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Podcast: Netz aus Lügen – Die Operation (3/8) | Digitale Desinformation | bpb.de

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Podcast: Netz aus Lügen – Die Operation (3/8)

Jochen Dreier

/ 31 Minuten zu lesen

Das gezielte Streuen von Falschinformationen ist nichts Neues. In der dritten Folge des Podcasts "Netz aus Lügen – Die Operation" reisen wir zurück in die Vergangenheit und nehmen die sogenannten "Aktiven Maßnahmen" des KGBs unter die Lupe. Sie sind wichtig, um zu verstehen, wie russische Desinformationskampagnen auch heute noch funktionieren – beispielsweise in der Ukraine, wo seit 2014 einer der größten Konfliktherde in Europa schwelt.

Netz aus Lügen - Die Operation (3/8)

Die globale Macht von Desinformation

Netz aus Lügen - Die Operation (3/8)

Das gezielte Streuen von Falschinformationen ist nichts Neues. In der dritten Folge des Podcasts "Netz aus Lügen – Die Operation" reisen wir zurück in die Vergangenheit und nehmen die sogenannten "Aktiven Maßnahmen" des KGBs unter die Lupe. Sie sind wichtig, um zu verstehen, wie russische Desinformationskampagnen auch heute noch funktionieren – beispielsweise in der Ukraine, wo seit 2014 einer der größten Konfliktherde in Europa schwelt.

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Transkript von "Netz aus Lügen – Die Operation (3/7)"

[00:00]

Zuspieler (ZSP) Barsky

"Und ich kann mich daran erinnern. Bei einem Besuch in Moskau, ich bin ja alle zwei Jahre wieder zurück für einen Monat bis zu sechs Wochen, in der Sowjetunion in Moskau, aber auch in Berlin gewesen. Bei einem dieser Besuche, da hatte ich also eine Unterhaltung über AIDS und mein Gesprächspartner, mit dem ich öfter da zu tun hatte, war total überzeugt, dass die sittenlose Lebensweise das Ding erzeugt hat und jetzt werden sie bestraft und glücklicherweise haben wir das nicht und das wollen wir auch nicht reinlassen. (...) Also die Lüge war genial. (...) Und die konnten sich keinen Grund vorstellen, warum ich nicht zurückkommen wollte."

Der Name dieses Mannes: Jack Barsky. Oder zumindest heißt dieser Mann heute Jack Barsky. Geboren wurde er 1949 als Albrecht Dittrich in der sächsischen Lausitz. Er war KGB-Spion im Kalten Krieg. Hat unter falscher Identität beim Klassenfeind in den USA gelebt. Bis er 1988 mit einer Lüge versuchte, sich dem sowjetischen Geheimdienst zu entziehen, um dort zu bleiben. Er erzählte, dass er sich mit HIV infiziert habe.

ZSP Barsky

"Zu der damaligen Zeit, AIDS konnte man nicht kurieren, das war ein Todesurteil. Man wusste, dass man davon sterben wird. (...) Die haben nicht ein einziges Mal gezweifelt. Ich wäre ja als Held zurückgekehrt, hatte viele Dollar-Ersparnisse, sie haben mir ein Haus versprochen. Ich hatte ja auch Familie in Deutschland."

Von dem Moment im Jahr 1988 lebte er zwar weiter undercover in den USA, versteckte sich aber auch vor dem KGB. Bis dieser zusammen mit der Sowjetunion unterging. In Deutschland wurde er noch zu DDR-Zeiten für tot erklärt. Seine Familie hier -- seine Mutter, seine Frau und Kinder -- wussten jahrelang nicht, was wirklich passiert war. Seine Mutter starb sogar, ohne zu erfahren, dass er noch lebt.
Erst als er 2016 die amerikanische Staatsbürgerschaft erhält, besucht er sein Heimatland und seine dort zurückgelassene Familie.
Was aber hat das Leben und der vermeintliche Tod eines Spions an HIV mit Desinformation zu tun?

Jingle: "Netz aus Lügen - Die globale Macht der Desinformation" - ein Podcast der Bundeszentrale für politische Bildung. Folge 3 – Die Operation

[02:45] Hallo, mein Name ist Ann-Kathrin Büüsker. In diesem Podcast reden wir über Desinformation, also Lügen, die Gesellschaften polarisieren sollen, sie zweifeln lassen an demokratischen Institutionen, an Parteien und dem politischen System. Und in dieser Folge reden wir über Russland. Oder besser: Wir reden wieder über politische Einflussnahme aus Russland. Der Regierung Putins werden seit vielen Jahren Desinformations-Kampagnen vorgeworfen. Wie eben die von uns in der ersten Folge vorgestellte "Operation Ghostwriter". Diese soll vom russischen Militärgeheimdienst GRU gesteuert sein. Kurz vor der Bundestagswahl Ende September beschuldigten alle EU-Länder Russland in einer offiziellen Mitteilung: "Solche Aktivitäten sind inakzeptabel, da sie versuchen die Integrität und Sicherheit, demokratische Werte und Prinzipien und die Kernfunktionen unserer Demokratien zu schädigen."

Wir haben uns jetzt lange mit den Techniken der russischen Politik und der russischen Geheimdienste beschäftigt und gemerkt: Will man diese verstehen, muss man dahin zurück, wo sie entstanden sind. In die Vergangenheit. In die Zeit des Kalten Kriegs:
Wir schauen auf eine Desinformations-Operation, die sich ein Virus zunutze gemacht hat, um Stimmung gegen die USA zu machen und sie im Inneren zu destabilisieren. Die Fronten verliefen im Kalten Krieg zwischen dem kapitalistischen Westen und den sozialistisch-kommunistischen Ländern. Die Vereinigten Staaten und die aus Moskau geführte Sowjetunion waren Gegenspieler, die mit ihrer Politik die ganze Welt beeinflussten.

[04:25]

ZSP Nehring

"Der erste Artikel, der wurde global eigentlich gar nicht wahrgenommen. Zum ersten Mal greifbar wurde das, das war eine indische Zeitschrift "The Patriot", die, wie man später herausgefunden hat, größtenteils vom russischen Geheimdienst KGB finanziert wurde, die hat einen Artikel gebracht, ich glaube 1983, der diese These vom künstlichen Ursprung von AIDS als Ursprung amerikanischer Biowaffen publiziert hat. Danach ist aber eigentlich gar nichts passiert, weil das eine relativ unbedeutende Zeitung war mit regionaler Leserschaft."

Christopher Nehring forscht über Geheimdienste und ist gerade Gastdozent des Medienprogramms Südosteuropa der Konrad-Adenauer-Stiftung an der Journalistischen Fakultät der Universität Sofia. Wir erreichen ihn über das Internet, auch genau da, in der bulgarischen Hauptstadt, in einem kargen Büro der Universität Sofia. Er erzählt von einer der größten und durchaus erfolgreichsten Desinformationskampagnen der Sowjets, der Operation Denver.

ZSP Nehring

"Das Ziel der AIDS-Test-Desinformationskampagne aus Moskau war ganz klar, quasi die USA zu diskreditieren. Sie hätten AIDS als Biowaffe künstlich entwickelt und an der Bevölkerung getestet und so in die Welt gesetzt. (...) In den 80ern, als die AIDS-Pandemie eigentlich so richtig hochstand, man aber gleichzeitig wenig über die Krankheit wusste und über das Virus, dann eben dort so ein bisschen das blame game gespielt wurde. Wer hat denn Schuld daran? Und da war es eben ganz klare Ziellinie aus Moskau, die Schuldfrage nach Washington zu schieben und das immer wieder mit unterschiedlichen aktuellen politischen Entwicklungen oder Streitfragen zu verbinden."

Die Operation des KGB wurde im Rahmen der sogenannten "Aktiven Maßnahmen" entwickelt. So wurden alle sowjetischen geheimdienstlichen Operationen genannt, die das Weltgeschehen beeinflussen sollten: aktivnye meropriyatiya.
Ein ganz wichtiges Element dabei: Desinformation.

Anfang der 60iger Jahre heizte sich der Kalte Krieg immer mehr auf. 1961 wird Ost-Berlin abgeriegelt, die Mauer wird gebaut. Auch die Geheimdienste rüsteten auf. 1962 wurde im KGB der Service A gegründet, die Spezialeinheit für Desinformation. Sie gehörte schon wenige Jahre später zu den aktivsten Abteilungen, mit mehreren hundert Operationen im Jahr.
Übrigens: Die USA haben das Wettrüsten auch im Bereich Desinformation mitgemacht und eine ähnliche Abteilung beim CIA gehabt. Auch auf dieser Seite gibt es die ein oder andere Geheimdienstaktion - zum Beispiel als der CIA den Roman "Doktor Schiwago" des russischen Nobelpreisträgers Boris Pasternak nach Russland brachte, wo er verboten war.

Aber zurück auf die Seite des KGB. Wer hier gute Ideen hatte, wie die USA diskreditiert werden können, der machte Karriere. Das schreibt Thomas Rid, in seinem Buch "Active Measures" - Aktive Maßnahmen. Der Deutsche forscht an der Johns Hopkins Universität in Baltimore. Und die befreundeten sozialistischen Geheimdienste wurden instruiert, ebenfalls solche Abteilungen aufzubauen. In der DDR, der Tschechoslowakei, Bulgarien, Polen oder Ungarn: Ende der 60er Jahre hatten die Geheimdienste dieser Staaten alle eine eigene Abteilung für Desinformation. Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR hatte ein internes politisch-operatives Wörterbuch, das die Sprachregelung der Behörde vorgab. Dort wurde Desinformation so definiert:

Zitat
"Die bewusste Verbreitung grundsätzlich oder teilweise unwahrer Informationen durch Wort, Schrift, Bild oder Handlungen mit dem Ziel, Aktivitäten und Kräfte des Feindes in eine dem Ministerium für Staatssicherheit genehme Richtungen zu lenken bzw. diese Kräfte zu verunsichern oder zu lähmen."

Nach Öffnung des Eisernen Vorhangs in den Jahren 1989 und dem endgültigen Ende der Sowjetunion 1991, öffneten sich auch die Archive. In der DDR, in Polen, der Ukraine, Tschechien und Bulgarien. In diesen Akten finden sich zahlreiche Belege für Desinformationskampagnen. Auch für die Operation Denver. Hier führten bulgarische Akten zum Durchbruch in der Aufarbeitung. Dort spürte Christopher Nehring eine Mitteilung vom russischen KGB an die bulgarische Staatssicherheit auf. Datiert auf den 7. September 1985.

Zitat
"Das Ziel der Maßnahmen ist die Erzeugung einer für uns günstigen Meinung im Ausland darüber, dass diese Erkrankung ein Resultat außer Kontrolle geratener geheimer Experimente der Geheimdienste der USA und des Pentagon mit neuen Arten biologischer Waffen ist."

Zwar war der bulgarische Geheimdienst nicht besonders aktiv bei der Operation Denver. Aber die Agentinnen und Agenten informierten sich untereinander über ihre Ideen und Aktionen. Und so finden sich in den Archiven anderer Länder oft wichtige Hinweise.

ZSP Nehring

"Das Archiv in Bulgarien war quasi der Schlüssel, mit dem wir da die Blackbox geknackt haben. Interessanterweise war der bulgarische Geheimdienst eigentlich kaum involviert, d.h. er hat zu dieser ganzen AIDS-Desinformationskampagne relativ wenig beitragen können. Aber worüber wir das eben rekonstruieren konnten, war, dass eben sowohl der KGB in Moskau als auch die Stasi in Ostberlin sich regelmäßig mit dem bulgarischen Geheimdienst getroffen haben und sich ausgetauscht haben über diese Operationen und dabei erzählt haben: Was haben wir schon gemacht? Was sollte man in Zukunft machen? Könnt ihr vielleicht bestimmte Produkte, die wir gesponsert haben, nochmal irgendwo verwerten? Also gibt es noch irgendwo einen Journalisten-Kontakt, dem man das zustecken könnte etc. Und dadurch, dass diese Unterlagen in Sofia erhalten waren, wohingegen sie ihn in Berlin eben zerstört wurden im Jahr 1990, konnte man das immer viel besser nachvollziehen."

Ihr erinnert euch, der Artikel in der indischen Zeitung 1983 blieb ja wenig beachtet. Die Story, das Virus käme aus einem US-Labor, die ein angeblicher amerikanischer Forscher in einem Leserbrief offenbarte, schlug nicht ein.

[10:20] Und trotzdem ist es wichtig kurz zu besprechen, warum eigentlich überhaupt zuerst eine kleine indische Zeitung genutzt und vom KGB finanziert wurde?
Darauf gibt es zwei Antworten: Erstens hilft der Blick auf die geostrategische Lage der damaligen Zeit. Pakistan und Indien waren verfeindet, hatten seit 1947 drei Kriege hinter sich. Es ging um Grenzen und wem welches Gebiet gehörte. 1947 hatte sich das ehemalige Kolonialreich Britisch-Indien erst unabhängig erklärt und dann in zwei Staaten geteilt, vor allem wegen religiöser Unterschiede. So entstanden das muslimische Pakistan und das hinduistische Indien.

Bei diesen Kriegen unterstützten die USA Pakistan, die Sowjetunion hatte sich auf die Seite Indiens geschlagen. Das muslimische Pakistan hielt die Kommunisten für Ungläubige, das hinduistische Indien war den Amerikanern zu sozialistisch. Es war wie fast überall zu Zeiten des Kalten Krieges zwischen dem kapitalistischen Westen und dem sozialistischen Osten: Wo eine Front war, da war es auch immer eine Front der feindlichen Großmächte.
Und deswegen sollte durch Desinformation in Indien die antiamerikanische und anti-pakistanische Stimmung noch aufgeheizt werden.

Und zweitens ist es eine typische Strategie, kleine und weniger wehrhafte Medienmärkte zu nutzen, um dort die Desinformation zu platzieren, sagt Christopher Nehring. Von dort kann sie dann weiter verteilt und vervielfältigt werden.

ZSP Nehring

"Das Ziel, das gibt's eben auch immer schriftlich, z.B. in den KGB-Unterlagen. Das große Ziel war ja nicht, dass die ihre ihr Ursprungsmaterial jetzt in einem in einem westlichen Qualitätsmedium unterbringen. Das hätten sie natürlich auch gemacht, wenn sie denn jemanden hätten kaufen können oder so. Aber normalerweise wäre das gar nicht durch die Redaktionen gekommen. Das Ziel war immer den indirekten Weg zu gehen. Also sie bringen es irgendwo ins Rollen, bei Randmedien, was eher im Untergrund läuft oder was schon als einschlägige Richtung bekannt ist. Also irgendwas Ideologisiertes zum Beispiel. Und von dort soll es weitere Kreise ziehen, also quasi so einen Domino-Effekt entwickeln, dass es dann jetzt aufgegriffen.(...) Und am Ende bezieht sich dann irgendein Qualitätsmedium auf eine andere Publikation, sodass überhaupt keine Verbindung zum KGB in diesem Fall gemacht werden könnte, weil sich die Zeitung X eben nur auf Zeitungen oder auf einen Forscher oder einen Experten oder wen auch immer bezieht. Und der Ursprung davon gar nicht mehr nachzuvollziehen ist."

Warum Mitte der 80iger plötzlich die Mühen der sozialistischen Geheimdienste neu aufflammen, hatte wohl verschiedene Gründe. Die erhaltenen Akten geben allerdings kein ganz klares Bild wieder.

Was vermutet werden kann: Die Sowjetunion musste sich 1985 selbst gegen US-amerikanische Vorwürfe wehren, gegen die Genfer Konventionen zu verstoßen und an Biowaffen zu forschen. Und durch die fortgeschrittene Epidemie war die Aufmerksamkeit auf das HI-Virus um ein Vielfaches höher. Und damit auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Geschichte dieses Mal nicht verpufft. Desinformations-Kampagnen kosten Ressourcen.

Die neue Offensive begann mit einem Artikel in der "Literaturnaja gaseta". Eine russische Wochenzeitung, die in den späten 80igern nach eigenen Angaben eine Auflage von bis zu sechs Millionen hatte. Im Oktober 1985 konnte man dort lesen: "Panik im Westen: Was steckt hinter der Sensation um AIDS?".
Der Artikel bezog sich auch auf den Leserbrief in der indischen "Patriot", aber es gab auch angebliche neue und brisante Informationen: Angestellte des amerikanischen Center for Disease Control hätten in Afrika gefährliche Viren gesammelt, wusste der Autor, und diese dann in Laboren zu neuen zusammengesetzt. Und damit nicht genug: Heimliche Tests wurden laut des Artikels an marginalisierten Gruppen in den USA und Haiti durchgeführt, an Drogenabhängigen, Homosexuellen und Obdachlosen.
Der Autor des Textes, Walentin Zapewalow schreibt:

Zitat
"Es ist vollkommen möglich, dass letzten Endes, wie dies wiederholt in der Vergangenheit der Fall war, eines der Opfer einen Prozess gegen das Pentagon und die CIA anstrengt und dann endgültig offenbar wird, dass alle AIDS-Kranken die Opfer eines weiteren unmenschlichen Experiments sind."

Wiederholt? Ein weiteres Experiment?
[13:45] Die Labor-These fiel nämlich auf fruchtbaren Boden. Und daran waren die USA selbst Schuld. Denn es gab heimliche Experimente und Bio-Waffen-Forschung in den Vereinigten Staaten. 1975 wurde veröffentlicht, dass die CIA in den 50igern LSD an unwissenden Menschen getestet hatte. Und ein berüchtigtes, menschenverachtendes Experiment an afroamerikanischen Menschen in der Zeit von 1932 bis 1972 wirkt bis heute nach: Die Tuskegee-Syphilis-Studie. Besser bekannt als das Tuskegee-Experiment.

Knapp 400 afroamerikanische Männer, die sich mit Syphilis infiziert hatten, wurden zwar beobachtet, aber nicht behandelt, auch dann nicht, als ein Medikament zur Verfügung stand. 200 weitere waren in einer Kontrollgruppe. Die Studie wurde von einer Abteilung des Gesundheitsministeriums der USA durchgeführt und sollte den Verlauf erforschen. Es wurde wissend in Kauf genommen, dass Menschen dabei durch die Krankheit zu Tode kamen. Diese Menschen waren größtenteils Landarbeiter, die weder lesen noch schreiben konnten, sie wurden nie über ihre eigentliche Krankheit aufgeklärt. Erst 1997 entschuldigte sich US-Präsident Bill Clinton für diese Studien und das Leid, das den Menschen im Auftrag der US-Regierung angetan wurde.

ZSP Clinton

"Heute gedenkt Amerika den hunderten von Männern, die ohne ihr Wissen und ohne Einwilligung für Forschungszwecke missbraucht wurden. Wir erinnern an sie und ihre Familienmitglieder. Männer, die arm waren und Afroamerikaner, mit wenigen Mitteln und wenig Alternativen. Sie glaubten Hoffnung gefunden zu haben, als ihnen unentgeltlich medizinische Hilfe vom Gesundheitsministerium der USA angeboten wurde. Sie wurden verraten."

Zurück zur Operation Denver: Es zeigt sich eine typische Taktik, die bei der Verbreitung von Desinformation angewendet wird: Es werden bereits vorhandene Ängste aufgegriffen, Vorbehalte und Vorurteile verstärkt. Es wird eben der fruchtbare Boden gesucht, für die Saat der Desinformation. Und so kam die Theorie von den Forschenden im Biolabor, die marginalisierte Gruppen in vollem Wissen mit einem neuen Virus infizierten, an.

Die Tageszeitung taz druckte am 18. Februar 1987 ein Interview mit Jakob Segal. Segal war Biologe an der Humboldt-Universität in Ostberlin. Er ging zusammen mit seiner Frau Lili Segal schon seit Jahren weltweit mit einer Studie hausieren, die die Laborthese beweisen sollte. In den bulgarischen Geheimdienst-Archiven gibt es Hinweise darauf, dass die Stasi mit den Segals zusammenarbeitete. Obwohl die Studie sachliche Fehler aufwies und wissenschaftlich als widerlegt galt: sie verfing in den Medien.

[17:45]

ZSP Nehring

"Und so gibt's quasi einen Schneeballeffekt. Das hat eben damals noch Jahre gedauert, bis sich dann ebenso die unterschiedlichen kleinen Aktionen und Bausteine hier eine unbedeutende Veröffentlichung, hier eine unbedeutende, irgendwann ins Rollen kommen und aufgegriffen wurden. (...)"

Der Schneeballeffekt ist natürlich das, was die Urheber der Lüge wollen. Einmal in der Welt, wird sie immer weiter verbreitet. 1989 läuft zum Beispiel eine westdeutsche Dokumentation im WDR und bei der BBC, die die Laborthese vom Ehepaar Segal ebenfalls vertritt.

Unter Gorbatschow und der vorsichtigen Öffnungspolitik der Sowjetunion gegenüber dem Westen, wurden die Bemühungen des KGB rund um die AIDS-Kampagne leiser. Auch weil sich die Regierung der USA direkt bei der Moskauer Führung darüber beschwerte. CIA Dokumente von 1988 zeigen, dass die USA Hilfe bei der Gesundheitsförderung und Forschung angeboten haben, darunter die Themen Alkoholismus und Drogen. Dafür sollte die Sowjetunion allerdings die AIDS-Desinformation einstellen. Ein für die Sowjetunion damals günstiger Deal. Denn die Sowjetunion war Ende der 80iger nicht nur in wirtschaftlicher Schieflage.

Es gab große Probleme, die Bevölkerung gesundheitlich zu versorgen. Alkoholismus war eine Volkskrankheit. Durch den Afghanistan-Krieg gab es Kontakt zu Opium und Heroin und mit den rückkehrenden Soldaten entstand eine der ersten Drogenszenen. Die wiederum vom Staat ignoriert wurde - so etwas gab es laut offizieller Propaganda nur im Westen!
Und genau so war es auch mit HIV. Das Narrativ, das Virus wäre eine Strafe für das unsittliche Leben, für Homosexualität und womöglich eh vom amerikanischen Militär erfunden, um schwarze Menschen zu schädigen. Das führte dazu, dass hinter dem Eisernen Vorhang kaum Aufklärung stattfand.

Und irgendwann fangen die Agentinnen und Agenten an, ihre eigenen Lügen zu glauben.

ZSP Nehring

"Es gab so einen ehemaligen Stasi-Offizier, der mal gesagt hat: Am schlimmsten war, dass wir am Ende angefangen haben, unsere eigenen Lügen zu glauben. Das hat er nicht nur auf die Stasi, sondern auf die ganze DDR bezogen. Aber das ist aus dem Mund eines Spezialisten für Desinformation schon ein ganz guter Anhaltspunkt."

Und vielleicht konnte sich deswegen der Spion Jack Barsky einem der mächtigsten Geheimdienste der Welt mit einer Ausrede entziehen, weil diese auf ihren eigenen Lügen und Vorurteilen beruhte.

ZSP Barsky

"Ich habe ihnen auch erklärt, wie ich den AIDS-Virus bekommen habe. Da gab es eine Frau, die ich schon beschrieben hatte, die kannten sie schon, mit Namen und wo sie wohnt. Und die hatte vor mir einen Freund, der war ein Drogensüchtiger. Und die hatte es von dem und wusste nicht, dass sie es hatte und dann habe ich es mir eingefangen. Das klang sehr wahrheitsgetreu."

Aber eine jahrelang gelebte und erzählte Unwahrheit hat Konsequenzen.

ZSP Barsky

"Da gibt es nicht viel zu prahlen. Ich habe ne ganze Menge Leuten Schaden zugefügt. Ich habe niemals jemanden körperlich verletzt, aber wie gesagt, seelisch. Und die Frau, die ich ja geliebt habe, in Deutschland, die ich tatsächlich am meisten geliebt habe, der habe ich ja am meisten Leid angetan. Aber man kann die Geschichte nicht zurückdrehen. Man kann sich nur wie ein guter Mensch benehmen und nicht den Unsinn zu wiederholen."

[21:30] Auswirkungen von Lügen kann man nicht zurückdrehen, sagt der Ex-Spion Barsky. Und wie ist das bei Desinformations-Kampagnen, wie bei der Operation Denver? Welchen Einfluss hatte sie?
Wir treffen den Historiker und Spezialisten für osteuropäische Geschichte Jan Claas Behrends auf einer Konferenz über Desinformation in Tutzing am Starnberger See. Im Hintergrund springen die letzten Mutigen ins Wasser.

ZSP Behrends

"(die) Geschichte hat sich relativ lang gehalten. Wurde aber eigentlich von der Wissenschaft recht schnell dekonstruiert. Ja, wie viel Misstrauen hat man da geschafft? Das war ja auch ne Kampagne, die ganz stark auf die dritte Welt gezielt hat, Afrika und Asien, wie viel Misstrauen gegenüber Amerika hat man da gesät? Das ist schwierig zu beurteilen. Welche Maßstäbe legen wir an, um das eigentlich nachzuvollziehen?"

Das ist ein grundlegendes Problem bei der Forschung über Desinformation: Empirisch und quantitativ festlegen, welchen Einfluss Kampagnen direkt auf die Einstellungen der Menschen haben. Es gibt aber Zahlen darüber, wie Menschen über AIDS zu verschiedenen Zeiten dachten, auch über die Laborthese.
2015 ergab eine Studie der American Public Health Association, dass immer noch Mythen bestehen, HIV wäre eine künstlich hergestellte Krankheit, um einen Genozid an afroamerikanischen Menschen auszuüben. Die Erfahrungen rund um das Tuskegee-Experiment spielen in der afroamerikanischen Community immer noch eine große Rolle. Das Vertrauen in das Gesundheitssystem ist nachhaltig beschädigt.

Manchmal ist es aber auch Popkultur, die Verschwörungsmythen rund um AIDS verbreitet: wie hier im Song Heard 'Em Say von Kanye West.

ZSP Kanye

"And I know that the government administers AIDS."

"Ich weiß, die Regierung verbreitet AIDS." Desinformation im Songtext. Doch ist das alles zurückzuführen auf die Operation Denver? Das ist nicht vollumfänglich mit Ja zu beantworten. Aber eben auch auf keinen Fall mit Nein! Für Minderheiten in den USA gibt es aus der Vergangenheit, wie am Tuskegee-Experiment gezeigt, viele gute Gründe misstrauisch gegenüber der Regierung zu sein. Auch struktureller Rassismus spielt da eine Rolle.

Aber genau auf diese Risse in Gesellschaften zielen solche Desinformationen. Sie müssen keine neuen Ängste und Zweifel hervorrufen, sie wollen bestehende verstärken.

Diese Gefahr wurde von den USA erkannt. In der Regierungszeit des republikanischen US-Präsidenten Ronald Reagan wurde eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die Active Measures Working Group, die Arbeitsgruppe Aktive Maßnahmen. Verschiedene Geheimdienste und Behörden sollten hier Gegenmaßnahmen entwickeln und Desinformation-Kampagnen frühzeitig erkennen. Die Operation Denver wurde zum Beispiel 1987 publikumswirksam bei einer Pressekonferenz der US-Regierung aufgedeckt. Staatliches Fact-Checking-TV.

ZSP US-Regierung

"The Third Story I would like to mention is the so-called AIDS Virus Disinformation. This is the story which alleges that the United States was responsible for the development of the AIDS virus as a part of a biological warfare program."

Doch nach dem Kalten Krieg, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, schien die Gefahr gebannt. Die Arbeit gegen Desinformation schien nicht mehr so wichtig zu sein. Der Westen hatte gesiegt und damit doch auch die freie Presse, die Wahrheit, die Fakten…?!
Die Arbeitsgruppe wurde 1992 eingestellt. Kurz vor der größten Medien- und Informationsrevolution seit dem Buchdruck - der Massenverbreitung des Internets und einer zunehmend digitalisierten Gesellschaft.

Die Geheimdienste Russlands hatten nicht vergessen, was der KGB im Kalten Krieg und zu Zeiten der Sowjetunion gelernt hatte. Die sogenannten “Aktive Maßnahmen” und mit ihnen die Verbreitung von Desinformation waren durchaus als erfolgreiche Operationen zu bewerten. Und viele KGB-Mitarbeiter fanden auch nach dem Ende der Sowjetunion in der russischen Föderation neue und einflussreiche Positionen. Ein ehemaliger KGB-Mitarbeiter sollte das Land sogar ab Anfang der 2000er Jahre jahrzehntelang prägen -- und als Präsident führen: Wladimir Wladimirowitsch Putin.

Stille

ZSP Nehring

"In Sachen Desinformation ist das einzige, was heutzutage neu ist, der technische Aspekt, sind die Folgen der Digitalisierung und dann eben auch die Auswirkungen, die es hat auf die Inhalte und Verbreitungswege hat. Aber das Grundprinzip ist ein und dasselbe. (...)
Das mit der AIDS-Kampagne habe ich angefangen 2012. Da bin ich gegen sehr viele Mauern gelaufen, gegen sehr viel Abneigung gegen das Thema: Das ist doch so Kalter Krieg, das ist doch ein Tabuthema, wir kooperieren doch heute alle. Und wir sind von Freunden umzingelt. Und das macht ja niemand mehr. Und das ist ja alles Verschwörungsglauben zu denken, dass das Gleiche immer noch weiter passiert. Und der Moment, in dem es gedreht hat, war die Ukraine-Krise 2014."

[26:20] Damals annektierte Russland die ukrainische Halbinsel Krim und begann einen Krieg um ein weiteres Stück Territorium im Osten des Landes. Die Situation wurde zu einem riesigen Prüfstein für die Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union. Alles begann im Winter 2013, kurz vor dem Jahreswechsel, mit dem Ausbruch einer Revolution in der Ukraine. Zentrum der Proteste war der Maidan-Platz in der ukrainischen Hauptstadt Kiew.

ZSP Vladymyrova

"Leute aus der ganzen Ukraine waren auf dem Maidan, nach Kiew gekommen. Haben da monatelang gelebt, da gab es eine richtige Wohn-Infrastruktur, was auch wichtig war, um den Widerstand aufrecht zu erhalten."

Mariia Vladymyrova lebt seit vier Jahren in Deutschland, studiert War and Conflict-Studies an der Universität Potsdam. Wir treffen die Studentin in Berlin, in der Nähe der Karl-Marx-Allee. Sie erzählt uns, dass sie oft denkt, "Hier könnte auch Kiew sein", wenn sie diese Gegend in Berlin sieht: Sozialistischer Klassizismus gemischt mit Platten aus den 60er Jahren. Vor dem Baubeginn reiste tatsächlich extra eine Delegation der DDR ins damalige Leningrad, Moskau und Kiew, um den sozialistischen Städtebau zu studieren….

Mariia selbst wohnt im Westteil der Stadt, in eine Platte bekommt man sie heute nicht mehr, sagt sie.
Ein Ausdruck der Sehnsucht nach Westen? Als sie gerade 18 Jahre alt war, brach auch deswegen 2013 eine Revolution in der Ukraine aus. Nachdem die Regierung des russland-nahen und korrupten Präsidenten Viktor Janukowitsch auf Druck Moskaus das Assoziierungsabkommen mit der EU nicht unterzeichnete, sammelte sich der Widerstand in der Hauptstadt, aber auch in den anderen großen Metropolen. Wie in Mariias Heimatstadt Dnipro, in der Ostukraine.

ZSP Vladymyrova

"Ich habe damals in Dnipro studiert, und eigentlich haben die großen Versammlungen dort etwas später begonnen. (...) Man konnte aber so fürs Wochenende nach Kiew auf den Maidan fahren, das haben meine Freunde und auch ich ein paar Mal gemacht. Also du machst die Revolution am Wochenende mit (lacht) und am Montag dann wieder, ja, in die Uni.
Aber dann hat die Gewalt in Kiew deutlich zugenommen Mitte Januar. Und dann haben auch die größeren Versammlungen in Dnipro angefangen. Und dann waren wir ab Mitte Januar auch jeden Tag auf dem sogenannten Dnipro-Maidan…"

Die Revolution der Würde, so wird der erfolgreiche Widerstand gegen die Regierung heute in der Ukraine genannt. Diese Revolution hat, kurz gesagt, komplexe Hintergründe und noch viel komplexere Auswirkungen.

Klar ist: Die Ukrainerinnen und Ukrainer wollten, dass ihr Land demokratisch regiert wird, sich der EU annähert. Sie wehrten sich gegen korrupte Oligarchen und wollten mehr Unabhängigkeit von Russland, dem großen Nachbarn.
[31:10] Der russischen Staatsführung dagegen ist eine demokratische Ukraine ein Dorn im Auge. Der Historiker Jan Claas Behrends nennt es die Vorstellung vom groß-russischen Reich.

ZSP Behrends

"Putin sieht Russland als Großmacht, ist ja fast schon eine Art Obsession, auf der gleichen Augenhöhe wie die USA gesehen zu werden. (...)
Und dann, sozusagen der zweite Teil, der mehr innenpolitisch ist, wäre dann schon der starke Staat, auch autokratisch von einer Person geführte Staat, mit einer tausendjährigen Geschichte, wo es immer starke Herrscher gab, ob die jetzt Putin, Stalin, Alexander der 2., Peter der Große oder Katharina die Große heißen, ist eigentlich egal. Es geht eben um diese Kontinuität russischer Staatlichkeit. (...) Was interessiert ist eben die lange Geschichte von Russland als starker Staat, der diese Region dominiert und zu dem dann eben auch nicht nur Kern-Russland gehört, sondern auch Sibirien, Belarus, die Ukraine, das sieht er als eine organische Einheit an. Und deswegen ist ja für Putin in seinen eigenen Worten die größte geopolitischen Katastrophe das Ende der Sowjetunion, weil das nach seiner Ansicht eben diese organische Einheit zerstört hat."

Dies im Hinterkopf zu haben, ist extrem wichtig, um zu verstehen, warum die Ukraine zu einem der größten Konfliktherde mitten in Europa geworden ist. Seit 2014 herrscht in der Ukraine Krieg. Völkerrechtswidrig wurde ihr ein Stück Land weggenommen, die Halbinsel Krim wurde von Russland annektiert. Außerdem haben ebenfalls von Russland unterstützte Paramilitärs zwei Regionen um die Großstädte Luhansk und Donetsk in der Ost-Ukraine unter ihre Kontrolle gebracht. Ca.14.000 Soldatinnen und Soldaten sowie Zivilisten haben bis Redaktionsschluss ihr Leben verloren. Mariia Vladymyrova hat diesen Konflikt damals zu Beginn im Jahr 2014 sehr nah gespürt.

ZSP Vladymyrova

"In Dnipro gibt es das größte Militär-Hospital und wenn die Gefechte im Sommer waren wirklich sehr schwer, dann konnte man immer diese Hubschrauber sehen, die die verwundeten Soldaten zum Hospital gebracht haben. (...) Und wir dachten damals schon sehr ernsthaft, nachdem die ersten Gefechte angefangen haben, dass es vielleicht auch in Dnipro passiert. Damals habe ich zu meinem Freund gesagt, unser Dnipro, wenn die Russen soweit gehen, dann müssen wir doch kämpfen."

Doch warum ist Desinformation ein so großes Thema in diesem Konflikt? Erinnern wir uns an Lutz Güllner von der East Stratcom, der Task Force der EU gegen Desinformation in Osteuropa. Der kam in der ersten Folge dieses Podcasts vor.

ZSP Güllner

"Es war 2016, als die Task Force geschaffen wurde. Da sollte man sich anschauen, wie funktionieren insbesondere die russischen Desinformationskampagnen bei unseren östlichen Nachbarn. Also das war die Zeit der Ukraine, die Annexion der Krim. Der Krieg begann in der Ostukraine und es gab ein massives Ja, wie soll ich sagen, ein flächendeckendes Ausführen von Desinformationskampagnen von russischen Akteuren in der Ukraine insbesondere."

ZSP Vladymyrova

"Wir saßen da alle zusammen und haben einfach den ganzen Tag russisches Fernsehen geschaut, mal weinen und mal Witze machen über die russische Berichterstattung. (...) Uns war schon bewusst, dass wir da historische Events erleben . (...) Am Ende des Tages haben wir Bier getrunken und vielleicht habe ich ein bisschen geweint, dass ich nie wieder auf die Krim fahren werde."

Galgenhumor und Trauer, ist was die damalige Jura-Studentin Mariia über die Tage im Februar 2014 beschreibt. Doch mit jedem Tag der Revolution, der Annexion und dem Krieg in der Ostukraine, im Donbass, entwickelten sich die Erzählungen und Wahrheiten immer weiter auseinander. Und das war so gewollt. Denn Desinformation prägte den Konflikt vorher und die weitere Entwicklung.

ZSP Gumenyuk

"Mein Name ist Natalia Gumenyuk, ich bin eine ukrainische Journalistin und Autorin, berichte über Konflikte und internationale Beziehungen. Ich habe unter anderem den unabhängigen Online-TV-Sender Hromadske gegründet und war dort Chefredakteurin."

Auch Natalia Gumenyuk ist auf der Konferenz im bayerischen Tutzing über Desinformation im Spätsommer 2021. Obwohl das Interview im traumhaften Englischen Garten vor dem Schloß Tutzing stattfindet, die Morgensonne sich durch den Nebel gebissen hat und den Starnberger See hellblau aufleuchten lässt, ist die Ukrainerin angespannt. Das Thema bewegt sie seit Jahren.

ZSP Gumenyuk

"Was während der Revolution der Würde und der Annexion der Krim passiert ist, das war nicht einfach nur die politische Verzerrung, die du in den ukrainischen Medien schon immer sehen konntest. Es war die komplette Neuerfindung einer anderen Realität. Die russischen Medien haben ausgedachte Falschmeldungen verbreitet.
Unglücklicherweise haben wir international, nicht nur in der Ukraine, unglaublich viel Zeit damit verbracht, das zu erklären. Ich hatte ewige Gespräche mit auswärtigen Journalistinnen und Journalisten, die einfach nicht einsehen wollten, dass russische Medien sich tatsächlich Geschichten ausdachten, einfach lügten."

Im April 2014 beobachtete auch das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte, dass russische Medien Propaganda und Hass gegenüber der Ukraine verbreiteten. Darunter der ständig wiederholte Vorwurf, die Ukraine wäre von Faschisten übernommen worden, der Maidan von Faschistinnen und Faschisten unterwandert gewesen. In Putins Russland, wo der Sieg über die Nationalsozialisten, der große vaterländische Krieg, ein elementarer Bestandteil der Staatsräson ist, ist Faschismus ein immer wiederkehrender Vorwurf.
Und so wurde die Annexion der Krim von Russland auch mit diesem Argument untermauert, sagt die UN.

ZSP UN

"Der TV-Kanal "Rossiya" hat die Ukraine als ein Land beschrieben, "das von Faschisten überlaufen wäre", hat dabei Informationen über die eigentlichen Vorkommnisse in der Ukraine verschleiert, und behauptet, dass ethnische Russen in der Ukraine bedroht und in körperlicher Gefahr wären. Das würde die, in Anführungsstrichen, Rückkehr der Krim in die Russische Föderation rechtfertigen."

Schon Anfang März 2014 wurden auf der Halbinsel ukrainische Sender geblockt und russische übernahmen die Frequenzen.
Und so wurde von russischer Seite behauptet, die Soldaten, die ohne Hoheitsabzeichen auf der Krim einmarschierten, seien nicht russisch. Dabei konnten finnische Journalistinnen und Journalisten die Soldaten sehr schnell über ihre Ausrüstung den russischen Spezialkräften zuordnen.

Und: Präsident Wladimir Putin gab das Narrativ selbst vor. In einer Rede am 18. März 2014 zur Lage der Nation genau nach der Übernahme der Halbinsel Krim.

ZSP Putin

"Allerdings verfolgten diejenigen, die hinter den jüngsten Ereignissen stehen, andere Ziele: Sie bereiteten einen Staatsstreich vor und planten die Machtergreifung, ohne vor irgendetwas Halt zu machen. Terror, Morde und Pogrome wurden als Mittel eingesetzt. Die Hauptinitiatoren des Staatsstreichs waren Nationalisten, Neonazis, Russophobe und Antisemiten. Sie sind es, die heute das Leben in der Ukraine bestimmen.

[36:20]

ZSP Gaufman

"Information Noise, Infoshum auf Russisch, das ist eine Strategie, um eigentlich möglichst viele Szenarien oder Versionen von der Gegenwart zu streuen, damit man nicht mehr weiß, was eigentlich passiert ist. Zum Beispiel mit die, äh, MH 17 (...) der Flugzeug, das über Ukraine abgeschossen wurde. Dann gab es unheimlich viele Versionen im russischen Fernsehen und man wusste eigentlich nicht, was ist eigentlich passiert.."

Elizaveta Gaufman ist Professorin für Russischen Diskurs und Politik an der Universität Groningen. Geboren wurde sie in Krasnodar, in Südrussland.
Ihre wichtigste Publikation: Security Threats and Public Perception - Digital Russia and the Ukraine Crisis. Ein Buch darüber, wie der Ukraine-Konflikt medial in Russland verarbeitet wurde, wie Sicherheitsinteressen und Bedrohungen dargestellt und begründet werden.

ZSP Gaufman

"Ich war eigentlich damals genau in Russland. Ein paar Tage vorher bin ich mit einem Flugzeug von München nach Krasnodar geflogen. Und ich bin genau über diese Region geflogen. Und ich saß im Flugzeug neben einem Veteranen aus dem russischen Afghanistankrieg. Und der hat die ganze Zeit, drei Stunden oder so, Witze darüber gemacht, dass er hofft, dass wir nicht abgeschossen werden.
Das war nicht so ein gutes Gefühl, muss ich sagen. Und dann einige Tage später als ich angekommen war, schalte ich Fernsehen ein und sehe, es wurde ein Flugzeug abgeschossen. Eine der ersten Versionen im russischen Fernsehen war: Dass die ukrainischen Kräfte dachten, dass es ein Flugzeug von Putin war und sie Putin abschießen wollten. Weil Putin damals aus Warschau nach Moskau flog. Aber es macht keinen geografischen Sinn. Wenn man einfach die Landkarte ansieht, wo ist Warschau, Moskau, wo die Ost-Ukraine. Aber das war eine der ersten Versionen. (...) Und danach folgten mehrere andere Versionen. Man weiß dann halt nicht mehr, was man glauben soll."

Bis man nicht mehr weiß, was eigentlich stimmt. So lässt sich das Ziel von Desinformationskampagnen sehr schlüssig zusammenfassen. Die Lügen bauen auf Vorurteilen auf, auf Ängsten und Zweifeln, schüren diese und wollen weiter spalten.
Seit der Krimkrise sind jetzt schon 7 Jahre vergangen. Dennoch gilt die Ukraine in den russischen Medien immer noch als ein Lieblingsziel für Desinformation. Aber heute wird mit anderen Erzählungen Stimmung gemacht. Zum Beispiel mit der gern benutzten, homophoben und herabwürdigenden Bezeichnung für die EU: "Gayropa".
Ein Beispiel: Anfang des Jahres 2021 ließ sich der heutige Präsident Wolodymyr Selenskyi impfen, wie viele Staatschefs damals, medienwirksam vor der Kamera. Mit komplett freiem Oberkörper. Den russischen Medien fiel etwas auf: Der ukrainische Präsident hatte eine glattrasierte Brust.

Die Rasur wurde folgendermaßen interpretiert: Echte Männer machen das nicht. Selenskyi ist also kein echter Mann, also auch kein starker Präsident, geradezu gar kein echter Präsident, so wie auch der ukrainische Staat keine echte Nation ist. Da sieht man auch den Einfluss aus dem Westen. Männer werden verweiblicht, sind homosexuell…Wer sich mit Gayropa zusammentut, der weicht ab von traditionellen Werten. Und der Hüter der traditionellen Werte, das ist Russland, nicht der Westen.

[41:55]

ZSP Spahn

"Spätestens seit der Annexion der Krim ist der Westen ein Feindbild in russischen Medien. Und hier ist es eben ganz wichtig zu betonen, dass Russland eben für traditionelle Werte steht, während der Westen angeblich dekadent ist, dass Lesben und Schwule übermäßige Freiheit genießen und andere Narrative, die da verbreitet werden. Und da gibt es viele Thinktanks und Akteure, auch in Deutschland, die diese Narrative verbreiten."

Susanne Spahn ist Journalistin und Politologin. Sie hat mehrere Studien zum Einfluss russischer Medien in Deutschland geschrieben. Denn der Informationskrieg, die Deutungshoheit über zum Beispiel den Ukraine-Konflikt, der wird auch in Deutschland und international ausgefochten. Dafür hat Russland ein großes Netz an Auslandssendern und Social Media-Kanälen geflochten.

ZSP Spahn

"Ich denke das mit Abstand bedeutendste Medium ist RT DE. Hier beobachte ich seit Jahren rasant steigende Nutzerzahlen. Mittlerweile haben sie auf den wichtigsten Social-Media-Plattformen mehr als 1,2 Millionen Nutzer. Das ist ein beachtliches Ergebnis. Sputnik ist weniger einflussreich, rangiert eher in der mittleren Liga. Aber sehr aktiv sind auch die zwei Social-Media-Kanäle, redfish und maffick. Die wurden auch 2018 in Berlin registriert. Die sprechen eher ein internationales Publikum an, weil sie auf Englisch laufen. Hier sieht man aber auch, wie Russland es versteht, mit verschiedenen Kanälen eben ein sehr unterschiedliches Publikum zu erreichen. Während RT DE sich eher in eine rechte Richtung entwickelt hat, sieht man ganz klar, dass hier ein Ausgleich geschaffen wurde mit Redfish, der mit sozialkritischen Themen ein eher linkes Publikum erreicht."

All diese Kanäle und Sender sind durch den russischen Staat finanziert. Auch wenn das gerne verschleiert wird. Russia Today gibt über sich selbst an, zwar "ein russisches Medium" zu sein, aber dabei eine “autonome, gemeinnützige Organisation, die aus dem öffentlichen Haushalt der Russischen Föderation finanziert wird.” Das klingt weitaus harmloser als es die Chefredakteurin Margarita Simonjan von RT ausdrückt. Sie sagte, RT sehe sie wie ein "Verteidigungsministerium" des Kremls, "eine Waffe wie jede andere auch".

Während unserer Recherche für diesen Podcast passiert dann Folgendes:

ZSP Seibert

"Ich möchte ganz klar sagen, das ist eine Entscheidung von Youtube, die Bundesregierung hat damit nichts zu tun. Wer was anderes sagt, der bastelt sich eine Verschwörungstheorie zurecht."

Regierungssprecher Steffen Seibert kommentiert hier die Entscheidung, dass der zu Google gehörende Videodienst Youtube am 29. September 2021 die Kanäle von RT Deutsch gesperrt hat. Dieser hat wiederholt Falschinformationen rund um Covid-19 Impfstoffe geteilt, ihre Wirkung hinterfragt oder klein geredet hat. RT Deutsch ist auch nicht der einzige Kanal, der gesperrt wird. Darunter sind auch amerikanische, wie der des Rechtsanwaltes Robert F. Kennedy Junior, einem Neffen des amerikanischen Präsidenten.

Doch Youtube soll auf Druck von Deutschland gehandelt haben, heißt es aus Russland: RT Chefredakteurin Margarita Simonjan nutzt einmal mehr radikale Worte und schreibt in ihrem Telegram-Kanal: "es ist ein Medienkrieg gegen Russland, der vom deutschen Staat erklärt wurde,” Auch das russische Außenministerium spricht von einer "beispiellosen Informations-Aggression, die von der deutschen Regierung mindestens wissend in Kauf genommen wurde, vielleicht sogar auf deren Forderung hin ausgeführt". Dabei sagt Youtube, das Unternehmen handele nur nach seinen allgemeinen Nutzungsbedingungen, die ein Verbot von Fehlinformationen rund um Covid-19 einschließen.
Dass der Ton der Regierung und der Chefredakteurin eines Medienunternehmens sich so ähneln: Kein Zufall!

Die russische Investigativ-Plattform "Projekt" berichtete, wie stark aus dem russischen Präsidialbüro die Themen für die In- und Auslandspresse vorgegeben werden. Immer donnerstags soll es ein Treffen geben, wo Alexey Gromov, Stellvertretender Stabschef der Präsidialverwaltung, die Themen vorgibt. Unabhängig ist anders.
Das Mediensystem des heutigen Russlands erinnert tatsächlich sehr an die Zeiten der Sowjetunion: Gesteuerte Staatsmedien, halb-verschleierte, aber von Russland finanzierte Auslandsmedien und dazu noch Troll-Fabriken und Hacking-Kampagnen, wie die, die wir in Folge 1 vorgestellt haben. "Aktive Maßnahmen" sind immer ein ganzes Bündel von Aktivitäten.

Und die unabhängige, russische Inlandspresse sowie die Meinungsfreiheit wird immer mehr eingeschränkt.

ZSP Spahn

"Es werden unliebsame Seiten geschlossen. Und man muss vor allem auch Angst haben, seine Meinung zu äußern, weil man für unliebsame Posts Strafen kassieren kann, bei Wiederholung sogar tatsächlich ins Gefängnis kommt. Also für einen Post wie "die Krim ist ukrainisch", da gab es Fälle, dass diese Autoren ins Gefängnis gekommen sind und das mit ihrer Freiheit bezahlt haben.
Also mit Ausnahme einiger unabhängiger Medien, Nowaja Gaseta oder eine Investigativ-Plattformen wie Projekt oder The Insider, das sind so einige wenige Medien, die im Internet noch aktiv sind. (...) Die aber zunehmend das Problem haben, wie Medusa, zum ausländischen Agenten erklärt zu sein und das heißt eben konkret, dass man bei jedem Beitrag, kommt dann eine Riesenrubrik, dass dieses Medium ein ausländischer Agent ist und welche Folgen das nach sich zieht. Eine klare Diffamierung.
Gerade zu Sowjetzeiten wurden ja immer die sogenannten Volksfeine und Kritiker als ausländische Agenten dargestellt und diffamiert."

Warum Russland so viel Aufwand betreibt, um die Meinung innerhalb des Landes und das Bild nach außen zu steuern und zu kontrollieren, hat viel mit dem Präsidenten zu tun, erklärt der Historiker Jan Claas Behrends, den wir schon vorhin gehört haben.

ZSP Behrends

"Es ist jetzt ein sehr personalisiertes System in Russland. Und da ist das Problem, dass Putin genau weiß, eben weil er sich so sehr für Geschichte interessiert, er darf keine Schwäche zeigen gegenüber außen. Putin weiß, als Chrustschow die Schiffe vor Kuba hat umkehren lassen, ein halbes Jahr später haben seine Genossen ihn weggeputscht, weil sie gesehen haben, der Nikita Sergejewitsch ist ja doch ein wenig schwach, der hatte Angst vor dem Kennedy. Deswegen wird Putin nie aus dem Donbass oder so rausgehen. Dabei weiß er vermutlich, dass der Donbass ein Fehler war. Man ist da reingegangen und hat sich dann fest gekämpft. Das wird er nie eingestehen können."

Putins Russland muss also auch die Narrative für diesen Konflikt weitererzählen, den Krieg im Donbass, in der Ostukraine, weiter legitimieren.
Die Ukrainerin Mariia Vladymyrova, die ihn persönlich fast vor der Haustür erlebt hat, ist allerdings überzeugt, Russlands Desinformationskampagnen haben die Ukraine nur bedingt geschwächt.

ZSP Vladymyrova

"Offensichtlich doch seit sieben Jahren hält das Land ganz gut zusammen, dann ist es nicht so leicht zu spalten (lacht). Aber den konventionellen Krieg, den gewinnt Russland auch nicht."

In Deutschland ist die Corona-Krise ein Wendepunkt gewesen, meint die ukrainische Journalistin Natalia Gumenyuk, die sich mit ihrer Arbeit seit Jahren gegen Desinformation stellt.

ZSP Gumenyuk

"Jetzt ist es super einfach mit jedem darüber zu sprechen, nachdem es alle in ihren eigenen Ländern erlebt haben. Endlich haben es auch die Deutschen gecheckt! Sie haben es mit Corona erlebt. Es hat echt einige Zeit gedauert, aber jetzt haben alle die Erfahrung gemacht. Die Briten mit dem Brexit, die Amerikaner mit Trump, die Franzosen bei der letzten Präsidentschaftswahl. Und jetzt wird auch in den wichtigsten Nachrichtenmedien in Deutschland darüber berichtet, dass Falschmeldungen und erfundene Geschichten über Corona verbreitet werden."

Desinformationskampagnen gibt es schon lange, doch was sich im Kalten Krieg erstmals verändert hat, war die Größe der Operationen und damit der Versuch, globalen Einfluss zu erreichen. Es wurden sehr viele Ressourcen genutzt, Geheimdienste vieler Länder arbeiteten zusammen. Die Methodik wurde dann im Zeitalter der Massenmedien und des Internets einfach fortgeführt. Vorurteile, Gerüchte und Falschinformationen werden von Medien aufgegriffen, weitererzählt, verbreitet und damit gestärkt und Risse in einer Gesellschaft - sollten die die Desinformantinnen und Desinformanten erfolgreich sein - damit vergrößert.

[51:40] Und so beobachtet auch der Spion Jack Barsky, der ja heute immer noch in den USA lebt, Desinformationskampagnen - er hört von ihnen im Radio."

ZSP Barsky

"Ich habe es mir im Radio angehört. Und in dem Moment, wo ich das gehört habe, habe ich gedacht, so ein Blödsinn. Das war keine Machtübernahme, unmöglich, die Leute waren nicht bewaffnet, das waren Rowdys. Dumme Rowdys. Und unser Ex-Präsident trägt natürlich Schuld, weil er diese Rally nie hätte abhalten dürfen. Das war klar, dass da Radikale unter seinen Anhängern waren, die was Dummes machen. Aber die ganze Sache hat der Welt gezeigt, dass was bei uns nicht in Ordnung ist, das war ein Symptom, die Spaltung ist viel tiefer."

Aber darum geht es erst in der nächsten Folge. Da schauen wir nämlich in das Land of the Free und fragen uns: Wie konnte es zu dem Sturm aufs Kapitol kommen?

Das war die dritte Folge von "Netz aus Lügen - die globale Macht der Desinformation".

Diese Folge wurde geschrieben von Jochen Dreier.
Geheimdienstrecherchen: Sylke Gruhnwald. Redaktion BPB: Marion Bacher. Audio-Produktion: Lenz Schuster. Fact-Checking: Johanna Bowman. Produktionshilfe: Lena Kohlwes.

"Netz aus Lügen - die globale Macht der Desinformation" ist ein Podcast der Bundeszentrale für politische Bildung, produziert von Kugel und Niere. Ich bin Ann-Kathrin Büüsker und wenn ihr Feedback zu dieser Folge habt, schreibt uns doch unter E-Mail Link: podcast@bpb.de. Bis nächstes Mal.

Theme
Ah. Eine kleine Sache post scriptum noch, nur um zu zeigen, wie Fehlinformationen sich fortsetzen können.
Die HIV-Operation des KGBs, die hatte einen offiziellen Decknamen in den Akten: Operation Denver.
Bekannt geworden ist sie aber unter dem falschen Namen "Operation Infektion"! Das klingt griffig. Aber als Deckname doch ein bisschen sehr auf die zwölf.
Und das kam so: Der ehemalige Stasi-Offizier Günter Bohnsack erwähnt Mitte der 90iger einem US-Historiker gegenüber die Kampagne und nennt sie “Operation Infektion”. Ob absichtlich falsch oder er es nicht besser wusste oder sich in dem Moment vertan hat, unklar. Bohnsack ist 2013 verstorben. Aber die Bezeichnung ist geblieben. Manchmal setzt sich fest, was griffig klingt. Richtig ist es deswegen noch lange nicht.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Jochen Dreier ist Audiojournalist. Er arbeitet als Redakteur und Reporter für das Deutschlandradio und weitere öffentlich-rechtliche Sender. Außerdem entwickelt, schreibt und produziert er Podcasts für u.a. Audible und Der Spiegel.