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Mit Sachbeschädigung gegen das System? – Legitimationsfragen linker Militanz | Fachtagung "Politische Gewalt – Phänomene und Prävention" | bpb.de

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Mit Sachbeschädigung gegen das System? – Legitimationsfragen linker Militanz

Nina Molter

/ 3 Minuten zu lesen

Was genau versteht man eigentlich unter linker Militanz und was wollen linke Akteure mit gewalttätigen Aktionen bezwecken? Der Workshop kontextualisierte das Phänomen und fragte nach Legitimationsmustern, Wirkung und Alltagsrelevanz linker Gewalt.

Welche zentralen Akteure, Inhalte und Aktionen werden allgemeinhin mit der linken Szene assoziiert? Diese Einstiegsfrage stellten Nils Schuhmacher und Sebastian Haunss den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der ersten Workshop-Runde. In Form einer Stichwortsammlung ergab sich dabei als zentrales Element die öffentlich wahrnehmbar steigende Zahl destruktiver Gewalthandlungen, sowohl gegen ein nicht klar definiertes Gegenüber (in Form von Sachbeschädigung) also auch in Form direkter, physischer Konfliktgewalt, beispielsweise im Rahmen von Demonstrationen. Die Legitimation dieser Gewalthandlungen fußt dabei offensichtlich weniger auf einer dogmatischen Ideologie und vielmehr einer allgemeinen Wertevorstellung. Versteckte Gewalt in Form von Attentaten und Anschlägen spielt in der allgemeinen Wahrnehmung eine eher untergeordnete Rolle. Diesem subjektiven Verständnis linker Gewalt stellten Schuhmacher und Haunss die Definition aus offizieller Perspektive gegenüber: hier wird ein enger Gewaltbegriff angewandt, der die personale, physische und reguläre Gewalt im Sinne von Gewaltkriminalität meint. Zentrales Erfassungsinstrument für Fälle linker Gewalt ist die PMK-Statistik (politisch motivierte Kriminalität), die Vorwürfe linker Kriminalität erfasst und bewertet. Hierbei gilt zu beachten, dass es sich um eine Erfassung der Anschuldigungen handelt, nicht jedoch eine verlässliche Datenbank rechtskräftiger Urteile; entsprechend gibt es keine Nachweise für die Stichhaltigkeit der Tatvorwürfe.

Doch welche Strategien verwenden linke militante Gruppen zur Mobilisierung gegenwärtiger und neuer Mitglieder und wie werden diese Strategien mit Legitimationsansätzen linker Gewalt verknüpft? Exemplarisch wurden dazu vier Videos verschiedener linker Gruppen analysiert und im Kontext der Legitimierung eingeordnet.

Nils Schuhmacher von der Hochschule Esslingen und Sebastian Haunss von der Universität Bremen führten durch den Workshop. (© bpb/Nils Pajenkamp)

Die vier Beispiele zeigten unterschiedliche Ansätze, beginnend mit einer "Reaktionsgewalt" auf ein vorausgegangenes Unrecht als Rechtfertigung für weitere Gewalttaten. Gleichzeitig erfolgt in der audiovisuellen Gestaltung eine Ästhetisierung von Gewalt, die linke Gewalt als gruppendynamische, identitätsstiftende Notwehrhandlung inszeniert. Dabei fungiert das Video weniger als eine realitätsnahe Abbildung linker Gewalttaten und vielmehr als eine Idealprojektion, die Belebung einer nostalgischen Vorstellung, die die linke Bewegung als Gruppe moralisch und physisch überlegener Straßenkämpfer darstellt. Das zweite gezeigte Beispiel dient gleichzeitig der Mobilisierung zu und der Verharmlosung von linker Gewalt: Indem kein direkter Akt der physischen Gewalt dargestellt wird, verschwimmen die Begrifflichkeiten zwischen Militanz und zivilem Ungehorsam, wobei bei letzterem eine zweckgebundene, illegale Handlung erfolgt, bei der die Strafe bewusst provoziert und hingenommen wird. Die Workshop-Teilnehmer beschäftigte dabei die zentrale Frage, inwiefern die Abwesenheit direkter physischer Gewalt in der Darstellung die mögliche Zielgruppe erweitert und eine Unterscheidung zwischen politischer Aktivität und gewalttätiger Militanz erschwert. In einem weiteren Beispiel inszeniert sich die betroffene Gruppierung als Brandlöscher gegen Rechtsextremisten und greift so den Anspruch der Reaktionsgewalt auf. Hier wird die Legitimation mit der Verharmlosung der eigenen gewalttätigen Handlung verknüpft.

Die Betrachtung der drei Beispielvideos zeigt die Komplexität der Debatte: die Legitimationsstrategien der linken Szene sind extrem unterschiedlich und vielfältig. Je nach Zielgruppe, Kontext und Inhalt rückt die unmittelbare körperliche Gewalt (als Reaktion auf rechte oder Polizeigewalt) oder die Sachbeschädigung als extremes Protestmittel in den Fokus. In vielen Fällen findet dabei eine Verharmlosung, Rechtfertigung oder Selbstironisierung der Militanz und auch der eigenen Gewalt statt. Bei etwaigen Präventionsansätzen sollten entsprechend die verschiedenen, inhaltlichen Ebenen nicht vernachlässigt werden, die häufig die Grundlage einer Legitimationsstrategie bilden. Dies erfordert eine vorsichtige Differenzierung mit Blick auf Kommunikationsstrategien, Wertekonzepte und Inhalte, die einer Verallgemeinerung des linken Gewaltbegriffs gegenüberstehen.

Das irreguläre Beispiel der "Schlacht um die Oberbaumbrücke", bei der sich ehemals militante Gruppen aus Friedrichshain und Kreuzberg friedlich mit Essen bewerfen, zeigt zudem einen Übergang von aggressiver Straßenmilitanz in Populärkultur, bei der die Militanz spielerisch fortgesetzt wird. Hier verschwimmen die Grenzen und auch die ideologischen Begründungen ausgeübter Militanz.

Referenten:
Dr. Nils Schuhmacher, Hochschule Esslingen
PD Dr. Sebastian Haunss, Universität Bremen

Moderation: Martin Langebach, Bundeszentrale für politische Bildung

Nina Molter ist seit August 2015 Volontärin in der Stabsstelle Kommunikation der Bundeszentrale für politische Bildung und ist dort Ansprechpartnerin für Journalistinnen und Journalisten. Sie hat Politische Kommunikation in Maastricht und London studiert.