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Die Zukunft der Bundeswehr: Die Diskussion in der CDU/CSU

Karl-Heinz Kamp

/ 13 Minuten zu lesen

Kürzungen im Verteidigungshaushalt und die Struktur-Debatte um die Bundeswehr ermöglichten den Unionsparteien ihre politische Profilierung. Allerdings wurde der Union vorgeworfen, in ihrer Regierungszeit dieses Thema vernachlässigt zu haben.

Einleitung

Im Verlauf der neunziger Jahre hat sich die Rolle der Bundeswehr grundlegend gewandelt. In kleinen und wohlerwogenen Schritten gelang es der Bundesregierung und insbesondere Verteidigungsminister Volker Rühe, sowohl innerhalb der Streitkräfte als auch in der Öffentlichkeit Verständnis für militärische Einsätze jenseits der Landesverteidigung und außerhalb des Bündnisgebietes zu schaffen. Gleichzeitig wurde aber eine grundsätzliche Debatte über die Konsequenzen dieses Wandels etwa für die Struktur der Streitkräfte und ihr Selbstverständnis oder für die Zukunft der Wehrpflicht vermieden.

Mit dem Regierungswechsel im Herbst 1998 gewann die Frage nach den künftigen Aufgaben der Bundeswehr eine neue Dynamik. Zunächst ließ Verteidigungsminister Scharping nach seiner Amtsübernahme einen offeneren Führungsstil erkennen und erlaubte damit ein freimütigeres Meinungsklima in den Streitkräften, das von breiten Teilen der Bundeswehr als überaus positiv empfunden wurde. Geradezu als Ausweis für diese neue Diskussionsbereitschaft berief der Minister eine unabhängige und überparteiliche "Kommission zur gemeinsamen Sicherheit und zur Zukunft der Bundeswehr", die sich der Frage der künftigen Ausgestaltung der Bundeswehr umfassend widmen sollte.

Parallel zu diesen Beratungen wurde aber der finanzielle Spielraum der Bundeswehr immer weiter beschnitten. Bereits der im Januar 1999 vorgelegte Haushaltsentwurf von Finanzminister Lafontaine sah eine Kürzung des Verteidigungshaushaltes von 0,5 Prozent vor und ignorierte damit den Grundsatz von Rudolf Scharping, als Verteidigungsminister nur dann zur Verfügung zu stehen, wenn der Verteidigungshaushalt von weiteren Sparrunden ausgenommen bliebe. Wenige Monate später verkündete der neue Finanzminister Hans Eichel, insgesamt 30 Milliarden DM im Jahr 2000 einsparen zu wollen, und forderte jedes Ministerium auf, Kürzungsvorschläge zu machen. Im Juni 2000 wurde dann mit der Verabschiedung des 33. Finanzplans das Sparpaket für den Verteidigungshaushalt in seiner endgültigen Form festgelegt. Demnach sollten die Verteidigungsausgaben für das Jahr 2000 von den ursprünglich anvisierten 48,3 auf 45,3 Milliarden DM reduziert werden, um dann bis zum Jahr 2003 auf 43,7 Milliarden DM zu schrumpfen. Gemessen an der ursprünglichen Finanzplanung bedeutet dies eine Einsparung von über 18 Milliarden DM über vier Jahre.

Die Ausgangslage der CDU/CSU-Opposition

Gegenüber der harten Sparpolitik der Bundesregierung befanden sich die Oppositionsparteien in einer schwierigen Position. Einerseits boten die Einschnitte im Verteidigungshaushalt für die CDU/CSU vielfältige Möglichkeiten der politischen Profilierung, insbesondere gegenüber den Angehörigen der Bundeswehr. So hatte Minister Scharping die Bundeswehr bereits zu Beginn seiner Amtszeit als "drastisch unterfinanziert" bezeichnet und konnte nach den Sparbeschlüssen von der Opposition der Inkonsequenz und Schwäche geziehen werden. Auch waren mit dem Einsatz der Bundeswehr im Kosovo deutliche Mängel bei der Ausrüstung und Struktur der Streitkräfte offensichtlich geworden, deren Beseitigung eher Mittelzuwachs als Reduzierungen erfordern würde. Darüber hinaus war die Bundesregierung gegenüber der NATO und der Europäischen Union erhebliche Verpflichtungen hinsichtlich der Verbesserungen der militärischen Fähigkeiten eingegangen, die in den kommenden Jahren große Summen erfordern würden. All dies war mit den beschlossenen Haushaltsansätzen keinesfalls zu bewältigen, woraus die Opposition den berechtigten Vorwurf ableiten konnte, die Regierung würde die Bündnisfähigkeit Deutschlands aufs Spiel setzen.

Auf der anderen Seite gab es Faktoren, welche die Schlagkraft der Opposition in der Bundeswehrdebatte beträchtlich minderten. Da war zunächst der Umstand, dass die Unionsparteien der Notwendigkeit einer Sanierung der Staatsfinanzen im Grunde zustimmten und es sich als problematisch erwies, einzelne Sektoren auszuklammern, ohne das Prinzip des Sparens insgesamt zu verwässern . Weit schwerer wog allerdings, dass sich CDU und CSU als ehemalige Regierungsparteien dem Vorwurf ausgesetzt sahen, die Unterfinanzierung der Bundeswehr bereits in ihrer Amtszeit verursacht zu haben. Damit verlor aber die Forderung der Opposition nach einer Erhöhung der Verteidigungsausgaben erheblich an Glaubwürdigkeit, waren doch die Haushaltsansätze auch unter der christlich-liberalen Regierung seit 1990 stetig vermindert worden. Hinzu kam das strukturelle Problem, dass sich CDU und CSU nach sechzehn Regierungsjahren erst mit der Oppositionsrolle - abgeschnitten von den direkten Kommunikations- und Informationswegen in die Ministerien - vertraut machen musste. Auch stand Volker Rühe als ehemaliger Verteidigungsminister für die konzeptionelle Arbeit im Bereich der Sicherheitspolitik nicht mehr zur Verfügung, da er sich für das Amt des Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein bewarb. Nach der dortigen Landtagswahl wurde Kritik laut, dass sich Rühe auch nach seiner Wahlniederlage kaum in die aktuelle Bundeswehrdebatte einschalte, obgleich dies in seinen Zuständigkeitsbereich fallen würde . Somit lastete die Oppositionsarbeit im verteidigungspolitischen Bereich nur auf wenigen Schultern in der Fraktion und in den Parteien.

Inhaltlich fanden sich bei den Verteidigungspolitikern der Union durchaus unterschiedliche Positionen. Ein Teil der Parlamentarier argumentierte stärker von der "Bedarfsseite" her und leitete auf der Basis der sicherheitspolitischen Risikoanalyse die Forderungen für die Größe und Struktur der Bundeswehr - ungeachtet der Kosten - ab. Andere gingen stärker von der gegebenen Finanzlage aus, die man nicht ignorieren könne. Dieser Ansicht nach darf auch eine Opposition keine unerfüllbaren Hoffnungen wecken. Wieder andere sahen die Bundeswehrproblematik stärker aus der landespolitischen Perspektive und fürchteten um die Konsequenzen von Standortschließungen bei einer erheblichen Verkleinerung der Streitkräfte.

Eine weitere Erschwernis ergab sich aus der Parteispenden-Affaire, die ab dem Spätherbst 1999 die öffentliche Aufmerksamkeit von der Sicherheits- und Verteidigungspolitik ablenkte und enorme politische Energien in der CDU/CSU band. Dass gerade ehemalige Staatssekretäre(innen) im Bundesverteidigungsministerium, wie Holger Pfahls oder Agnes Hürland-Büning, in zweifelhafte Rüstungsgeschäfte verwickelt waren, trug nicht zur Verbesserung der Situation bei.

Angesichts dieses komplexen Hintergrundes wird deutlich, wie schwierig es für die Opposition war, aus dem "finanziellen Super-GAU«, den die Bundesregierung für die Bundeswehr bereitete, politisches Kapital zu schlagen.

Die konzeptionellen Vorstellungen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion

Verantwortliches Gremium für die Erarbeitung der verteidigungspolitischen Positionen der CDU/CSU auf Fraktionsebene ist die "Arbeitsgruppe Verteidigung" (AGV). Darin sind die Parlamentarier und Parlamentarierinnen aus CDU und CSU versammelt, die dem Verteidigungsausschuss angehören. Im Herbst 1999 begannen die Arbeiten an einem Papier zur Zukunft der Bundeswehr, die von zwei Vorüberlegungen geprägt waren. Zum einen wollte die Arbeitsgruppe nicht zu früh mit einer eigenen Position an die Öffentlichkeit treten, um nicht die "Hausaufgaben" der Regierung zu erledigen und um den Verteidigungsminister nicht aus der Verantwortung zu befreien, zunächst selber ein geschlossenes Konzept vorzulegen. Darüber hinaus sollte die Fraktionsposition in detaillierter und umfassender Form erarbeitet werden. Die aus beiden Faktoren resultierenden Verzögerungen trugen der AGV allerdings die Kritik ein, zu zögerlich zu agieren und es allein bei der Kritik am Regierungskurs zu belassen. Während die FDP bereits ein Konzept erarbeitet habe und auch die Grünen zumindest Zielvorstellungen formuliert hätten, würde bei der Union "das große Schweigen" herrschen .

Im Februar waren die Arbeiten an der 42-seitigen Fraktionsposition im Wesentlichen abgeschlossen . Ausgehend von den sicherheitspolitischen Risiken und Unwägbarkeiten in einigen Regionen Europas und am Rand des Kontinents setzt das Papier einen gewissen Akzent auf die Landes- und Bündnisverteidigung als weiterhin bestehende Kernfunktion der Bundeswehr - auch wenn angesichts der aktuellen Lage die häufigeren Aufgaben im Bereich des Krisenmanagements liegen würden. Vor allem müsse der militärische Beitrag Deutschlands im Rahmen der NATO und der EU der Größe und dem politischen Gewicht des Landes entsprechen, da nur so ein "gestaltender Einfluss" Deutschlands im Rahmen der Bündnisse gewährleistet sei. Dies bezieht sich nach Ansicht der AGV nicht allein auf die Größe der Bundeswehr, sondern insbesondere auf die Bereiche Ausrüstung und Bewaffnung. Strategische Raumaufklärung sei ebenso erforderlich wie etwa erweiterte militärische Transportkapazitäten und verbesserte Präzisionsbewaffnung. Derartige Beschaffungen dienten im Übrigen nicht allein der Bundeswehr selbst, sondern auch dem Erhalt einer konkurrenzfähigen wehrtechnischen Industrie in Deutschland.

Strukturell sollte die Bundeswehr auch künftig als Wehrpflichtarmee organisiert sein - für die Dauer des Wehrdienstes sind nach Aussage des Papiers neun Monate vorgesehen. Die Personalstärke der Streitkräfte sollte bei 300 000 Soldaten liegen, die sich auf die drei Teilstreitkräfte Heer (200 000), Luftwaffe (75 000) und Marine (25 000) verteilen. Der Anteil der Wehrpflichtigen wurde mit 100 000 Mann angegeben.

Der Umbau der Bundeswehr dürfe sich nach Ansicht der AGV nicht auf die Streitkräfte allein beschränken, sondern müsse auch die Wehrverwaltung einschließen. Die Zahl der zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr könne von derzeit 130 000 auf mittelfristig 115 000 bis 120 000 und längerfristig auf 100 000 verringert werden.

Mit Blick auf die Verteidigungsausgaben sah die AGV zunächst die Rückkehr zum 32. Finanzplan vor, also zu den Haushaltsansätzen, die vor den Sparbeschlüssen Eichels gegolten haben. Bis 2003 sollte der Verteidigungshaushalt auf 50 Milliarden DM ansteigen, um dann über die folgenden zehn Jahre auf 54 Milliarden DM anzuwachsen. Als "Faustregel" sei für den Verteidigungshaushalt ein Anteil von zwei Prozent am Bruttoinlandsprodukt Deutschlands anzustreben.

Die Position der CDU zur künftigen Ausgestaltung der Streitkräfte

Für die Entwicklung von parteipolitischen Positionen zu Fragen der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik steht der CDU der "Bundesfachausschuss Außen- und Sicherheitspolitik" zur Verfügung. In diesem Gremium treffen sich regelmäßig die außen- und sicherheitspolitischen Experten der CDU zur Erarbeitung von Stellungnahmen und Beschlüssen, die dann über den Generalsekretär der CDU als Parteiposition der Öffentlichkeit präsentiert werden.

Gleich nach seiner Konstituierung in der neuen Legislaturperiode beschloss der Bundesfachausschuss, eine "Arbeitsgruppe Bundeswehr" unter der Leitung des späteren CDU-Generalsekretärs Ruprecht Polenz einzurichten, um eine Parteiposition zur Zukunft der Bundeswehr erarbeiten zu lassen. Angesichts der Tatsache, dass eine solche Stellungnahme auf die breite Parteibasis zielt (und sich nicht allein an verteidigungspolitische Experten wendet), war an ein kurzes und prägnantes Papier gedacht, in dem grundsätzliche Positionen zur Bundeswehrproblematik formuliert werden sollten.

Am 21. März wurde dieses achtseitige Positionspapier unter dem Titel "Die Zukunft der Bundeswehr" der Öffentlichkeit präsentiert . Ausgehend von der Erkenntnis, dass die sicherheitspolitische Risikoanalyse nicht die einzige Richtschnur für die künftige Ausgestaltung der Streitkräfte sein kann, sondern dass auch vorhandene Gegebenheiten und die Fragen der politischen Durchsetzbarkeit bedacht werden müssen, widmet sich das Papier sechs Kernfragen: dem Auftrag der Bundeswehr, den neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen, den künftigen Aufgaben der Streitkräfte, den derzeitigen Schwächen der Bundeswehr, der Frage der Wehrpflicht und den konkreten Verbesserungsvorschlägen.

Mit Blick auf den Auftrag der Bundeswehr wird festgestellt, dass angesichts der neuen sicherheitspolitischen Gegebenheiten nicht mehr das eigene Staatsgebiet die primäre Bezugsgröße für militärische Planung sein könne, sondern eher die Peripherie des Nordatlantischen Bündnisses. Mögliche Krisen außerhalb des Allianzgebietes würden eine Ausweitung des geographischen Horizonts der Bundeswehr erfordern, um eine vitale Bedrohung gar nicht erst an die Landesgrenzen herankommen zu lassen. Hierfür bedürfe es einer Bundeswehr, die auch über die Fähigkeit zur Machtprojektion über größere Distanzen verfügt. An derartigen Kapazitäten fehle es aber, da Deutschland in der Vergangenheit von der Friedensdividende reichlich Gebrauch gemacht und die erforderlichen Investitionen versäumt habe. Überaus deutlich bekannte sich die Partei in ihrem Papier zur Zukunft der Wehrpflicht als Eckpfeiler deutscher Verteidigungspolitik, an dem auch unter den veränderten politischen Rahmenbedingungen festgehalten werden müsse.

Bei den Möglichkeiten zur Verbesserung der Situation der Streitkräfte warnt das Papier allerdings vor überzogenen Hoffnungen. Die Bundeswehr stehe vor der vierfachen Herausforderung, die Fähigkeit zur Landes- und Bündnisverteidigung zu erhalten, die Krisenreaktionsfähigkeiten zu verbessern, die Mittel für Investitionen zu erhöhen und den Personalbestand zu reduzieren. Diese vier Erfordernisse könnten allerdings immer nur teilweise erfüllt werden, da etwa ein durch Mittelknappheit erforderlicher Personalabbau bei den Streitkräften zwangsläufig einen Verzicht auf strategische Fähigkeiten im Bereich der Landesverteidigung mit sich bringe.

Insgesamt orientiert sich das Papier der Partei - im Gegensatz zum Fraktionspapier - im Tenor eher an den neuen Aufgaben der Bundeswehr im Bereich der Krisenbewältigung. In der öffentlichen Wahrnehmung beider Stellungnahmen gab es allerdings Unstimmigkeiten, da bei der Präsentation des CDU-Beschlusses auch das Papier der AGV der Fraktion an die anwesenden Journalisten verteilt wurde. Dies verwirrte nicht nur die anwesende Presse, sondern sorgte auch für Verstimmung zwischen CDU und CSU . Die CSU bemängelte insbesondere, dass die Fraktionsposition, in der konkrete Personalzahlen genannt werden, vorzeitig an die Öffentlichkeit gebracht wurde. Hierdurch entstand wiederum der Eindruck, die Opposition sei aufgrund unterschiedlicher Positionen von CDU und CSU nur begrenzt handlungsfähig .

Überlegungen im Umfeld der Union

Ein Manko der politischen Diskussion über die Zukunft der Bundeswehr war, dass eine Vielzahl von Gremien, Kommissionen oder Expertengruppen zwar über die Bundeswehr debattierten, die Streitkräfte selbst aber nur wenig zu Wort kamen. Diesem Mangel versuchte die Konrad-Adenauer-Stiftung mit einem Projekt abzuhelfen, in dem bundesweit Soldaten zu ihren Vorstellungen zur Zukunft der Bundeswehr befragt wurden. Die in Deutschland verteilten Bildungswerke der Stiftung organisierten in Zusammenarbeit mit den Kommandeuren der regionalen Bundeswehrstandorte eine Vielzahl von Diskussionsrunden, Expertengesprächen und Anhörungen, in denen sich Politiker, Militärs und sicherheitspolitische Experten den Fragen und Beiträgen der Bundeswehrangehörigen stellten. Mehr als 1 000 Teilnehmer - aktive Soldaten, Reservisten und Zivilangestellte der Bundeswehr - konnten dort ihre Kritikpunkte und Anregungen äußern. Alle Gesprächsrunden wurden von sicherheitspolitischen Experten ausgewertet und in einem Abschlussbericht zusammengefasst . Vor seiner Veröffentlichung wurde der Bericht mit hochrangigen militärischen Fachleuten diskutiert. Am 2. Juni 2000 stellte Generalinspekteur a. D. Klaus Naumann die Ergebnisse des Dialogs mit den Streitkräften in Berlin der Presse vor. Ziel dieses Projektes der Konrad-Adenauer-Stiftung war es nicht, der Vielzahl der vorliegenden Konzeptionen eine weitere hinzuzufügen. Statt dessen sollte eine Lagebeurteilung sowie ein authentisches Stimmungsbild aus der Bundeswehr gegeben werden, das in den politischen Entscheidungen über die Zukunft der Bundeswehr berücksichtigt werden muss.

Die Diskussionen mit den Angehörigen der Bundeswehr konzentrierten sich auf sechs Schwerpunkte:

- Erwartungen der Streitkräfte an die Politik;

- die Neugestaltung der Bundeswehr;

- Probleme der Auftragserfüllung;

- Krisenmanagement als neue Rolle für die Streitkräfte;

- Bundeswehr und Rationalisierung;

- die Zukunft der Wehrpflicht.

Tenor der Anhörungen war der hohe Grad der Verunsicherung in der Bundeswehr über immer neue Modelle zur Zukunft der Streitkräfte, die eher an Kriterien politischer Opportunität als an sicherheitspolitischen Erfordernissen orientiert scheinen. Wenn "die Politik" (der alten wie der neuen Bundesregierung) von den Streitkräften bestimmte militärische Fähigkeiten fordere, so müsse sie auch die hierfür erforderlichen Mittel bereitstellen. Dabei würden sich die Soldaten keinesfalls den allgemeinen Sparzwängen widersetzen; sie würden aber erwarten, dass Strukturveränderungen und Reformschritte strategisch begründbar und sicherheitspolitisch nachzuvollziehen seien. Auch den neuen Aufgaben der Bundeswehr im Bereich des Krisenmanagements ständen die Soldaten äußerst positiv gegenüber, beklagten aber, dass Engagement und Leistungswille durch Ausrüstungsmängel und strukturelle Schwächen beeinträchtigt würden.

Die Debatte zwischen Regierung und Opposition

Auch nachdem Fraktion und Partei ihre Positionen zur Zukunft der Streitkräfte festgelegt hatten, erwies es sich für die Opposition in den politisch entscheidenden Wochen im Frühjahr 2000 als sehr schwierig, die Entscheidungsprozesse der Regierung zu beeinflussen. Zum einen bedurften die Beschlüsse zur Reform der Bundeswehr nicht der Zustimmung des Bundesrates und konnten von der Regierungskoalition im Alleingang - ohne Rücksicht auf die unionsregierten Bundesländer - durchgesetzt werden. Zum anderen war Verteidigungsminister Scharping bemüht, seine Vorstellungen zur Reform der Bundeswehr weit stärker am Status quo zu orientieren, als es etwa der grüne Koalitionspartner (und auch manche Sozialdemokraten) forderten; er machte sich dadurch für die Opposition nur begrenzt angreifbar.

Dies wurde besonders bei der Präsentation des Berichts der Weizsäcker-Kommission am 23. Mai 2000 sichtbar. Die der Berufung dieser Kommission zugrunde liegende Idee einer tiefgreifenden Bundeswehr-Debatte hatte der Verteidigungsminister schon frühzeitig desavouiert. So ließ er den Generalinspekteur der Bundeswehr parallel zu den Arbeiten der Kommission ein so genanntes "Eckwerte-Papier" erarbeiten, um damit allzu reformfreudigen Kommissionsansätzen entgegenhalten zu können. Auch der Leiter des Planungsstabes im Verteidigungsministerium stellte im Auftrag seines Ministers Überlegungen zur neuen Bundeswehrstruktur an. Darüber hinaus sollten die Grundlinien der neuen Bundeswehr schon vier Wochen nach Vorlage des Weizsäcker-Berichts in der Regierungskoalition festgelegt werden, wodurch für eine grundsätzliche Debatte überhaupt keine Zeit blieb. Folglich lagen die von der Bundesregierung im Juni 2000 beschlossenen Eckwerte zur Reform der Bundeswehr etwa hinsichtlich der Personalstärke der Bundeswehr oder der Wehrform (Wehrpflicht) näher an den Vorstellungen der CDU/CSU als an den Vorgaben der Weizsäcker-Kommission.

Zentraler Schwachpunkt der Regierungskonzeption zur Zukunft der Bundeswehr bleibt aber die Frage der Finanzierung. Zwar kann der Verteidigungsminister in seinen Bemühungen um mehr Mittel für die Streitkräfte Achtungserfolge nachweisen , grundsätzlich bleibt es aber bei den von Finanzminister Eichel erzwungenen Vorgaben, nach denen der Verteidigungshaushalt in den kommenden Jahren kontinuierlich sinken wird. Damit wird offenbar, dass die von Deutschland im Rahmen der NATO und EU eingegangenen Verpflichtungen nicht in dem erforderlichen Maße zu erfüllen sind. Dringend notwendige und bereits beschlossene Beschaffungen bleiben ohne finanzielle Grundlage.

Die Opposition wird nicht müde, auf diesen Widerspruch und auf die daraus folgenden bündnispolitischen Nachteile hinzuweisen. Die Aussichten für einen Politikwechsel sind allerdings gering. Mit der erzielten Übereinstimmung in der Regierungskoalition ist das Thema "Bundeswehr" aus der tagespolitischen Aktualität genommen und wird von anderen Problemfeldern überdeckt. Damit schwindet die Aufmerksamkeit der Medien an der Thematik, zumal das öffentliche Interesse an außen-, sicherheits- und verteidigungspolitischen Fragen in Deutschland ohnehin gering ist. Als Opposition auf die langfristigen negativen Konsequenzen verfehlter Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu verweisen ist verdienstvoll, wird aber in der Öffentlichkeit kaum honoriert.

Folglich wird es bei einem Bundeswehrkonzept bleiben, das mit erheblichen Fragezeichen hinsichtlich der sicherheitspolitischen Handlungsfähigkeit Deutschlands behaftet ist. Es wäre allerdings auch nicht das erste Mal, dass sicherheitspolitische Entscheidungen eher aufgrund kurzfristiger Opportunität und weniger mit Blick auf die langfristige Tragfähigkeit getroffen würden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Hans-Jörg Heims, Verständnis für Eichel in der CDU, in: Süddeutsche Zeitung vom 27. August 1999.

  2. Vgl. Volker Rühe befindet sich noch in einer "Rekonvaleszenz-Phase", in: Die Welt vom 15. Juni 2000.

  3. Vgl. Gerhard Hubatscheck, Das Schweigen der Lämmer, in: IAP-Dienst Sicherheitspolitik, Nr. 10/99, S. 3.

  4. Vgl. Arbeitsgruppe Verteidigung der CDU/CSU Bundestagsfraktion, Sicherheit 2010 "Die Zukunft der Bundeswehr", Berlin, 22. 2. 2000.

  5. Vgl. Positionspapier: Die Zukunft der Bundeswehr, Beschluss des Bundesfachausschusses Außen- und Sicherheitspolitik der CDU Deutschlands, Berlin, 21. 3. 2000.

  6. Vgl. Dissens in der Union, dpa-Meldung vom 21. März 2000.

  7. Vgl. Michael Inacker, Streit über die Zukunft der Bundeswehr, in: Die Welt vom 23. März 2000; siehe auch Griephan Briefe "Wehrdienst", Nr. 13/2000, S. 1.

  8. Vgl. Eine Zukunft für die Bundeswehr. Ergebnisse des Dialoges der Konrad-Adenauer-Stiftung mit den Streitkräften, Zukunftsforum Politik, Nr. 6, Konrad-Adenauer-Stiftung, Sankt Augustin, Juni 2000.

  9. So kann der Verteidigungsminister zwei Milliarden DM, die bisher für das deutsche Engagement auf dem Balkan in dem "Einzeletat 60" (Allgemeine Finanzverwaltung) untergebracht waren, in den Verteidigungshaushalt (Einzelplan 14) übernehmen.

Dr. rer. pol., geb. 1957; Leiter der Abteilung Grundsatzfragen und Planung der Konrad-Adenauer-Stiftung, Sankt Augustin und Berlin.

Anschrift: Konrad-Adenauer-Stiftung, Rathausallee 12, 53757 Sankt Augustin;
E-Mail: karl-heinz.kamp@fub.kas.de

Zahlreiche Veröffentlichungen zu außen- , sicherheits- und verteidigungspolitischen Fragen; unter anderem in: Foreign Policy, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Internationale Politik, Strategic Review, Die Welt, Financial Times.