrund des SpielensQuelle: Eigene Darstellung nach APA 2015

Quelle: Eigene Darstellung nach APA 2015

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die Videospielsucht in die elfte Auflage der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD) aufgenommen. Die ICD ist das wichtigste, weltweit anerkannte Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen. Ab 2022 wird die ICD-11 gültig sein. Laut WHO (2018) kennzeichnen drei Kriterien den gestörten Umgang mit digitalen Spielen (Gaming Disorder):

  1. Dem oder der Spieler*in entgleitet die Kontrolle über die Dauer und Häufigkeit des Spielens.

  2. Der oder die Spieler*in räumt dem Spielen eine höhere Priorität als anderen Interessen und Aktivitäten ein. Das Spielen verdrängt diese.

  3. Spielende setzen das Spielen fort, obwohl negative Konsequenzen auftreten.

Die Kriterien entsprechen in etwa den Kriterien vier, fünf, sechs und neun des DSM-5 (siehe oben). Die ICD-11 kommt also mit deutlich weniger Kriterien aus, sodass sie den Diagnostizierenden mehr Handlungsspielraum eröffnet. Für die Diagnose der Gamingabhängigkeit müssen die Symptome über einen Zeitraum von zwölf Monaten anhalten. Nur in begründeten Ausnahmefällen kann sie auch früher gestellt werden.

Dieser Schritt ist für die weitere Erforschung, Lehre und Behandlung entscheidend. Denn die Aufnahme der Gaming Disorder als eigenständige Diagnose führt dazu, dass sich Therapeut*innen und Psychiater*innen an diesem Katalog orientieren können. Solange Probleme mit Computerspielen nicht offiziell als Krankheit definiert waren, mussten andere Begründungen für die Behandlung gefunden werden. Nun kann die Gaming Disorder bei den Krankenkassen als Begründung für therapeutische Maßnahmen angegeben werden.

Die Aufnahme von Computerspielen als psychische Störung in die Diagnosekataloge wird von einer intensiven wissenschaftlichen Debatte begleitet. In den Jahren 2000 bis 2017 hat sich die Menge an veröffentlichten Fachartikeln zum Thema „Computerspielabhängigkeit“ fast exponentiell entwickelt, wie der Fachverband Medienabhängigkeit (2018) betont. Einige Psycholog*innen kritisieren die Aufnahme der Gaming Disorder in den ICD-Katalog (vgl. van Rooij et al. 2018). Sie sagen, das Thema sei noch nicht ausreichend erforscht worden. Fürsprecher*innen der Änderung hoffen dagegen, dass Videospielabhängige, ähnlich wie es bei stoffgebunden Abhängigen zu beobachten ist, öffentlich weniger stigmatisiert, sondern als tatsächlich Erkrankte und Heilbare verstanden werden. Zudem ist davon auszugehen, dass sich die Erforschung des Themas intensiviert.

Häufig ist insbesondere für Eltern die Spielzeit ihrer Kinder ein Alarmsignal. Einige Videospiele sind darauf ausgelegt, über Hunderte Stunden hinweg gespielt zu werden. Viele Gamer*innen spielen häufig mehrere Stunden am Stück. Gelegentlich werden auch sie von der Spielwelt geistig vereinnahmt. Oder sie verlieren kurzzeitig die Kontrolle über ihre Spielzeit und sitzen bis in die Nacht an einem Spiel. Trotzdem sind diese Spieler*innen nicht unbedingt abhängig. „Das Entscheidende ist letztlich die Funktion im Alltag. Also schafft derjenige es, in die Schule zu gehen?“, sagt Daniel Illy, der eine Sprechstunde für Videospielsucht in Berlin betreibt: „Und hat er einen Leidensdruck aus diesem Spielen. Also spielt er nur noch, um zu spielen oder hat er noch Spaß am Spielen?“ Während die meisten Spaß am Spiel haben, versuchen Abhängige häufig, schlechte Gefühle durch das Spielen zu kompensieren (vgl. Illy & Florack 2018).

Faktoren für exzessives Spielen und die Entstehung einer Abhängigkeit

Es ist eine Kombination von vielen Faktoren, die dafür sorgt, dass Spielen abhängig machen kann. Generell lassen sich Faktoren, die zu einer Abhängigkeit führen können, drei Gruppen zuordnen: Mensch, Milieu und Mittel (Kielholz & Ladewig 1973, S. 23). Dabei sind uns viele der Beweggründe für unser Verhalten nicht bewusst.

Mensch: Jede Person hat verschiedene genetische Voraussetzungen und Erfahrungen. Deshalb reagiert sie unterschiedlich auf die Einflüsse der Umwelt. Untersuchungen zeigen, dass Menschen, die von Computerspielen abhängig geworden sind, besondere Persönlichkeitsmerkmale aufweisen. Sie sind anfälliger für Stress und unangenehme Gefühle wie Angst, Traurigkeit und Nervosität, sie sind etwas weniger offen für neue Aktivitäten, leicht introvertierter und so weiter. Dabei ist allerdings nicht klar, ob diese Eigenschaften durch die Abhängigkeit erst entstehen oder diese von vornherein begünstigen (vgl. Kolibius 2019). In ambulanter Behandlung wegen pathologischem Gaming befinden sich in Deutschland überdurchschnittlich häufig Männer zwischen 20 und 24 Jahren (vgl. Deutsche Suchthilfestatistik 2018).

Psychosoziale Probleme wie mangelndes Interesse an Schule, Ausbildung oder am Job, Probleme im sozialen Umfeld und Depressionen können Gründe für eine Abhängigkeit sein. Dieselben Probleme können auch als Folge der Sucht auftreten, sodass ein Teufelskreis entstehen kann. Wissenschaftlich sind zwar das gemeinsame Auftreten von Computerspielabhängigkeit und psychischen Problemen nachgewiesen (Wölfling et al. 2017, S. 424 ff.), aber Ursache und Wirkung lassen sich schwer trennen. Es ist umstritten, ob Computerspielsucht eine primäre oder sekundäre Krankheit ist, ob dysfunktionales Spielverhalten also nicht besser als Symptom von tieferliegenden psychologischen Problemen zu begreifen ist (Kolibius 2019, S. 111).

Milieu: In der Suchtforschung ist nicht nur das engere, sondern auch das weitere soziokulturelle Milieu als wesentlicher Faktor in der Entwicklung der Abhängigkeit bekannt (Kielholz & Ladewig 1973, S. 31). Auch Kultur, Gesellschaft, Gesetzgebung und Wirtschaftslage spielen eine Rolle. Welche Position hat eine Person in der Gesellschaft: Wie ist ihre Lebensqualität und welche Zukunftsperspektiven hat sie? Konkret für Computerspielsucht sind diese Faktoren wissenschaftlich nur wenig untersucht. Für das ähnliche Problem der Glücksspielsucht werden zum Beispiel die besonderen Lebensumstände von Migrant*innen als Risikofaktor angeführt: Zugangshürden zu Institutionen, Chancenungleichheit in Ausbildung und Beruf, enge Wohnverhältnisse (Lischer, Häferli & Villinger 2014, S. 50). Für das übergreifende Problem der pathologischen Internetnutzung ergaben mehrere Untersuchungen einen Zusammenhang mit einem belasteten Familienklima (Rosenkranz 2017, S. 25).

Mittel: Bei der Frage nach den Lieblingsspielen werden von abhängigen Jugendlichen ganz unterschiedliche Spiele genannt. Es sind diejenigen, die auch allgemein sehr beliebt sind: „League of Legends“ (Riot, seit 2009) und „Minecraft“ (Mojang, seit 2009) (vgl. Illy & Florack 2018). In den 2000er-Jahren galt „World of Warcraft“ (Activision, seit 2004) als Suchtspiel. Die genannten Spiele zeigen, dass Spiele aus bestimmten Genres ein großes Bindungspotenzial entfalten können. Gestaltungselemente, die zu einer hohen Spielzeit und somit tendenziell besonders zu einer Abhängigkeit führen können, nennt man Bindungsfaktoren. Diese sind zum Beispiel eine lose Story ohne festes Ende und die Möglichkeit der Interaktion mit anderen menschlichen Spieler*innen.

Die Diagnosekataloge ordnen digitales Spielen und Glücksspiel (Gaming und Gambling) nebeneinander ein. Die Diagnosekriterien für beide Abhängigkeiten sind beinahe identisch. Beides sind Verhaltensstörungen, sind also nicht an einen Stoff gebunden. Die belohnenden Botenstoffe werden also nicht durch Alkohol oder andere Suchtmittel ausgelöst, sondern durch die Beschäftigung mit dem Medium. Spielende freuen sich über Erfolge und Belohnungen; im Gehirn werden dann Botenstoffe wie Dopamin und Serotonin ausgeschüttet. Sie lösen in uns das Gefühl aus, belohnt zu werden. Zwar sind offiziell nur Glücksspiel und nun auch digitales Spielen als Verhaltenssüchte anerkannt, jedoch können auch andere Verhaltensweisen abhängig machen. Therapeut*innen beobachten zum Beispiel auch Kauf- oder Sexsucht bei manchen Patient*innen (Mann et al. 2013, S. 3 ff). Je höher der Belohnungsfaktor einer Tätigkeit, desto wahrscheinlicher ist es, von einer Handlung abhängig zu werden (vgl. Illy & Florack 2018). Glücksspiel hat über die Jahrhunderte mit bestimmten Gestaltungselementen dieses Erleben von Erfolg perfektioniert. Obwohl bei digitalen Spielen, anders als beim Glücksspiel, nicht um Geld gespielt wird, nähern sich beide Medien in einigen Fällen an. Digitale Glücksspielautomaten werden in Sachen Grafik, Sound und Spielmechanik immer ausgefeilter. Umgekehrt haben sich Glücksspielelemente in vielen Videospielen etabliert. Einige Staaten haben bestimmte dieser Elemente bereits verboten.

Debatte zwischen Kulturpessimismus und Medieneuphorie

Die Unterscheidung von exzessivem Spielen als neutralem Oberbegriff und Abhängigkeit als Erkrankung ist eine wichtige Differenzierung in der gesellschaftlichen Debatte über digitale Spiele. Wenn landläufig die Rede davon ist, jemand sei süchtig nach einem Spiel, wird damit häufig nur zum Ausdruck gebracht, dass diese Person viel Zeit mit einem Spiel verbringt. Dies ist jedoch nicht gleichbedeutend mit einer Abhängigkeit. Die offiziellen Diagnosekriterien schaffen einen präziseren Rahmen. Doch auch sie sind nur Modelle. Ob tatsächlich eine pathologische Abhängigkeit vorliegt, müssen Fachleute im Einzelfall bewerten. Im Falle einer diagnostizierten Abhängigkeit kann eine langwierige Therapie mit Bearbeitung aller relevanter Faktoren folgen.

Der Großteil der Menschen, die viel Zeit mit dem digitalen Spielen verbringen, ist nicht abhängig. Dennoch kann auch deren Verhalten schleichend zum Problem werden. Bei exzessivem Spielen sind präventive Maßnahmen aus der Pädagogik, insbesondere der Medienpädagogik, gefragt. Die Krankenkasse DAK und das Deutsche Zentrum für Suchtfragen veröffentlichten 2019 eine Studie mit dem Titel „Geld für Games – wenn Computerspiel zum Glücksspiel wird“. Sie attestierte für rund drei Prozent der befragten Jugendlichen pathologisches Computerspielverhalten. 15,4 Prozent seien jedoch „Risiko-Gamer“. Diese haben zwei von neun Fragen zum DSM-Katalog (siehe Infokasten) positiv beantwortet.

Auch wenn exzessives Spielen an sich im Unterschied zur Abhängigkeit sich individuell bei Weitem nicht so negativ auswirkt, kann es als gesellschaftliches Problem betrachtet werden. In der Debatte darüber sind die Fronten verhärtet. Die Forschung über pathologische Computerspieler*innen lässt befürchten, dass sie langfristig ähnliche neuronale Veränderungen durchmachen wie Drogenabhängige (vgl. Kolibius 2019). Es liegt nahe, dass dies auch Folgen für das Sozialverhalten hat. Werden daraus jedoch allzu kulturpessimistische Schlüsse gezogen, erinnern Videospielfürsprecher*innen an historische Debatten über Medien. So betont etwa der Games-Journalist Christian Huberts (2019), im 18. Jahrhundert sei auch die angebliche Lesesucht der Jugend skandalisiert worden. Bei aller Provokation lässt sich festhalten, dass es sicher nicht hilft, das Medium digitale Spiele als Ganzes zu verurteilen. Differenzierung ist gefragt. Spiel ist nicht gleich Spiel: Angebote wie die Externer Link: spielbar.de zeigen, welche Spiele unter bestimmten Voraussetzungen pädagogisch gewinnbringend sein können und welche nicht. Auch jede*r Spieler*in ist anders. Die Gesellschaft und letztlich die Spieler*innen müssen lernen, kompetent mit Videospielen umzugehen. Die Öffentlichkeit sollte zwischen verschiedenen Nutzungsweisen klar differenzieren.

Beratungsangebote

Wer nicht mehr ohne Computerspiele zurechtkommt oder um eine nahestehende Person dahingehend besorgt ist, sollte sich Hilfe holen. Wer sich an einen Profi in seiner Nähe wenden will, findet viele Adressen beim Externer Link: Fachverband Medienabhängigkeit. Eine Anlaufstelle kann auch die Hausärztin oder der Hausarzt sein.

Quellen / Literatur

Altenloh, Emilie (1914): Zur Soziologie des Kino. Die Kino-Unternehmung und die sozialen Schichten ihrer Besucher. Diederichs: Jena.

American Psychiatric Association (APA, 2015): Diagnostisches und Statistisches Manual psychischer Störungen DSM-5. Deutsche Ausgabe, herausgegeben von Peter Falkai und Ulrich Wittchen. Hogrefe

Deutsche Suchthilfestatistik (DSHS) (2018). Daten im Erhebungsjahr 2018. Online: https://suchthilfestatistik-datendownload.de/Daten/download.html, zuletzt geprüft am 29.6.2020.

Fachverband Medienabhängigkeit (FVM, 2018): Zur Einordnung von Computerspielsucht. Gaming Disorder im ICD-11. Vortrag von Kai W. Müller am 15.11.2018. URL: http://www.fv-medienabhaengigkeit.de/fileadmin/images/Dateien/Symposium_2018/Vortrag_Kai_Mueller_15.11.2018_FVM_9._Symposium.pdf [15.04.2020].

Huberts, Christian (2019): Framing Disorder. In: WASD 16, S. 188-193.

Illy, Daniel / Florack, Jakob (2018): Videospielsucht. In: Gamespodcast “Auf ein Bier” #148. URL: https://www.gamespodcast.de/2018/02/04/runde-148-videospielsucht-2/ [23.04.2020].

Kielholz, P. & Ladewig, D. (1973). Die Abhängigkeit von Drogen. München: dtv.

Kolibius, L. D. (2019). Computerspielsucht – eine Einführung / Computerspielsucht und Persönlichkeitsmerkmale / Neuronale Veränderungen bei Computerspielsucht. In: T. C. Breiner & L. D. Kolibius (Hrsg.), Computerspiele im Diskurs. Aggression, Amokläufe und Sucht (S. 107–147). Berlin: Springer.

Kunczik, M. & Zipfel, A. (2010). Computerspielsucht. Befunde der Forschung. Bericht für das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Online: https://www.bmfsfj.de/blob/jump/93468/computerspielsucht-befunde-der-forschung-langfassung-data.pdf, zuletzt geprüft am 29.5.2020.

Lischer, Suzanne / Häferli, Jörg / Villinger, Simone (2014): Vulnerable Personengruppen im Glücksspielbereich. In: Prävention und Gesundheitsförderung. 1/2014, S. 47-51.

Mann, Kiran / Fauth-Bühler, Mira / Seiferth, N. / Heinz, Andreas (2013): Konzept der Verhaltssüchte und Grenzen des Suchtbegriffs. In: Der Nervenarzt, Mai 2013. Springer: Berlin, S. 1-7. URL: https://www.researchgate.net/publication/262952991 [06.05.2020].

Rooij, A. van, Ferguson, C. J., Colder Carras, M., Kardefelt-Winther, D., Shi, J. & Przbylski, A. K. (2018). A weak scientific basis for gaming disorder: Let us err on the side of cation. Online: https://doi.org/10.31234/osf.io/kc7r9, zuletzt geprüft am 23.4.2020.

Rosenkranz, L. (2017). Exzessive Nutzung von Onlinespielen im Jugendalter. Berlin: Springer.

Verband der deutschen Games-Branche (game, 2019): Jahresreport der deutschen Games-Branche 2019. URL: https://www.game.de/wp-content/uploads/2018/08/game-Jahresreport-2019_web.pdf [15.04.2020].

Wartberg, Lutz / Levente, Kriston / Thomasius, Rainer (2017): Internet Gaming Disorder. Prävalenz und psychosoziale Korrelate. In: Deutsches Ärzteblatt International. URL: https://www.aerzteblatt.de/int/article.asp?id=190789 [21.04.2020].

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Wölfling, Klaus / Dreier, Michael / Müller, Kai W. / Beutel, Manfred E. (2017): Internetsucht und „internetbezogene Störungen“. Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten. In: Psychotherapeut 2017/62. Springer: Berlin, S. 422-430.

Fussnoten

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