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Das Festival - Alibi für die Ausnutzung der Jugend

Erwin Breßlein

/ 5 Minuten zu lesen

Im Sommer 1973 fanden die X. Weltfestspiele in Ost-Berlin statt. Ein Jugendfestival zwischen politischer Inszenierung, Repression und persönlicher Begegnung. Erwin Breßlein analysiert die Geschichte der Weltfestspiele und die Vorbereitungen für Ost-Berlin.

Bald nach der Entscheidung des IVK für Ost-Berlin als den Veranstaltungsort der X. Weltfestspiele entwickelte sich in der DDR eine Aktivität besonderer Art. Sie manifestiert sich in der Schlagzeile der FDJ-Zeitung "Junge Welt" vom 1. April 1972: "Planerfüllung ist wichtigster Festivalbeitrag". Sogenannte "Jugendobjekte" mußten von Gruppen jugendlicher Werktätiger in Arbeit genommen werden. Ständig und zu allen möglichen Anlässen (und auch ohne sie) wurde die gesamte Jugend zu "Subbotniks", freiwilligen und entgeltlosen Arbeitseinsätzen aufgefordert. Über die FDJ bürdete die Partei den Jugendlichen Zusatzverpflichtungen auf, wie etwa Unterstützung der hinter dem Plan her hinkenden Zulieferindustrie, bei Rationalisierungsmaßnahmen, in der "Neuerer"-Kampagne oder in der großangelegten MMM-Bewegung, der "Messe der Meister von morgen". Erwirtschaftete Gelder und Spenden flossen auf das "Festspielkonto 1973" beim Berliner Postscheckamt. Das Startzeichen für die organisierte Steigerung der Leistung wurde im März 1972 gegeben, als die FDJ-Unterorganisationen unverhohlen aufgefordert wurden, den Mitgliedern in den Monatsversammlungen noch mehr Aktivität abzuverlangen.

Da gab es kein noch so abgelegenes Gebiet, das nicht in das Blickfeld der Planüberfüllung gelangte. Einige Kuriosa seien hier kurz vermerkt, etwa daß das Kollektiv vom Jugenddorf 12 im Stahlwerk Brandenburg sich verpflichtete, die Ofenverluste und den Ausschuß pro Tonne Stahl von 57 auf 45 Kilo zu verringern, daß Jugendliche des Betriebs "Parat" 3000 Polsterhocker über den Plan hinaus produzieren wollten, FDJler aus dem Bezirk Rostock die Milchleistung pro Kuh um 210 kg pro Jahr heraufzusetzen sich entschlossen, in Weißenfels neue Gestaltungsvorschläge des Jugendobjektes "Kleinstkinderschuh Bummi" in Aussicht gestellt wurden und daß junge Kabelwerker aus Schwerin die Aktion "Goldene Hände" starteten, in der es darum ging, "Erfahrungen sowjetischer Arbeiter zu erkunden und sie schnellstens zur Qualitätsverbesserung ihrer Erzeugnisse anzuwenden".

Roland Stöckel, FDJ-Sekretär in Weira, Kreis Pößneck, brachte die Initiativen auf folgenden Nenner: "Gut arbeiten, fleißig lernen und immer fröhlich sein, das ist der wichtige Dreiklang für unser Leben. Und so wollen wir auch die Weltfestspiele vorbereiten."

Anscheinend waren die Ergebnisse noch nicht ausreichend. Ende September 1972 begann, ausgehend von FDJ-Grundorganisation "Karl-Liebknecht" des Berliner Transformatorenwerks (TRO), eine Kampagne zur Entwicklung von Kampfprogrammen in allen FDJ-Grundorganisationen, aus denen sich Festivalaufträge für jede FDJ-Gruppe und für jeden einzelnen ergaben. FDJ-Chef Jahn rief zum konkurrierenden Wettbewerb der Gruppen untereinander um die besten Ergebnisse auf. Was damit erreicht werden sollte, sagt die "Junge Welt" vom 3. Oktober: "Fest steht, daß es ein Unterschied ist, ob ich einfach sage: 'Nun mach mal was!' oder aber: 'Guck mal, dein Nebenmann macht mehr als du!' Das letztere geht mehr ans Ehrgefühl, denn jeder normale Mensch will gut dastehn im Verhältnis zum anderen, der sozialistische Wettbewerb ist die größtmögliche Aktivität der werktätigen Massen." Verbunden wird diese neue Aktion mit Veröffentlichungen der Leistungen – und Nichtleistungen – der FDJ-Mitglieder in der "Jungen Welt".

Alle diese von der angeblichen Begeisterung der DDR-Jugend über die neu zugemuteten Leistungen begleiten Kampagnen waren Maßnahmen zur verschärften Ausnutzung der jungen Werktätigen. Nimmt man den Kommentar des "Neuen Deutschland" vom 2. Oktober 1972: "Alles in allem: Die jungen Freunde aus dem TRO verstehen gut, Vorfreude mit hervorragenden Leistungen zu verbinden" und andere offizielle Äußerungen ähnlicher Art für bare Münze, so muß man den Eindruck gewinnen, daß die Jugend der DDR durch die intensive Bearbeitung von Partei und FDJ heute zu einer kritischen Analyse der eigenen realen Situation kaum mehr fähig ist. Entwöhnt von der Vorstellung effektiver Selbstbestimmung, merkt die orthodox erzogene Jugend in der DDR nicht einmal mehr, daß sie sich mit der Begründung, das sei Sozialismus, zur Übernahme immer stärkerer Lasten und zur Erfüllung und Überfüllung der von "oben" gesetzten Normen selbst verpflichten muß. Nur in der Arbeitsorganisation darf sie noch "schöpferisch" sein, um die größtmögliche Rationalität zu erzielen.

Einen neuen Aufruf, "einen Festivalauftrag zur Vorbereitung der X. Weltfestspiele" zu übernehmen und "miteinander um hohe Leistungen im Festivalaufgebot" zu wetteifern – als Lohn winken "Thälmann-Ehrenbanner" oder eine "Festivalrose" -, erließ die zentrale Funktionärskonferenz der FDJ am 20. Oktober 1972. Intensiviert wurden auch die persönlichen Einflußnahmen auf jeden der etwa 1,9 Millionen FDJler durch FDJ-Funktionäre. Ihr Ziel: "Die mit jedem Mitglied beratenen und danach in FDJ-Mitgliederversammlungen beschlossenen Festivalaufträge enthalten konkret persönliche, abrechenbare Vorhaben der Mädchen und Jungen zur allseitigen Stärkung der DDR" (ND, 19.11.1972).

Wie sich die FDJ-Führung das Ergebnis dieser Aktion vorstellt, macht sie an einem "konkret persönlichen" Beispiel in ihrem Organ "Junge Welt" klar, wo ein Fräser im VEB Sachsenring Automobilwerk Zwickau sein Programm verkündet:

"1. meine Planerfüllung um 5 v.H. zu steigern, indem ich die Zeit der Maschinenpflege durch klügere Organisation von 30 auf 15 Minuten reduziere sowie die Arbeitszeit auf die Minute genau für die Produktion nutze;

2. die Qualität meiner Arbeit um 25 v.H. zu verbessern, indem ich die gefertigten Teile sofort nachkontrolliere;

3. die MMM-Aufgabe "Mechanisierung der Vorderkotflügelfertigung", die ich leite, bis September 1973 zu realisieren.

Für meinen Festivalauftrag überlegte ich weiter:

  • Erwerb des Abzeichens 'Für guten Wissen' in Gold;

  • Patenschaft über einen noch nicht so aktiven FDJler mit dem Ziel, daß auch er einen persönlichen Plan zur Steigerung der Arbeitsproduktivität übernimmt;

  • eine Sonderschicht zur Finanzierung des Festivals zu organisieren."

In der vorläufigen Abrechnung im März 1973 hätte die SED-Führung mit der Ausbeute zufrieden sein können. Von den knapp 1,9 Millionen FDJlern hatten mehr als 1,7 Millionen "Festivalaufträge" übernommen; 176 588 persönliche Pläne zur Steigerung der Arbeitsproduktivität um mindestens 1 v.H. über die vorgesehenen Kennziffern lagen vor; 853 550 Jugendliche waren an MMM-Aufgaben beteiligt; 17 000 Jugendbrigaden standen in der Arbeit, und über 40 000 Jugendobjekte hatten FDJler übernommen; die Bauarbeiter in Berlin schließlich verpflichteten sich die Planziele zu unterbieten und alle Festivalobjekte vorzeitig fertigzustellen.

Solcher Einsatz sichert allerdings noch nicht die Berechtigung zur Teilnahme an den Weltfestspielen. Dazu bedarf es vielmehr noch besonderer Anstrengungen, wie der Sekretär des FDJ-Zentralrates, Erich Postler, erklärte: "Die sicherste Garantie für eine Fahrkarte zu den Weltfestspielen ist die, wenn du dir aus dem Programm die größte und schwierigste Aufgabe herausnimmst und vorbildlich löst" (Bauern Echo v. 20.10.1972).

Daß die Jugendlichen nicht immer mit Begeisterung reagieren, gesteht indirekt der Kommentator Volker Eichstedt Anfang dieses Jahres in der "Berlin Zeitung" mit der Bemerkung ein, eigentlich "könnte das Ergebnis im Festivalaufgebot der FDJ mancherorts größer sein...".

Hier deutet sich ein Dilemma in der DDR an, das gerade zur Zeit besondere Probleme aufwirft: die permanenten wirtschaftlichen Schwierigkeiten des zweiten deutschen Staates. Die offizielle Unzufriedenheit mit der eigenen Jugend belegt in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß die Jugend teilweise merkt, wie sie mit unzumutbaren Belastungen für die Behebung dieser Schwierigkeiten mißbraucht werden soll. Denn es handelt sich bei den Anstrengungen der FDJ-Führung, die jungen Werktätigen immer intensiver zu Mehrarbeit anzutreiben, wesentlich weniger um die Beschaffung von Mitteln zur Finanzierung der Weltfestspiele als um Ausbeutung zur allgemeinen Erhöhung der Produktivität. Sie soll der DDR aus ihrer miserablen wirtschaftlichen Situation heraushelfen, die sich beispielsweise im Abbruch des freien Grenzverkehrs mit Polen offenbart: er wurde nämlich eingestellt, weil die polnischen Privateinkäufe allein schon vermochten, die Versorgung der DDR-Bevölkerung mit manchen Gütern in Frage zu stellen. Mit Berechnung zielt dabei das kommunistische Establishment auf die jugendliche Begeisterungsfähigkeit für ein solches Großereignis wie das Festival – oftmals mit Erfolg, aber doch eben nicht alle jungen Menschen und nicht alle gründlich erfassend, wie die parteioffizielle Kritik beweist.

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