Kampf gegen die Hydra? Der Staat und der Rechtsextremismus
Das Grundgesetz konzipiert das Parteiverbot als Hauptinstrument gegen politischen Extremismus. Dessen Einsatz ist aber riskant. Die Möglichkeiten unterhalb dieser Schwelle sollten nicht aus dem Blick verloren werden.Einleitung
Wie kaum eine andere liberale Demokratie definiert sich die Bundesrepublik aus der Abgrenzung gegen eine totalitäre Vergangenheit und der entschiedenen Absage an jeden Rechtsextremismus. Wie viele andere solcher Demokratien ist aber auch Deutschland in Wellenbewegungen mit den unterschiedlichsten Erscheinungsformen eines solchen Extremismus konfrontiert. Die dazugehörigen Einstellungen - von Sympathien für autoritäre Strukturen bis hin zu antisemitischen und fremdenfeindlichen Tendenzen - reichen sogar bis in die Mitte der Gesellschaft hinein, wie alle entsprechenden Erhebungen der vergangenen Jahre relativ zuverlässig ergeben haben.[1] Mit den Mordanschlägen der "Zwickauer Terrorzelle" ist ihre öffentliche Wahrnehmung in eine neue Phase getreten. Seitdem wird die Frage, ob der Staat gegen den Rechtsextremismus alles getan hat, was er tun konnte, anders beantwortet, als sie vorher beantwortet wurde.Doch nicht alles, was hier theoretisch denkbar ist, ist auch rechtlich und praktisch möglich. Vielmehr sind Hindernisse verschiedener Art zu beachten: Grenzen aus der Freiheit und Offenheit des politischen Prozesses, die Grundrechte, die auch für Rechtsextremisten gelten, Gesichtspunkte der Praktikabilität und Angemessenheit. Nicht zuletzt muss in einer liberalen Ordnung jedes Einschreiten abgewogen werden gegen die Einschränkungen an Liberalität, die mit ihm verbunden sind. Vor diesem Hintergrund lohnt ein Überblick über das, was rechtlich möglich ist, was bereits getan wird und was in Zukunft noch getan werden könnte oder vielleicht zu tun wäre.
Parteiverbot
Derzeit richten sich die größten Hoffnungen auf ein Verbot der NPD, als seien die Probleme im Wesentlichen gelöst, wenn diese nur erst aus dem Weg geräumt wäre. Das deckt sich mit dem Selbstbild der NPD, die sich als die Speerspitze der deutschen Rechten sieht. Tatsächlich greift sie ein gutes Viertel der Mitglieder der Szene ab, sie ist in zwei Landtagen vertreten, in einigen Landstrichen Ostdeutschlands sind ihre organisatorischen Strukturen denen der Volksparteien schon überlegen.[2] Ein erfolgreicher Verbotsantrag setzt allerdings nach Art. 21 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) den Nachweis der Verfassungswidrigkeit gegenüber dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) voraus; kann er nicht geführt werden, erübrigt sich alles weitere Nachdenken darüber. Welche Probleme sich hier auftürmen, mag man daran ablesen, dass ein Verbot der DVU, der anderen Partei des Spektrums, nirgends in Erwägung gezogen wird, obwohl diese mit der NPD bis zu strategischen Absprachen bei Landtagswahlen eng kooperiert und eine Fusion beider Parteien letztlich nur aufgeschoben erscheint.Über den Wortlaut des Art. 21 Abs. 2 GG hinaus setzt ein Verbot jedenfalls eine "aktiv kämpferische, aggressive Haltung" der Partei gegenüber der bestehenden Ordnung voraus, die unter anderem zu belegen wäre durch eine Gesamtbetrachtung von offiziellem Parteiprogramm, sonstigen parteiamtlichen Erklärungen, Reden von Funktionären und einfachen Mitgliedern, verwendetem Schulungs- und Propagandamaterial, Schriften der als maßgebend angesehenen Autoren, Verhalten einzelner Mitglieder sowie Einstellungen der Basis.[3] Dazu ließe sich im Falle der NPD sicher einiges an Belastungsmaterial finden; die sozialdemokratisch geführten Innenministerien haben es, soweit es aus öffentlichen Quellen bezogen werden kann, schon vor drei Jahren auf eine suggestive Weise zusammengestellt.[4] Es wäre allerdings in einem Verbotsverfahren auf seine mögliche Repräsentativität für die Gesamtpartei zu befragen und vor allem abzuwägen gegen die vorauseilenden Bekenntnisse zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, die etwa das offizielle Parteiprogramm neben offen oder verdeckt völkischen Parolen durchaus auch enthält.[5]
Eine erfolgversprechende Prozessstrategie würde angesichts dessen wesentlich darauf setzen müssen, eine Verbindung der NPD zum Rechtsterrorismus oder anderen gewaltbereiten Teilen der Szene zu belegen. Dafür wird es aber nicht ausreichen, dass ein oder zwei Helfershelfer der "Zwickauer Zelle" früher einmal Mitglieder oder auch Funktionäre der NPD oder ihrer Jugendorganisationen waren, zumal die Verbrechen selbst lange zurückliegen. Stattdessen käme es auf eine programmatische, strukturelle oder organisatorische Verzahnung an; zumindest müsste nachgewiesen werden, dass die NPD das Klima für politisch motivierte Gewalt vorbereitet hat, mit ihr stillschweigend sympathisiert oder sie hinnimmt. Das erforderte allerdings eine Ausforschung des Innenlebens der Partei, also etwa nachrichtendienstliche Kontakte zu führenden Parteimitgliedern oder auch ihre Rekrutierung als sogenannte Verbindungsleute (V-Leute). Gerade dem hat das BVerfG - genauer gesagt eine relevante Sperrminorität von drei Richtern - im bislang letzten und ebenfalls gegen die NPD gerichteten Parteiverbotsverfahren 2003 jedoch einen Riegel vorgeschoben. Danach müssen die Verfassungsschutzämter rechtzeitig vor Einleitung des Verbotsverfahrens - spätestens mit der öffentlichen Bekanntmachung der Absicht, den Antrag zu stellen - und während des gesamten Verfahrens eingeschleuste V-Leute zurückziehen und auf jede mit weiterer Informationsgewinnung verbundene "Nachsorge" verzichten.[6]
Die antragsberechtigten Organe stürzt dies in ein kaum lösbares Dilemma: Damit der Antrag hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, muss man die Partei ausforschen; forscht man sie aber aus, könnten die Anforderungen verfehlt werden, die das BVerfG an ein rechtsstaatsgemäßes Verfahren stellt.[7] Darüber hinaus sind, wenn der Antrag scheitert, die entsprechenden Quellen abgeschaltet und die Aussichten weiterer Überwachung erst einmal dahin. Nimmt man noch den Auftrieb hinzu, den ein nochmaliges Scheitern der NPD verschaffen würde, könnte ein Verbotsverfahren vollends zum Bumerang werden.