1. Tag: Mittwoch, 7.11.2018
Bildergalerie: Impressionen der TagungProjektmarkt
Wie kann und soll die Präventionsarbeit mit Frauen und Kindern im Salafismus umgehen? Einige Projekte zeigten im Rahmen der Düsseldorfer Tagung, wie sich die präventive Arbeit mit Frauen und jungen Mädchen gestalten lässt. Sie nehmen Kinder, Mädchen und Frauen explizit in ihren Fokus und stellten sich auf dem begleitenden Projektmarkt vor:- "PHÄNOcultures": cultures interactive e. V., Berlin Das Projekt "PHÄNOcultures" des Berliner Vereins cultures interactive e.V. nimmt die phänomenübergreifende Extremismusprävention in Schulen und Jugendklubs in den Fokus. Die Schwerpunkte dieser Arbeit sind die Weiterentwicklung der jugendkulturellen und medial gestützten politischen Bildung in der Auseinandersetzung mit demokratiefeindlichen Inhalten sowie die Entwicklung von mädchenspezifischen bzw. genderbewussten Zugängen für die Präventionsarbeit. Im Fokus stehen Empowerment, die Vermittlung von Medienkompetenz, das Ernstnehmen von Alltagsrassismus und das Aufzeigen von Diversität im Feminismus.
- "jamil": VAJA e. V., Bremen Das Projekt "jamil" des Bremer Vereins zur Förderung akzeptierender Jugendarbeit e.V. (VAJA) greift den Bedarf einer Jugendarbeit auf, die sich den Identitätsfindungsprozessen und der Orientierungssuche junger Menschen annimmt. Der Handlungsansatz fußt auf der Praxis der akzeptierenden Jugendarbeit. Der methodische Zugang orientiert sich an den Lebenswelten, Sozialräumen und Bedürfnissen Jugendlicher und junger Erwachsener.
- "Die Freiheit, die ich meine": Gesicht Zeigen! Für ein weltoffenes Deutschland e. V., Berlin Dieses Projekt bildet, informiert und stärkt Mädchen und Frauen im Sozialraum Berlin-Mitte gegen religiös begründeten Extremismus. In speziell entwickelten Workshopreihen sollen die Teilnehmerinnen zu selbstständigen Multiplikatorinnen innerhalb ihrer Familien, ihres Milieus, ihres Umfelds und Freundeskreises ausgebildet werden.
- "Frauen stärken Demokratie": UTAMARA Frauenbegegnungsstätte, Kasbach-Ohlenberg Das Modellprojekt "Frauen stärken Demokratie" will Frauen, Mütter und junge Frauen aus religiösen Gemeinden, Moscheen oder alevitischen Gebetshäusern im Leben und in der Vermittlung demokratischer Grundwerte und Haltungen in ihrer Familie und in der Gemeinde sensibilisieren und stärken.
- "MotherSchools": Frauen für Frauen e. V., Erlenbach und Stadt Würzburg Das Projekt richtet sich an besorgte Mütter mit dem Ziel, Radikalisierungstendenzen bei ihren jugendlichen Kindern frühzeitig zu erkennen und gegenzusteuern. Mütter werden mit Trainings gestärkt, um auf kompetente Weise auf ihre Kinder einzugehen, ihnen zuzuhören, Radikalisierungstendenzen zu erkennen und bei Bedarf Alternativen zu gewaltbereitem Extremismus aufzuzeigen. "MotherSchools" ist ein Projekt, das es weltweit in 13 verschiedenen Ländern gibt. In Deutschland gibt es die "MotherSchools" bislang nur in Bayern.
- "MAXIMA": Violence Prevention Network, Berlin "MAXIMA" ist die Antwort auf den wachsenden Bedarf, dem Phänomen des religiös begründeten Extremismus durch präventive politische Bildungsarbeit speziell bei Mädchen und jungen Frauen zu begegnen. Im Fokus der Workshops stehen theologische Grundlagen des Islams und seine extremistische Auslegung sowie Rekrutierungsstrategien von Extremistinnen und Extremisten und Handlungsoptionen für weibliche Jugendliche.
- "Clearingverfahren und Case Management – Prävention von gewaltbereitem Neosalafismus und Rechtsextremismus", Aktion Gemeinwesen und Beratung e. V., Düsseldorf Dieses Modellprojekt versucht, eine Lücke in der Extremismusprävention zu schließen. Es wendet sich an radikalisierte Jugendliche im Umfeld Schule und zielt auf die Unterbrechung bzw. Umkehrung des Radikalisierungsprozesses. Im Fokus stehen vor allem größere Gesamtschulen und Berufskollegs. Neben dem Herzstück der Arbeit, der strukturierten Auseinandersetzung mit Einzelfällen, führen die pädagogischen Fachkräfte an den Schulen auch flankierende Maßnahmen mit Kooperationspartnern durch, z.B. Lehrkräfte-Schulungen. (Eine ausführliche Projektbeschreibung von Projektkoordinatorin Lisa Kiefer findet sich im Infodienst Radikalisierungsprävention.)
Begrüßung und Einführung
Hanne Wurzel, Leiterin des Fachbereichs "Extremismus" der Bundeszentrale für politische Bildung in Bonn, begrüßte die 160 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tagung. In die Thematik einführend richtete sie den Blick auf medial bekannte Fallbeispiele der Ausreise von Frauen ins einstige, vom sogenannten Islamischen Staat proklamierte Kalifat und auf die Herausforderungen der Rückkehr. Ferner rückte sie den Fokus auf Kinder salafistischer Eltern und formulierte schließlich die Leitfragen dieser Tagung wie folgt: Wie gehen wir mit Islamistinnen und ihren Kindern um? Wie können wir Kinder integrieren, ohne zu stigmatisieren? Wie hat sich die Situation seit dem Zusammenbruch des Kalifats verändert? Was können Forschung und Praxis aus den Erfahrungen der Präventionsarbeit im Bereich des Rechtsextremismus lernen, wo das Thema Frauen und Kinder schon viel länger präsent ist? Die verzerrte Wahrnehmung von stereotypischen Rollenbildern, so Wurzel, sei eine Gefahr für die präventive Arbeit, weil ein solcher Blick Frauen zu blinden Flecken werden lasse.Wissen kompakt
- Britta von der Heide, Recherchekooperation von NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung, Hamburg
- Claudia Dantschke, HAYAT-Deutschland, Berlin
- Dr. Gerwin Moldenhauer, Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, Karlsruhe
- Moderation: Janusz Biene, PRO Prävention, Kreis Offenbach
Claudia Dantschke leitet die Beratungsstelle HAYAT-Deutschland, die bei Zentrum für Demokratische Kultur in Berlin angesiedelt ist. Sie betreut und berät Angehörige sich islamistisch radikalisierender Jugendlicher. Ihr Vortrag "Kochtopf oder Kalaschnikow? – Über die Rolle(nbilder) von Frauen im Salafismus" bot Einblicke in die "Funktion" und Rolle der Frau im Islamismus und in die Vorgehensweisen bei der Rekrutierung von Frauen. Dantschke erklärte, dass die Rekrutierung jugendlicher Frauen vielfach durch "Schwestern" und insbesondere über Frauennetzwerke erfolge. Dort seien Bücher, Videos, Audiodateien und Materialien für Frauen und sogar für Kinder verfügbar. Da der Dschihad als individuelle Pflicht eines jeden Muslims gelte, sei auch die Frau angesprochen, sich für den "heiligen Krieg" zu engagieren. Die Rolle der Frau, so die Arabistin Dantschke, sei keineswegs auf die "perfekte" Muslima, Ehefrau, Mutter und Propagandistin zu reduzieren. Als Beschützerin einer moralischen Überlegenheit und zur Vergrößerung der Ummah, der muslimischen Gemeinschaft, nehme die Frau eine weitaus aktivere Rolle ein und beanspruche gar die Gleichwertigkeit gegenüber dem Mann. Jedoch bedeute diese Gleichwertigkeit keine Gleichberechtigung, so Dantschke.
"Aus dem Kalifat in den Knast? Strafrechtliche Perspektiven auf Rückkehrerinnen" – der Input des Staatsanwaltes beim Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe, Dr. Gerwin Moldauer, thematisierte die juristischen Möglichkeiten und Grenzen der Strafverfolgung von Rückkehrerinnen. Gegenstand seiner Erörterungen war zunächst das materielle Staatsschutzstrafrecht. Überraschend schien, dass für den Straftatbestand "Terrorismus" keine Legaldefinition existiert. Die Gründe hierfür sind vielfältig – verwiesen sei hier nur beispielhaft auf die schwierige Abgrenzung zwischen "Freiheitskampf" und "Befreiungsbewegungen" einerseits und auf "Terrorismus" andererseits oder auf die Frage, ob und wie die Möglichkeit von Staatsterror hier mitzudenken wäre –, auch die Wissenschaft tut sich mit einer eindeutigen Definition schwer. Strafbar sei jedoch die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, sowie aufgrund der Vorverlagerung der Strafbarkeit die Ausreise zu Zwecken des Anschlusses an eine terroristische Vereinigung. Moldenhauer bot einen Überblick über ausgewählte Einzelfälle des islamistischen Terrorismus innerhalb der EU seit 2015. Seither hat die Anzahl der Ermittlungsverfahren stetig zugenommen. Circa 100 Deutsche, darunter Frauen und Kinder, so berichtete Moldenhauer, seien noch immer in Syrien oder im Irak in Haft. Die legale Strafverfolgung vor Ort gestalte sich äußerst schwierig. Dies läge vor allem an unübersichtlichen Sachverhalten vor Ort, der nach wie vor anhaltenden Kriegssituation, an der fehlenden Rechtshilfe und fehlenden strafprozessualen Maßnahmen. Auch in Deutschland könnten die Aussagen von Rückkehrerinnen und Rückkehrern nur schlecht überprüft werden. Am Beispiel von Sibel H. erörterte er, warum sich die Strafverfolgung insbesondere bei Frauen als schwierig erwies. Sibel H. reiste 2015 mit ihrem Ehemann nach Syrien. Dieser arbeitete als Krankenpfleger beim "IS". Sibel H. übernahm "häusliche Pflichten". Beide lebten in einer Wohnung im "IS"-Gebiet. Zurück in Deutschland wurde Sibel H. angeklagt. Der Bundesgerichtshof argumentierte jedoch, dass es für eine Verurteilung nicht ausreiche, sich am alltäglichen Leben im Kalifat zu beteiligen – damit sei man nicht automatisch Mitglied der terroristischen Vereinigung. Moldenhauer erklärte, dass bei ausgereisten Frauen die Natur ihrer Handlungen beim "IS" eine entscheidende Rolle für die Strafverfolgung spiele. "Neutrale" Handlungen wie das Erledigen des Haushalts seien hier von aktiveren propagandistischen Handlungen, wie dem Betreiben eines Blogs, zu unterscheiden.
Die an die Vorträge anschließende Diskussion im Plenum, wiederum moderiert von Janusz Biene, zeigte das rege Interesse an den Möglichkeiten des gesellschaftlichen Umgangs mit Rückkehrerinnen, an der deutschen Salafistenszene insgesamt und besonders an Ursachen der Radikalisierung. In einer lebendigen Diskussion forderten sowohl von der Heide als auch Dantschke erneut die Reintegration von Rückkehrerinnen. Die Gesellschaft dürfe niemanden brandmarken und müsse bereit sein, zu verzeihen. Das Plenum diskutierte außerdem den möglichen Umgang mit Kindern nach der Rückkehr sowie über Fragen der Kindeswohlgefährdung, etwa ob eine Gesetzesänderung bezüglich des Kindeswohls sinnvoll wäre. Darüber hinaus wurden insbesondere die Erkenntnisse der Radikalisierungsforschung kontrovers diskutiert: Claudia Dantschke nannte antimuslimischen Rassismus weniger eine Ursache, sondern vielmehr einen Push-Faktor für die Radikalisierung junger Menschen – und erfuhr prompt Widerspruch aus dem Publikum: Antimuslimischer Rassismus könne definitiv eine Ursache für Radikalisierung sein, hieß es von dort – wenn auch eine mögliche unter vielen.
"Zwei Schwestern" und ihre Radikalisierung – ein Abend mit Åsne Seierstad
- Åsne Seisterad, Autorin und Journalistin, Oslo
- Lesung: Rudolf Müller, Heine Haus, Düsseldorf
- Moderation: Volkmar Kabisch, Recherchekooperation von NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung, Berlin