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Heilsgeschichte | bpb.de

Heilsgeschichte

Streng genommen bezeichnet dieser aus dem jüd.-christlichen Denken entstammende Begriff eine Geschichtsinterpretation, die in der Menschheitsgeschichte eine Entwicklung auf ein Ziel außerhalb derselben sieht, eben zum Heil, zu dem jedes geschichtliche Ereignis in Beziehung gesetzt wird. Da der Islam (wie Judentum und Christentum) als Religion «in der Geschichte» (Rippin) gilt, kann im weiteren Sinne jede islamische Geschichtsschreibung als Heilsgeschichte gelten, die daher primär literarisch statt historisch zu lesen ist, wie John Wansbrough an den frühesten Texten gezeigt hat. Der Interner Link: Koran und die islam. Tradition ersetzt die unorganisierte histor. Erinnerung der Araber durch ein Geschichtskonzept, nach dem die Welt in ihrer zeitlichen Dauer begrenzt ist. Die Schöpfung markiert den Anfang, das Jüngste Gericht den Endpunkt der Geschichte. Die Geschichte besteht aus immer neuen Angeboten des Heils durch aufeinanderfolgende Propheten von Adam bis Muḥammad. In diesem zyklischen Geschichtsbild gibt es jedoch nach dem letzten Propheten keine Entwicklung auf ein Ziel jenseits der Geschichte hin, da der Inhalt der Offenbarung keine Geschichte hat. Eine feste Folge von sieben Zyklen von Propheten, in deren sechstem Muḥammad erschienen sei, lehrte die ­islam. Gnosis (Interner Link: Ismāʿīliten). Die Geschichte der islam. Gemeinde in der Nachfolge des Propheten ist als H. im Sinne einer Geschichte der auserwählten Gemeinschaft des Heils bezeichnet worden. Mit zunehmendem zeitlichen Abstand von der Zeit des Propheten empfanden die Muslime jedoch auch eine Entfernung vom Ideal der islam. Gemeinschaft. Der Widerspruch zwischen individuellem Heil, wie von Theologen versprochen, und der kollektiven Heilszusage der Geschichte wird nicht explizit aufgelöst. Das vormoderne islam. Geschichtsbild ist insofern säkular, als es den Verlauf der Geschichte in immer gleichen Bahnen sieht, die durch interne Gesetzmäßigkeiten bestimmt werden. Ihre Funktion als moral.-­didakt. Beispiel ist gleichzeitig religiös fundiert, da einerseits die Gesetzmäßigkeiten göttlichen Ursprungs sind, andererseits Gott darüber hinaus strafend und belohnend in den Geschichtsablauf ein­­greift. Als säkularisierte Form der H. hat K. Löwith den Fortschrittsglauben der Aufklärung ausgemacht, der auch in der islam. Welt rezipiert wurde. Modernist. Autoren haben die Verkündung des Interner Link: Islams durch Muḥammad als Fortschritt interpretiert. Neben die essentialist. Forderung nach der Rückkehr zum reinen Islam tritt im Sinne dieses Fortschrittsgedankens der Ansatz, den Motor des Fortschritts selbst im Islam zu entdecken.

Literatur: Löwith, K.: Weltgeschichte und Heilsgeschehen, 1953. – Wielandt, R.: Offenbarung und Geschichte im Denken moderner Muslime, 1971. – Wans­brough, J.: The Sectarian Milieu: Content and Composition of Islamic Salvation History, 1978.

Autor/Autorinnen:Prof. Dr. Gottfried Hagen, University of Michigan, Turkish Studies

Quelle: Elger, Ralf/Friederike Stolleis (Hg.): Kleines Islam-Lexikon. Geschichte - Alltag - Kultur. München: 6., aktualisierte und erweiterte Auflage 2018.

Fussnoten