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Die Bilanz der Ära Clinton in der Innen- und Verfassungspolitik | U.S.A. | bpb.de

U.S.A. Editorial Die Zukunft der deutsch-amerikanischen Beziehungen Die Bilanz der Ära Clinton in der Innen- und Verfassungspolitik Die Sozial- und Gesundheitspolitik der Clinton-Administration Wirtschaftsentwicklung und Wirtschaftspolitik in den USA unter der Clinton-Administration Beharrung und Alleingang: Das außenpolitische Vermächtnis William Jefferson Clintons

Die Bilanz der Ära Clinton in der Innen- und Verfassungspolitik Handlungsfelder, Entwicklungstendenzen, Hintergründe

Michael Dreyer

/ 24 Minuten zu lesen

Die Erwartungen, die die amerikanische Öffentlichkeit im Wahlkampf 1992 und beim Amtsantritt an William Jefferson Clinton richtete, kreisten vor allem um innenpolitische Themen.

I. Innenpolitik und Parteien- konstellationen

Die Erwartungen, die die amerikanische Öffentlichkeit im Wahlkampf 1992 und beim Amtsantritt an William Jefferson Clinton richtete, kreisten vor allem um innenpolitische Themen. Als langjähriger Gouverneur von Arkansas besaß er kaum außenpolitisches Profil, aber Wahlkämpfe werden in den USA ohnehin nicht mit Außenpolitik gewonnen, und das Rezessionsjahr 1992 stellte keine Ausnahme dar. Präsident George Bush, dessen große Erfolge, der Golfkrieg und das Ende des Ost-West-Konfliktes, außenpolitischer Natur waren, unterlag glatt dem innenpolitisch versierter erscheinenden Herausforderer.

Aber Erfolge in der Innenpolitik sind abhängig von vielen nur begrenzt beeinflussbaren Faktoren. Anders als die lange im Konsens der Parteien geführte Außenpolitik ist Innenpolitik seit jeher Gegenstand politischer Auseinandersetzung. Sie ist zudem die Domäne des Kongresses, der gleichberechtigt neben dem Präsidenten steht und ihn sogar in den Schatten stellen kann. Mehrheitsverhältnisse und ideologische Ausrichtungen im Kongress entscheiden darüber, welches Programm ein Präsident realistischer verfolgen kann.

Für Clinton erfolgte ein abrupter Wandel der politischen Rahmenbedingungen, als die Wähler ihm 1994 einen republikanischen Kongress zur Seite stellten; den ersten seit Anfang der Präsidentschaft Eisenhowers. Nach zwei Jahren mit demokratischen Mehrheiten in Senat und Repräsentantenhaus begann im November 1994 eine zweite Phase, in der Republikaner unter Führung von Newt Gingrich die politische Tagesordnung bestimmten. Das Ende ihrer Dominanz kam bereits im Winter 1995/96, als Gingrich wegen eines Haushaltsdisputs mit dem Präsidenten die Regierungsgeschäfte lahmlegte. Seine Rechnung ging nicht auf, denn die Schuld wurde nicht Clinton zugeschrieben, sondern den Republikanern. Aus deren Warte war der "government shutdown" 1995 fast ebenso ein Desaster wie die Wahl 1994 für die Demokraten. Clinton gewann die Initiative zurück, und so lässt sich hier die zweite Zäsur setzen. Die durch sie eingeleitete neue Phase reichte bis zu den Wahlen im November 1996, die den Status quo bestätigten. Clinton errang einen leichten Sieg über Senator Robert Dole. Andererseits hielt sich, erstmals seit 1928, mit leichten Verlusten ein republikanisches Haus, und auch im Senat blieb die Mehrheit bestehen. Diese politische Konstellation hatte für die gesamte zweite Amtsperiode Clintons Bestand, die hier als vierte Phase betrachtet werden soll. Das politische Klima allerdings sah in diesen vier Jahren erhebliche Umschwünge. 1997 gab es eine bemerkenswerte Kooperation von Präsident und republikanischem Kongress, oft zum Unmut der Demokraten.

Aber 1998 brach der Lewinsky-Skandal los, der alle Kooperation über Parteigrenzen hinweg beendete. Er legte das politische Leben lahm, kulminierte im Impeachment des Präsidenten, der Anfang 1999 vom Senat freigesprochen wurde, und belastete Clinton mit dem Stigma, als erster gewählter Präsident "impeached" worden zu sein. Es überrascht kaum, dass die verbleibenden Jahre seiner Amtszeit von innenpolitischer Stagnation gekennzeichnet waren.

Das Verhältnis des Präsidenten zum Kongress wird nicht nur durch das zur Opposition geprägt, selbst wenn diese die Mehrheit im Kongress stellt. Auch dann ist das Verhältnis zur eigenen Partei wichtig, denn er braucht deren Unterstützung, um Vetos aufrechtzuerhalten und um im Senat, dessen Regeln anders als im Repräsentantenhaus der Minderheit viele Obstruktionschancen geben, Kompromisse zu erzwingen. Auch nach 1994 blieb also die Beziehung zwischen Clinton und den Demokraten zentral für Erfolg oder Scheitern seiner Präsidentschaft. Erst recht war sie dies jedoch in den ersten beiden Jahren, als die Mehrheiten im Kongress dem Präsidenten ein ehrgeiziges legislatives Programm zu erlauben schienen. Außer in den vier Jahren Präsident Carters waren die vergangenen 24 Jahre durch "divided government" geprägt worden, und jetzt gab es die Chance, institutionelle Blockaden zu überwinden.

II. "United Government" und ehrgeizige Pläne 1993/94

Die amerikanische Verfassung beginnt mit den Abschnitten über den Kongress, und ein Präsident, der die Führer des Kongresses anders als gleichrangig behandelt, wird politische Probleme haben. Clinton schloss in sein Kabinett und seinen Beraterstab eine Reihe ehemaliger Parlamentarier mit guten Kontakten zum "Capitol Hill" ein. Noch im Februar 1993 gingen die "Motor Voter Bill", die die Registrierung von Wählern vereinfachte, und der "Family Leave Act", der u. a. Babyurlaub vorsah, problemlos durch den Kongress. Beide Gesetze waren zuvor von Präsident Bush durch ein Veto verhindert worden. Der Kongress wiederholte sich also nur selbst, und diese frühen Erfolge verdeckten ein Problem: Der Kongress tut niemals etwas nur deshalb, weil der Präsident es wünscht. Die Abgeordneten müssen überzeugt sein, dass eine Entscheidung ihrem Wahlkreis und ihnen selber nutzt, oder zumindest, dass der Präsident ein "mandate" für seine Politik besitzt. So war es bei Ronald Reagan, der 1980 Carter entscheidend und als klare politische Alternative geschlagen hatte. Im Gegensatz dazu beeindruckten Clintons 43 Prozent kaum jemanden in Washington.

In solch einem Fall empfiehlt sich kompromissbereites Taktieren, ohne politisch riskante Stimmabgaben von den Abgeordneten zu verlangen, sowie Festigkeit des Präsidenten bei einmal gefassten Beschlüssen. Im Frühjahr 1993 schien Bill Clinton von allem das Gegenteil zu versuchen. Der falsche Optimismus verführte zu übergroßen Vorhaben, die gegen die Interessen vieler Abgeordneter liefen und die mit verfehlten PR-Strategien unterstützt wurden. Als Clinton den Dienst in der Armee auch für Schwule und Lesben ermöglichen wollte, dachte er an eine Verwaltungsanordnung, um dieses Wahlversprechen an eine solide demokratische Wählergruppe einzulösen. Statt dessen beherrschte das Thema auf einmal die Tagesordnung. Clinton unterschätzte den Widerstand der Militärs und konservativer Parlamentarier, an ihrer Spitze der mächtige Vorsitzende im Streitkräfteausschuss, Senator Sam Nunn. Nach einigem politisch in mehrere Richtungen für Clinton kostspieligen Hin und Her wurde der Kompromiss des "don't ask, don't tell" erreicht, der von Anfang an keine Seite zufrieden stellte. Schwule und Lesben fühlten sich verraten, Konservative sahen trotz Clintons Rückzieher ihre Befürchtungen bestätigt, und der Kompromiss führte zu einer heute gescheiterten Politik.

Der Verlauf dieser Debatte ist symptomatisch für die frühe Präsidentschaft Clintons; ähnlich schwierig war es, die Spitzen im Justizministerium zu besetzen. Zwei Kandidatinnen für den Ministersessel wurden nominiert und wieder fallen gelassen, sobald sich Probleme abzeichneten. Weder die Nominierungen noch das alles andere als Loyalität und Rückgrat beweisende schnelle Abrücken von ihnen halfen Clinton.

Erfolgreicher war der Kampf um das Wirtschaftsprogramm. Der erste Haushalt, das Budget für das Fiskaljahr 1994, einige Steuererhöhungen und das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA) wurden mit knappsten Mehrheiten verabschiedet. Aber diese Siege waren Pyrrhus-Siege. NAFTA war ein Projekt, das Clinton von Bush übernommen hatte. Die Republikaner im Kongress unterstützten NAFTA, aber gegen die Opposition vieler Demokraten und der Gewerkschaften, deren organisatorische und finanzielle Unterstützung von größter Wichtigkeit für die Partei war und ist. Ansonsten war Clinton aber ausschließlich auf Demokraten angewiesen, von denen viele mit großem politischen Mut Parteidisziplin über die Wahlkreisinteressen stellten. Besonders verbittert waren die Demokraten im Haus, die für eine unpopuläre Energiesteuer stimmten, nur um dann zu erleben, wie diese Steuer im Senat gekippt wurde. Am Ende des ersten Jahres sah die Bilanz Clintons und der Demokraten alles andere als glänzend aus. In dieser Situation setzte die Administration alles auf die Karte der Gesundheitsreform.

Das Debakel des Scheiterns dieser Reform, die nicht einmal zur Abstimmung im Kongress kam, lässt sich auf eine Vielzahl von Faktoren zurückführen. Zunächst überschätzte der Präsident auch hier das öffentliche Mandat für eine radikale Reform des Gesundheitssystems. Zweitens wurde wertvolle Zeit im Herbst 1993 mit der Suche nach Stimmen für NAFTA zugebracht, statt für die Gesundheitsreform im Kongress zu werben, und das hierfür aufgewendete politische Kapital ließ sich nicht erneut ausgeben. Drittens blieben Popularität des Präsidenten und die Zustimmung zu seiner Amtsführung ständig unter 50 Prozent, was seine ohnehin schwache Position im Kongress weiter unterminierte. Viertens polarisierte Hillary Clinton an der Spitze der Reformkommission mehr und mehr das Land in einer Frage, die nur konsensual zu lösen war. Fünftens waren ausgerechnet die Spitzen dieser Kommission wenig erfahren im Umgang mit dem Kongress und vertrauten daher auf die Vernunft der Reformpläne, wo intensive Lobbyarbeit nötig gewesen wäre. Sechstens vermochte es das Weiße Haus nicht, die Bevölkerung auf die Seite der Reform zu bringen, was fatal wurde, nachdem die Reformgegner eine wirkungsvolle Fernsehkampagne begannen. Siebtens schwand 1994 die Unterstützung der um ihre Wiederwahl bangenden Demokraten im Kongress, und achtens war die Administration nicht bereit zu Kompromissen, die eventuell mit Unterstützung moderater Republikaner zumindest Teile der Reform gerettet hätten.

Betrachtet man die Ereignisse rein politisch, ohne auf die inhaltlichen Meriten der Reform einzugehen, dann muten sie wie eine einzige Abfolge von versäumten Gelegenheiten, Fehleinschätzungen und Desastern an, und genau das waren sie auch. Mitte 1994 jedenfalls brach bei den demokratischen Abgeordneten und Senatoren langsam Panik aus, da sie in den Wahlkampf mit einem unpopulären Präsidenten, Steuererhöhungen und ansonsten fast nur gescheiterten Plänen gehen mussten. Die Situation verschärfte sich noch, als ein großes Verbrechensbekämpfungspaket kurz vor den Wahlen zunächst im Kongress durchfiel. Teil des Paketes waren Maßnahmen zur Waffenkontrolle, die den Demokraten aus konservativen und ländlichen Wahlkreisen wie eine Aufforderung zum politischen Suizid vorkommen mussten. Obwohl die demokratischen Spitzenpolitiker aus Senat und Haus den Präsidenten beschworen, diese Abschnitte zu streichen, zog er es vor, die Zustimmung der gemäßigten Republikaner durch einen anderen Handel zu ermöglichen.

Damit war das Schicksal des demokratischen Kongresses besiegelt. Die mächtige und wohlfinanzierte National Rifle Association kämpfte gegen "abtrünnige" Demokraten, und Newt Gingrich, der Chefstratege der Republikaner, legte am 27. September mit dem "Contract for America" ein umfangreiches Gesetzgebungsprogramm vor, das er mit einem republikanischen Haus in 100 Tagen umzusetzen versprach. Melodramatisch unterzeichneten hunderte republikanischer Kandidaten den "Vertrag", die Medien griffen die Inszenierung auf, und Gingrich hatte ein strategisches Ziel erreicht: die Debatte über die Wahl war nationalisiert worden, und damit losgelöst von dem berühmten Diktum des früheren Speakers Tip O'Neills, "all politics is local". Ein nationaler Wahlkampf konnte bei der politischen Großwetterlage 1994 aber nur den Republikanern nutzen. Senat und Repräsentantenhaus wurden von den Republikanern erobert, die diesen Erfolg ihrer prinzipiellen konservativen Opposition gegen die Politik Präsident Clintons zu verdanken schienen.

III. Von "Divided Government" 1994 bis zum "government shutdown" 1995/96

Die ersten beiden Jahre der Präsidentschaft Clintons mit ihren parteipolitisch einheitlichen Mehrheiten hatten die Wähler nicht überzeugt, und so kehrte die Normalität des "divided government" 1994 wieder zurück. Die innenpolitische Initiative war auf die Republikaner übergegangen, und damit auf Newt Gingrich. Unter seiner Führung erfüllten die Republikaner ihre Wahlversprechen aus dem "Contract with America". Binnen 100 Tagen wurden alle wesentlichen Gesetzesvorhaben aus dem "Contract" im Repräsentantenhaus zur Abstimmung gebracht, was dank der auf Gingrich eingeschworenen neuen Mehrheit, darunter zahlreiche erstmals gewählte Abgeordnete, der hohen Parteidisziplin im Haus und vor allem der Regeln des Repräsentantenhauses, die eine Verzögerungstaktik der Minderheit unmöglich machen, immerhin durchführbar war, wenn es auch eine bemerkenswerte Leistung blieb.

Der Präsident musste diesen Entwicklungen als unbeteiligter Zuschauer beiwohnen. Ein symbolischer Tiefpunkt war erreicht, als Clinton im April auf einer Pressekonferenz erklärte, dass ihm die Verfassung weiterhin Relevanz für den politischen Prozess gebe. Diese Hilflosigkeit demonstrierte die Machtverteilung zu dieser Zeit. So unpolitisch, wie Clintons Erklärung klang, war sie doch nicht falsch. Die Verabschiedung eines Gesetzesentwurfes im Repräsentantenhaus ist nur der erste Schritt auf dem Weg zum Gesetz. Im Senat waren die Demokraten in der Minderheit, aber ebenso wie zuvor die Republikaner konnten sie die Regeln dieser endlose Debatten erlaubenden Kammer zu Verzögerungstaktiken nutzen. Wenn der Widerstand der Demokraten gebrochen oder durch Kompromisse erkauft war, wurde es wiederum schwierig, den Anhängern der "reinen Lehre" im Repräsentantenhaus die Abweichungen schmackhaft zu machen. Und über allem schwebte die Drohung von Clintons Veto.

Das Resultat war vorhersehbar; Präsident und Kongress blockierten sich gegenseitig. Von den 25 wichtigsten Punkten im "Contract" waren Ende 1995 erst fünf zu Gesetzen geworden, der Rest war unterwegs gescheitert. Problematisch war dies vor allem beim Haushalt. Hier beging Gingrich seinen entscheidenden strategischen Fehler, der die Sachlage erneut verändern sollte. Er interpretierte, ähnlich wie Clinton 1993, den Wahlerfolg als Mandat für einen Richtungswechsel und erwartete die Unterstützung der Öffentlichkeit gegen Clinton. Dies war ein Irrtum, die Wahlen 1994 waren eher eine Abrechnung mit einem unpopulären Präsidenten und seiner Partei gewesen, aber kein Mandat für eine Revolution. Hinzu kam die wachsende Unbeliebtheit Gingrichs, und diese Mixtur führte ins Debakel des "government shutdown" 1995/96.

Mit Beginn des Fiskaljahres im Herbst 1995 gab es noch kein Haushaltsgesetz; zu weit lagen die Vorstellungen Clintons und die des Kongresses auseinander. Im Vertrauen darauf, dass die Bevölkerung Clinton die Schuld geben würde, verweigerten Gingrich und Robert Dole für die Republikaner im Senat die Zwischenfinanzierung durch einen vorläufigen Haushalt. Präsident Clinton wiederum weigerte sich, republikanischen Forderungen im Haushalt zuzustimmen, und im November 1995 und noch einmal im Dezember /Januar schlossen "non-essential"-Behörden ihre Tore, darunter zahlreiche Ämter mit direktem Bürgerkontakt, so dass die Effekte des "shutdown" für fast jeden Amerikaner spürbar wurden.

Der Präsident hatte die öffentliche Meinung besser eingeschätzt als der Speaker. Ein unbedachter Kommentar Gingrichs, dass seine Verweigerung damit zu tun habe, dass er und Dole auf dem Rückflug von der Beerdigung des ermordeten israelischen Ministerpräsidenten Rabin schlechte Plätze an Bord der Präsidentenmaschine bekommen hätten, verwandelte eine schwierige Situation in eine PR-Katastrophe, verstärkte die negative Meinung über Gingrich und gab Karikaturen und Talkshows ein willkommenes Thema, zumal Bilder vom Flug bekannt wurden, die seine Behauptung widerlegten. Die Schuld am "shutdown" wurde den Republikanern zugeschrieben; damit hatten sich zwar die Mehrheitsverhältnisse nicht geändert, wohl aber die politische Dynamik. Die Initiative war auf Clinton übergegangen, der sie im Wahljahr 1996 zu nutzen verstand.

IV. Vom "government shutdown" zu den Wahlen im November 1996

Mit dem näher rückenden Wahltermin zogen sowohl Präsident Clinton wie die Republikaner eine Zwischenbilanz. Beide Seiten standen mit leeren Händen da. Clintons Gesundheitsreform war gescheitert, die 1992 versprochene Reform der Sozialfürsorge noch nicht einmal in Angriff genommen. Umgekehrt blieb auch der "Contract" mehr Versprechen als Wirklichkeit. Beide Seiten entdeckten eine neue Kompromissbereitschaft, um im Wahlkampf wenigstens einige Erfolge vorweisen zu können.

Das ergab eine eigentümliche politische Konstellation; während es im Interesse Clintons lag, mit den Republikanern zu kooperieren, war den Demokraten im Kongress eher damit gedient, ihnen jeden Erfolg zu verweigern. Die sich hiermit andeutende Entfremdung Clintons von seiner Partei wurde verstärkt durch das Wahlkampfkonzept der "triangulation", von dem Präsidentenberater Dick Morris seinen Klienten überzeugen konnte. Es besagte, dass Clinton gleichen Abstand zu Republikanern und Demokraten wahren sollte, um aus dem politischen Zentrum heraus die Wahl zu gewinnen. Dies führte zur Brüskierung zentraler Wählergruppen von 1992, aber die ebenso erfolgreiche wie zynische Kalkulation des Duos Morris ,Clinton ging davon aus, dass etwa Schwarze und Homosexuelle ohnehin nicht zu den Republikanern überlaufen konnten. Im Herbst ging Clinton so weit, Gesetze zu unterzeichnen und sie gleichzeitig zu beklagen und eine Revision für die Zeit nach seiner Wiederwahl zu versprechen.

Die Innenpolitik des Jahres 1996 ist durch die Umsetzung dieser Strategie gekennzeichnet. Im Juli wurde die Sozialfürsorge reformiert und dabei unter anderem die Gesamtzeit, in der Fürsorge empfangen werden konnte, beschränkt. Die meisten politischen Führer der Schwarzen innerhalb wie außerhalb des Kongresses waren vehemente Gegner dieser genuin republikanischen Gesetzgebung, und die Spitzen der Demokraten bedrängten Clinton, sein Veto einzulegen. Zudem bedeutete das Gesetz, das weitgehende Kompetenzen vom Bund auf die einzelnen Staaten übertrug, eine nicht unerhebliche Machtverschiebung innerhalb des föderativen Systems.

Getreu der "triangulation"-Strategie und nach erheblichen Auseinandersetzungen innerhalb des Weißen Hauses und der Administration unterzeichnete Clinton das Gesetz. Ein Wahlversprechen war erfüllt, und vor allem wurde den enttäuschten Republikanern ein Thema genommen. Dass damit die schwarzen Wähler verärgert wurden, fiel weniger ins Gewicht. Ähnlich verhielt es sich mit dem "Defense of Marriage Act", der sich für die Bundesebene ausdrücklich gegen die ohnehin nirgendwo in den USA mögliche Ehe gleichgeschlechtlicher Partner aussprach. Clintons Zustimmung zu diesem Gesetz deckte wiederum einige Flanken ab, und die solcherart düpierten Anhänger wählten im November trotzdem die Demokraten.

Gleichwohl gehörte zur Strategie der "triangulation" auch, populäre Gesetzesvorhaben für die Stammwählerschaft zu unterstützen. Je weiter das Wahljahr voranging, desto günstiger wurden die Gelegenheiten hierzu, da die Republikaner kompromissbereiter werden mussten, wenn sie nicht den "government shutdown" des Vorjahres wiederholen wollten. Die Haushaltsverhandlungen zogen sich erneut in die Länge, und am Ende bekam Präsident Clinton fast alle Wünsche erfüllt. Zudem wurden gegen den Widerstand der republikanischen Parteiführer im Kongress eine Erhöhung des Mindestlohnes und ein Gesetz zur Übertragbarkeit des Versicherungsschutzes bei Wechsel des Arbeitsplatzes verabschiedet. Beide Initiativen gingen vom Kongress aus und sind wesentliche innenpolitische Erfolge der Demokraten, können aber nicht Präsident Clinton zugerechnet werden.

Die Wahlen von 1996 bestätigten Bill Clinton. Bestätigt wurde aber auch die republikanische Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses, was erneut zu Verstimmungen zwischen den Demokraten und Clinton führte. Im Oktober hatten die Strategen beider Parteien den Schluss gezogen, dass die Präsidentschaftswahl entschieden sei. Die Republikaner setzten daraufhin ihre finanziellen Ressourcen primär für kritische Kongress-Wahlkreise ein. Clinton war nicht bereit, in gleicher Weise Mittel auf die Kongresskandidaten seiner Partei zu übertragen, die zurückfielen und die Rückeroberung des Repräsentantenhauses verfehlten.

V. Die zweite Amtsperiode Clintons

Es fällt schwer, eine innenpolitische Agenda Clintons für seine zweite Amtsperiode auszumachen. Immerhin sind dies Jahre eines fortdauernden ökonomischen Aufschwungs, der der Wirtschaft der USA enorme Wachstumsraten bescherte und der praktisch Vollbeschäftigung bei gleichbleibend minimaler Inflation ergab. Natürlich wäre es angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Kongress schwierig gewesen, ein ambitioniertes Programm des Präsidenten zu verabschieden. Clinton scheint es allerdings auch gar nicht erst versucht zu haben, nicht einmal 1997, als die Beziehungen zum Kongress besser waren als jemals vorher oder nachher. Diese Übereinstimmung führte zum Abkommen über einen ausgeglichenen Haushalt, auch dies seit Jahren ein republikanisches Desiderat. Umgekehrt bekam Clinton im Herbst 1997 die Quittung für seine kühlen Beziehungen zur eigenen Partei, als das handelspolitisch wichtige Instrument "fast track" im Kongress an den Demokraten scheiterte.

Während ein Präsident in seinen ersten vier Jahren den Blick auf die Wiederwahl gerichtet hat, kann es in der zweiten Amtsperiode nur noch um den Platz in der Geschichte gehen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die 1997 berufene hochkarätige Kommission zur Untersuchung der Beziehungen zwischen den ethnischen Gruppen dies im Auge hatte. Für Clinton war dieses Thema wichtig wie für kaum einen Präsidenten vor ihm. Mehrere seiner engsten Freunde gehören zu Minoritäten. So war es nahe liegend und zugleich ein genuines Anliegen, etwas für die Verbesserung der Rassenbeziehungen in den USA zu tun. Dies um so mehr, als 1995 eine Serie von Brandstiftungen gegen überwiegend schwarze Kirchen im Süden zeigte, dass hier nach wie vor gewaltige ungelöste Probleme bestanden. Die boomende Wirtschaft und die Tatsache, dass auf diesem Feld auch ohne Gesetzgebung des Kongresses viel getan werden konnte, schien ein gutes Aktionsfeld für die zweite Amtsperiode zu eröffnen. Der Plan verlief jedoch im Sande, die Kommission blieb unbeachtet, es gab keine wesentlichen Verbesserungen. Hauptgrund des Scheiterns war ein Ereignis, das 1998 die Politik der USA zugleich lähmte und bestimmte.

Seit Beginn der Präsidentschaft wurde Clintons politische Handlungsfähigkeit durch Untersuchungen gefährdet, die verschiedene und sich ausweitende Gegenstände seines Privatlebens zum Inhalt hatten. "Whitewater" war die wichtigste von ihnen, aber auch "Travelgate" und "Filegate" beanspruchten Aufmerksamkeit, ebenso die fragwürdige Wahlkampffinanzierung von 1996 oder die früheren Spekulationserfolge der First Lady an der Viehbörse. Auch wurde Clinton schon während des Wahlkampfes von "bimbo eruptions", wie es sein Team ausdrückte, heimgesucht; Gennifer Flowers und später Paula Jones sind dadurch berühmt geworden. Alles dies verblasste jedoch gegenüber dem politischen Orkan, der mit dem Namen Monica Lewinsky verbunden ist.

Die innere Dramaturgie des Lewinsky-Skandals erstreckte sich von den ersten Gerüchten und dem vehementen Ableugnen jeder Beziehung durch den Präsidenten im Januar über immer weitere Enthüllungen und kategorische Verleugnungen das ganze Frühjahr hindurch, über das mit einer Kampfansage an Ken Starr verbundene Eingeständnis der Lüge im August, die Veröffentlichung des Starr-Reports im September, die Wahlen im November, das Impeachment im Repräsentantenhaus im Dezember bis hin zum Verfahren vor dem Senat im Februar 1999. Wie auch immer die Geschichte die Rolle seiner übereifrigen Verfolger von Kenneth Starr über Newt Gingrich bis hin zu den Anklägern im Impeachment-Verfahren beurteilen wird, so kann kein Zweifel bestehen, dass dieses Verfahren in der historischen Würdigung von Präsident Clinton eine ebenso gewichtige Rolle spielen wird wie die monatelangen Lügen, uneidlichen und eidlichen Falschaussagen und Vertuschungsversuche, die dem Verfahren vorausgingen und mit denen Clinton seine Familie, Mitarbeiter, Parteifreunde und die Öffentlichkeit in die Irre führte. Es ist kurios, dass dieses Verhalten ihm historisch geschadet, aber kurzfristig und politisch genutzt hat. Mit fortlaufender Dauer der Untersuchung agierten die Republikaner und der Sonderankläger immer schriller und parteilicher, was wiederum die Demokraten, die ursprünglich keineswegs alle zum Präsidenten standen, zu politischer Einigkeit zurückführte.

Auch die Bevölkerung reagierte nicht, wie von den Republikanern erhofft, die ungeduldig auf eine sich nie einstellende Empörung warteten. Die Amerikaner unterschieden zwischen dem Präsidenten und der Person Clinton. Umfragen zeigten, dass sie mit der Lage des Landes und seiner Führung zufrieden waren, aber den Präsidenten persönlich ablehnten. Es gelang den Republikanern nicht, im Wahljahr 1998 diese Kluft zu überbrücken, was auch daran lag, dass Gingrich noch negativer beurteilt wurde als Clinton.

Innenpolitisch wurde im Kongress 1998 kaum etwas erreicht. Größere Gesetzesvorhaben wie die "Patients Bill of Rights" scheiterten, und erneut verzögerten sich die Haushaltsgesetze, bis die Republikaner in letzter Minute und geplagt vom Gespenst des "shutdown" von 1995 den Forderungen des Präsidenten nachgaben. Anstatt des erhofften Wahlsieges verloren die Republikaner im November sogar fünf Sitze im Repräsentantenhaus, worauf der jetzt auch innerhalb seiner Partei angegriffene Newt Gingrich zurücktrat. Das alles geschah, noch bevor das eigentliche Impeachment-Verfahren das Klima zwischen den Parteien weiter vergiftete. Während der Impeachment-Debatte im Dezember 1998 wurden Anschuldigungen gegen den designierten Speaker Robert Livingston laut, die zu dessen Rücktritt führten. Das direkte politische Resultat der republikanischen Jagd auf Bill Clinton war also der Rücktritt zweier republikanischer Speaker - ein bemerkenswertes Ergebnis.

Die verhärteten Fronten ließen die innenpolitische Blockade in den letzten beiden Jahren der Amtszeit von Clinton unverändert bestehen. Der Haushaltsüberschuss führte nicht zur Verständigung über große politische Programme, wie sie die Demokraten 1993 oder die Republikaner 1995 versucht hatten. Seit dem Herbst 1999 wurde die Politik ohnehin vom Vorwahlkampf für das Jahr 2000 überschattet. Wenn es aus den letzten beiden Jahren Clintons innenpolitisch überhaupt etwas Bleibendes zu erwähnen gibt, dann ist es der innovative Gebrauch, den Clinton vom Instrument der "executive order" machte, um neue Nationalparks anzulegen. Dies ist ohne Zustimmung des Kongresses möglich, und Clinton hat inzwischen mehr Land für diesen Zweck reservieren lassen, als jeder Präsident seit Theodore Roosevelt.

VI. Die Innenpolitik Clintons

Es ist angesichts der verwirrenden Widersprüchlichkeit des Materials nicht einfach, Clintons Innenpolitik zu bewerten. Den Ruf als "Comeback-Kid" während des Wahlkampfes 1992 haben die zahlreichen, überwiegend selbstverschuldeten Skandale seiner Amtszeit nur bestätigt. Kaum ein Präsident der letzten Jahrzehnte verfügte über ein so sicheres politisches Gespür. Clintons Instinkt ist ebenso phänomenal wie seine Fähigkeiten, Geld für politische Zwecke zu sammeln, und seine Bereitschaft, unmittelbaren persönlichen Kontakt zu Fremden zu gewinnen. Seine Karriere erklärt sich nicht zuletzt aus der Kombination dieser drei Faktoren. Andererseits war Clinton wohl der erste Präsident, der Meinungsumfragen in Auftrag gab, um zu entscheiden, ob er die Wahrheit sagen sollte, und der seine politischen Ziele so fahrlässig für private Vergnügungen aufs Spiel setzte. Die Charakterschwäche des Präsidenten hat seine politische Wirksamkeit erheblich reduziert. Dass die letzten drei Jahre seiner Präsidentschaft innenpolitisch unfruchtbar blieben, hängt eben auch mit dem Lewinsky-Skandal zusammen.

Zu den standhaftesten Anhängern des Präsidenten gehörten seit der Wahl 1992 Frauen und Minderheiten. Clinton hat sich bemüht, seine Administration zu einem Abbild Amerikas zu machen, und hat in Rekordzahlen Frauen, Schwarze, Bürger lateinamerikanischer oder asiatischer Abstammung sowie Schwule und Lesben in einflussreiche Positionen ernannt, oft gegen die Opposition im Senat. Viele Ernennungen sind eher symbolischer Natur gewesen, aber ihre Wirkung haben sie entfaltet.

Innenpolitische Erfolge waren NAFTA, die Sozialfürsorgereform und der Haushaltsüberschuss. Die ersten beiden waren eigentlich republikanische Themen, während das dritte ebenso wie die Schaffung von Millionen neuer Arbeitsplätze eher auf eine außerordentlich gute und lang anhaltende Konjunktur zurückzuführen ist. Was hat Clinton hierzu beigetragen? Das lässt sich schlecht beurteilen, aber zumindest ist es offensichtlich, dass seine politischen Maßnahmen nicht das Resultat hatten, das ihnen ab 1993 regelmäßig von den Republikanern, vom Wall Street Journal und von konservativen Think Tanks prophezeit wurde. Wäre es zu der prognostizierten Rezession gekommen, hätte Clinton die Verantwortung dafür übernehmen müssen, und so ist es wohl gerecht, wenn er sich das umgekehrte Ergebnis als Erfolg anrechnet.

Ein gleiches Missverhältnis gilt für die Maßnahmen zur Verbrechensbekämpfung und die düsteren Prognosen der Republikaner. Die Bereitstellung umfangreicher finanzieller Mittel für die örtliche Polizei, die Gesetzgebung von 1994 und erneut die gute Wirtschaft haben dazu beigetragen, dass es eine deutliche Reduzierung der Verbrechensrate gab. Ein bleibendes Erbe hat Clinton auch mit der Einrichtung neuer Nationalparks hinterlassen. Der größte Misserfolg der Clinton-Jahre ist die gescheiterte Gesundheitsreform, die in ihren politischen Fehlkalkulationen und Konsequenzen bereits erwähnt wurde. Damit bleibt noch die Rechtspolitik, die gesondert betrachtet werden muss, da hier der Präsident zwar einen bleibenden Einfluss ausübt, zugleich aber auch durch die Gewaltenteilung eingeschränkt ist.

VII. Präsident und Justizsystem

Auf Bundesebene umfasst die Gerichtsbarkeit 89 Bezirksgerichte, 13 Berufungsgerichte und den Supreme Court. Alle Richter werden vom Präsidenten nominiert und mit Zustimmung des Senates lebenslänglich ernannt. Jedes Gericht hat die Kompetenz, Staats- und Bundesgesetze für verfassungswidrig zu erklären und damit ihre Anwendung zu verbieten. In der Praxis kann dies bedeuten, dass ein einzelner Richter Gesetze stoppt, für die sich Millionen von Wählern in einem Volksentscheid ausgesprochen haben.

Wie alle Präsidenten hatte Clinton eine große Zahl offener Richterstellen zu besetzen. In einem Punkt allerdings war er nicht vom Glück begünstigt; er konnte nur zwei Richter für den Supreme Court ernennen. Das ist die zweitniedrigste Zahl aller Präsidenten mit zwei vollen Amtsperioden seit Beginn der Republik. Beide Ernennungen sind aussagekräftig für seine rechtspolitische Linie. Sowohl Ruth Bader Ginsburg (1993) wie Stephen Breyer (1994) waren hochqualifizierte Juristen, die problemlos bestätigt wurden. Beide galten als politisch gemäßigt, was die ideologische Linie des Gerichtes zur Enttäuschung liberaler Aktivisten kaum veränderte.

Gleiches gilt für die unteren Instanzen. Anders als Reagan und Bush hat Bill Clinton auf die ideologische Ausrichtung seiner Kandidaten nur wenig Wert gelegt. Dies ist erstaunlich, da Clinton am Anfang seiner Karriere als Verfassungsrechtler tätig war. Schon von daher musste er sich also der Bedeutung dieser Ernennungen bewusst sein. Seine fast an Desinteresse grenzende Beteiligungslosigkeit an der Besetzung von Richterpositionen kontrastiert mit dem Interesse des Nicht-Juristen Reagan, der an jeder Ernennung intensiven Anteil nahm. Beim Amtsantritt hatte Clinton mit 109 offenen Richterstellen weit mehr Besetzungschancen als die Präsidenten Reagan (35) und Bush (40) - aber Ende 1993 gab es sogar 113 offene Stellen. Das Ziel Clintons war, die Vielfalt Amerikas im Justizbereich ebenso zu reflektieren wie in der Exekutive. Die Nominierungen des Präsidenten enthalten einen Rekordanteil an Frauen und Angehörigen ethnischer Minderheiten. Um dies durchzusetzen, war Clinton sogar bereit, einzelnen republikanischen Senatoren eine zuvor von keinem Präsidenten gewährte Mitsprache bei der Kandidatenauswahl einzuräumen.

Trotzdem geriet Clinton mit mehreren politisch moderaten Kandidaten wiederholt ins Kreuzfeuer der Kritik konservativer Gruppen und Senatoren, die vorzugsweise die vermeintlich übermäßig liberale Justiz aufs Korn nehmen, obwohl über die Hälfte der Richter von Reagan und Bush ernannt wurde. Als Resultat dieser Streitigkeiten und Verzögerungen gibt es zahlreiche unbesetzte Positionen. Diese Situation ist so prekär, dass der konservative Chief Justice Rehnquist die Republikaner schon 1997 öffentlich aufforderte, die ausstehenden Nominierungen zu bearbeiten. Die offenen Richterstellen sind ein wenig publikumswirksames, aber trotzdem beredtes Zeugnis für die Vergiftung des politischen Klimas zwischen den Parteien bis hin zum politischen Stillstand. Sie zeigen aber auch die geringe Priorität, die diese Thematik für Clinton acht Jahre lang besaß.

Die lebenslange Position der Richter macht sie unabhängig vom Präsidenten, der sie ernannt hat. Somit können die verfassungspolitisch wichtigen Urteile des Supreme Court letztlich nicht der Bilanz des Präsidenten zugeordnet werden, in dessen Amtszeit sie fallen. Gleichwohl müssen sie wenigstens kurz behandelt werden, da sie das politisch-rechtliche Klima der Innenpolitik Clintons entscheidend mit gestalteten.

Der Supreme Court der Clinton-Jahre sieht anders aus als das Gericht noch eine Dekade zuvor. Dies liegt daran, dass es inzwischen zwei klar definierte Fraktionen im Gericht gibt. In vielen ideologisch aufgeladenen Entscheidungen gibt es eine Mehrheit von fünf konservativen Richtern unter der Führung des Chief Justice William Rehnquist. Die Zahl der 5:4-Entscheidungen hat erheblich zugenommen, und in ca. 60-80 Prozent dieser Fälle setzte sich die konservative Seite durch. Zugleich allerdings führen heute 40 Prozent und mehr aller behandelten Fälle zu einstimmigen Urteilen. Die Zahl der Entscheidungen insgesamt hat ständig abgenommen; entschied der Supreme Court Mitte der achtziger Jahre noch ca. 170 Fälle, hört er heute kaum mehr als 70 von ca. 7000 Revisionswünschen jährlich - eine Entwicklung, die man kritisieren, aber nicht ändern kann, da der Supreme Court fast nie verpflichtet ist, einen Fall anzunehmen.

Wie wirken sich diese Trends aus? Zunächst ist zu beobachten, dass das Gericht in Kriminalfällen (inklusive der Todesstrafe) immer mehr für die Staatsanwälte und gegen die Angeklagten entscheidet. In kaum einem Rechtsgebiet haben sich die konservativen Richter so gründlich durchgesetzt wie hier, und nirgendwo kontrastiert das Bild so sehr mit dem Supreme Court vergangener Dekaden. Anders sieht es auf einem zweiten Gebiet aus. In Fällen, die das Erste Amendment berühren, gibt es inzwischen praktisch keine rechtlichen Grenzen der Meinungsfreiheit mehr. Hintergrund ist die libertäre Grundhaltung einiger ansonsten konservativer Richter. Typisch hierfür war etwa der "Communications Decency Act", der das Internet regulieren sollte und der überraschend deutlich für verfassungswidrig erklärt wurde.

Eine dritte Tendenz des Supreme Court ist eine zunehmend ausdifferenzierte Rechtsprechung gegen Diskriminierung und Klassifizierung, die Gruppenrechte kritisch und Individualrechte positiv betrachtet. Dieser Strang lässt sich konsequent verfolgen. Das Gericht hat die seit den sechziger Jahren praktizierte Politik der "affirmative action", die Schwarzen und anderen als Ausgleich für frühere Diskriminierung Vorteile bot, als "umgekehrte Diskriminierung" für verfassungswidrig erklärt. Das gleiche Schicksal erfuhr die lange übliche Praxis, bei der alle zehn Jahre notwendigen Neueinteilung von Wahlkreisen möglichst viele Distrikte zu bilden, in denen ethnische Minderheiten die Mehrheit haben. Die Rasse der Bürger wurde also bei der Wahlkreiseinteilung berücksichtigt, was der Supreme Court mehrfach verbot. Umgekehrt erklärte er es für verfassungswidrig, sexuelle Orientierung als Basis zur Klassifizierung von Bürgern zu nehmen, was ebenso wie ein weitgefasster Begriff sexueller Belästigung individuelle Rechte stärkte und libertär vom Konservativismus abwich.

Ungewollt musste sich der Supreme Court auch mit dem persönlichen Verhalten des Präsidenten befassen. 1997 entschied er, dass eine Zivilklage gegen den Präsidenten auch während seiner Amtszeit durchgeführt werden konnte; 1998, dass Clintons Sicherheitsbeamte kein Aussageverweigerungsrecht besaßen. Ersteres nahm (fälschlich) an, dass eine solche Klage den Präsidenten zeitlich kaum belaste; Letzteres schränkte im Gefolge des Lewinsky-Skandals den Vertrauensbereich des Präsidenten erheblich ein und schadete damit dem Amt als solchem, nicht so sehr Clinton als Person.

Alles dies sind Richtungsänderungen, die den Supreme Court der Clinton-Jahre von dem seiner Vorgänger unterscheiden. Sie haben große Emotionen unter den betroffenen Gruppen erregt, und manchmal hat die Politik Mittel gefunden, das erwünschte Resultat, etwa multikulturelle Vielfalt an den Universitäten, auch ohne "affirmative action"-Programme zu erreichen. Aber die wichtigste und überraschendste Entwicklung des Verfassungsrechts lag woanders.

In einer Reihe von hart umkämpften 5:4-Entscheidungen hat der Supreme Court begonnen, das Verhältnis von Bund und Staaten zugunsten der Staaten neu zu ordnen. Bislang sind es erst wenige Urteile, aber ihre Implikationen sind erheblich. Bleibt das Gericht auf diesem Weg, werden zahlreiche seit dem New Deal an den Bund übergegangene Zuständigkeiten diesem wieder genommen werden. Die Urteile waren nicht spektakulär, ihre komplexe Materie ungeeignet für Schlagzeilen und Proteste. Trotzdem bahnt sich hier eine juristische Revolution an, falls die konservative Mehrheit zusammenbleibt. Die unterlegene Gruppe im Gericht hat in Minderheitsvoten deutlich gemacht, dass sie die ihrer Meinung nach grundfalschen und gefährlichen Urteile bei nächster Gelegenheit aufheben will. Hierauf wird Bill Clinton keinen Einfluss mehr nehmen können. Aber der nächste Präsident wird mehrere Richterstellen im überalterten Supreme Court auffüllen können, und die Wahlen 2000 gehen auch um die Frage, ob dies konservative oder liberale Richter sein werden.

VIII. Versuch einer Bilanz

Am Ende von acht Jahren Bill Clinton bleibt die innen-, rechts- und verfassungspolitische Bilanz gemischt. Sicherlich war Clinton ein Präsident mit großen Plänen und einer Vision für ein multikulturelles und zugleich geeintes Amerika. Aber der Weg, den er zu diesem Ziel wählte, war von Anfang an problematisch. Nach 1994 wurde es sehr schwierig, angesichts eines feindlichen Kongresses und der ideologischen Differenzen zwischen den Parteien ein eigenes legislatives Programm verabschiedet zu sehen. Clinton hat dieses Problem umgangen, indem er zu einem guten Teil republikanische Themen als seine eigenen adoptierte. Das trug zu seiner noch im Herbst 1995 fast aussichtslos erscheinenden Wiederwahl bei, frustrierte die Republikaner, entfremdete aber den Präsidenten weiter von seiner eigenen Partei. Dies ist die Schattenseite der Flexibilität Clintons; je länger seine Präsidentschaft voranschritt, desto schwieriger wurde es, Positionen zu entdecken, die der Präsident aus prinzipiellen Erwägungen unabhängig von Umfrageergebnissen unterstützte.

Die zweite Amtsperiode muss im Rahmen der Thematik dieses Artikels als weitgehend ergebnislos gelten. Das Beste, was man sagen kann, ist, dass die fortdauernden Kämpfe zwischen dem Präsidenten und dem Kongress den Wirtschaftsaufschwung in den USA nicht behindert haben. Clintons persönliche Probleme, der Lewinsky-Skandal und seine politischen Folgen raubten dem Präsidenten jede Chance, sich seinen Platz in der Geschichte so zu sichern, wie er es vorhatte. Aber dafür sind nicht nur seine Feinde verantwortlich, sondern in erster Linie er selbst.