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Workshop 4: Konfessionelle /religiöse Aspekte der Integration: Ein Gespräch mit Vertretern katholischer, evangelischer, freikirchlicher, russisch-orthodoxer und jüdischer Gemeinden | Aussiedlung – Beheimatung – Politische Teilhabe | bpb.de

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Workshop 4: Konfessionelle /religiöse Aspekte der Integration: Ein Gespräch mit Vertretern katholischer, evangelischer, freikirchlicher, russisch-orthodoxer und jüdischer Gemeinden

Dr. Olaf Glöckner

/ 5 Minuten zu lesen

Panelteilnehmer*Innen

  • Josef Messmer, Referent der Diözese Augsburg im Fachbereich Spätaussiedlerseelsorge

  • Edgar Born, Aussiedlerbeauftragter der Evangelischen Landeskirche, Schwerte

  • Johannes Dyck, Institut für Theologie und Geschichte, Bibelseminar Bonn

  • Alex Bondarenko, M.A. Sozialökomon, Leiter des Jüdischen Studentenverbandes Nordrhein

Moderation: Dr. Sabine Arnold, SinN-Stiftung des Evang.-Luth. Dekanats, Nürnberg

Aussiedlung – Beheimatung – Politische Teilhabe Workshop 4 (Björn Stysch) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Workshop IV, der von Dr. Sabine Arnold (SinN-Stiftung Nürnberg) moderiert wurde, zählte rund 20 Besucher/-innen und widmete sich insbesondere den vergleichbaren bzw. differenten Erfahrungen, die integrative Einrichtungen aus den o.g. Religionsgemeinschaften bei der Aufnahme, Betreuung/Integration und Mobilisierung (Empowerment) jeweiliger russischsprachiger Migranten(ziel-)gruppen bisher gemacht haben. Für die Freikirchen/Mennoniten nahm an diesem Workshop Johannes Dyck (Bonn) teil, für die katholische Kirche Josef Messmer (Augsburg), für die Evangelische Kirche Edgar Born (Schwerte) und für die jüdische Gemeinschaft Alex Bondarenko (Düsseldorf). Ein Vertreter der russisch-orthodoxen Kirche in Deutschland konnte leider nicht gewonnen werden. Die Besucher des Workshops bildeten ebenfalls eine äußerst heterogene Gruppe, darunter Wissenschaftler/-innen, Mitarbeiter/-innen von integrativen Einrichtungen der Kirchen und der jüdischen Gemeinschaft, Vertreter von Stiftungsinitiativen, Museum Detmold, BpP und Bundesinnenministerium. Auch ein muslimischer Besucher hatte sich dem Workshop angeschlossen und diskutierte die aufgeworfenen Fragen mit.

Den Eingangsstatements aller vier Panelisten (Dyck, Messmer, Bondarenko und Born) war zu entnehmen, dass in den jeweils von ihnen geleiteten bzw. mit-betreuten Einrichtungen russischsprachige Migranten Anschluss gefunden haben, denen beides wichtig war: sowohl Impulse für ihren jeweiligen religiösen Glauben zu erhalten, wie auch ihre allgemeine Integration in die Gesellschaft (auch und gerade über die Religionsgemeinschaften) zu beschleunigen. Johannes Dyck und Josef Messmer konnten berichten, dass baptistische/mennonitische wie auch katholische Migranten aus der früheren Sowjetunion mit einer vergleichsweise starken religiösen Motivation nach Deutschland kamen (und daher auch relativ nahtlos an das lokale Gemeindeleben anschließen konnten, selbst in Bezug auf Liturgie, Gebet etc.), Edgar Born und Alex Bondarenko wussten hingegen zu berichten, dass viele der russischsprachigen Migranten mit protestantischem bzw. jüdischem Hintergrund sich zunächst erst ein Stück religiös (neu) orientieren mussten. Auch Sabine Arnold (Nürnberg) pflichtete bei, dass die (religiöse) Integration in den (evangelischen) Gemeinden anfänglich eher schwierig war und erst gemeinsame Strategien mit den Spätaussiedlern entwickelt werden mussten. Pfarrer Edgar Born, der seit 25 Jahren in der Arbeit mit Aussiedlern tätig ist, betonte, dass eine Kombination von religiösen Angeboten und auch ganz praktischer Unterstützung bei der Begleitung in die Aufnahmegesellschaft unverzichtbar war. "Wir haben mit den neu Angekommenen gemeinsam geschaut, wo sie ihren Glauben verankern wollen, was ihre Seelen bewegt, aber auch, wo Integration gleich in ganz praktische Formen gegossen werden konnte. Und wir haben, soweit das möglich war, unseren Aussiedlern auch Arbeit geben können – als Hausmeister, Krankenschwester oder auch Religionslehrer. Das hat das Vertrauen gestärkt, hat den Zusammenhalt gefördert, und die Leute wollten zusehends auch eigene Verantwortung übernehmen."

Am entschiedensten von allen vier Panelisten hat Edgar Born auch betont, dass Religion nicht nur ein wichtiger, stabilisierender Identitätsfaktor für die nach Deutschland gekommenen Aussiedler sein könnte, sondern auch eine Antriebsfeder für politisches Handeln. Dass Staat und Religion hierzulande getrennt aufgestellt seien, fände er sehr in Ordnung, doch gebe es durchaus auch Herausforderungen, bei denen Theologie, Religion und entschiedenes politisches Handeln durchaus eng zusammen gehören würden: "Wir haben die von uns angebotenen Bildungsprogramme für die neu Angekommenen oft damit kombiniert, dass wir in bestimmte Städte Ostdeutschlands gefahren sind, beispielsweise nach Weimar. Und dort haben wir dann die Plätze von Goethe und Schiller besucht, aber auch das NS-Konzentrationslager auf dem Ettersberg. Die Menschen sollen, wenn sie in die neue Gesellschaft reinkommen, ja auch historische Narrative verstehen lernen. Sie sollen ein Gefühl dafür bekommen, wie vielfältig, aber auch gebrochen die deutsche Geschichte", so Edgar Born.

Alex Bondarenko, ein ausgebildeter Sozialökonom, der den Jüdischen Studentenverband Nordrhein leitet, auf Bundesebene aber auch verantwortliche Aufgaben im Sportverband "Maccabi" wahrnimmt, erläuterte u.a. Besonderheiten, die sich bei der Aufnahme und Integration von russischsprachigen jüdischen Zuwanderern aus dem Gebiet der früheren Sowjetunion ergeben haben. Viele von ihnen hätten sich ihr religiöses Judentum erst wieder ein Stück erschließen müssen. Gleichzeitig habe sich in den vergangenen 25 Jahren aber wieder eine erstaunliche Vielfalt im jüdischen Gemeinschaftsleben in Deutschland ergeben, die von orthodox über konservativ bis liberal reiche. Diese Vielfalt wird durchaus als Stärke empfunden. Alex Bondarenko räumte ein, dass die unerwartet schwierige Integration vieler hochqualifizierter russischsprachiger Juden der ersten Generation (noch ausgebildet in der UdSSR) am deutschen Arbeitsmarkt viel Frustration erzeugt habe, auch die Gemeinden hätten das zu spüren bekommen. Er selbst, Jahrgang 1981, bezeichnete sich als Teil der so genannten 1.5-Generation (auch: "die Mitgenommenen"). Junge Juden und Jüdinnen der zweiten Generation, die bereits in Deutschland aufgewachsen seien, hätten aber so gut wie keine Probleme im Umfeld und würden sich hier bereits richtig "zu Hause, d.h. beheimatet" fühlen.

Johannes Dyck, der das Institut für Theologie und Geschichte beim Bibelseminar Bonn leitet, beschrieb seinerseits ausführlich die Anstrengungen der mennonitischen Brüdergemeinden, auch hier die zweite Generation zu erreichen. "Selbstverständlich weiß auch die zweite Generation um den Wert der religiösen Freiheit", so der langjährig tätige Theologe, "aber manchmal konstatieren wir gerade bei jungen Leuten auch eine 'gewisse konfessionelle Verschwommenheit'".

Josef Messmer betonte seinerseits, dass die religiösen Angebote in der Diözese Augsburg auch für Zuwanderer offen seien, die einer anderen Konfession oder gar Religion angehören würden: "Bewährt hat sich beispielsweise ein Grundkurs 'Einführung in die Religion unter besonderer Beachtung christlicher Traditionen' – und die Resonanz darauf ist allgemein sehr gut."

Moderatorin Sabine Arnold war es im zweiten Teil des Workshops wichtig, gemeinsam mit den Panelisten und dem Publikum zusammenzutragen, welche Strategien und Potentiale bedeutsam seien, um auch in Zukunft eine erfolgreiche Integrationsarbeit zumindest mit einem Teil der russischsprachigen Menschen auch über die Religionsgemeinschaften in Deutschland realisieren zu können. Hier wurde unter anderem betont, dass es besonders wichtig sei, die Unterstützung für Ehrenamtliche und Multiplikatoren auszubauen, den interreligiösen Austausch voranzutreiben (u.a. mit Projektmodellen wie dem "Café Abraham", das es mittlerweile in verschiedenen Städten – wie Berlin und Düsseldorf – gibt und bei dem christliche, jüdische und muslimische Student/-innen in lockerer Weise zu bestimmten Themen zusammenkommen), gemeinsam Solidarität für Flüchtlinge zu zeigen und die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Akademien (religiöser Bildungsträger) zu verbessern.

Am Ende der Diskussion meldeten sich noch einmal verstärkt Frauen und Männer aus dem Publikum zu Wort, die von solchen Bildungsträgern und Integrationseinrichtungen kamen, welche insbesondere mit Spätaussiedlern in den alten Bundesländern arbeiten. Dabei wurde den Spätaussiedlern, die Anschluss an religiöse Einrichtungen gefunden haben, eine hohes Maß an ehrenamtlichem Engagement bescheinigt, zugleich aber darauf verwiesen, dass ein Teil von ihnen noch eine spürbare Scheu zeige, mit eigenen Projekten aktiv in die Öffentlichkeit zu gehen. Auch dies dürfte eine wichtige Herausforderung für die Zukunft sein.

Fussnoten