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Frieden durch Föderalismus

Felix Schulte

/ 12 Minuten zu lesen

Die friedliche Regulierung ethnischer Konflikte kann nur durch Anerkennung ethnischer Identität gelingen. Wenn Minderheitenschutzrechte nicht ausreichen, können föderale Arrangements eine Balance zwischen Einheit und Vielfalt herstellen.

Homogenität als Wesensmerkmal einer Nation ist nichts Natürliches, sondern eine soziale Konstruktion. Darüber hinaus ist sie ein Produkt der Macht, entstanden aus jenem Prozess, in dem die Nation in eine politische Form gegossen und zum Nationalstaat wurde. Die Vereinheitlichung des Heterogenen gelang zum einen durch physische Macht – nur wenige der heute existierenden Nationalstaaten sind keine Kriegsgeburten –, zum anderen durch die kulturelle Macht der jeweils dominanten Gruppe. Nationen sind "vorgestellte Gemeinschaften".

Weltweit ist kaum ein Staat ethnisch homogen. In der Bundesrepublik leben mit Sorben, Friesen, Dänen sowie Sinti und Roma vier weitere ethnische Gruppen. In den europäischen Staaten summiert sich deren Anzahl auf rund 350, weltweit sind es etwa 10000. Im Laufe der Geschichte wurden sie durch Staatsgründungsprozesse und Grenzverschiebungen in bestehende Staatswesen inkorporiert, dennoch fühlen sie sich "dem Staat" beziehungsweise "dem Volk" nicht vollständig zugehörig. Die Ära des Nationalismus verlief wie die "Reise nach Jerusalem": Die Anzahl an Völkern übersteigt die Anzahl potenziell existenzfähiger Staatseinheiten. Es kommt zum Wettstreit. Als die "Musik" aufhört zu spielen, sind Kurden, Tataren oder Osseten ohne Sitzplatz. In anderen Fällen sitzen Spanier, Basken und Katalanen auf einem Stuhl. Alle wollen jedoch gleichermaßen ihre ethnische Identität ausleben. Doch der Homogenitätsanspruch eines Nationalstaates resultiert in der Nichtbeachtung ethnischer Heterogenität. Diskriminierungen sind die häufige Folge. Mehr als jede vierte Gruppe wird kulturell diskriminiert, mehr als jede dritte ökonomisch oder sozial. Mehr als jede zweite leidet unter politischer Diskriminierung.

Die tatsächliche ethnische Heterogenität steht diametral zum Konzept des klassischen politischen Ordnungsmodells Nationalstaat. Das daraus resultierende Spannungsverhältnis entlädt sich in einer Vielzahl ethnischer Konflikte. Ob in den Balkankriegen oder im Osttimor-Konflikt – hinter der Gewalt steht das Bemühen, einen homogenen Staat in einer de facto heterogenen Welt zu realisieren. In vielen Fällen sind Gruppen nicht (mehr) bereit, das Homogenitätskonzept widerspruchslos mitzutragen. Sie empfinden die wahrgenommenen Ungleichheiten als ungerecht und stellen Forderungen nach politischer Teilhabe oder Selbstregierung, um die kulturellen Angelegenheiten der Identitätsgemeinschaft selbstständig regeln zu können. Ein Nationalstaat wertet solche Forderungen häufig als Angriff auf seine Souveränität.

Ethnische Konflikte sind die Folge, die weitaus häufiger vorkommen, als es die bekannten Brennpunkte vermuten lassen: Von den 347 innerstaatlichen Konflikten 2014 waren etwa 60 bis 70 Prozent als "ethnisch" zu deklarieren. Knapp jeder dritte Konflikt dreht sich um Autonomie- oder Sezessionsforderungen. Europa ist nach der asiatisch-ozeanischen Region der zweithäufigste Schauplatz. 28 Prozent der Kämpfe um einen eigenen Staat oder um Selbstregierungsrechte fanden hier statt. Im Unterschied zu Konflikten um Ressourcen oder Land geht es dabei nicht um Interessen. Ethnische Konflikte sind Identitätskonflikte. Sie beruhen nicht darauf, was die Konfliktparteien wollen (oder zu wollen vorgeben), sondern was diese sind oder zu sein glauben. Die Ursache ethnischer Konflikte ist im Verhältnis der Gruppen innerhalb des Staatswesens zu suchen. Ihre friedliche Regulierung kann nur über den Weg der Anerkennung ethnischer Identität gelingen.

Anerkennung durch Schutz

Die Forderung nach Anerkennung ist eine Forderung nach Aufwertung. Nicht-Anerkennung beschädigt kollektive Selbstbilder, was mitunter zu gewaltsamen Gegenreaktionen führt. Die Gretchenfrage ist dabei, wer über wen in welchem Maße Herrschaft ausüben darf – eine ordnungspolitische Frage. Ethnische Problemlagen bedürfen daher auch einer politischen Lösung. Strategien des Umgangs mit ethnischer Differenz lassen sich unter den Schlagworten der Eliminierung, Kontrolle und Anerkennung zusammenfassen. Eliminierende Maßnahmen wie Assimilationspolitiken, Zwangsumsiedlungen bis hin zum Genozid dienen dem Versuch, die Gesellschaft zu homogenisieren. Durch kontrollierende Maßnahmen sucht die Mehrheit, ihre hegemoniale Position gegenüber der Minderheit abzusichern. Für das Ziel einer homogenen ethnisch-nationalen Kulturgemeinschaft werden durch beide Strategien Minderheiten ausgegrenzt. Neben der fehlenden moralischen Rechtfertigung ist dabei auch die Wahrscheinlichkeit einer friedlichen Konfliktbeilegung äußerst gering.

Maßnahmen der Anerkennung sorgen dagegen für einen Verständigungsprozess zwischen den Gruppen. Sie haben eine Abkehr vom klassischen Nationalstaatskonzept zur Folge. Mittels geeigneter Instrumente kann ein konflikthaftes Verhältnis in eine friedliche Koexistenz transformiert werden. Das Nonplusultra der Anerkennung ist die volle Souveränität über ein Staatswesen. Staatsneugründungen verlaufen jedoch selten friedlich, wie zahllose Fälle von Abchasien bis Südsudan zeigen. Meist haben schon derartige Forderungen eine Eskalation zur Folge. Eine Sezession bedeutet den vollständigen Souveränitätsverzicht des Staates über ein Territorium. Das wird von diesem nicht ohne Weiteres akzeptiert. Aus dem Selbstbestimmungsrecht der Völker leitet sich nicht automatisch das Recht auf einen eigenen Staat ab. Mit den völkerrechtlichen Argumenten der Souveränität und territorialen Integrität wehren sich Nationalstaaten erfolgreich gegen derartige Forderungen. Die Furcht der Staatengemeinschaft vor einer Vielzahl kaum überlebensfähiger Staatseinheiten tut ihr Übriges. Minderheitenschutzrechte sind ein erfolgreicheres Konzept. Ein Beispiel sind die Bonn-Kopenhagener Erklärungen, mit denen 1955 der dänischen Minderheit in Deutschland besondere Schutzrechte eingeräumt wurden. Eigene Kindergärten, Schulen, Sport- und Kulturvereine schützen die dänische Identität. Durch den Südschleswigschen Wählerverband sind die Dänen an der politischen Entscheidungsfindung beteiligt. Mithilfe gesetzlich verankerter und beidseitig anerkannter Schutzrechte wurde aus einem historisch belasteten Gegeneinander ein friedvolles Miteinander. Die Implementierung derartiger Schutzrechte ist für einen Nationalstaat eine recht problemlose Möglichkeit der Anerkennung. Sie bringen keinen Souveränitätsverzicht mit sich. An der Vorherrschaft des Volkes ändert sich nichts. Die Rechte der ethnischen Gruppe beschränken sich auf Verwaltungskompetenzen, meist im Bereich der Bildungs- und Kulturpolitik. Sie schützen vor Assimilierung und bewahren die gruppenspezifische Identität.

Solche "weichen" Formen der Anerkennung reichen oftmals aus, um eine Gruppe friedlich in ein Staatswesen zu integrieren. Allerdings funktioniert dies nur, wenn es sich dabei um eine Minderheit handelt, die sich mit dem Schutz ihrer Kultur zufrieden gibt. Beides trifft auf die dänische Minderheit zu. Ihr Mutterland liegt zudem in unmittelbarer Nähe. So schlug die Forderung nach Anerkennung nie in ein Verlangen nach einem eigenen Staatswesen um. Anders ergeht es den Katalanen, Kurden oder Osseten. Sie haben keinen Patronagestaat und fordern ihre Selbstregierung. In solchen Fällen erweisen sich bloße Schutzrechte als zu schwach. Es bedarf weitergehender Maßnahmen, die mit einer Übertragung von Souveränitätsrechten einhergehen. Dafür kommen verschiedene Formen des Föderalismus infrage.

Annäherung durch Teilung

Das Ordnungsprinzip des Föderalismus beruht auf sich weitestgehend selbst bestimmenden Föderationssubjekten. Im Rahmen eines ethnischen Föderalismus werden Gruppen selbst zu staatstragenden Elementen. Dies führt automatisch zur Anerkennung ethnischer Differenz. Die Möglichkeiten des Föderalismus, eine friedliche Koexistenz herzustellen, basieren auf geteilter Souveränität, wobei eine Balance zwischen notwendiger Einheit und gewünschter Vielfalt hergestellt werden soll. Die Existenz mehrerer Amtssprachen, die Berücksichtigung ethnischer Zugehörigkeit bei der Zusammensetzung von Institutionen und ein entlang ethnischer cleavages gespaltenes Parteiensystem sind mögliche Erkennungsmerkmale. Eine Verallgemeinerung ist kaum möglich, da das Prinzip meist maßgeschneidert zur Geltung kommt.

Aus theoretischer Sicht basieren föderale Strukturen auf einer gesetzlichen Vereinbarung über den Zusammenschluss einzelner Gliedstaaten zu einem Gemeinwesen. Die Gliedstaaten sind auf Bundesebene repräsentiert und beteiligen sich am Gesetzgebungsverfahren. In einem klassischen "symmetrischen" Bundesstaat besitzen alle Gliedstaaten dieselben Kompetenzen. Ethnische Versionen dieses Typus sind selten. In Grundzügen gehört Belgien mit seinen drei Gemeinschaften für die flämische, wallonische und deutsche Volksgruppe dazu. In der Regel sind jedoch nicht alle Gruppen staatstragend. Grundsätzlich werden im ethnischen Föderalismus territoriale Gruppen vor nicht-territorialen Gruppen privilegiert. Unter letzteren stattet er jene, die Anerkennung fordern, mit bestimmten Souveränitätsrechten aus. Er kann also flexibel durch positive Diskriminierungsmaßnahmen auf ethnische Problemlagen reagieren. Ein Beispiel für eine solche ethnische Variante des asymmetrischen Föderalismus ist Spanien. Das Land ist in 17 "autonome Gemeinschaften" mit unterschiedlichen Befugnissen unterteilt. Hier fungierte der Föderalismus als Ex-ante-Strategie, um das multiethnische Gemeinwesen vor dem Auseinanderfallen zu bewahren (holding together federations). Gleichwohl kann das föderale Prinzip auch ex post wirken. Sich bereits in einem Konflikt befindliche Gruppen sollen sich im Rahmen eines föderalen Arrangements versöhnen. Dann handelt es sich um coming together federations.

Beide Formen sind an Voraussetzungen geknüpft: Sie benötigen mehrere politisch relevante Gruppen ähnlicher Größe, die konzentriert siedeln und vergleichbare Forderungen nach Anerkennung artikulieren. Selbst wenn dies gegeben ist, bleibt das Leistungspotenzial des ethnischen Föderalismus überschaubar. Der Grund liegt im ihm inhärenten Prinzip der Machtteilung. Die Gruppen sollen das Gemeinwesen gemeinsam regieren. Das setzt eine ständige Kooperations- und Kompromissbereitschaft voraus. Die Inklusion sämtlicher gesellschaftlicher Gruppen am politischen Aushandlungsprozess kann schnell zum Fluch werden. Das zeigt die gescheiterte Konfliktregulierung auf Zypern: Per Verfassung sollten die Interessen beider Gruppen unter einen Hut gebracht werden. So bildeten ein griechisch-zyprischer Präsident, ein türkisch-zyprischer Vize-Präsident und ein Rat aus Mitgliedern beider Gruppen die geteilte Exekutive. Für das Parlament wurde eine genaue ethnische Zusammensetzung festgelegt, ebenso für den öffentlichen Dienst. Doch die griechischen Zyprer empfanden es als Benachteiligung, dass die türkischen Zyprer nur 18 Prozent der Bevölkerung stellten, aber gut ein Drittel aller staatlichen Jobs erhalten sollten. Der Streit über eine Verfassungsänderung eskalierte schließlich zum Bürgerkrieg.

Auch aus Angola oder Bosnien-Herzegowina gibt es diesbezüglich wenig Erfreuliches zu berichten. Annäherung durch (Macht-)Teilung funktioniert nur begrenzt. In einem womöglich gewaltsam verlaufenden Konflikt sind Kooperations- und Kompromissbereitschaft zwischen den verschiedenen Gruppen schlicht nicht vorhanden. Das Regulierungsmodell der territorialen Autonomie verschiebt den Schwerpunkt von der Machtteilung auf begrenzte Eigenständigkeit. Die Zusammenarbeit zwischen Gruppen wird auf ein Mindestmaß beschränkt.

Annäherung durch Eigenständigkeit

Die finnischen Åland-Inseln, Italiens Südtirol oder das moldawische Gagausien – vielfach führte die Übertragung von Autonomierechten zu einer friedlichen Konfliktbeilegung. Territorialautonomien bilden einen Subtypus des asymmetrischen Föderalismus. Im Gegensatz zu klassischen Föderationen entstehen sie nicht "von unten" durch den Zusammenschluss einzelner Gliedstaaten, sondern "von oben": Territoriale Autonomien werden in der Regel von einem Staat durch ein (Verfassungs-)Gesetz eingerichtet. Es handelt sich um keine ausgehandelte Machtteilung, sondern um eine Kompetenzübertragung einer höheren Ebene auf eine tiefere. Eine klassische Territorialautonomie ist nicht am staatlichen Gesetzgebungsverfahren beteiligt. Auch gibt es keine rechtliche Vorrangstellung von staatlichem Recht wie in einem Bundesstaat ("Bundesrecht bricht Landesrecht"). Von Autonomie-Institutionen beschlossene Regelungen können daher innerhalb eines gewährten Kompetenzbereiches nicht aufgehoben werden.

Die Selbstregierung einer Gruppe durch territoriale Autonomie basiert auf dem Sonderstatus ihres Siedlungsgebietes innerhalb der Staatsordnung. Damit einher gehen vom Staat unabhängige Institutionen mit weitreichenden und exklusiven exekutiven und legislativen Kompetenzen. Der Grad an Selbstbestimmung übersteigt jenen bei Minderheitenschutzrechten um ein Vielfaches. Nicht nur Angelegenheiten in Bezug auf Kultur und Bildung, sondern auch die Sozial- und Wirtschaftspolitik werden von der Gebietskörperschaft geregelt (Tabelle). Genaue Kompetenzbereiche sind kaum zu verallgemeinern, da die Bandbreite sehr groß ist. Es handelt sich um begrenzte Selbstregierung, da zentrale Kompetenzen wie die Steuer- oder Außenpolitik beim Staat verbleiben.

Kompetenzbereiche Ålands und Finnlands im Vergleich (© bpb)

Auf den ersten Blick scheint ein solcher Sonderstatus höchst desintegrativ. Laut Kritikerinnen und Kritikern dienen Territorialautonomien ethnischen Gruppen in erster Linie als Sprungbretter in die Sezession. Die Gewährung begrenzter Eigenständigkeit kann aber durchaus eine Annäherung zwischen Gruppen bewirken. Anerkennungsforderungen einer Minderheit gegenüber einem Staatsvolk konstituieren die klassische Problemlage. Soll die Identität nur einer territorialen Gruppe mittels besonderer Rechte und Institutionen geschützt werden, ist eine Territorialautonomie ein geeignetes Instrument. Wanderungsbewegungen können jedoch dazu führen, dass sich die demografische Zusammensetzung ändert, die größte ethnische Gruppe zur Minderheit wird und die Autonomie ihre Raison d’Être verliert.

Dennoch ist Territorialautonomien bei passenden Voraussetzungen ein hohes Konfliktregulierungspotenzial zu bescheinigen. Ihre besondere Leistungsfähigkeit liegt darin, dass die Hauptanliegen eines Nationalstaates berücksichtigt werden. Der Staat als solcher bleibt bestehen: Er muss keinen territorialen Verlust hinnehmen; er vertritt und verteidigt die gesamte Gebietskörperschaft nach außen; kritische Kompetenzen wie die Außen- und Sicherheitspolitik bleiben in seiner Hand; unkritische Kompetenzen überträgt er nach unten, sodass die Selbstbestimmungsrechte als Zugeständnisse erscheinen. An der Dominanz des Staatsvolkes ändert sich nichts. Der nach Anerkennung strebenden Gruppe wird ein weitgehendes Maß an Selbstregierung ermöglicht. Sie kann fast alle ihre Angelegenheiten selbstbestimmt regeln und ihre eigene Identität ausleben. Die Souveränitätsrechte können nicht ohne die Autonomie-Institutionen rückgängig gemacht werden. Autonomien bieten dadurch ein hohes Maß an Schutz. Im Gegensatz zur Machtteilung besteht kein Zwang zur Kooperation. Die Zusammenarbeit zwischen Staat und Autonomie bleibt auf wenige Politikbereiche beschränkt. Etwa die Hälfte aller Autonomien in Europa wurde nach Konflikten eingerichtet. Der empirische Erfolg ist unbestritten: Die Südtiroler müssen keine Italianisierung ihrer Heimat mehr befürchten; die Åländer fordern schon längst nicht mehr die Wiedereingliederung ihrer Inseln an Schweden; auch Gagausen und Moldauer leben heute dank einer Territorialautonomie friedlich zusammen.

Auf die Optionen kommt es an

Wie eine friedliche Koexistenz erreicht werden kann, ist immer fallabhängig. Es gibt kein Patentrezept. Implementierte Modelle sind meist speziell auf die Konfliktparteien zugeschnitten. Dem Föderalismus kommt als Souveränität teilendes Ordnungsprinzip eine besondere Bedeutung bei der Entschärfung ethnischer Problemlagen zu. Trotzdem bietet er alles andere als eine Erfolgsgarantie. Ob Pakistan oder Serbien-Montenegro – die Liste gescheiterter Ethnoföderationen ist lang. Doch auf die Forderungen nach Anerkennung nicht zu reagieren, ist keine Alternative. Wenn bloße Minderheitenschutzrechte nicht ausreichen, bedarf es makropolitischer Lösungen. Formen des ethnischen Föderalismus sind meist die einzig verbleibende Option, um ein Auseinanderbrechen des Staatswesens zu verhindern.

Wenn föderale Regulierungsmodelle scheitern, liegt das nicht am Instrument an sich. Meistens scheitern die Alternativen unter gleichen Bedingungen ebenso. Doch das darf nicht zu Desillusionierung führen. Es kommt niemand auf die Idee, das Gesundheitswesen abzuschaffen, nur weil Todesfälle unvermeidlich sind. Es geht darum, für jeden Patient die beste Therapie zu finden. Das gilt auch für die Konfliktregulierung. Es steht eine Vielzahl an Medikamenten zur Verfügung. Unter den genannten Voraussetzungen versprechen territoriale Autonomien die größten Heilungschancen. Bei der Bewertung der Instrumente darf jedoch nicht die vollständige Beilegung eines Konfliktes das Kriterium sein. Verteilungskonflikte gibt es in jedem föderalen System (Stichwort: Länderfinanzausgleich). Der Maßstab ist stets die friedliche Konfliktbearbeitung im Sinne einer dauerhaften Eskalationsverhinderung.

Eine Regulierung der Konflikte in der Ukraine, in Myanmar oder Mali scheint ohne ein ethnoföderales Arrangement kaum denkbar. Handlungsoptionen für ethnische Problemlagen bedarf es dringender denn je. Die Voraussetzung ist die Abkehr vom Nationalstaatsdenken. Wir haben unser Verständnis von staatlicher Souveränität und ihren Grenzen längst an die Existenz internationaler Kooperation angepasst. "Sovereignty, like the atom, can be split" – das merken wir als Bürgerinnen und Bürger der EU. Internationale Politik verläuft schon längst nicht mehr nur zwischen Nationalstaaten, sondern in vielen Bereichen vertikal zwischen verschiedenen Ebenen. Es ist an der Zeit, unser Verständnis von Staatlichkeit um den unteren Teil dieser Achse mit all ihren Formen der substaatlichen Organisation zu erweitern. Auf ihr finden sich Minderheitenschutzrechte wie im deutsch-dänischen Grenzgebiet, spezifische föderale Arrangements wie in Belgien oder Spanien und Autonomien wie in Finnland oder Italien. In all diesen Fällen wurde das Homogenitätsprinzip des klassischen Nationalstaates durchbrochen. Nur so kann der unbestreitbaren ethnischen Heterogenität Rechnung getragen werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Benedict Anderson, Die Erfindung der Nation, Frankfurt/M. 1996.

  2. Einen Überblick bieten Anna Gamper/Christoph Pan (Hrsg.), Volksgruppen und regionale Selbstverwaltung in Europa, Wien 2008.

  3. Genauer hierzu: Lars-Erik Cederman/Kristian S. Gleditsch/Halvard Buhaug, Inequality, Grievances, and Civil War, Cambridge 2013.

  4. Eigene Untersuchung auf Basis des ETH Ethnic Power Relations Datasets (EPR-ETH), des Minorities at Risk-Datensatzes sowie des World Directory of Minorities and Indigenous Peoples; vgl. hierzu: Lars-Erik Cederman/Andreas Wimmer/Brian Min, Why Do Ethnic Groups Rebel? New Data and Analysis, in: World Politics, 62 (2014) 1, S. 87–119.

  5. Vgl. hier und im Folgenden: Heidelberg Institute for International Conflict Research, Conflict Barometer 2014, Heidelberg 2015; Elaine K. Denny/Barbara F. Walter, Ethnicity and Civil War, in: Journal of Peace Research, 51 (2014) 2, S. 199–212.

  6. Vgl. Aurel Croissant et al., Kulturelle Konflikte seit 1945, Baden-Baden 2009.

  7. Vgl. Ulrich Schneckener, Auswege aus dem Bürgerkrieg, Frankfurt/M. 2002.

  8. Vgl. Andreas Heinemann-Grüder, Föderalismus als Konfliktregelung, Berlin 2011.

  9. Vgl. Susanne Baier-Allen, The Failure of Power-Sharing in Cyprus. Causes and Consequences, in: Ulrich Schneckener/Stefan Wolff (Hrsg.), Managing and Settling Ethnic Conflicts, London 2004, S. 77–93.

  10. Vgl. Susanne Eriksson et al., Islands of Peace. Åland’s Autonomy, Demilitarization and Neutralization, Mariehamn 2006.

  11. Vgl. Donald L. Horowitz, Ethnic Groups in Conflict, Los Angeles 1986; Eric A. Nordlinger, Conflict Regulation in Divided Societies, Cambridge 1972.

  12. Vgl. Ruth Lapidoth, Autonomy. Potential and Limitations, in: International Journal on Minority and Group Rights, 1 (1994) 4, S. 283f.

  13. Vgl. Felix Schulte, Conflict Regulation through Self-Rule, Report from the Åland Islands Peace Institute 1/2015, S. 1–95.

  14. Vgl. A. Heinemann-Grüder (Anm. 10).

  15. Vgl. Liam Anderson, Ethnofederalism and the Management of Ethnic Conflict, in: The Journal of Federalism, 1 (2015) S. 1–24.

  16. José Trías Monge, Puerto Rico. The Trials of the Oldest Colony in the World, London 1999, S. 170.

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M.A., geb. 1989; Research Fellow am Åland Islands Peace Institute und Doktorand am Institut für Politische Wissenschaft der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Bergheimer Straße 58, 69115 Heidelberg. E-Mail Link: felix-schulte@web.de