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Brisante Sprache? Deutsch in Palästina und Israel

Arndt Kremer

/ 15 Minuten zu lesen

Die Geschichte der deutschen Sprache in Palästina und Israel ist älter, als gemeinhin angenommen wird. Während sie lange Zeit unerwünscht war, bedeutete sie für viele Vertriebene ein Stück Heimat.

Singuläre Ereignisse eignen sich nicht für Verallgemeinerungen. Aber sie eignen sich durchaus für Symbolik. Und das deutsch-israelische Verhältnis ist nach den Schrecken der Shoah hochgradig symbolisch aufgeladen. Kleinste rhetorisch-symbolische Verfehlungen, geringfügigste Unebenheiten können zu kommunikativen Katastrophen führen. Wie sehr sich jedoch die diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und Deutschland seit ihrer offiziellen Aufnahme 1965 entwickelt haben, und zwar positiv, lässt sich gut an drei Ereignissen aufzeigen, die einige Jahre auseinander liegen – und die symbolisch reichste und fragilste Ebene betreffen: die Sprache.

Noch bevor Bundespräsident Johannes Rau am 16. Februar 2000 als erster nichtjüdischer Deutscher überhaupt in der Knesset sprechen durfte, und das auch noch in seiner Muttersprache, hatte es heftige Proteste gehagelt. Der Likud-Abgeordnete Danny Navh merkte an, dass die Zeit noch nicht gekommen sei, um in der Knesset Deutsch zu sprechen und zu hören, und für den ehemaligen Parlamentspräsidenten Dov Shilanski bedeutete die Rede eines deutschen Politikers in deutscher Sprache gar "eine Schändung des Holocaust-Andenkens." Der Sondersitzung selbst, in welcher Rau das israelische Volk um Vergebung für die Verbrechen des Nationalsozialismus an den Juden bat, blieb ein Drittel der Abgeordneten fern.

Auch die Rede des auf Rau folgenden Bundespräsidenten Horst Köhler am 2. Februar 2005 geriet schon im Vorfeld in die Kritik, weil Köhler Deutsch sprechen wollte. Gesundheitsminister Dani Naveh kündigte seinen Boykott der Feier zum 40-jährigen Bestehen diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und Deutschland an, und der stellvertretende Parlamentspräsident Hemi Doron brachte die Gefühle vieler anderer Shoah-Überlebender zum Ausdruck, als er in der Tageszeitung "Ma’ariv" schrieb: "Ich kann es nicht ertragen, diese Sprache im Abgeordnetenhaus des jüdischen Volkes zu hören."

Angela Merkels Rede in der Knesset am 18. März 2008, die sie wie Köhler mit einem Gruß auf Hebräisch begann und auf Deutsch fortführte, war indes schon kaum mehr von Protesten begleitet. Und als am 12. Februar 2014 der deutsche EU-Parlamentspräsident Martin Schulz in der Knesset eine Rede hielt, wiederum auf Deutsch, kam es zwar zu einem Eklat, bei dem elf Mitglieder der rechten Regierungspartei "Jüdisches Heim" während der Rede demonstrativ und lautstark den Saal verließen. Dies jedoch war kritischen Äußerungen von Schulz zur israelischen Siedlungspolitik und zum ungleichen Wasserverbrauch von Israelis und Palästinensern geschuldet. Zwar merkte die israelische Kulturministerin Limor Livnat von der Likud-Partei an, dass der Protest der israelischen Abgeordneten verständlich sei, wenn ein EU-Politiker sich hinstelle und "solche Sachen sagt, und noch dazu auf Deutsch", aber es war gerade nicht die Form – die Sprache –, sondern der Inhalt, der für Aufregung sorgte. Zugleich distanzierten sich auch viele andere Abgeordnete von der Protestaktion gegen Schulz. Hätte er seine kritischen Bemerkungen unterlassen, hätte wohl niemand den Saal verlassen. Dies zeigt: Deutsch als Sprache im höchsten israelischen Repräsentantenhaus – bis weit in die 1990er Jahre undenkbar – ist sicher noch keine Normalität oder Selbstverständlichkeit, aber sie ist an sich nur noch bedingt ein Impulsgeber für Konflikte.

Die Debatten rührten an eine alte Frage: Kann Sprache unschuldig sein, lässt sich Sprache also von den Untaten derjenigen, die sie sprechen, trennen? Oder sind nicht vielmehr die Worte, vor allem bestimmte Worte, unrettbar diskreditiert, weil die Nationalsozialisten sie missbraucht, manipuliert und für ihre brutalen Zwecke eingesetzt haben? Wer Letzteres bejaht, übersieht, dass Sprache kein lebendiger Organismus mit einem ethischen Bewusstsein ist, sondern ein Kulturmittel des Menschen, wenn auch sein vielleicht wichtigstes. Wer andererseits die erste These von der Unschuld oder besser: moralischen Unabhängigkeit der Sprache bejaht, vergisst, dass Worte immer auch unsere emotionale Seite berühren. Zwar stimmt, was der (inzwischen gestorbene) letzte Shoah-Überlebende unter den Knessetabgeordneten, Josef Lapid, angesichts der Rede Köhlers angemerkt hatte: Deutsch sei die Sprache von Hitler, Goebbels und Eichmann, aber eben "auch die Sprache von Goethe, Schiller und Heine". Doch auch Hemi Dorons Einwand ist zweifelsfrei richtig, dass die Mördermaschinerie nun mal auf Deutsch erdacht, geplant und ausgeführt wurde. Zudem wird wohl kaum jemand, dem das Gebrüll von KZ-Aufsehern, Nazi-Schergen und SS-Leuten in der Erinnerung nachhallt, dadurch von seinen Wunden geheilt, dass er an Goethes Maigedichte denkt.

Doch es gibt eine Gruppe von Juden in Israel, die den Querstand zwischen beiden Thesen – von der moralischen Diskreditiertheit der Sprache einerseits und der Bindung an die Sprache als unschuldiger Liebe andererseits – selbst erfahren hat. Es handelt sich um die immer kleiner werdende Gruppe der aus Deutschland und Österreich stammenden Juden, der sogenannten Jeckes. Sie können Zeugnis ablegen von den Schwierigkeiten, Chancen und Erfolgen, die sie erlebten, als sie in den 1930er Jahren aus Deutschland fliehen mussten. Sie kamen in ein Land, in dem ihre Muttersprache als Sprache der Judenfeinde diskreditiert war – die aber dennoch ihre Muttersprache blieb, da man sie nicht abstreifen konnte "wie eine Haut".

Frühe Siedlungen, erste Kontroversen

Die Geschichte der Präsenz der deutschen Sprache in Palästina ist älter, als gemeinhin angenommen wird. Und es ist eine Geschichte von Sprachkonflikten. In größerer Zahl emigrierten Deutsche zum ersten Mal 1868 nach Palästina, das damals noch zum Osmanischen Reich gehörte. In diesem Jahr kamen einige Hundert protestantische Bauern von der christlichen Gemeinschaft der Templer aus Baden-Württemberg mit dem Schiff über Genua ins Heilige Land. Sie gründeten Kolonien, unter anderem in Jaffa, Haifa und Jerusalem, deren Spuren noch heute sichtbar sind: Kirchen, Schulen, Friedhöfe mit deutschen Namen, Bürgerhäuser, an deren Türen Segenssprüche auf Deutsch zu lesen sind. Nach den Weltkriegen jedoch geriet Deutsch zur lingua non grata. Weil zu Beginn des Zweiten Weltkrieges 1939 auch viele Mitglieder der Templergemeinschaft dem "Führer" zujubelten, internierte die britische Mandatsregierung die Templer und vertrieb sie. Als stumme Zeugen einer protestantisch-deutschen Vergangenheit blieben Häuser und Namen wie HaMoshava HaGermanit, das deutsche Quartier in Jerusalem.

Einige Jahrzehnte zuvor, im Jahre 1913, war Deutsch in Palästina auch im innerjüdischen Diskurs erstmalig zum Objekt einer heftigen Kontroverse geworden. Der "Hilfsverein der deutschen Juden", dessen bekannteste Persönlichkeit Paul Nathan zugleich Vorstandsmitglied im "Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens" war, unterhielt seit den ersten größeren Einwanderungswellen russischer Juden nach Palästina ab 1905 eigene Schulen in dieser Provinz des kränkelnden Osmanischen Reiches. Die Bildungsarbeit in Palästina warf rasch die Frage nach der ersten Unterrichtssprache an den jüdischen Schulen und höheren Lehranstalten auf. An ihr entzündete sich ein langwieriger Konflikt zwischen meist antizionistischen Antihebraisten und zumeist prozionistischen Hebraisten, der in den deutschsprachigen jüdischen Presseorganen des wilhelminischen Kaiserreichs offen ausgetragen wurde.

Sollte den jüdischen Einwandererkindern nach Palästina, viele davon aus Deutschland oder dem jiddischsprachigen Russland und Polen, der Lehrstoff primär auf Hebräisch oder auf Deutsch vermittelt werden? Wie zu erwarten, plädierte der Hilfsverein für die deutsche Sprache. Das war ideologisch, aber auch machtpolitisch begründet. Schließlich hatte sich der Hilfsverein gegenüber der kaiserlichen Regierung verpflichtet, Rücksicht auf den "deutschen Charakter" der Schulen zu nehmen. Während der "Sitzung des Kuratoriums des Technikums in Berlin" am 26. Oktober 1913, in der eine endgültige Regelung des Sprachenstreits für das Technikum in Palästina getroffen werden sollte, standen sich schließlich zwei nur schwer versöhnliche Standpunkte gegenüber. Die zionistischen Vertreter, unter ihnen der bekannte Kulturzionist Achad Haam, wollten Hebräisch als pädagogische Leitvarietät etablieren; denn das Hebräische diene, wie Haam betonte, nicht allein dem Zweck der Verständigung: "Für uns handelt es sich nicht darum, daß die Kinder hebräisch sprechen können, es handelt sich darum, daß die Kinder hebräisch fühlen."

Paul Nathan und der Hilfsverein hielten dem entgegen, dass fehlende Lehrmaterialien sowie mangelnde Berufsperspektiven der Schulabsolventen eine derartige Bevorzugung des Hebräischen unmöglich machten. Das Zünglein an der Waage spielten schließlich die US-amerikanischen Kuratoren des Technikums, auf deren finanzielle Unterstützung der Hilfsverein angewiesen war. Sie drängten erfolgreich darauf, Hebräisch nach einer Übergangsfrist von sieben Jahren als alleinige Unterrichtssprache in allen Fächern des Technikums zu etablieren. Und so konnte das Zionistische Actions-Comité 1914 in einer eigens publizierten Schrift zufrieden verkünden: "Die Prinzipien, für die wir gekämpft haben, haben sich durchgesetzt."

Sprachenstreit nach 1932

Eine zweite Kontroverse um Sprache entzündete sich 14 Jahre später. Schätzungen zufolge flohen im Zuge der fünften Alija (Einwanderungswelle; hebräisch wörtlich für "Aufstieg") bis 1938/39 insgesamt rund 75.000 Juden aus dem nationalsozialistischen Deutschland nach Palästina. Sie trafen auf ein relativ geschlossenes, sich selbst verwaltendes jüdisches Gemeinwesen (Jischuw), das sich vor allem aus der zweiten Alija (1904–1914) rekrutierte; auf eine vorwiegend osteuropäisch geprägte, stark idealistische Bevölkerung mit zionistischen und sozialistischen Ideologien; auf einen Lebensstandard, der im Vergleich zu den Jahrzehnten zuvor sehr hoch, im Vergleich zu Westeuropa eher niedrig war; und auf eine zum Nationalsymbol gewordene Sprache, das Neuhebräische (Ivrit), das sich zunehmend als Umgangssprache etablierte. Westjüdische "cravat jews" trafen auf ostjüdische "caftan jews", Liberalismus und Bürgertum auf Zionismus und Tradition.

Vor allem die nichtzionistischen unter den deutschen Juden, die nicht aus ideologischen Gründen, sondern allein aus dem Zwang der Umstände nach Palästina gekommen waren, führten eine Exilexistenz am Rande oder sogar in Opposition zur Mehrheitsgesellschaft. Nicht nur, dass diese Gruppe deutscher Juden eine starke emotionale Bindung an das als Heimatraum empfundene Deutschland beibehielt; sie konnten auch Palästina weder als alten Kulturraum akzeptieren noch mit neuem kulturellen Interieur füllen, wodurch sie die Außenperspektive der Exilanten nicht wirklich verließen. "In Palästina. In der Fremde" – so lautet die letzte Eintragung im Taschenkalender des Schriftstellers Arnold Zweig für das Jahr 1933, nicht lange nach seiner Ankunft in Haifa am 21. Dezember 1933.

Dabei war das Exil vieler deutscher Juden letztlich ein totales, denn eine Rückkehr nach Deutschland war nicht möglich – nicht in das verloren gegangene, das nur noch als Erinnerungsraum existierte, und schon gar nicht in das tatsächlich bestehende Deutschland, in dem man ihnen nach dem Leben trachtete. Mit Israel als Raum des Ankommens verbanden sie keine biografischen Erinnerungen. Zudem waren ihnen als liberale, reformierte, mitunter recht säkularisierte Juden die religiösen Bedeutungen der Sakralzeichen "Jerusalem" und "Eretz Israel" entfremdet. Sie erkannten das Hebräische zwar als heilige Sprache an, empfanden es aber nicht als Muttersprache und taten sich schwer mit dem Erlernen des Hebräischen als Umgangssprache. Die deutsche Sprache wurde vielen zum Ersatz für den verlorenen Heimatraum, zu einem vertrauten Orientierungspunkt, konkretisiert und aktualisiert in der Lektüre von Literatur ebenso wie von Zeitungen, veräußert im kommunikativen Gespräch mit anderen, rekonstruiert durch das ohnehin auch sprachlich verfasste Erinnern und Träumen und emotionalisiert durch Familienmetaphern wie "Muttersprache".

Arnold Zweig, der 1933 über einige Zwischenstationen nach Palästina kam, bildet dabei einen interessanten, aber auch tragischen Fall, der eine gewisse Symptomatik für die Schicksale manch anderer deutscher Juden haben könnte. Zweig, berühmt geworden vor allem durch seinen Antikriegsroman "Der Streit um den Sergeanten Grischa" von 1927, hat sich wiederholt gegen die seiner Meinung nach ungerechte Behandlung durch den Jischuw zur Wehr gesetzt, vor allem in der deutschsprachigen Zeitschrift "Orient". Die Metapher der "Verwurzelung" aufgreifend, entgegnet Zweig mit ironischer Spitze dem Vorwurf, "dass ich mich noch immer als Emigrant fühle, noch immer im Lande nicht verwurzelt sei – woraus sich mein sonderbares Verhalten herleite, zu deutschen Juden deutsch zu sprechen". Bei Zweig kommt hinzu, dass gerade er, der einst gefeierte Schriftsteller, in Palästina halb erblindend und vollständig erfolglos, den Verlust der Sprachheimat besonders intensiv erlebt haben muss. Er beklagte wiederholt "die Ortlosigkeit meiner Arbeit" und fühlte sich "um meinen Lebensraum betrogen". "Ich mache mir nichts mehr aus dem Land der Väter", schrieb er am 21. Januar 1934 an Sigmund Freud.

In den Augen vieler "Ostjuden" (aus Osteuropa stammende, häufig jiddisch sprechende Juden) wiederum war und blieb der "Westjude" ein "Ausgedajtscher", für den Palästina keine Herzensangelegenheit, sondern lediglich ein Fluchtpunkt vor den Nationalsozialisten und damit ein notwendiges Übel war. Allein schon dadurch schien er eine Gefahr für ein gelebtes Judentum zu sein. "Kommst du aus Überzeugung oder kommst du aus Deutschland?" wurde zum geflügelten Wort. Der in vielen hebräischsprachigen Zeitschriften artikulierte Slogan "lashon chaja leuma chaja" ("Eine lebendige Sprache für eine lebendige Nation") konnte nach Überzeugung des Jischuw nur in der heiligen, weil religionsursprünglichen Sprache Hebräisch verwirklicht werden. "Rakh Iwrith" ("Sprich hebräisch") hieß deshalb der Imperativ besonders all jenen gegenüber, die mit dem Deutschen die Sprache der Mörder lebendig zu halten versuchten.

Der als Fritz Rosenthal geborene Schriftsteller Schalom Ben-Chorin erinnert sich, dass das Deutsche im Palästina der 1930er und 1940er Jahre "einem oft zügellosen Haß ausgesetzt" gewesen sei und bezweifelt rein sprachpragmatische Motive als Ursache: "Es ging nicht mehr um die Vorherrschaft und den Bestand des Hebräischen. Es ging um die tragische Verwechslung von Staat und Sprache." Sprache wurde immer mehr zum Politikum. Deutsch war nun nicht mehr die Sprache, in der auch Theodor Herzl seinen "Judenstaat" verfasst und in der auf den ersten Zionistenkongressen kommuniziert worden war, sondern vor allem die Sprache Hitlers und Goebbels.

Als Arnold Zweig 1942 bei einer Veranstaltung der von ihm und anderen linken Intellektuellen gegründeten prosowjetischen "Liga Victory" im Cinema Esther einen Vortrag auf Deutsch halten wollte, eskalierte die Lage; Zweig wurde gewaltsam am Weiterreden gehindert: "Rechts eingestellte Zionisten pfiffen und johlten im Kino. Sie brüllten: ‚Hier wird nicht die Sprache Hitlers gesprochen!‘ (…) Mit Knüppeln, die sie unter den Jacken verborgen hatten, begannen die Randalierer eine Prügelei. Vierzehn Personen wurden schwer verletzt in ein Krankenhaus eingeliefert." Zweigs Schicksal ist zwar nicht repräsentativ für das deutschsprachige Judentum in Palästina insgesamt, wohl aber für jene Gruppe, die sich nicht oder nur spät in den neuen Kultur- und Sprachraum einfinden konnte. Wie Zweig verließen viele von ihr das Land nach 1945 – oder sie arrangierten sich mit den Verhältnissen, indem sie "mit enormem Energieaufwand" Hebräisch lernten.

Die enge und lang andauernde Bindung vieler deutscher Juden in Israel an den auch sprachlichen Erinnerungsraum der Herkunft wird durch eine beeindruckende Studie der deutschen und israelischen Sprachwissenschaftlerinnen Anne Betten und Myriam Du-nour gestützt: In dem Band, der 150 Gespräche mit deutsch-jüdischen Palästina-Emigranten versammelt, wird deutlich, dass die deutsch-jüdische Sprachkultur im Jischuw mehr Stabilität bewiesen hat, als ursprünglich angenommen. Demnach hätten sich viele Jeckes bis in die 1980er und 1990er Jahre hinein eine Art "konserviertes Deutsch" bewahrt, das sie selbst als "Weimarer Deutsch" bezeichneten.

In gewisser Weise lebt die Tradition des deutschsprachigen Judentums noch fort in der "MB Yakinton", einer 1932 als "Mitteilungsblatt der Hitachduth Olej Germania" (also der Vereinigung der Einwanderer aus Deutschland) gegründeten Zeitschrift. Nach der Einstellung der 1935 gegründeten und bis 2011 in Tel Aviv edierten "Israel-Nachrichten" ("Chadaschot Israel") ist die "MB Yakinton" das letzte und zugleich langlebigste Presseorgan, das neben dem hebräischsprachigen Teil auch einen Nachrichtenteil in deutscher Sprache in Israel veröffentlicht.

Heute wieder en vogue?

Der Sprung zur Situation der deutschen Sprache im heutigen Israel ist groß, vielleicht etwas zu groß. Es sind deshalb zentrale Zwischenstationen zu erwähnen, von denen die israelische Historikerin Yfaat Weiss eine sehr wichtige erst kürzlich wieder ins Licht gerückt hat: Die Rückkehr des Deutsch-als-Fremdsprache-Unterrichts im akademischen Betrieb in Israel. Lange, so zeigt Weiss’ Aufsatz, hatte es deutliche Ressentiments unter jüdischen Akademikern und Künstlern gegeben, den noch bis 1934 gelehrten, dann aber abgeschafften Deutschunterricht an der Hebräischen Universität in Jerusalem nach 1945 wieder einzuführen. Erst 1960, also fünf Jahre vor dem Beginn diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und Deutschland, wurde Deutsch als Fremdsprache wieder in den Lehrbetrieb der Hebräischen Universität aufgenommen, 1977 in Form einer eigenen Abteilung für Deutsche Sprache und Literatur, auf die 2007 das Zentrum für Deutschstudien folgte.

Die Rolle der Germanistik in Israel ist weder stark noch gesichert, daran hat der deutschstämmige israelische Germanist Jakob Hessing erinnert, und vielleicht ist sie, wie der amerikanisch-israelische Literaturwissenschaftler Marc Gelber behauptet hat, im Ganzen tatsächlich nur eine Illusion.

In der außerakademischen Erwachsenenbildung ist eine kleine Renaissance des Deutschen aber nicht zu übersehen. Die Goethe-Institute in Tel Aviv und Jerusalem sowie das Haifa Zentrum für Deutsch- und Europastudien erfreuen sich einiger Zuwachsraten bei den Teilnehmerzahlen, vielleicht auch, weil Berlin zu einem beliebten Urlaubsziel unter jungen Israelis geworden ist. "Deutsch ist zur Zeit in Israel en vogue", bestätigt zumindest der Leiter der Spracharbeit und stellvertretende Institutsleiter des Goethe-Instituts Tel Aviv, Jörg Klinner. Die Deutschkurse am Goethe-Institut seien ausgebucht, 2013 habe es mit 1800 Teilnehmern eine Rekordzahl gegeben. Die Motive dafür seien sehr unterschiedlich: Während einige für eine Zeit in Deutschland studieren wollten, vor allem im angesagten Berlin, hätten sich andere zum Ziel gesetzt, ihre Familiengeschichte zu erforschen oder aber deutsche Literatur im Original zu lesen.

Vielleicht wird gerade dadurch die Sprache entlastet, weil entideologisiert. Sie kann, das sollte nicht vergessen werden, ein Seismograf für moralische Erschütterungen sein, eine frühe Spiegelfläche für den Terror und die Entmenschlichung des Menschen, wie es der Romanist Victor Klemperer in Zeiten des Faschismus und Totalitarismus in Deutschland beschrieben hat. Sprache kann in diesem Zusammenhang auch missbraucht werden und manipulieren. Insofern ist sie eine brisante Größe. Aber sie vermag eben auch ein Türöffner zu sein zwischen Räumen, die lange Zeit verschlossen waren. Sei es auf den Straßen von Tel Aviv oder in Berlin, sei es im Deutschen Bundestag oder in der Knesset.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zit. nach: Peter Pragal, Rau bittet Israel um Vergebung, 17.2.2000, Externer Link: http://www.berliner-zeitung.de/10810590,9770356.html (12.1.2015).

  2. Zit. nach: Deutsch in der Knesset: Abgeordnete drohen mit Boykott der Köhler-Rede, 17.1.2005, Externer Link: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/-a-337123.html (12.1.2015).

  3. Vgl. Merkel: Wir sind mit Israel auf immer verbunden, 18.3.2008, Externer Link: http://www.faz.net/-1513658.html (12.1.2015).

  4. Zit. nach: Torsten Teichmann, Präsident des EU-Parlaments spricht in Jerusalem: Empörung über Schulz in der Knesset, 12.2.2014, Externer Link: http://www.tagesschau.de/schulz-rede-knesset100.html (12.1.2015).

  5. Vgl. Inge Günther, Israel zeigt sich gespalten, 13.2.2014, Externer Link: http://www.fr-online.de/1472602,26187904.html (12.1.2015).

  6. Zit. nach: Köhler vor der Knesset: "Ich verneige mich in Scham und Demut", 2.2.2005, Externer Link: http://www.spiegel.de/politik/ausland/-a-339825.html (12.1.2015).

  7. Diese Metapher wurde von liberalen deutschen Juden früh benutzt, um die Unmöglichkeit einer Trennung von der deutschen Sprache und Kultur zu illustrieren. Vgl. zum Beispiel Alphonse Levy, Umschau, in: Im deutschen Reich, (1903) 1, S. 73.

  8. Vgl. Kurt-Jürgen Voigt, Deutsche Emigranten in Palästina: Schwaben im gelobten Ländle, 19.4.2010, Externer Link: http://www.spiegel.de/einestages/-a-950043.html (12.1.2015).

  9. Die folgenden Ausführungen basieren auf meiner Dissertation: Deutsche Juden – deutsche Sprache. Jüdische und judenfeindliche Sprachkonzepte und -konflikte 1893–1933, Berlin 2007, S. 306–319.

  10. Der 1901 mit Hauptsitz in Berlin gegründete Verein hatte vor 1914 rund 20.000 Mitglieder. Er widmete sich vor allem der Erziehungstätigkeit in Palästina und Osteuropa und war liberaljüdisch und tendenziell antizionistisch orientiert.

  11. Vgl. vor allem Yehuda Eloni, Zionismus in Deutschland, Gerlingen 1987.

  12. Vgl. ebd., S. 320.

  13. Protokoll der Sitzung des Kuratoriums des Jüdischen Instituts für technische Erziehung in Palästina am 26.10.1913, CZA Z3/1569, zit. nach: ebd.

  14. Vgl. ebd., S. 341f., S. 354.

  15. Zionistisches Actions-Comité (Hrsg.), Im Kampf um die hebräische Sprache, Berlin 1914, S. 71.

  16. Vgl. Yoav Gelber, The Historic Role of the Central European Immigration to Israel, in: Leo Baeck Institute (Hrsg.), Year Book 38, London 1993, S. 323–339, hier: S. 326.

  17. Der aus Südafrika stammende US-amerikanisch-israelische Historiker Steven E. Aschheim wählt diese stereotypische Dichotomie bewusst, um zu zeigen, mit welcher Arroganz viele akkulturierte Juden in Deutschland vor 1933 das Klischee vom mauschelnden, unzivilisierten, gerissenen und abergläubischen Ostjuden aufrechterhielten. Vgl. Steven E. Aschheim, Brothers and Strangers. The East European Jew in German and German-Jewish Consciousness, 1800–1923, Madison 1982, S. 58–79.

  18. Zit. nach: Jost Hermand, Arnold Zweig, Reinbek 1990, S. 74.

  19. Vgl. Joachim Schlör, Kanton Iwrith, in: Karl E. Grözinger (Hrsg.), Sprache und Identität im Judentum, Wiesbaden 1998, S. 231–254.

  20. Vgl. Wolfgang Yourgrau, Kleines Jubiläum, in: Orient, (1942) 26, S. 3.

  21. Arnold Zweig, Verwurzelung, in: Orient, (1942) 14, S. 5.

  22. Sigmund Freud/Arnold Zweig: Briefwechsel, Frankfurt/M. 1984, S. 68f. Zu Zweigs Palästinaaufenthalt vgl. Geoffrey V. Davis, Arnold Zweig im palästinensischen Exil, in: Hans-Otto Horch (Hrsg.), Judentum, Antisemitismus und europäische Kultur, Tübingen 1988, S. 289–316.

  23. Brief an Helene Weyl vom 13. Juni 1934, in: Ilse Lange (Hrsg.), Arnold Zweig/Helene Weyl: Komm her, wir lieben dich, Berlin 1996, S. 361–364.

  24. Vgl. Anne Betten/Myriam Du-nour (Hrsg.), Wir sind die Letzten. Fragt uns aus: Gespräche mit den Emigranten der dreißiger Jahre in Israel, Gerlingen 1995, S. 7.

  25. Sätze wie "Die deutsche Sprache ist die Sprache unserer Feinde" waren teilweise auch auf Häuserwänden zu lesen. Vgl. Kampf um Hebräisch, in: Jüdische Welt-Rundschau vom 5.2.1940, S. 4.

  26. Shalom Ben-Chorin, Sprache als Heimat, in: Peter Nasarski (Hrsg.), Sprache als Heimat: Auswanderer erzählen, Berlin 1981, S. 12–23, hier: S. 15.

  27. Günter Stillmann, Berlin – Palästina und zurück, Berlin 1989, S. 95. Auch in den deutschsprachigen jüdischen Zeitungen wurde über dieses Ereignis breit berichtet: Vgl. Arnold Zweig’s V-Liga-Versammlung, in: Blumenthal’s Neueste Nachrichten vom 31. Mai 1942, S. 1.

  28. A. Betten/M. Du-nour (Anm. 24), S. 10.

  29. Ebd., S. 10. Vgl. auch dies., Sprachbewahrung nach der Emigration – das Deutsch der 20er Jahre in Israel, Bd. 2: Analysen und Dokumente, Berlin 2000, S. 157. Betten spricht dort von der "Konservierung eines Bildungsbürgerdeutsch".

  30. Vgl. Goethe-Institut Israel, Das "Irgun" in Tel Aviv und sein deutsches Mitteilungsblatt, Januar 2013, Externer Link: http://www.goethe.de/ins/il/lp/kul/mag/dsi/tel/de10364190.htm (12.1.2015).

  31. Vgl. Yfaat Weiss, Rückkehr in den Elfenbeinturm, in: Naharaim, (2014) 2, S. 227–245.

  32. Vgl. Jakob Hessing, Germanistik in Israel oder: Die Wiederkehr des Verdrängten, in: Christian Kohlross/Hanni Mittelmann (Hrsg.), Auf den Spuren der Schrift, Berlin 2011, S. 7–18.

  33. Vgl. Mark H. Gelber, Wieso gibt es eigentlich keine Germanistik in Israel?, in: ebd., S. 19–30.

  34. "Die vom Goethe-Institut Israel angebotenen Deutschkurse verzeichnen eine permanent steigende Nachfrage, seine Kapazitäten sind nahezu ausgeschöpft." Länderinformationen des Auswärtigen Amtes zu Israel, Oktober 2014, Externer Link: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Israel/Kultur-UndBildungspolitik_node.html (12.1.2015):

  35. Zit. nach: Gerold Meppelink, Die Liebe zur Sprache führt nach Tel Aviv, 13.2.2014, Externer Link: http://www.gn-online.de/Nachrichten/-56589.html (12.1.2015). Allerdings fehlen umfangreichere Erhebungen. Der Sprachwissenschaftler Ulrich Ammon unterstreicht auf der Basis der zuletzt erhobenen Zahlen von 2005, dass "nur 2079 Israelis Deutsch an Schulen (…) und in der Erwachsenenbildung" gelernt hätten. Ulrich Ammon, Deutsch im Verhältnis zu anderen Sprachen, in: C. Kohlross/H. Mittelmann (Anm. 32), S. 247–268, hier: S. 261.

  36. Vgl. Victor Klemperer, LTI. Aus dem Notizbuch eines Philologen, Darmstadt 1966.

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Dr. phil., geb. 1973; Lehrbeauftragter für Deutsch als Fremdsprache und Mehrsprachigkeit an der Universität zu Köln und der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster; zuvor Postdoctoral Fellow am Franz Rosenzweig Minerva Center an der Hebrew University Jerusalem und DAAD-Lektor an der University of Malta. E-Mail Link: kremer.arndt@web.de