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Zivil-militärische Zusammenarbeit der Bundeswehr im Balkan-Einsatz | Sicherheitspolitik | bpb.de

Sicherheitspolitik Editorial Die NATO und ethnische Konflikte Ursachen von Konflikten und Kriegen im 21. Jahrhundert Krieg und Politik im 21. Jahrhundert Zivile Konfliktbearbeitung in ethnopolitischen Konflikten Zivil-militärische Zusammenarbeit der Bundeswehr im Balkan-Einsatz

Zivil-militärische Zusammenarbeit der Bundeswehr im Balkan-Einsatz

Peter Braunstein Christian Wilhelm Meyer Marcus Jurij Vogt Marcus Jurij Christian Wilhelm / Vogt Peter / Meyer Braunstein

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Zivil-militärische Zusammenarbeit ist aus militärischer Sicht eine notwendige Unterstützung für die eingesetzten Truppen. Gleichfalls ist sie eine zweckmäßige Ergänzung internationaler Bemühungen zur Friedenssicherung.

I. Einleitung

"Nach humanitären Krisen, welche die Befassung internationaler Stellen auslösen, lassen sich viele ,zivile Aufgaben' ohne Präsenz und Hilfe von Soldaten nicht meistern." "Die neue Konkurrenz der humanitären Hilfswerke heißt Bundeswehr." - Diese Aussagen skizzieren schlaglichtartig das Spannungsfeld, aber auch die unterschiedlichen Sichtweisen bezüglich des Engagements von Streitkräften im Rahmen der Balkanfriedensmission. Civil-Military Cooperation (CIMIC) ist für manche ein Stein des Anstosses, für andere eine notwendige Ergänzung internationaler Bemühungen zur Friedenssicherung.

Aus militärischer Sicht geht es bei CIMIC um die Unterstützung der Truppe im Einsatzland durch das Herstellen funktionaler Beziehungen zu lokalen Behörden, zu (nicht)staatlichen Organisationen und internationalen Organisationen sowie um die Schaffung bestmöglicher Stationierungsbedingungen im Einsatzland . Das Ringen um eine neue Ordnung ist dabei häufig von einem dynamischen Kräfteviereck bestimmt: der Bevölkerung, den Internationalen Organisationen, den Streitkräften und den administrativ-politischen Instanzen im jeweiligen Einsatzgebiet.

Aus der Perspektive der Menschen und der lokalen Verwaltungen im Einsatzland ist ausländisches Militär einerseits Beschützer, andererseits potentieller Gewaltanwender. Aus Sicht staatlicher wie nichtstaatlicher Organisationen handelt es sich bei den Streitkräften um einen zentralen Akteur, der gemäß primärem Auftrag die Einhaltung völkerrechtlicher Vereinbarungen überwacht. Häufig reichen Kräfte und Mittel der Organisationen nicht aus oder stehen nicht zeitgerecht zur Verfügung. Sekundär bzw. subsidiär nimmt das Militär dann "zivile Aufgaben" auf Zeit wahr oder unterstützt Behörden und Organisationen.

Genuines Interesse des Militärs ist es, ein gefährliches unsicheres Umfeld soweit zu stabilisieren, dass es sich möglichst rasch daraus wieder zurückziehen kann. CIMIC-Kräfte nehmen in diesem Prozess eine Scharnierfunktion zum zivilen Umfeld des Militärs wahr. Die politisch Verantwortlichen stehen vor der Herausforderung, komplexe Lagen möglichst rasch und effizient in den Griff zu bekommen. Für sie muss es darum gehen, im Einsatzland verfügbare Ressourcen - und damit auch Streitkräfte - möglichst optimal im Sinne übergeordneter politischer Zielsetzungen zu bündeln.

II. Konzept im Fluss

Das deutsche CIMIC-Konzept folgt der Praxis

Zivil-militärische Zusammenarbeit (ZMZ) lautet der traditionelle Terminus technicus für die Zusammenarbeit zwischen deutschen Behörden und der Bundeswehr oder stationierten verbündeten Streitkräften in der Bundesrepublik. Diese Zusammenarbeit war früher ausschließlich auf die Vorbereitung zur Landesverteidigung bzw. die Verteidigung des NATO-Bündnisgebietes ausgelegt. Nationales "ZMZ-Konzept" und CIMIC-Konzept der NATO folgten der gleichen Zielsetzung. Die veränderten sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen zu Beginn der neunziger Jahre führten zu einer Anpassung des Strategischen Konzepts des Bündnisses und zu einem erweiterten Aufgabenspektrum der Bundeswehr. Eine Anpassung des "ZMZ-Konzepts" unterblieb zunächst. Die Streitkräfte sollten in ihrer neuen Rolle im Rahmen von Deeskalationssmissionen situationsgerecht Erfahrungen sammeln.

Vor diesem Hintergrund existierte daher zu Beginn des Bosnien-Einsatzes deutscher CIMIC-Kräfte im Sommer 1997 keine umfassende Planung für deren Wirken in einer Friedensmission. Man stützte sich zunächst auf Erfahrungen der amerikanischen Verbündeten , die für derartige Einsätze spezielle Kräfte - überwiegend Reservisten - vorhalten. Das deutliche Anwachsen der deutschen CIMIC-Kräfte zum Jahreswechsel 1997/98 sowie der Aufbau einer multinationalen CIMIC Task Force in Bosnien , ferner die Diskussionen über ein neues CIMIC-Konzept der NATO setzten den Rahmen für Überlegungen für das deutsche CIMIC-Konzept.

Die Praxis behalf sich zunächst improvisierend im Vorschriftenvakuum im Rahmen der traditionellen Auftragstaktik. Gerade die Kooperation mit den zivilen Akteuren erfordert ein hohes Maß an Flexibilität bei der Verhandlungsführung sowie Freiräume in der Gestaltung gemeinsamer Projekte, die lediglich zielverbindlich sind, die Mittel und Methoden der Durchführung aber offen lassen. Insbesondere bei der Ausgestaltung abstrakter Programme ergeben sich oft Forderungen, die schwer vorhersehbar sind und für die erst situativ Kräfte und Mittel bereitgestellt werden.

Organisation

Die CIMIC-Arbeit der Bundeswehr im Einsatzland wird auf drei Ebenen geplant bzw. gesteuert: Im Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) werden im Führungsstab der Streitkräfte die strategischen Entscheidungen getroffen und die einzelnen Vorhaben mit den anderen Bundesressorts abgestimmt. Konzeptionell werden die Planungen durch den Führungsstab der Streitkräftebasis begleitet.

Auf der operativen Ebene setzt das Heeres- bzw. Einsatzführungskommando die Weisungen des Ministeriums in Einsatzbefehle um, stellt die Einsatzkontingente personell und materiell zusammen und überwacht die Durchführung der CIMIC-Arbeit.

Im Einsatzland werden die deutschen CIMIC-Verbände/-Kompanien sowohl auf der operativen Ebene - Sektoren-übergreifend - wie auf der taktischen Ebene in den Einsatzräumen der deutschen Truppen wirksam.

1997 verständigten sich die zuständigen Bundesministerien auf eine verstärkte Koordination zwischen allen mit der Rückkehrerproblematik von Flüchtlingen befassten Stellen. Eine Arbeitsgruppe von Bund und Ländern als Entscheidungsplattform wurde gegründet. Der Beauftragte der Bundesregierung für Flüchtlingsrückkehr und rückkehrbegleitenden Wiederaufbau (BEA) übernahm die Federführung . Zu seiner Unterstützung wurde im Juli 1997 bei SFOR ein deutscher CIMIC-Verband geschaffen. Seine Kernaufträge - für CIMIC-KFOR sinngemäß - sind:

- Durchführung von Maßnahmen zum Wiederaufbau und zur Verbesserung der Flüchtlingsrückkehr;

- Mitarbeit in der CIMIC-Organisation der NATO;

- Schutz der Truppe durch Verbesserung der Lebensumstände der Bevölkerung;

- Nutzung von Unterstützungsleistungen des Gastlandes ;

- Darstellung des Beitrages der Bundeswehr in der Öffentlichkeit .

III. Konkrete Einsatzerfahrungen

Bosnien-Herzegowina

Ausgangslage

Zu Einsatzbeginn der Implementation Force (IFOR) in Bosnien-Herzegowina wirkten folgende lagebestimmende Faktoren:

- dezentral verstreute Militärpotenziale der so genannten "Ethnien";

- verstreuter Besitz von Waffen bei ehemaligen Soldaten/Milizen etc., der örtlich zu einer kurzfristigen Verschärfung der Sicherheitslage führen kann;

- ineffiziente, aber existente Grundstrukturen der öffentlichen Verwaltung;

- Wahrnehmung von Polizeiaufgaben durch örtliche Kräfte und die International Police Task Force (IPTF);

- weitgehende Zerstörung öffentlicher und privater Infrastruktur;

- Einladung des UN-Sicherheitsrates an die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen, an einer multinationalen Implementierungsmission teilzunehmen, um bei der Herstellung eines selbsttragenden Friedens mitzuarbeiten, der auf Zusammenarbeit und Versöhnung sowie ausreichendem Funktionieren der gemeinsamen Organe basiert .

Aufträge, Leistungen, Neutralität

Kernaufträge des deutschen CIMIC-Verbandes sind:

- Gewinnung, Verdichtung, Austausch und Weitergabe von Informationen für die Flüchtlingsrückkehr und den Wiederaufbau in Form bewerteter Berichte;

- Unterstützung der Aktivitäten aus Deutschland durch Projekte zur Wiederherstellung zerstörter Hoch- und Tiefbauten.

Die Berichte zur Flüchtlingsrückkehr erfassen alle Landkreise des Einsatzlandes und dienen als Entscheidungs- und Planungshilfen zur Koordination der Flüchtlingsrückkehr. Sie vermitteln einen Überlick über nahezu alle Lebensbereiche: die Wohnungssituation, die Lage auf dem Arbeitsmarkt, die Wirtschaftslage, die Funktionalität öffentlicher Einrichtungen einschließlich des Schul- und Gesundheitswesens etc. Die Berichte wurden vor der Veröffentlichung mit einzelnen internationalen Organisationen wie z. B. dem UNHCR abgestimmt und im Internet allgemein verfügbar gemacht. Sie genießen bei den Internationalen Organisationen, den deutschen Behörden, aber vor allem bei den Rückkehrwilligen wegen ihrer präzisen Inhalte Renommee.

Außenwirksam wird die CIMIC-Arbeit auch in Projekten, die überwiegend auf der Grundlage "Integrierter Programme" stattfinden. Integrierte Programme decken Lebensbereiche ab, die zur Wiederherstellung eines rückkehrfreundlichen Umfelds für wesentlich erachtet werden: den Wohnungsmarkt, die Arbeitsplatzsituation und die öffentliche Infrastruktur. Dabei gilt das Prinzip der Drittmittelfinanzierung, das als Element der Fremdsteuerung in militärische Entscheidungsabläufe einwirkt. Die abgeschlossenen Kontrakte schränken die Handlungsoptionen der Truppen vor Ort ein. Sie werden zu rechtlich verbindlichen Zielvorgaben im Rahmen allgemeinerer militärischer Aufträge.

Taktische CIMIC-Kräfte tragen zur Erhöhung der Force Protection bei. Tactical Support Teams (TST) halten Verbindung zu anderen Institutionen. Sie unterstützen die Bevölkerung durch Kleinprojekte, wie z. B. Reparatur- und Renovierungsarbeiten in Schulen, Übergabe von Unterrichtsmaterial und Medikamenten, Spendenverteilaktionen, Gestellung von Transportkapazität oder Einsatz von Pioniermaschinen im Rahmen freier Kapazitäten.

Projekte des CIMIC-Verbandes oder der TST folgen dem Grundsatz der Neutralität gegenüber den vormals kämpfenden Parteien. Insbesondere kooperationswillige Gemeinden können sich mit Aussicht auf Erfolg als Standort und Projektpartner anbieten.

Personell wurden von Anfang an die CIMIC-Einheiten hochkarätig besetzt: die Kommandeure im Rang eines Oberst, unterstützt von Stabsoffizieren; Projekttrupps, geführt von Ingenieuren, sowie Finanzexperten und eine Vertragsabteilung unter Leitung eines Juristen bilden eine leistungsfähige Mischung. Während die CIMIC-Kräfte vorrangig Planungs-, Steuerungs- und Kontrollaufgaben wahrnehmen, werden die konstruierenden Tätigkeiten durch lokale Firmen oder andere Arbeitskräfte aus der betroffenen Region geleistet. CIMIC-Aktivitäten involvieren so lokale Verwaltungen, integrieren in Projektarbeit, fördern den Dialog und setzen Anreize für rechtskonforme Verwaltungsabläufe. Der Gedanke der Hilfe zur Selbsthilfe soll in kleinen Schritten realisiert werden. Darüber hinaus wirkt sich diese Strategie unmittelbar wirtschaftsfördernd aus, mittelbar auch bewusstseinsbildend hinsichtlich des konstruktiven Geistes, den die CIMIC-Soldaten in das Land - durchaus mit viel Idealismus - einbringen.

Spezifische Erfahrungen

- Die Kombination hochrangiger politischer Unterstützung in der Person des Beauftragten der Bundesregierung mit dem leistungs- und durchsetzungsfähigen Instrument CIMIC gewährleistet eine angemessene Interessenwahrnehmung im internationalen Bereich. Synergien beim Einsatz staatlicher Kräfte und Mittel wurden gebildet.

- Die Bundeswehr sammelte Erfahrungen in einem Sektor, der im Rahmen von Einsätzen im erweiterten Aufgabenspektrum besonders zum Tragen kommen kann. Diese Erfahrungen reichen über den Tag insofern hinaus, als sie für die Herausbildung von Strukturen Grundlagen geschaffen haben.

- Durch CIMIC wurden Projekte in Regionen begonnen bzw. zum Erfolg gebracht, die als besonders schwierig galten. Der Kooperationserfolg von CIMIC mit lokalen Behörden ermutigte zivile Organisationen, ebenfalls in diesen Gegenden Projekte durchzuführen. Dabei konnten sie jeweils in einer bereinigten Sicherheitslage weiterarbeiten.

- CIMIC-Arbeit ist kein Selbstzweck, sondern hat vielfältige politisch-ökonomische Implikationen.

- Professionelle CIMIC-Arbeit erfordert eine spezifische Ausbildung der Truppe, um diese auf die vielfältigen Besonderheiten des Auftrags und des jeweiligen Umfelds vorzubereiten.

Albanien und Mazedonien

Hintergründe

Im Frühjahr 1999 reagierte die NATO auf die kriegerischen Ereignisse und "ethnischen Säuberungen" im Kosovo mit Luftangriffen auf die jugoslawische Teilrepublik Serbien. Innerhalb von wenigen Wochen wurden rund 650 000 Menschen aus dem Kosovo nach Mazedonien und Albanien vertrieben. Dort drohten jeweils schwerwiegende Beeinträchtigungen der inneren Sicherheit. Mazedonien ist als Standort logistischer Basen für NATO-Operationen bedeutungsvoll. In Westeuropa lösten Bildberichte über leidende Flüchtlinge einen Öffentlichkeitsdruck aus, der schnell effektive Hilfe einforderte.

Frühzeitige Koordination auf Bundesebene

Das Kabinett ernannte bereits im April 1999 einen Beauftragten der Bundesregierung für die Koordination deutscher Hilfsmaßnahmen für Mazedonien. Dessen Aufgaben umfassten die Unterstützung der mazedonischen Regierung in ihren Bemühungen um innere und äußere Stabilität sowie die allgemeine Koordination der humanitären Hilfsmaßnahmen. Ein Arbeitsstab wurde ressortübergreifend zusammengestellt; einzelne Bundesministerien richteten Krisenstäbe ein. Auf Ebene der Staatssekretäre erfolgte die Koordinierung.

Im BMVg koordinierte eine Operationszentrale den Aufbau von Flüchtlingslagern, Transporte, Materialabgaben und sanitärdienstliche Leistungen. Insbesondere Hilfsorganisationen fanden hier sowie im Arbeitsstab des Beauftragten der Bundesregierung kompetente Ansprechpartner, Informationen und Unterstützung. Die auf Grund der Kosovo-Krise nach Mazedonien verlegten Bundeswehreinheiten wurden zur Bewältigung des Flüchtlings- und Vertriebenenproblems eingesetzt.

Zur raschen Hilfeleistung wurde eine Luftbrücke eingerichtet. So konnten 2 800 t Hilfsgüter kurzfristig nach Mazedonien und Albanien gebracht werden, bevor die Versorgung über Land sichergestellt war. Der Lufttransporter Transall C 160 erwies sich - trotz seines Alters - als ideales Flugzeug für den Einsatz, benötigte er doch weder befestigte Stellplätze noch komplexe Geräte zur Entladung. Die Bundeswehr - teilweise in Zusammenarbeit mit der niederländischen Armee - baute und betrieb innerhalb von wenigen Tagen mehrere Flüchtlingslager in Neprosteno, Cegrane, Quatrum und Drenove . Dabei wurde der UNHCR-Standard für die Anlage von Flüchtlingslagern übertroffen . Nach über einem Monat der Verantwortung wurden Medical Points, in denen über 4 000 Flüchtlinige ambulant und stationär behandelt worden waren, an zivile Hilfsorganisationen übergeben.

Erkenntnisse

- Der Einsatz der bereits in Mazedonien stationierten NATO-Einheiten machte die Krise beherrschbar: Dringend notwendige Hilfsmaßnahmen wurden zeitnah erbracht. Effektive Soforthilfe sicherte die logistische NATO-Basis in Mazedonien, was für weitere Eventualitäten Kapazität beließ.

- Die Bundeswehr improvisierte der Lage angemessene Organisationsabläufe. Für künftige Einsätze empfiehlt sich aber eine weitere Spezialisierung zur Bewältigung der komplizierten Aufgaben eines Humanitären Einsatzes.

- Die Anwendung unterschiedlicher militärischer und ziviler Standards ist ein offenes Problem. Ausrüstung und Ausbildung der Streitkräfte orientieren sich zwangsläufig an deren Kernauftrag und unterliegen Standards, die häufig von den international üblichen abweichen. Der Aufbau und Betrieb von Flüchtlingslagern z. B. ist keine Kernaufgabe, sondern eine subsidiär erbrachte Hilfeleistung. Bei dieser setzen Streitkräfte aber ihre "normale" - für den Kernauftrag beschaffte - Ausrüstung ein bzw. arbeiten bisher nach ihren eigenen Standards, die qualitativ außerordentlich hoch sein können.

- Gerade die Ad-hoc-Zusammenarbeit der Bundeswehr mit den Hilfsorganisationen entwickelte sich konstruktiv. Auf beiden Seiten wurden Vorbehalte abgebaut . Durch eine schrittweise Übergabe der Verantwortung wurde deutlich, dass die Bundeswehr von der Politik aufgrund der Sicherheitslage sowie ihres rapiden Eingreiftempos eingesetzt worden war. Ihr Engagement war kein Selbstzweck und sollte nicht zu Verdrängungswettbewerb führen.

- Die Koordinierung der Hilfeleistung auf Bundesebene vermied eine Multiplizierung der Anstrengungen.

Kosovo

Ausgangslage

Zu Einsatzbeginn der Kosovo Force (KFOR) wirkten folgende bestimmende Faktoren:

- Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung;

- fehlende Kapazitäten der im Aufbau befindlichen UN-Mission in Kosovo (UNMIK), das entstandene Vakuum auszufüllen;

- Abzug der serbischen Verwaltungs- und Sicherheitskräfte;

- Aufnahme der Führungskader der ehemaligen Befreiungsarmee (UCK) in das Kosovo-Schutzkorps (KPC);

- anhaltende Gewaltbereitschaft der Ethnien einschließlich illegalen Waffengebrauchs und anderer krimineller Handlungen ;

- der Mangel an Polizeikräften und daraus resultierende dauernde Inanspruchnahme des Militärs für diese Aufgaben.

Im Juni 1999 beschloss das Bundeskabinett, mit der Koordinierung der deutschen Anstrengungen einen Staatssekretärausschuss zu beauftragen. Schwerpunkt der Aktivitäten zur Verbesserung der Lebensbedingungen ist der nach internationaler Abstimmung festgelegte "deutsche Sektor" . Der deutsche CIMIC-Verband leistet in enger Zusammenarbeit mit rund 60 Hilfsorganisationen einen Beitrag zur Stabilisierung der Lage im Kosovo. Eng mit ihm zusammen arbeiten österreichische und Schweizer CIMIC-Kräfte.

In der Anfangszeit, als Tausende Vertriebene in das Kosovo zurückströmten, wurde - die Erfahrungen aus Mazedonien nutzend - u. a. eine Feldküchenkompanie zur Versorgung der Bevölkerung eingesetzt. Sie bereitete in den ersten Monaten 600 000 warme Mahlzeiten zu und verteilte etwa 155 t Nahrungsmittel. Parallel dazu erfolgte eine detaillierte Landeserkundung über den Stand der Zerstörungen und die Planung für eine winterfeste Unterbringung der Bevölkerung. Im Rahmen eines Programms "Hilfe zur Selbsthilfe" wurden obdachlos gewordene Familien mit Baumaterial zur Winterbefestigung ihrer Häuser versorgt. Insgesamt wurden mehr als 1 600 Häuser mit geringen Schäden instand gesetzt. Darüber hinaus wurden bis heute mehr als 1 000 t Spendengüter an Hilfsbedürftige verteilt.

Anarchie und Chaos herrschten in den ersten Tagen und Wochen im Kosovo - es gab weder eine funktionsfähige Polizei noch Gerichte, noch eine Verwaltung. Auf die Truppe kamen daher ungewöhnliche Aufgaben zu: So betrieben deutsche Soldaten zeitweise in subsidiärer Kompetenz ein Gefängnis, in dem Amnesty International keine Beanstandungen feststellte. Für viele Probleme mussten rasch Behelfslösungen gefunden werden: Bei offenen Lohnforderungen wurde z. B. eine Befriedigung der Ansprüche in Naturalien statt in Geld vermittelt. Grundlage dafür waren eingetroffene Kleiderspenden und Lebensmittelpakete. Österreichische CIMIC-Soldaten organisierten mitten zur Wintersaison Schneepflüge, welche die Räumung der Hauptverbindungsstraßen für die allgemeine Versorgung sicherstellten. Da die Aufstellung der Internationalen Polizeitruppe sich verzögerte, übernahmen zunächst Feldjäger kriminalistische Aufgaben. Zur Winterzeit organisierte man die Heizölversorgung für mehrere Krankenhäuser.

Fast 1 000 Häuser mit schweren Schäden wurden bisher mit CIMIC-Hilfe wieder aufgebaut. Weitere Projekte waren z. B. die Wiederherstellung von 28 Schulgebäuden sowie die Verbesserung der infrastrukturellen und medizinischen Lage der Krankenhäuser in Prizren und Malisevo. Schweizer Soldaten mit CIMIC-Aufträgen setzten bisher zwölf Brücken mit schwerem Pioniergerät instand. Schweizer Pioniere und Geologen untersuchten Standorte für Mülldeponien und erarbeiteten Expertisen; österreichische Experten arbeiteten an der Sicherstellung der Stromversorgung.

Im Frühjahr 2000 ermöglichten die durch die humanitäre Soforthilfe erzielten Forschritte eine Verlagerung der Aktivitäten. Schwerpunkt wurde nun der nachhaltige Wiederaufbau zerstörter Orte sowie der Aufbau eines funktionierenden Verwaltungssystems. Insbesondere Letzteres soll eine schrittweise Übertragung der Verantwortung auf lokale Kräfte ermöglichen. Beispielsweise unterstützt ein Eisenbahntrupp den Aufbau der Eisenbahn im Kosovo. Derzeit betreut er fünf von der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) bereitgestellte Lokomotiven und unterweist Wartungspersonal. Aus Sicherheitsgründen begleiten andererseits spezielle Schutztrupps Minderheitenangehörige zum Arzt oder eskortieren Busse in zentrale Orte.

Erkenntnisse

- Erstmals gab es bei Beginn des Einsatzes ein nationales Strategiepapier mit Zielen und Grundsätzen für die deutschen Wiederaufbaubemühungen. Dies ermöglichte eine perspektivische Planung der Aktivitäten und den konsequenten Einsatz der militärischen CIMIC-Kräfte.

- Die Erfahrungen bei SFOR bezüglich notwendiger CIMIC-Kräfte und -Strukturen bildeten zunächst die Basis. Insbesondere der Kosovo-Einsatz hat aber die große Bandbreite möglicher CIMIC-Arbeitsfelder deutlich gemacht, auf welche Streitkräfte bisher so nicht vorbereitet waren. Konzeptionell, strukturell und edukativ besteht Optimierungspotenzial.

- Die Zusammenarbeit mit den Hilfsorganisationen beruhte bereits auf einer anderen Akzeptanz als beim "Jungferneinsatz" bei SFOR. Die künftige Arbeitsteilung wird nach der Überwindung bestehender Defizite voraussichtlich noch professioneller.

IV. Gemeinsame Folgerungen aus den bisherigen Einsatzerfahrungen

Folgende Schlussfolgerungen lassen sich aus den bisherigen Erfahrungen für den militärischen, politischen und gesellschaftlichen Bereich ziehen:

1. Deeskalationsstreitkräfte müssen ein ausdifferenziertes Spektrum von Fähigkeiten in sich vereinen. Vorrangig werden sie im Interesse der Menschen in einer Krisenregion und zur Aufrechterhaltung/Wiederherstellung der internationalen Ordnung eingesetzt. Eng definierte nationale Interessen stünden dem entgegen .

2. Der Einsatz der Streitkräfte in einer Konfliktregion ist nur ein Bestandteil gesellschaftlicher Maßnahmen. Auch andere (nicht)staatliche Organisationen werden regional aktiv. Dies erfordert frühzeitige ressortübergreifende Koordination und partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Hilfsorganisationen bereits in Deutschland.

3. Komplexe Situationen wie die auf dem Balkan erfordern differenzierte Lösungsansätze. Perspektivische Konzepte müssen u. a. sicherheits- und entwicklungspolitische sowie wirtschaftliche Aspekte berücksichtigen. Streitkräfte bieten sich als flexibles Instrument an. CIMIC bietet auf der operativen und taktischen Ebene die Grundlage zu intensivem Informationsaustausch mit anderen Akteuren. So entstehende Lagebilder, gepaart mit lokalen Kontakten, sind vielfältig nutzbar. Eine isolierte militärische Betrachtungsweise verbaut Chancen, gewonnene Erkenntnisse auf diversen Politikfeldern einzusetzen.

4. Perspektivisch angelegte CIMIC-Arbeit schöpft Legitimation nicht nur aus dem Schutzprinzip für die Truppe, sondern auch aus der Schaffung von Zuständen, die eine möglichst frühzeitige Reduzierung eingesetzter Truppen ermöglichen.

5. Die Strategien, CIMIC-Komponenten personell hochkarätig auszustatten, hat sich bewährt. Rechtlich wurde der Dienstherr damit seiner Fürsorgepflicht gerecht - und zwar sowohl gegenüber den zu schützenden Kontingenten, als auch gegenüber den einzelnen CIMIC-Soldaten . Diese repräsentieren ohne profunde diplomatische Schulung die Kapazitäten einer Leistungsgesellschaft. Adaptionsfähigkeit wie Duchsetzungsvermögen gehören zum persönlichen Anforderungsprofil.

6. Angesichts der Vielfalt der Herausforderungen wie der Möglichkeiten für CIMIC-Arbeit besteht die Gefahr der Zerfaserung der Kräfte. CIMIC-Soldaten konzentrieren sich daher zweckmäßigerweise auf die Unterstützung des Hauptauftrags der eingesetzten Truppe. Darüber hinaus müssen sie zur Übernahme besonderer - durch die Politik formulierter - Aufgaben fähig bleiben.

V. Konzeptionelle Umsetzung

Der Begriff der zivil-militärischen Zusammenarbeit hat sich in den letzten Jahren in einem weit gefassten Verständnis entwickelt. Berührungspunkte, Überschneidungen und Vermischung mit Teilbereichen Humanitärer Einsätze, der Katastrophenhilfe und ziviler Notfallvorsorge erschweren klare Abgrenzungen. Das heutige Verständnis geht räumlich wie inhaltlich über tradierte Vorstellungen zivil-militärischer Zusammenarbeit in der Landes- und Bündnisverteidigung hinaus. Mit dem Einsatz militärischer Kräfte und Mittel auf dem Balkan werden Unterstützungsleistungen für das zivile Umfeld, die Nutzbarmachung lokaler Ressourcen und Maßnahmen unmittelbarer Hilfeleistung erheblich das Spektrum erweitern.

Internationale Entwicklungen

Die Ausformung militärischer Konzepte für den Aufgabenbereich CIMIC hat sich in internationale Entwicklungen einzufügen . Der politische Wille der Staatengemeinschaft stellt umfangreiche öffentliche Hilfen zum Wiederaufbau von Staat und Gesellschaft in ehemaligen Konfliktregionen bereit. Dieser Wille verleiht Konzeptionen zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung Schubkraft. Auf dem OSZE-Gipfel in Istanbul (1999) haben die Staats- und Regierungschefs in ihrer Gipfelerklärung die Schaffung von zivilen Krisenreaktionskräften (Rapid Expert Assistance and Cooperation Teams REACT) und die Stärkung der operativen Fähigkeiten des OSZE-Sekretariats beschlossen. Das REACT-Programm besteht aus drei Elementen: Aufbau eines Operation Centre, Einrichtung einer Datenbank (Personalpool), Reorganisation des Sekretariats. Mit dem REACT-Konzept haben sich die Staaten verpflichtet, Kapazitäten aufzubauen, die in breitem Spektrum zivile Expertise für OSZE-Einsätze verfügbar machen . Auf den EU-Gipfeln von Köln und Helsinki 1999 wurden erstmals konkrete Vorgaben für die Entwicklung einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik formuliert. Diese werden derzeit sukzessiv umgesetzt. Die Aufstellung von schnell einsetzbaren Streitkräften bis 2003 für das gesamte Spektrum der "Petersbergaufgaben" (Humanitäre Einsätze, Evakuierungsoperationen, Friedenserhaltende Maßnahmen [Peacekeeping] und Friedensschaffende Maßnahmen [Peaceenforcement]) sowie der Aufbau entsprechender Planungsgremien und Entscheidungsstrukturen sind hierfür deutlicher Beleg. Die im Zuge der Umsetzung verfeinerten Vorgaben sehen auch schnell verfügbare zivile Kapazitäten für ein umfassendes Krisenmanagement vor. Dem EU-Gipfel in Santa Maria da Feira wurde im Juni 2000 eine Studie über Ziele im Bereich nichtmilitärischer Aspekte der Krisenbewältigung vorgelegt. Bei der Schaffung derartiger Krisenreaktionsfähigkeit stehen nichtmilitärische Polizeikräfte, Fähigkeiten und Kräfte zur Stärkung des Rechtsstaates und der Zivilverwaltung sowie der Katastrophenschutz im Vordergrund . Das von den Verteidigungsministern der WEU im November 1999 gebilligte CIMIC-Konzept wurde im Sommer 2000 an die EU transferiert, die es überarbeitet.

Konzeptionelle Zielsetzung der NATO ist die Unterstützung der NATO-Kräfte im Einsatz und deren Zusammenarbeit mit dem zivilen Bereich bei Out-of-area-Einsätzen u. a. durch

- Schaffung bestmöglicher Bedingungen im Stationierungsraum;

- Maßnahmen zur Akzeptanzerhöhung der Streitkräfte im Einsatzgebiet;

- Informationsgewinnung und Beurteilung der zivilen Lage;

- Einrichtung von Verbindungsbüros;

- Unterstützung ziviler Organisationen und Behörden sowie

- Unterstützung ziviler Implementierungsmaßnahmen .

Spezielle CIMIC-Groups sollen die hierfür benötigten Kräfte bereithalten und die Stäbe auf den verschiedenen Führungsebenen beraten. Derartige Verbände wären beispielsweise in der Lage, die Friedenstruppen im ehemaligen Jugoslawien zu unterstützen.

Die Beispiele weisen die Richtung, welche Folgerungen die großen Organisationen aus den Erfahrungen auf dem Balkan ziehen. Tätigkeitsfelder sind konzeptionell abzugrenzen. Knappe Ressourcen verbieten Überschneidungen, die zur Duplizierung von Strukturen und Kompetenzgerangel führen . Dies erfordert Abstimmungen in Fragen, wie und mit welchen Mitteln und Zielen ein Land sich an der Lösung komplexer Probleme beteiligen will. Differenzierte Politik erfordert Optionen für flexibles, situationsgerechtes Handeln. Für die Akteure in der zivil-militärischen Arena bestimmen die Signale der Politik den Grad planerischer und struktureller Vorsorge. Die Bundeswehr wird auf Grund der Balkanerfahrungen eine Kernfähigkeit zur Unterstützung ziviler Implementierungsbemühungen vorhalten.

Streitkräfte haben sich aus gewichtigen Gründen als Baustein zur Implementierung von Friedensabkommen erwiesen. Sie schaffen und stabilisieren Sicherheit. Darüber hinaus verfügen sie über Fähigkeiten und Mittel, andere wirkungsvoll in ihrer Arbeit zu unterstützen oder zu ergänzen. Insbesondere in der Phase der Deeskalation können sich Situationen ergeben, in denen Streitkräfte zunächst das einzige Mittel sind, die Rückkehr zu "normalen" Lebensverhältnissen zu ermöglichen. Eine der leistungsfähigsten europäischen Volkswirtschaften bleibt gefordert, militärische Fähigkeiten und Strukturen für entsprechendes Handeln vorzuhalten. Eine auch in diesen Bereichen handlungsfähige Bundeswehr ist eines der Instrumente, die einen angemessenen Einfluss Deutschlands im Rahmen internationaler Bemühungen gewährleisten - und genau das wird auch immer wieder von den internationalen Organisationen erwartet.

Seit 1997 sind im Rahmen des Einsatzes der Bundeswehr auf dem Balkan etwa 600 Soldaten - überwiegend Offiziere - im Aufgabenbereich CIMIC tätig gewesen. Über stehende CIMIC-Kräfte verfügt die Bundeswehr nicht. Die Soldaten werden aus ihren sonstigen Verwendungen herausgelöst; sie durchlaufen eine kurze Einsatzvorausbildung. Einsatzdauer, Auftrag und Umfang dieser Kräfte - zeitweise bis 200 Soldaten - führten jedoch früh zu der Entscheidung, künftig Kräfte für CIMIC-Aufgaben vorzuhalten. Offen blieben Fragen nach Art, Umfang, Präsenzgrad und inhaltlicher Ausrichtung derartiger Strukturelemente. Darüber hinaus sind der rechtliche Rahmen, administrative Zuständigkeiten, der Auftrag der Bundeswehr - Fragen originärer Aufgaben und subsidiär zu erbringender Leistungen - sowie Einsatzerfordernisse der Streitkräfte zu beachten. Innerstaatliche Handlungsparameter liegen somit weitgehend auch der Ausgestaltung der Aufgaben im Einsatz außerhalb Deutschlands zugrunde.

Die konzeptionellen Überlegungen orientieren sich am operativen Minimum notwendiger Kräfte und Fähigkeiten. Aus deutscher Sicht sind umfangreiche, ständig präsente CIMIC-Verbände nicht notwendig. Ein Nukleus hauptamtlicher Kräfte - rund 150 Soldaten - erscheint ausreichend, um zu Beginn eines Einsatzes schnell, flexibel und qualifiziert zu agieren. Ein solcher Ansatz schafft ein erstes Kräftekontingent. Die Durchhaltefähigkeit stellt dann Personal mit einer Zweitfunktion "CIMIC" sicher. Insbesondere mit Reservisten lässt sich wechselnder spezifischer Bedarf an Fachleuten decken .

Ein modulares Kräftedispositiv ist auf die Erfüllung der für die NATO dargestellten Aufgaben zugeschnitten. Die Unterstützung ziviler Organisationen oder die Übernahme ziviler Aufgaben können auf Antrag ziviler Stellen, auf Grundlage internationalen Mandats oder ggf. auch eines nationalen Beschlusses, rechtlicher Verpflichtungen oder in einer Notsituation im Einsatzgebiet erfolgen. Einschlägige Lagen sind dann gegeben, wenn zivile Organisationen nicht rechtzeitig vor Ort sind oder die Sicherheitslage ihre Möglichkeiten einschränkt.

Projektarbeit wird durch CIMIC-Personal fast ausschließlich auf planerischer und finanztechnischer Ebene geleistet. Beide Verantwortungen sind strikt getrennt, um die Truppe vor eventuellen Korruptionsvorwürfen zu schützen. Lieferungen und Baudurchführung sind in der Regel Sache der Einheimischen. Besondere Situationen können ausnahmsweise vorübergehend auch den Einsatz von Soldaten erfordern. Angestrebt wird eine frühestmögliche Übertragung der Verantwortung an zivile Behörden bzw. Betroffene.

Die Entwicklung des militärischen Konzepts erfolgt unter Einbeziehung der Vorstellungen anderer Ressorts und der Hilfsorganisationen. Dies soll den Streitkräften ermöglichen, ihre Fähigkeiten auf das militärisch zwingend Erforderliche zu begrenzen. Die Einbettung der Einsatzkontingente in multinationale Strukturen zur Wahrung kompatibler CIMIC-Strategien in den Einsatzgebieten ist gleichzeitig weiter zu berücksichtigen.

Zuspitzend lässt sich fragen, ob CIMIC eine integrale Zukunftsaufgabe deutscher Streitkräfte bei Auslandseinsätzen ist oder "Suche nach neuen Betätigungsfeldern". Der Anteil der Bundeswehr an den Wiederaufbaubemühungen auf dem Balkan umfasst nur rund ein Prozent der Gelder, welche international zu diesem Zweck in den letzten Jahren aufgewendet wurden. Angesichts dieses geringen Volumens, des politischen Auftrags und der spezifischen Stabilisierungsfunktion von Streitkräften in Deeskalationslagen ist die Bundeswehr nicht als Akteur zu sehen, der als Konkurrent auftritt.

Dieses Verständnis wird belegt durch die geringe Stärke des CIMIC-Anteils der Einsatzkontingente wie auch ihre Funktion im Rahmen von Force Protection.

Ein Wiederaufbau von Staat und Gesellschaft nach dem Ende militärischer und/oder ethnischer Konflikte fordert die internationale Staatengemeinschaft auf unterschiedlichsten Tätigkeitsfeldern. Die drängenden entwicklungs- und wirtschaftspolitischen Fragen erfordern ganzheitliche Lösungen. Neuere Initiativen der Bundesregierung - z. B. die des Auswärtigen Amtes zur Ausbildung zivilen Personals für Einsätze im Rahmen der Vereinten Nationen und der OSZE oder das Konzept Ziviler Friedensdienst des BMZ - unterstreichen die Notwendigkeit enger Abstimmung der beteiligten Bundesressorts. Die Streitkräfte unterstützen derartige Prozesse im Rahmen ihrer Möglichkeiten und begleiten sie durch Gewährleistung eines möglichst sicheren Umfelds.

VI. Ausblick

Seit 1990 kennzeichnen eine Bandbreite militärischer und nichtmilitärischer Risiken mit erheblichem Gewalt- und Eskalationspotential Szenarien sicherheitspolitischen Denkens. Unter dem Paradigma des Stabilitätstransfers sollen Mittel der Außen- und Sicherheitspolitik zu Frieden und Sicherheit in der Welt beitragen. In den Vordergrund treten damit Krisenprävention und Deeskalation von Konflikten . CIMIC-Kräfte zur Zusammenarbeit mit zivilen Behörden und internationalen Organisationen bewähren sich dabei insbesondere in der Phase einer Konfliktentschärfung.

Verschiedene Nationen nutzen ihre CIMIC-Kräfte unmittelbarer, um wirtschaftliche Interessen zu verfolgen. Für Deutschland bleibt die Frage offen, welches Modell welchen eigenen Interessen entspricht. Die Ausgestaltung der nationalen militärischen CIMIC-Komponente folgt primär den Einsatzerfordernissen der Streitkräfte. Sie orientiert sich an der Unterstützung der eigenen Truppe. Gleichzeitig entwickelten sich die CIMIC-Kräfte auf Grund politischer Vorgaben zu einem effizienten subsidären Mittel für entwicklungsökonomische und polizeiliche Aufgaben. Dies konzeptionell abzubilden gleicht einem Spagat: Das künftige CIMIC-Konzept für die Bundeswehr hat sich einerseits in gegebene Rechts- und administrative Zuständigkeitsrahmen einzufügen und soll andererseits eine professionelle Wahrnehmung der gestellten Aufträge sicherstellen.

Das Primat der Politik ernst nehmen heißt auch, ihr für wechselnde Lagen mit einem Höchstmaß an Flexibilität Optionen des Handels bezüglich der Wahl der Mittel offen zu halten. CIMIC ist dazu ein glaubwürdiges und effektives Instrument, nicht zuletzt, weil aufgrund der Drittmittelfinanzierung das Militär in Projekte gesellschaftlicher Akteure eingebunden wird. Die Sinnhaftigkeit dieses Koppelungsmechanismus ist für den Einsatz in desintegrierten politischen Systemen anzuerkennen und zu unterstützen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Markus Spillmann, Soldaten als Krieger oder Engel?, zitiert Bernard Kouchner, den ehemaligen Chef der UNMIK (UN-Mission im Kosovo), in: Neue Zürcher Zeitung vom 10./11. 2. 2001, S. 4.

  2. Gero von Randow/Constanze Stelzenmüller, Zivis fürs Grobe, in: Die Zeit vom 16. 3. 2000, S. 17.

  3. Vgl. Peter Braunstein, CIMIC 2000 - Zivil-militärische Kooperation, in: Europäische Sicherheitspolitik, (2000) 12, S. 47.

  4. Vorstellungen zur zivil-militärischen Zusammenarbeit waren nicht in einem zentralen Konzept niedergelegt, sondern flossen in diverse Vorschriften der Bundeswehr, in Vereinbarungen zwischen den Ländern und Dienststellen der Territorialverteidigung sowie in die Rahmenrichtlinie Gesamtverteidigung (1989) ein. Vgl. Truppenpraxis, Zivil-militärische Zusammenarbeit, Sonderheft 1/1988.

  5. Vgl. Wilfried von Bredow, Demokratie und Streitkräfte, Wiesbaden 2000, S. 184.

  6. Vgl. John E. Lange, Civilian-Military Cooperation and Humanitarian Assistance: Lessons from Rwanda, in: Parameters, (1998), S. 106 ff.

  7. Vgl. Johannes Varwick/Wichard Woyke, Die Zukunft der NATO, Opladen 2000, S. 136 f.

  8. Dies waren Dietmar Schlee vom 3. 7. 1997 bis 30. 11. 1998 und Hans Koschnik vom 1. 12. 1998 bis 31. 12. 1999.

  9. Vgl. Christian Meyer, Ein Modell für die Zukunft, in: Truppenpraxis/Wehrausbildung, (1998), S. 782.

  10. Vgl. Stefan Hartwig, Konflikt und Kommunikation. Berichterstattung, Medienarbeit und Propaganda in internationalen Konflikten vom Krimkrieg bis zum Kosovo, Münster 1999, S. 166, spricht später von "Medien-Blauhelmen".

  11. Vgl. UNSC-Resolution 1031 vom 15. 12. 1995, S. 13 ff.

  12. Vgl. Verena Ringler, Die Stadt der Ewiggestrigen, in: Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt vom 12. 5. 2000, S. 14.

  13. Philippe Truze, Relations between the Military and the Humanitarians, in: Claire Pirotte/Bernard Husson/François Grunewald, Responding to Emergencies " Fostering Development, London - New York 1999, S. 151, erkennt die Überlegenheit militärischer Einheiten auf diesem Gebiet an.

  14. Vgl. Klaus Döveden, Zivil-Militärische Zusammenarbeit im Ausland: Notfallvorsorge, (1999) 1, S. 21.

  15. Vgl. z. B. Christian Hoyer, Zivile Infrastrukturprojekte in Bosnien-Herzegowina, Bundeswehrverwaltung, Bonn 1998.

  16. Offizielle Auflösung am 21. 9. 1999.

  17. Vgl. François Chauvancy, Une fonction opérationelle essentielle dans les opérations de maîtrise de la violence, in: Le CASOAR, (2001) 1, S. 10 ff..

  18. Das Kosovo ist räumlich in fünf Brigadesektoren aufgeteilt, für welche sog. "lead-nations" Verantwortung tragen. Im deutschen Sektor kooperieren russische, türkische und österreichische Soldaten in jeweils eigenen Areas-of-Responsibility (AOR); Schweizer Soldaten unterstützen als Task Force in der österreichischen AOR.

  19. Vgl. W. v. Bredow (Anm. 5), S. 197.

  20. Vgl. Lutz Krake, Das Schutzkonzept - Bedrohungen bei Friedensmissionen, in: Europäische Sicherheit, (2000) 6, S. 18.

  21. Vgl. Lothar Rühl, Die Bundeswehr-Reform aus bündnispolitischer Sicht, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 43/2000, S. 10.

  22. Vgl. Márton Krasznai, Schnelle Einsatzgruppen für Expertenhilfe und Kooperation (REACT) - Voraussetzungen für die Einsatzbedingungen, in: Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) (Hrsg.), OSZE-Jahrbuch 2000, S. 149 ff.

  23. 5 000 Polizisten, davon 1 000 innerhalb von 30 Tagen; ferner u. a. eine Datenbank über Richter/Staatsanwälte/Vollzugspersonal.

  24. Vgl. WEU-Council of Ministers, WEU-Concept on Civil-Military-Cooperation (C (99) 207), vom 23. 11. 1999.

  25. Eine provisorische Schlussfassung der AJP-09 NATO CIMIC-Doctrine liegt seit August 2000 vor.

  26. Vgl. Adam Daniel Rotfeld, Für eine neue Partnerschaft im neuen Jahrhundert. Das Verhältnis zwischen OSZE, NATO und EU, in: IFSH (Anm. 22), S. 401 ff.

  27. Vgl. Peter Braunstein, Spezialisten und Generalisten, in: Truppenpraxis/Wehrausbildung, (2000), S. 28.

  28. Vgl. Ernst Otto Czempiel, Kluge Macht, München 1999, S. 164 ff.

Oberstleutnant i. G., Dipl.-Kfm., geb. 1957; Referent im Bundesministerium der Verteidigung, Führungsstab der Streitkräftebasis.

Anschrift: Bundesministerium der Verteidigung, Fü SKB I 5, Postfach 13 28, 53003 Bonn.

Veröffentlichungen u. a.: NATO-Konzept CIMIC 2000 - Zivil-militärische Zusammenarbeit bei Einsätzen der Bundeswehr im Ausland, in: Notfallvorsorge, (1999) 4; CIMIC 2000 - Zivilmilitärische Kooperation, in: Europäische Sicherheit, (2000) 12.

Oberstleutnant i. G., Dipl.-Kfm., geb. 1952; Chef der Inspektion für die Offizieraus- und -weiterbildung an der Artillerieschule in Idar-Oberstein.

Anschrift: Ringstraße 2 c, 53604 Bad Honnef.

Veröffentlichungen u. a.: Ein Modell für die Zukunft, in: Truppenpraxis/Wehrausbildung, (1998); Humanitärer Einsatz der Bundeswehr in Albanien und Mazedonien, in: Truppenpraxis/Wehrausbildung, (1999).

Dr. jur., Mag. rer. publ., Rechtsanwalt, Major d. R., geb. 1967; Referent für CIMIC im Führungsstab der Streitkräfte.

Anschrift: Schauinslandstraße 10, 79100 Freiburg i. Br. .
E-Mail: mcjurij@AOL.com

Veröffentlichung u. a.: Verwaltungslehre der Volksanwaltschaft, Tübingen 2000.