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Weltbilder und Weltordnung in den Internationalen Beziehungen

Gert Krell Peter Schlotter

/ 17 Minuten zu lesen

Wie ist die Welt politisch organisiert und strukturiert beziehungsweise wie sollte sie es sein? In Weltbilder eingebettete Ordnungskonzepte liefern Erklärungsmuster und entwerfen einen erstrebenswerten Zustand für die internationalen Beziehungen.

Dass die Welt, in der sie lebten, eine bestimmte Ordnung hatte, haben die Menschen zu allen Zeiten angenommen. In die frühen Vorstellungen von Weltordnung war stets der Kosmos einbezogen, spielten andere Akteure als die Menschen, also Tiere, Fabelwesen, Geister und vor allem Götter eine wichtige Rolle. Die mythisch oder religiös geprägten historischen Weltbilder haben sich im Verlauf der Moderne säkularisiert und wurden von politischen Ideologien abgelöst, wobei teilweise heilsgeschichtliche Traditionen in rationalistischer Verkleidung überlebten. Die konservativen ("realistischen"), liberalen, marxistischen, neuerdings auch feministischen Weltbilder in den Internationalen Beziehungen – großflächige Deutungsmuster des "Wesens" der Weltpolitik – sind eng verbunden mit Vorstellungen von Weltordnung, ihren Möglichkeiten und Grenzen.

Weltordnungskonzepte befassen sich damit, wie die Welt organisiert oder strukturiert ist beziehungsweise wie sie es sein sollte. Dabei steht immer auch die Frage im Raum, was eine "gute" (Welt-)Ordnung ist. Das reicht von Minimalbedingungen für Koexistenz bis zu einer Ordnung, die Kooperation institutionalisiert und Konflikte so einhegt, dass alle Nationen und ihre Bevölkerungen in Frieden und Wohlstand leben, die Nachhaltigkeit verbessern und Minimalstandards für Menschenwürde einhalten. Im Folgenden betrachten wir einige ausgewählte Weltordnungskonzepte, die auf unterschiedliche Denktraditionen aufbauen, und spannen dabei den Bogen von souveränitätsbasierten, also staatenzentrierten Vorstellungen zu überstaatlichen Weltordnungen und Modellen globaler Vergesellschaftung und Weltstaatlichkeit.

Staatenkonkurrenz

Seit dem Aufkommen der Hochkulturen in Ostasien, im Zwei-Strom-Land und in Ägypten finden wir staatsähnlich organisierte Gesellschaften: Die Antike kannte die griechische Polis, die hellenistischen Monarchien, die römische Republik und das Imperium Romanum – nach Max Webers Typologie "traditionale Staaten". Aber erst mit Beginn der Neuzeit entwickelte sich als Ergebnis langer politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Auseinandersetzungen in Europa das, was wir heute unter "Staat" verstehen. Durch den europäischen Staatenbildungsprozess entstanden verfasste Gesellschaften, die ihren Bürgerinnen und Bürgern Sicherheit und Ordnung, vor allem Schutz vor Bürgerkrieg, prospektiv auch Wohlstand versprechen, und in denen ihre Existenz zentral durch das Leben in einem Staat bestimmt ist.

Im Zuge des Kolonialismus und Imperialismus wurde diese Idee von Staatlichkeit als Instrument der Sicherheits- und Wohlstandsgewährleistung universalisiert. Es gibt heute auf der Erde keine staatsfreien Räume mehr in dem Sinne, dass nicht jeder Winkel der Welt staatlich verfasst wäre oder zumindest von irgendeinem Staat beansprucht würde. Das seit dem 17. Jahrhundert parallel zur Herausbildung der Westfälischen Ordnung entwickelte Völkerrecht ist im Kern ein Staatenverkehrsrecht. Die UNO ist ein Staatenbund; staatenlose Völker haben es schwer, in der Welt Gehör zu finden. Staaten erlangen erst dann äußere Souveränität, wenn sie von anderen Staaten anerkannt werden.

In diesem Modell wird von dem fundamentalen Tatbestand ausgegangen, dass eine Lösung des Problems der menschlichen Unsicherheit, wie sie im innergesellschaftlichen Bereich möglich ist, nämlich eine souveräne Staatsgewalt zu installieren, sich auf zwischenstaatlicher Ebene nicht realisieren lässt. Wie kann es dennoch Ordnung geben, denn auch die Welt der Staaten ist ein Ordnungsmodell? Die Theorien des Realismus gehen davon aus, dass die Konkurrenz um Sicherheit und Macht prinzipiell nicht überwindbar ist und deshalb Frieden nie mehr sein kann als ein instabiler Waffenstillstand zwischen Staaten, die zu ihrer Sicherheit und bei Strafe des Untergangs auf Machtpolitik setzen müssen. Dass dennoch nicht ständig Krieg herrscht, liegt an zwei Mustern, die die Weltpolitik bestimmen. Zum einen pendelt sich gewissermaßen hinter dem Rücken der Staaten immer wieder ein Machtgleichgewicht ein, das sie zu einem vorsichtigen Verhalten veranlasst; zum anderen kann Hegemonie, also die führende Stellung eines Staates, Kooperation in Form von Bündnissen oder internationalen Regelwerken ermöglichen. Die Sicherheitsgewährleistung durch militärische Rückversicherung bleibt jedoch Grundlage der internationalen Politik.

Liberale Friedensordnungen

Seit der Aufklärung, vor allem jedoch im 19. Jahrhundert kamen Weltordnungskonzepte auf, die zwar auch von der Souveränität der Einzelstaaten ausgehen, sie aber mit Friedensideen verbinden. Trotz Staatenkonkurrenz sind für die liberale Tradition Kooperation und (Welt-)Frieden realisierbare Perspektiven. Der Liberalismus setzt dabei unter anderem auf Freihandel und Demokratie.

Die Hoffnungen des deutschen Philosophen Immanuel Kant (1724–1804) auf die positiven Wirkungen des Handels für den Fortschritt der Menschheit wurden zunächst von vielen Aufklärern und vor allem von der Freihandelsbewegung des 19. Jahrhunderts geteilt. Die Handelsfreiheit, wie es in den zeitgenössischen Texten heißt, fördere den Wohlstand; sie führe im Grunde nur zu einer erweiterten Form der Arbeitsteilung, von der alle profitierten. Handel habe sogar friedensfördernde Effekte. Diese positive Bewertung des Freihandels hatte besonders viele Anhänger in Großbritannien, damals das ökonomisch am weitesten entwickelte Land.

Als einer der Ersten setzte sich der deutsche Unternehmer und Intellektuelle Friedrich List (1789–1846) kritisch mit dem Freihandelsliberalismus auseinander. Auch er war grundsätzlich von den Vorteilen der Handelsfreiheit überzeugt, meinte aber, dass die positiven Wirkungen der "kosmopolitischen Ökonomie" erst bei annähernd gleichem Entwicklungsniveau industrialisierter Staaten zum Tragen kämen. Andernfalls würde die überlegene britische Ökonomie die noch weitgehend agrarisch geprägten Staaten des Deutschen Zollvereins einfach niederkonkurrieren und nicht zur wirtschaftlichen Entfaltung kommen lassen. Entscheidend sei eben nicht, ob gleiche Werte getauscht würden, sondern die Frage, ob die für den Export hergestellten Waren auf Dauer die eigenen "produktiven Kräfte" (zu denen er auch Bildung und gutes Regieren rechnete) förderten und damit den Prozess der Industrialisierung vorantrieben. England sei selbst keineswegs durch Freihandel, sondern durch überlegte Schutzzollpolitik groß geworden. Damit hatte List auf eine durchgängige Problematik der Moderne aufmerksam gemacht: die nachholende Entwicklung.

Was den Zusammenhang zwischen Handel und Frieden angeht, so zeigte spätestens der Erste Weltkrieg, dass auch intensive wirtschaftliche Beziehungen nicht genügen, um einen großen Krieg zu verhindern, wenn institutionelle Strukturen für die Bearbeitung der Sicherheitsproblematik oder materieller Rivalitäten fehlen. Umgekehrt wurde mit der Weltwirtschaftskrise und dem Zweiten Weltkrieg deutlich, dass Protektionismus, wirtschaftliche Abschottung und die Schaffung (vermeintlich) autarker Großräume durch Eroberungen nicht einmal im Rahmen einer aggressiv machtpolitischen Logik Alternativen zum Handel bieten. Dass die US-amerikanische Nachkriegsplanung gerade auch ökonomisch auf das Modell einer liberalen Hegemonie (leadership) setzte, war also nicht nur einem engen Interessenkalkül geschuldet, sondern auch Folge der existenziellen Erfahrung des Krieges mit Deutschland und Japan.

Kant ging auch davon aus, dass die Verbreiterung der politischen Partizipation die Kriegsneigung herrschender Eliten zügeln werde, weil mehr Menschen die Gelegenheit bekämen, über Aktivitäten mitzubestimmen, deren Lasten und Risiken sie im Zweifel selbst zu tragen hätten und nicht mehr auf andere abwälzen könnten. Diese Idee eines demokratischen Friedens, die in den vergangenen dreißig Jahren intensiv erforscht worden ist, ist jedoch bis heute umstritten. Als mit reichlichen Daten gesichert gilt die Aussage, dass Demokratien intern weniger gewalttätig sind als Nicht-Demokratien. Ein zweiter weitgehend anerkannter Befund bezieht sich auf die Außenpolitik: Demokratien führen untereinander so gut wie keine Kriege, wohl aber gegen Nicht-Demokratien, und zwar keineswegs nur zur Verteidigung. Gleichwohl kann man davon ausgehen, dass funktionierende Demokratien weniger darauf angewiesen sind als autoritäre Regime, sich durch feindselige Abgrenzung nach außen künstlich zu stabilisieren.

Nimmt man das Nord-Süd-Verhältnis hinzu, dann gerät jedoch selbst für stabile und reife Demokratien diese Vermutung ins Wanken. So lassen sich zum Beispiel der Algerien-Krieg (1954–1962), der Vietnam-Krieg (1945/64–1973) oder der israelisch-palästinensische Konflikt (seit 1948) keineswegs mit der Sicherheitsproblematik allein erklären. Hier ging und geht es auch um Machtinteressen von Demokratien. Schließlich gilt es, vielfältige Formen der Intervention zu bedenken, mit denen demokratische Industriestaaten Fortschritte im "Süden" behindert beziehungsweise gewaltsame Auseinandersetzungen in Entwicklungsländern direkt und indirekt gefördert haben.

Die Grenzlinie des demokratischen Friedens verläuft also nicht nur zwischen Demokratie und Nicht-Demokratie, sie verläuft auch mitten durch die Demokratie beziehungsweise den Liberalismus. Das gilt beispielsweise auch für das Geschlechterverhältnis. Die interessante Frage besteht hier darin, ob Krieg und Frieden "nur" arbeitsteilig entlang der Geschlechtergrenzen organisiert sind, oder ob die Geschlechterverhältnisse selbst eine Kriegsursache bilden. Für beides gibt es empirische Belege. Vieles deutet darauf hin, dass Gesellschaften, in denen Frauen die gleichen Rechte wie Männer haben und "weibliche" Werte von beiden Geschlechtern genauso geschätzt werden wie "männliche", nicht nur gerechtere, sondern auch friedlichere Gesellschaften sind. Das aber bestätigt die Notwendigkeit, die demokratische Friedenstheorie um die Gender-Dimension zu erweitern, und zwar schon deswegen, weil selbst der demokratische Staat nach innen in Geschlechterfragen parteilich ist, ja sogar vielfach systematische Gewalt gegen Frauen toleriert – von Diktaturen oder militanten archaischen Bewegungen ganz abgesehen. Ohne eine Aufhebung von Übermacht und Gewalt in den Geschlechterbeziehungen wird es keine friedliche Welt geben können.

Imperien

Imperiale Herrschaft zählt seit vielen Jahrhunderten zu den Weltordnungskonzepten, sie hat erst im 20. Jahrhundert an Prominenz verloren. Imperien sind tendenziell grenzenlos und beanspruchen die Beherrschung der zur jeweiligen Zeit bekannten Welt. Da es jedoch erst seit dem Britischen Empire technisch möglich ist, eine globale Herrschaft zu etablieren, waren die historischen Imperien faktisch begrenzt. Jenseits des "Limes" lebten die "Barbaren", zu denen das Imperium Romanum unterschiedliche asymmetrische Klientelbeziehungen unterhielt, die durch gelegentliche "Strafexpeditionen" unterbrochen wurden. Dem Selbstverständnis nach gibt es gegenüber Imperien keine Gleichen. Ihre Eliten formulieren ein Sendungsbewusstsein, das ihnen eine zivilisatorische Sonderrolle zuspricht. Dies mögen religiöse oder religiös aufgeladene politische Motive sein wie ein sakralisiertes Königtum in den Alten Reichen Mesopotamiens, eine politisch-zivilisatorische Einmaligkeit wie im Imperium Romanum, die Verbreitung von Freihandel und Zivilisation wie im Britischen Empire und manifest destiny in der Zivilreligion der Vereinigten Staaten.

Imperien sind Herrschaftsverbände, die über eine große Anzahl vor allem religiös, kulturell und ethnisch heterogener Gruppen Macht ausüben, zumal sie in der Regel durch Eroberungen zustande gekommen sind. Aber sie können nicht auf Dauer bestehen, wenn sie nur durch Gewalt herrschen. Stabile Imperien zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie die Loyalität ihrer Untertanen durch zivilisatorische Anziehungskraft und die Chance des sozialen Aufstiegs, also durch Sozialisierung, gewinnen. Dies gilt vor allem für die Zeit nach der "augusteischen Schwelle" (Michael Doyle), wenn Imperien ihre Expansionsphase beendet haben und sich der Konsolidierung ihrer Herrschaft widmen. Trotz der Integration durch Sozialisation schwebt über Imperien jedoch stets das Damoklesschwert der Rebellion von Bevölkerungsgruppen, die sich vom Zentrum ausgeschlossen fühlen und daher von ihm unabhängig werden wollen oder von außen die Grenzen bedrohen. Vor allem in den Zerfallsphasen von Imperien und ganz besonders mit dem Aufkommen von Nationalstaaten und nationaler Selbstbestimmung werden sie von ihren inneren Gegnern häufig als "Völkergefängnis" bezeichnet. Deshalb durchzieht alle Imperien eine Geschichte der Aufstandsbekämpfung und der Pazifizierungskriege – vor allem an der Peripherie –, mit denen die imperiale Herrschaft und damit der Frieden wiederhergestellt werden sollen.

Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts wurde der Begriff "Empire" auch von Neokonservativen und sogar von einem Teil des liberalen Spektrums verwendet und ausdrücklich positiv mit den USA assoziiert. Dabei sind die USA im strengen Sinne schon lange kein Imperium mehr, jedenfalls haben sie seit 1945 ihr Staatsgebiet nicht mehr durch Eroberungen erweitert. Sie wären also eher als Hegemonialmacht zu bezeichnen. Das Überdehnungsproblem gilt jedoch gleichermaßen für Imperien wie für Hegemonien. Die außen- und gesellschaftspolitischen Probleme der fragwürdigen "Weltordnungskriege" in Afghanistan und im Irak haben die USA – wie schon der Vietnam-Krieg – erneut mit den Risiken hegemonialer Politik konfrontiert. Die größte Herausforderung steht der Weltpolitik der USA freilich noch bevor: die Integration der aufsteigenden Groß- und potenziellen Weltmacht China in einen konstruktiven Multilateralismus.

Globaler Kapitalismus

Im Rahmen des marxistischen Weltbildes spielte das Verhältnis zwischen Staatensystem und Weltmarkt, das "Übergreifen der bürgerlichen Gesellschaft über den Staat hinaus" (Karl Marx, 1818–1883), von Anfang an eine zentrale Rolle. Dabei hat Marx selbst die Rolle der Staaten erheblich unterschätzt. Spätere Diskussionen haben sich bemüht, dieses Defizit auszugleichen, und zwar mit unterschiedlichen Ergebnissen. In der aktuellen neomarxistischen Debatte reichen die Differenzen bis in die Verwendung der zentralen Kategorien. Und auch in dieser Diskussion spiegelt sich die allgemeine Kontroverse zwischen Globalisten, die einen Vorrang der (kapitalistischen) Globalisierung annehmen, und Etatisten, die nach wie vor von einer zentralen Bedeutung der einzelnen Staaten ausgehen.

So betonen der Literaturtheoretiker Michael Hardt und der Politikwissenschaftler Antonio Negri in einer neueren marxistischen Globalanalyse die Entterritorialisierung des Kapitals. Im Gegensatz zu den linear geschlossenen Räumen des Imperialismus beruhe das aktuelle kapitalistische "Empire" auf dem Modell, "unablässig auf unbegrenztem Raum vielfältige und singuläre Netzwerkbeziehungen neu zu schaffen"; es verfüge nicht mehr über ein territoriales Zentrum, sondern sei "dezentriert und deterritorialisierend". Der neue Souverän seien also nicht mehr die Nationalstaaten, sondern das mobile Kapital, das über drei globale und unumschränkte Instrumente verfüge: die Atombombe (sic!), also die Fähigkeit zur totalen Zerstörung, das Geld (ein transnationales monetäres Gebäude) und den Äther (die transnationalen Kommunikationssysteme). Trotz dieser ungeheuren Unterdrückungs- und Zerstörungspotenziale in den Händen des Empire ergäben sich aus der imperialen Globalisierung neue Möglichkeiten der Befreiung. In den schöpferischen Qualitäten der multitude, die das Empire trage, liege die Chance für ein Gegen-Empire, das den weltweiten Strömen und Austauschverhältnissen eine andere politische Gestalt geben, das heißt "im Namen der gemeinsamen Freiheit" ein Netzwerk produktiver Kooperationen schaffen werde. Damit bleiben die beiden Autoren ganz im Banne der klassisch-marxistischen Dialektik von kapitalistischer Globalisierung und ihrem Umschlagen in die Befreiung der großen Mehrheit.

Den Gegenpol beziehen der Politologe Leo Panitch und der Wirtschaftswissenschaftler Sam Gindin, indem sie die dominierende Rolle der USA für die Herausbildung eines globalen Weltmarktes von 1945 bis heute nachzeichnen. Der amerikanische Staat, der zentrale Akteur in diesem Prozess, sei so erfolgreich, weil er nicht auf nackte Herrschaft baue, sondern auch die Interessen weniger mächtiger Staaten in eine Ordnung einzubinden verstehe, die auch ihnen plausibel erscheine. Damit hätten die USA zusammen mit den anderen führenden kapitalistischen Ländern eine erfolgreiche Antwort auf die Jahrhundertkrisen (imperialistische Rivalitäten, Erster Weltkrieg, Weltwirtschaftskrise und totalitäre geostrategische beziehungsweise geoökonomische Herausforderungen im Zweiten Weltkrieg) gegeben. Die zunehmende wirtschaftliche Verflechtung mit den anderen Industriestaaten und mit zahlreichen Entwicklungsländern bewirke eine dauerhafte Befriedung der früheren innerimperialistischen Beziehungen. Trotz aller Probleme blieben die USA auch aktuell der "unchallenged manager" des globalen Kapitalismus – nicht die EU, nicht China, und schon gar nicht ein deterritorialisiertes Kapital, das für die Koordination seiner Ziele und Handlungsweisen ganz entscheidend auf die Staaten und hier vor allem die USA angewiesen sei.

Panitch und Gindin argumentieren eher im Sinne des Transnationalen Historischen Materialismus, der auf den italienischen Marxisten Antonio Gramsci (1891–1937) zurückgeht. Gramsci hatte eine Theorie der Hegemonie entwickelt, die über bloßen Zwang hinausgeht. Hegemonie entstehe überhaupt erst dann, wenn die Herrschenden ihre engen Klasseninteressen überschreiten und Institutionen und Deutungsmuster schaffen, die auch für die "Beherrschten" (oder zumindest Teile von ihnen) glaubhaft "das Ganze" repräsentieren. So wird verständlich, dass man von Panitch und Gindin durchaus Verbindungen zum nicht-marxistischen Institutionalismus ziehen kann, der die US-dominierte kapitalistische Weltordnung als liberale Hegemonie begreift.

Weltgesellschaft und International Society

Der Soziologe Niklas Luhmann (1927–1998) hatte schon 1975 seine These von der Weltgesellschaft zunächst mit der Möglichkeit weltweiter Kommunikation begründet und gefragt, was aus dieser Kommunikation einen Weltzustand mache: einmal das "immense Anwachsen der Kenntnisse über Fakten des Lebens und der Interaktionsbedingungen aller Menschen"; hinzu komme die Verbreitung wissenschaftlichen Wissens und technologischer Errungenschaften durch ein weltweites wissenschaftlich-technisches Kommunikationsnetz; als drittes nannte er eine weltweite öffentliche Meinung sowie "weltweite wirtschaftliche Verflechtungen" und "weltweite Möglichkeiten der Bedarfsdeckung"; er sprach sogar von einer "auf Weltfrieden beruhenden Verkehrszivilisation", in der sich ein "urban erzogener Mensch gleich welcher Provenienz" zurechtfinde: Die Weltgesellschaft sei dadurch entstanden, dass die Welt durch die Prämissen weltweiten Verkehrs vereinheitlicht worden sei. Dass diese Ausführungen in auffälliger Weise auf ein bürgerliches Segment der Weltbevölkerung zugeschnitten sind, stört Luhmanns funktionalistische Systemtheorie nicht; gemeinsame Wertebezüge oder annähernde Gleichheit in den Lebensverhältnissen sind für sie kein Argument gegen die Weltgesellschaft, die allein mit der "vollkommenen Erschließung des Erdballs" begründet wird.

Ob das schon den Begriff Weltgesellschaft rechtfertigt, ist freilich höchst umstritten. Vertreterinnen und Vertreter der sogenannten Englischen Schule sind wesentlich zurückhaltender, ihre zentrale Kategorie ist die international society. Mit ihrem Begründer Hedley Bull (1932–1985) gehen sie davon aus, dass die Staaten in der Tat schon Ansätze von Vergemeinschaftung zeigen, insofern sie sich an einen gemeinsamen Satz von Regeln und Verhaltensweisen gebunden fühlen und sich an gemeinsamen Institutionen beteiligen. Zu diesen Institutionen gehören beispielsweise das Völkerrecht, die Diplomatie, das Territorialprinzip mit dem Interventionsverbot, die Volkssouveränität und die Gleichheit der Menschen. Diese Ansätze von Vergemeinschaftung sind jedoch prekär und bleiben gefährdet. Von einer Weltgesellschaft spricht zum Beispiel Bull nur mit äußerster Zurückhaltung, denn deren Existenz würde in seinem Verständnis gemeinsame Interessen und Werte der gesamten Menschheit voraussetzen, und diese seien allenfalls embryonal gegeben. Hinzu komme, dass die weltgesellschaftlichen Tendenzen hochgradig asymmetrisch verliefen. Integriert werde bislang nicht oder nur in Ansätzen eine Weltgesellschaft als Ganzes, sondern eher die dominante westliche Kultur. Große Teile der Weltbevölkerung haben an diesem Sozialisationsprozess gar keinen Anteil, und andere wehren sich heftig dagegen, auch mit Gewalt.

Weltstaat und Global Governance

Geht man von einem Modell der Sicherheits- und damit auch Machtkonkurrenz zwischen den Staaten aus, dann wäre – analog zum Gedankenexperiment des Urzustands – ein Weltstaat die logische Konsequenz aus der auf die internationalen Beziehungen übertragenen kontraktualistischen Denkfigur. Aber schon Kant war sich in dieser Angelegenheit nicht sicher. Eigentlich müssten die Staaten vernünftigerweise einen "immer wachsenden Völkerstaat (civitas gentium) bilden"; da sie das aber nicht wollten, bleibe anstelle der "positiven Idee einer Weltrepublik" nur das "negative Surrogat" eines (Staaten- beziehungsweise Völker-)Bundes. Außerdem sah Kant ein großes Despotie-Risiko. Ein weiterer Einwand ist ein logischer: Wenn die Welt wirklich so düster ist wie oft behauptet, dann stehen die Chancen für eine Weltregierung gleich Null. Wenn ihr Zustand deutlich besser ist, dann braucht sie keine. Worüber gestritten werden muss, ist die Frage, ob es schon Anzeichen für Weltstaatlichkeit gibt, also Formen einer globalen Staatlichkeit in statu nascendi.

Optimistisch in der Aufarbeitung der großen Felder der global governance geben sich etwa die Politikwissenschaftler Volker Rittberger, Andreas Kruck und Anne Romund. Ihre Gesamteinschätzung, der Vorrang für das Modell des "heterarchischen Weltregierens gestützt auf multipartistische Politikkoordination und -kooperation", gibt unseres Erachtens freilich die Differenzierung in der von den Autoren äußerst breit und gründlich recherchierten Empirie nicht wider. Zu skeptischeren Ergebnissen kommt beispielsweise der Politologe Michael Zürn bei einer Überprüfung von vier Modellen einer globalen Ordnung. Zwar hätten sich internationale Institutionen entwickelt, die Autorität und weiche Herrschaft ausübten und tief in nationale Gesellschaften hineinwirkten; die Entwicklung von Elementen einer Weltstaatlichkeit verweise jedoch auf "strukturelle Grenzen der globalen Ordnung". Materiell wie normativ widersetzten sich die Nationalstaaten einer Suprematie internationaler Institutionen, die gegen ein artikuliertes Interesse der USA, Chinas oder anderer aufstrebender Mächte wenig bewirken könnten. Was die transnationale Willensbildung angehe, so diene sie häufig nur wenig repräsentativen Partikularinteressen. Für die Ausbildung von Parteien, die eine weltanschaulich gestützte Auseinandersetzung tragen könnten, fehlten auf der globalen Ebene "jegliche Anzeichen." Es ließen sich keine Entwicklungen beobachten, die der Herausbildung einer transnationalen Solidarität oder der Anerkennung einer weitreichenden Suprematie internationaler Institutionen entgegenkämen.

Der Sozialwissenschaftler Dieter Senghaas geht noch weiter und kritisiert, viele Weltordnungsmodelle seien nur von "abstrakter Relevanz". Denn bei mehr als vier Fünfteln der Menschheit fehlten wichtige und in manchen Fällen sogar alle Voraussetzungen für den Aufbau inter- oder transnationaler Regelwerke. Dieser elementare Sachverhalt werde in der Debatte über global governance vielfach nicht einmal registriert. Für Senghaas ist die Welt bei allen globalen Vergesellschaftungstendenzen in vier Teilwelten mit ganz unterschiedlichen Integrations- und Kompetenzniveaus gespalten: die hochgradig und symmetrisch integrierte und pazifizierte OECD-Welt; die "neue Zweite Welt" leidlich erfolgreicher Nachzügler in Ostasien und Osteuropa, zu der er auch China rechnet; eine sehr heterogene Gruppe der Dritten Welt mit nach wie vor erheblichen strukturellen Defiziten, vor allem einer "fragmentierenden nationalen Desintegration"; und schließlich die Vierte Welt der failing (oder failed) states, die gesamtgesellschaftlicher Regression und militarisierten internen Konflikten ausgesetzt sind.

Zusammenfassung und Perspektiven

Die heutige Weltordnung lässt sich mit dem souveränitätsbasierten Modell der Einzelstaatenwelt nicht mehr ausreichend erfassen. Dazu haben sich auf der normativen Ebene, auf der Ebene der Institutionalisierung und auf der Ebene der Akteure zu viele bedeutende staatenübergreifende Veränderungen ergeben. Wir leben inzwischen in einer nicht nur technisch, wirtschaftlich und kommunikativ vernetzten, sondern auch hochgradig verregelten und verrechtlichten Welt. Das reicht von den Normen im Bereich der Sicherheitspolitik bis zur Selbstbestimmung von Individuen und Gruppen und umfasst ein immer weiter wachsendes Spektrum von Regimen (internationalen Regelwerken) auf den verschiedensten Sachgebieten. Aber die Defizite dieser Institutionalisierung hinsichtlich Geltungsbereich, Effizienz, Gerechtigkeit und Legitimität lassen sich nicht übersehen. Der Weg zu "angemessenen Ordnungsstrukturen" sei noch weit, heißt es auch in der Bilanz von Helmut Breitmeier, Michèle Roth und Dieter Senghaas.

Die Hoffnungen auf eine solidarischere Welt bleiben zutiefst "kontaminiert" (Andrew Hurrell) von den Präferenzen mächtiger Staaten. Das gilt nicht nur, aber in besonderer Weise für den Bereich der Sicherheitspolitik. Trotz aller Reverenzen für eine transnationale Zivilgesellschaft bilden die Staaten de facto wie normativ das Zentrum für global governance. Die Instabilität dieser oft als selbstverständlich unterstellten Basis wenigstens territorial gesicherter Einzelstaaten für anspruchsvollere Weltordnungskonzepte demonstrieren Entwicklungen nicht nur im Nahen Osten oder in Afrika, sondern auch im Vorfeld Russlands. Die heutige Welt ist immer noch zutiefst gespalten und geprägt von Rivalitäten, Asymmetrien, Ungleichheit, Ungleichzeitigkeiten und schwerwiegenden Wertedifferenzen, bis hin zu tödlichen Voruteilen in traditionalistischen Kulturen und kollektivem Vernichtungswahn bei fanatisierten staatlich etablierten, substaatlichen oder transnationalen Gruppierungen. Es gibt keine automatische Beziehung zwischen materieller und kommunikativer Globalisierung auf der einen und politischer oder gar moralischer Vergemeinschaftung auf der anderen Seite; auch ein negativer Zusammenhang ist möglich. Es kann also auch sein, dass die Welt sowohl zusammenwächst als auch auseinanderfällt.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Im Fachgebiet der Internationalen Beziehungen (IB) entspricht der sogenannte Realismus dem Konservativismus in der allgemeinen politischen Theorie.

  2. Gert Krell, Weltbilder und Weltordnung. Einführung in die Theorie der internationalen Beziehungen, Baden-Baden 20094.

  3. Vgl. Ulrich Menzel, Die Ordnung der Welt. Imperium oder Hegemonie in der Hierarchie der Staatenwelt, Berlin 2015.

  4. Ähnliche Argumente finden sich schon bei Alexander Hamilton (1755–1804), dem Führer der Federalist Party und ersten Schatzminister der USA.

  5. An dieser Stelle wäre auch auf den liberalen Imperialismus einzugehen, der das 19. und 20. Jahrhundert bis in Argumentationsfiguren zum Irak-Krieg hinein geprägt hat; vgl. dazu G. Krell (Anm. 2), S. 18ff.

  6. Vgl. ebd., S. 340–345.

  7. Vgl. U. Menzel (Anm. 3).

  8. Michael Hardt/Antonio Negri, Empire. Die neue Weltordnung, Frankfurt/M.–New York 2003, S. 10, S. 13, S. 94, S. 356.

  9. Vgl. hier und im Folgenden: Leo Panitch/Sam Gindin, The Making of Global Capitalism. The Political Economy of American Empire, London–New York 2013.

  10. Ebd., S. 336f.

  11. Vgl. etwa G. John Ikenberry, Liberal Leviathan. The Origins, Crisis, and Transformation of the American World Order, Princeton–Woodstock 20123.

  12. Niklas Luhmann, Die Weltgesellschaft, in: ders., Soziologische Aufklärung, Bd. 2, Opladen 1975, S. 51–71.

  13. Ebd., S. 54f.

  14. Vgl. Hedley Bull, The Anarchical Society. A Study of Order in World Politics, New York 1995 (1977), S. 269ff.; teilweise ähnlich Andrew Hurrell, On Global Order, Oxford–New York 2007.

  15. Mit "Kontraktualismus" ist die Vertragstheorie gemeint, in der Philosophen wie Thomas Hobbes (1588–1679) oder John Locke (1632–1704) modellhaft den Gesellschaftsvertrag und damit das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Staat begründet haben.

  16. Immanuel Kant, Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf, Stuttgart 2002 (1795), S. 20.

  17. Global governance meint eine Art von "Weltregieren ohne Weltregierung", sondern durch internationale Regelwerke, die Staaten für die verschiedensten Problemfelder miteinander verabreden.

  18. Vgl. Volker Rittberger/Andreas Kruck/Anne Romund, Grundzüge der Weltpolitik. Theorie und Empirie des Weltregierens, Wiesbaden 2010.

  19. Ebd., S. 37, S. 729f.

  20. Vgl. Michael Zürn, Vier Modelle einer globalen Ordnung in kosmopolitischer Absicht, in: Politische Vierteljahresschrift, 52 (2011) 1, S. 78–118, hier: S. 98ff., Zitate: S. 99, S. 103.

  21. Dieter Senghaas, Weltordnung in einer zerklüfteten Welt. Hat Frieden Zukunft?, Berlin 2012, S. 160.

  22. Helmut Breitmeier/Michèle Roth/Dieter Senghaas (Hrsg.), Sektorale Weltordnungspolitik. Effektiv, gerecht und demokratisch?, Baden-Baden 2009, S. 237–242, hier: S. 242.

  23. Vgl. Harald Müller, Wie kann eine neue Weltordnung aussehen?, Frankfurt/M. 2008, S. 246ff.

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Dr. phil., geb. 1945; Professor em. für Internationale Beziehungen im Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Theodor-W.-Adorno-Platz 6, 60323 Frankfurt/M. Externer Link: http://www.gert-krell.de

Dr. phil., geb. 1945; Professor für Internationale Beziehungen am Institut für Politische Wissenschaft der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Bergheimer Str. 58, 69115 Heidelberg. E-Mail Link: peter.schlotter@ipw.uni-heidelberg.de