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Die Jerusalemfrage im israelisch-palästinensischen Konflikt | Jerusalem | bpb.de

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Die Jerusalemfrage im israelisch-palästinensischen Konflikt

Jan Busse Stephan Stetter

/ 17 Minuten zu lesen

Jerusalem ist ein zentraler Streitpunkt in dem seit gut hundert Jahren andauernden israelisch-palästinensischen Konflikt. Obgleich es in der Vergangenheit erhebliche Annäherungen gab, scheiterten alle Bemühungen. Die heutige Situation bietet kaum Anlass für Hoffnung.

Jerusalem ist einer der zentralen Streitpunkte in dem seit gut hundert Jahren andauernden israelisch-palästinensischen Konflikt. In diesem Beitrag wollen wir aufzeigen, welche Überlegungen – sei es durch lokale oder externe Akteure – angestellt wurden, um die Jerusalemfrage friedlich zu regeln. Da eine solche Konfliktlösung jedoch bisher nicht erreicht wurde, es sehr wohl aber – oft unter sehr ungleichen Machtverhältnissen – Phasen politischer Stabilität und Koexistenz in Jerusalem gab, wird zudem die Realität des Konfliktmanagements skizziert. Dabei widmen wir uns den diversen Versuchen, Jerusalem zum Ausgangs- beziehungsweise Endpunkt einer Friedensregelung zu machen, sei es durch internationale Aktivitäten oder Initiativen von Israelis und Palästinensern. Wir schließen mit einer Einordnung der jüngsten politischen Initiative der Trump-Administration mit Blick auf Jerusalem und Handlungsmöglichkeiten der EU.

Historische und gesellschaftliche Einbettung

Der Israel-Palästina-Konflikt ist seit vielen Jahrzehnten einer der zentralen Konflikte der internationalen Politik, der aufgrund der ihm unterstellten Bedeutung oftmals auch zum Schlüsselkonflikt des Nahen Ostens erhoben wird. Zwei zentrale Ausgangsprämissen sollten hierbei aber im Blick behalten werden: Erstens ist zu beachten, dass der Konflikt um Jerusalem aus historischen Konstellationen der Neuzeit entstanden ist und keineswegs eine (ungebrochene) jahrtausendealte Kontinuität hat. Zweitens sollte nicht vergessen werden, dass Jerusalem auch eine "normale" moderne Stadt ist, in der Menschen leben, arbeiten und einem Alltag nachgehen.

Es sind insbesondere zwei große Entwicklungen des 19. Jahrhunderts, die den Jerusalemkonflikt geprägt haben. Das ist zum einen die Herausbildung internationaler Herrschaftsansprüche über Jerusalem in der Endphase des Osmanischen Reiches, zum anderen das Entstehen zweier nationalistischer Bewegungen – dem politischen Zionismus einerseits und dem arabischen und palästinensischen Nationalismus andererseits. Oft unter Berufung auf echte oder vermeintliche historische Fakten und religiöse Legitimierungsmuster gingen diese ebenfalls mit Herrschaftsansprüchen einher.

Noch Mitte des 19. Jahrhunderts gab es kaum internationale Presseberichterstattung über die Stadt, die sich – auch aus Sicht des Sultans in Istanbul – in einem relativ peripher gelegenen Verwaltungsteil (Sandschak) des Osmanischen Reiches befand. Jerusalem war zweifelsohne religiös bedeutsam, aber hieraus leiteten sich keine direkten politischen Machtansprüche lokaler muslimischer, christlicher oder jüdischer Akteure oder externer Mächte ab. Das himmlische Jerusalem war Bezugspunkt, nicht das irdische Jerusalem, um das es – mit Ausnahme von Napoleons kurzer und gescheiterter Nahostmission 1799 – keinen nennenswerten politischen Streit gab.

Dies änderte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, vor allem durch Entwicklungen auf internationaler Ebene. Man kann von einer regelrechten Entdeckung Jerusalems durch die europäischen (Groß-)Mächte sprechen, beginnend mit dem zaristischen Russland, Großbritannien, Frankreich und gefolgt vom Deutschen Reich und anderen. Jerusalem wurde in kurzer Zeit zu einer "symbolically loaded site of imperial rivalry" – und europäische Touristen, Gläubige, Intellektuelle und Reiseschriftsteller wurden in den Sog dieser Jerusalem-Begeisterung gezogen. Der Kampf um Einfluss ging der tatsächlichen Inbesitznahme der Stadt deutlich voraus – dabei wurde gar von einem "Krieg der europäischen Konsuln" gesprochen. Diese versuchten einerseits, dem Osmanischen Reich Privilegien abzuringen, andererseits waren sie darum bemüht, ihre europäischen Kontrahenten auszustechen, zum Beispiel, indem sie sich als Schutzmächte bestimmter Bevölkerungsgruppen vor Ort inszenierten.

Ebenfalls Ende des 19. Jahrhunderts kamen weitere Machtansprüche hinzu: namentlich die Ansprüche lokaler Akteure auf kulturelle, politische und bald auch auf nationale Selbstbestimmung gegenüber dem Osmanischen Reich und später Großbritannien. Sowohl die in den 1890er Jahren in Europa entstandene zionistische Bewegung, die im historisch-biblischen Israel einen Ausweg aus den europäischen Nationalstaaten mit ihren fehlenden Integrationsmöglichkeiten für jüdische Staatsangehörige suchte, als auch der seit den 1830er Jahren in Ägypten aufgekommene arabische und dann auch palästinensische Nationalismus führten zu territorialen Machtansprüchen im Sandschak Jerusalem. Allerdings stand zu diesem Zeitpunkt nicht Jerusalem im Zentrum des Interesses, sondern vielmehr das Entstehen genuiner jüdischer und arabischer Autonomie- und Unabhängigkeitsbewegungen. Dass freilich Jerusalem Teil des jeweils beanspruchten Gebietes sein sollte, stand außer Frage. Zum zentralen Konfliktthema wurde die Stadt aber erst ab den 1920er Jahren.

Hier setzt die zweite Ausgangsprämisse ein – nämlich, dass Jerusalem auch eine "normale" Stadt mit alltäglichem Leben für ihre Bewohner ist. Zu beachten ist hier, dass die Stadt noch weit bis ins 19. Jahrhundert auf den Bereich der heutigen Altstadt begrenzt war. Arabische, jüdische und internationale Besiedlung außerhalb der Stadtmauern fand erst spät statt; aber durch den Bau von Wohnungen, Krankenhäusern, Schulen und Universitäten, modernen Einkaufsstraßen, Theatern und Hotels ist Jerusalem zu einer modernen Großstadt geworden. Sowohl für die arabische als auch für die jüdische Bevölkerung ist die Stadt nicht mehr nur ein religiöses, sondern auch ein politisches, kulturelles, intellektuelles und wirtschaftliches Zentrum.

Dies verweist darauf, dass eine etwaige Friedensregelung nicht nur dem Bedürfnis der zwei Konfliktparteien und der internationalen Gemeinschaft nach Grenzen und territorialen Ansprüchen gerecht werden muss, sondern auch dem guten alltäglichen (Zusammen-)Leben – oder mit anderen Worten: der human security der vielfältigen Stadtbevölkerung – dienen sollte.

Internationale Versuche der Konfliktregelung

Der Israel-Palästina Konflikt und die Jerusalemfrage haben unmittelbare Auswirkungen auf das alltägliche Zusammenleben zwischen Israelis und Palästinensern in der Stadt. Seit der Eroberung und darauffolgenden De-facto-Annexion Ost-Jerusalems im Sechstagekrieg 1967 verfolgt die israelische Politik mehrheitlich das Ziel, eine erneute Teilung Jerusalems unbedingt zu verhindern, was sich in verschiedenen Maßnahmen der israelischen Behörden äußert. Neben der unilateralen Neuordnung der Stadtgrenzen, Siedlungsbau, der restriktiven Vergabe von Baugenehmigungen und daraus resultierenden Hauszerstörungen sorgt auch der Entzug von Aufenthaltsgenehmigungen nicht nur für eine geografische Fragmentierung palästinensischer Stadtviertel, sondern auch für erhebliche Einschränkungen in der individuellen Lebensführung der palästinensischen Bevölkerung Ost-Jerusalems.

Gewaltsame Eskalationen zwischen Israelis und Palästinensern haben zudem immer wieder ihren Ursprung in Jerusalem, und es wurden auch immer wieder israelische und palästinensische Zivilisten Opfer solcher Entwicklungen. In den vergangenen Jahren bestand eine solche Gefahr der Eskalation vor allem dann, wenn aus palästinensischer Sicht der sogenannte Status quo am Heiligen Plateau infrage gestellt wurde. Dieses informelle Arrangement umfasst die Regelung, dass grundsätzlich jeder Zugang zum Tempelberg beziehungsweise Haram al-Sharif (so die arabische Bezeichnung) erhält, aber nur Muslime dort beten dürfen. Da jedoch insbesondere nationalreligiöse Juden – darunter teilweise auch israelische Politiker – immer wieder versuchen, dort zu beten, sehen die Palästinenser diesen Status quo gefährdet, was sich in gewaltsamen Konfrontationen entlädt.

Internationale Versuche der Konfliktregelung in der Jerusalemfrage stehen in direktem Bezug zu den im 19. und frühen 20. Jahrhundert formulierten externen Machtansprüchen in der Levante. So betrachteten das Osmanische Reich und europäische Mächte Jerusalem als ihre Interessensphäre und versuchten, auf Grundlage imperialer Herrschaft über die Stadt und ihre Bewohner "Frieden" herbeizuführen.

Das Entstehen einer expliziten Jerusalemfrage in dieser Zeit zeigt aber auch, wie der gleichzeitig entstehende Anspruch auf nationale Selbstbestimmung arabischer und jüdischer Akteure den Herrschaftsanspruch externer Mächte immer mehr unterminierte. Unter dem Druck zunehmender Gewalt zwischen Juden und Palästinensern einerseits und lokaler Gewaltakte gegen die Mandatsmacht andererseits setzten die Briten 1936 eine Untersuchungskommission ein, um nach Gründen für die Eskalation und Lösungsvorschlägen für die Befriedung zu suchen. Die sogenannte Peel-Kommission entwickelte die bis heute in unterschiedlichen Schattierungen dominante internationale Konfliktlösungsidee (a) einer Zweistaatenlösung, also einem grundsätzlichen Verzicht auf internationale Herrschaftsansprüche zugunsten lokaler nationaler Ansprüche und (b) einer Sonderrolle Jerusalems, für das aufgrund seiner politischen und kulturellen Bedeutung ein britisches Mandat als Überbleibsel internationaler Herrschaft erhalten bleiben sollte.

Die Ausgangslage änderte sich nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Ende des britischen Mandats: Das Interesse der internationalen Gemeinschaft an Jerusalem hat zwar nicht nachgelassen, sich aber deutlich verschoben. Seither steht nicht mehr der Anspruch internationaler Herrschaft im Vordergrund, sondern vielmehr das Einhegen des Nahostkonfliktes sowie das Abstecken von rechtlichen und politischen Parametern für eine grundsätzlich von den lokalen Parteien zu erreichende Lösung der Jerusalemfrage. In Anlehnung an die Peel-Kommission griff der UN-Teilungsplan von 1947 die Idee der Zweistaatenlösung auf. Zugleich enthielt er eine abgeänderte Form internationaler Herrschaft über Jerusalem: Die Stadt sollte zwar nicht mehr Herrschaftsgebiet eines externen Staates sein, aber durch das Rechtskonstrukt des "Corpus separatum" unter internationale Kontrolle gestellt werden. Aufgrund des ersten israelisch-arabischen Krieges von 1948 kam beides jedoch nicht zur Umsetzung. Israel eroberte West-Jerusalem, und jordanische Truppen brachten Ost-Jerusalem unter ihre Kontrolle. Die Idee der Internationalisierung Jerusalems fand so ihr Ende.

Eine weitere zentrale Wende war dann die israelische Eroberung Ost-Jerusalems im Kontext des Sechstage- beziehungsweise Junikrieges 1967, der 1980 die formale Annexion Ost-Jerusalems durch Israel folgte. Diese hatte international insoweit signifikante Folgen, als sie einen Prozess der Legalisierung des israelisch-palästinensischen Konfliktes im Allgemeinen und der Jerusalemfrage im Speziellen auf Ebene des Völkerrechts auslöste. Seither bildete sich ein breiter internationaler rechtlicher Konsens heraus, der insbesondere durch mehrere Resolutionen des UN-Sicherheitsrates getragen wird. Demnach ist Ost-Jerusalem nicht zum israelischen Hoheitsgebiet zu zählen, und die Waffenstillstandslinie von 1949, die sogenannte Grüne Linie, die quer durch Jerusalem verläuft, ist als quasi-internationale Grenze zwischen Israel und einem palästinensischen Staat normativ verankert. Zwar gibt es insbesondere in den USA gegenläufige Auffassungen, aber auf rechtlicher Ebene wurde der Anspruch beider Konfliktparteien auf unterschiedliche Teile Jerusalems zunehmend kodifiziert und in den 2000er Jahren auch in der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofes und des Europäischen Gerichtshofes höchstrichterlich bestätigt.

Dies sollte aber nicht zu dem Schluss verleiten, dass die internationale Gemeinschaft diesen Konsens auch politisch durchsetzt. Hier ist eher von einer moderaten Einflussnahme zu sprechen. Die internationale Gemeinschaft folgt im Wesentlichen der Leitidee einer externen Unterstützung der Konfliktparteien, im Rahmen eines Friedensprozesses eine gemeinsame Lösung der Jerusalemfrage zu erreichen. Ein stärkeres politisches Engagement mit Blick auf Jerusalem hat sich daher auch erst ab 1993 mit dem Osloer Friedensprozess eingestellt und dies eher auf zwischenstaatlicher Ebene durch US-amerikanische Vermittlung als durch eine "Multilateralisierung".

Am weitesten ging bisher US-Präsident Bill Clinton, der im Dezember 2000 nach Verhandlungen in Camp David mit den sogenannten Clinton-Parametern konkrete und von der israelischen und palästinensischen Delegation grundsätzlich akzeptierte Lösungsvorschläge für eine Regelung der Jerusalemfrage vorlegte. Sie sahen vor, dass in Jerusalem – auch in der Altstadt – jüdische Gebiete israelisch und arabische Gebiete palästinensisch sein sollen. Freilich scheiterten die Friedensbemühungen, und die Parameter wurden nie umgesetzt, was durch den fortschreitenden israelischen Siedlungsbau in Ost-Jerusalem inklusive der Altstadt ohnehin erschwert gewesen wäre.

Seit dem Scheitern der Verhandlungen in Camp David und 2001 im ägyptischen Taba dominiert ein internationales, moderat intervenierendes Konfliktmanagement. So wurde als Reaktion auf die sogenannte al-Aqsa-Intifada, die im September 2000 durch einen umstrittenen Besuch des damaligen israelischen Oppositionsführers Ariel Sharon auf dem Heiligen Plateau ausgelöst wurde, das Nahost-Quartett (USA, Russland, UN, EU) gegründet. Zahlreiche Erklärungen des Quartetts wie insbesondere die sogenannte Roadmap von 2002 stärken die internationale Rechtsauffassung der Völkerrechtswidrigkeit der israelischen Besatzung Ost-Jerusalems und den grundsätzlichen Anspruch beider Konfliktparteien auf die Stadt.

Dies gilt auch für die in dieser Hinsicht mit einer langen Tradition antiisraelischer Politik brechende Friedensinitiative der Arabischen Liga von 2002, die sich grundsätzlich an den international anerkannten Parametern zur Konfliktregelung orientiert und somit eine Konvergenz mit der internationalen Rechtsauffassung eingeleitet hat. In den vergangenen zwei Jahrzehnten ist darüber hinaus eine zunehmende Fokussierung auf die gesellschaftliche Bedeutung Jerusalems zu beobachten, die sich einerseits in Berichten von Nichtregierungsorganisationen wie der International Crisis Group (ICG) ausdrückt, die die humanitäre Situation in Ost-Jerusalem dokumentieren, oder in den jährlichen Berichten der EU-Botschafter zur Situation in Jerusalem, in der die Bedeutung alltäglicher human security ebenfalls verstärkte internationale Beachtung findet.

Unbeschadet der Relevanz insbesondere der rechtlichen Kodifizierung des grundsätzlichen Anspruchs beider Konfliktparteien auf Jerusalem und moderater internationaler Vermittlung durch die USA oder das Quartett verzichtet jedoch die internationale Gemeinschaft auf umfassendere Intervention und direkten Zwang. Zwar wird die Rolle Jerusalems als global bedeutende Stadt und Zentrum dreier Weltreligionen betont, hieraus aber kein Anspruch verstärkter internationaler Einmischung abgeleitet – wenn man von immer wieder aufkeimenden Überlegungen einer internationalen Sicherheitspräsenz der USA, der NATO oder anderen Akteuren nach einer (bisher nicht erfolgten) lokalen Friedenslösung für Jerusalem absieht.

Regelungsansätze der Konfliktparteien

Zwischen den Konfliktparteien stand ab 1967 zunächst die Realität des Konfliktmanagements im Vordergrund. Konkret hieß dies nach israelischer Lesart ein Leben in einer wiedervereinigten Stadt, wohingegen für die palästinensische Bevölkerung der Alltag der Besatzung im Vordergrund stand. Auf diplomatischer Ebene erheben Palästinenser Anspruch auf Ost-Jerusalem als Hauptstadt eines unabhängigen Staates, während für Israel grundsätzlich die Unteilbarkeit ihrer Hauptstadt zentral ist.

Oslo

Hinsichtlich der ausdrücklichen Thematisierung Jerusalems als Konfliktgegenstand in Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern sind die Oslo-Abkommen von 1993 beziehungsweise 1995 bemerkenswert. Denn einerseits beschränkte sich die durch die Abkommen vereinbarte palästinensische Selbstverwaltung auf den Gazastreifen und Teile des Westjordanlandes. Über Jerusalem erhielt die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) somit keinerlei Kontrolle. Palästinensische Bewohner Ost-Jerusalems erhielten durch die Abkommen einzig die Möglichkeit, an Wahlen für das palästinensische Parlament und die Präsidentschaft teilzunehmen. In der Praxis ließ Israel dies aber nur in Postämtern zu, um zu verdeutlichen, dass es sich nur um eine De-facto-Briefwahl handele und die PA keinerlei Anspruch auf Jerusalem habe. Andererseits sparten die Oslo-Abkommen die besonders strittigen Punkte bewusst aus, um sie in späteren Endstatusverhandlungen zu klären.

Neben jüdischen Siedlungen, palästinensischen Flüchtlingen und Gebiets- beziehungsweise Grenzfragen zählte hierzu auch die Jerusalemfrage, was ihren Stellenwert aus Sicht der Konfliktparteien verdeutlicht. Gerade für Israel war die Aussparung Jerusalems bei den Oslo-Verhandlungen von besonderer Bedeutung. So signalisierte Israels Ministerpräsident Yitzhak Rabin unmittelbar nach der Unterzeichnung des ersten Oslo-Abkommens im September 1993, dass er hinsichtlich Jerusalem zu keinerlei Zugeständnissen gegenüber PLO-Chef Yassir Arafat bereit sei: "Jerusalem must remain united under Israeli sovereignty and be our capital forever." Für Rabin ermöglichten die Abkommen – und die Aufsparung der Endstatusfragen – daher eine Konsolidierung der israelischen Kontrolle über Jerusalem, wohingegen die palästinensischen Verhandler die Oslo-Abkommen als einen ersten Schritt auf dem Weg zu einem unabhängigen Staat mit Ost-Jerusalem als dessen Hauptstadt sahen.

Camp David

Die unter US-Vermittlung geführten Verhandlungen von Camp David im Sommer 2000 zielten darauf ab, für genau diese Endstatusfragen eine Regelung zwischen den Konfliktparteien zu finden. Bezüglich Jerusalem wurde dort insofern ein Durchbruch erzielt, als Israelis und Palästinenser erstmalig auf offizieller Ebene über die tatsächliche Möglichkeit der Teilung Jerusalems verhandelten. Entsprechend schlug der israelische Premierminister Ehud Barak zunächst die Schaffung zweier Hauptstädte vor, "Jerusalem" für Israelis und "al-Quds" für die Palästinenser. Jedoch bezog sich Barak bei seiner Definition von al-Quds nur auf den Jerusalemer Vorort Abu Dis, was jedoch im fundamentalen Widerspruch zum palästinensischen Verständnis steht – ist al-Quds doch der arabische Name für ganz Jerusalem.

Barak beabsichtigte zudem eine Ausweitung der Stadtgrenzen, wodurch die an Jerusalem grenzenden Siedlungen im Westjordanland der Stadt einverleibt worden wären. Im Verlauf der Verhandlungen machte er jedoch einen deutlich weiter reichenden Vorschlag und bot der palästinensischen Seite nicht nur Souveränität über sieben äußere Stadtviertel in Ost-Jerusalem an, sondern auch über das muslimische und christliche Viertel der Altstadt. Für den Tempelberg/Haram al-Sharif sollte es eine Resolution des UN-Sicherheitsrates geben, die die Verwaltung (custodianship) unter anderem durch Palästina regeln würde. Barak veranlasste Clinton dazu, den Palästinensern seinen Vorschlag als eine amerikanische Idee zu präsentieren, die es nur als Gesamtpaket im Verbund mit Vorschlägen zur Regelung von Flüchtlings- und Territorialfragen entweder zu akzeptieren oder abzulehnen galt. Zudem ließ er gegenüber Arafat keinerlei Rückfragen zu, was genau unter custodianship zu verstehen sei.

Es war folglich nicht allein Arafats Unnachgiebigkeit – wie oft in der öffentlichen Debatte vor allem in Israel und den USA behauptet – an der die Verhandlungen scheiterten. Vielmehr bestand ein zentrales Problem darin, dass Barak nicht bereit war, den Palästinensern seine Verhandlungspositionen schriftlich vorzulegen, sondern sie nur indirekt über die USA vorbrachte. Clinton machte sich damit die israelischen Positionen zu eigen und wich so von der Rolle des unparteiischen Maklers ab. Der Historiker Charles D. Smith hebt im Zusammenhang mit dem Scheitern der Verhandlungen hervor, dass diese zwar nicht wegen der Jerusalemfrage abgebrochen wurden, wie teilweise kolportiert wurde, ihre Lösung jedoch wesentliche Fortschritte in anderen Streitfragen ermöglicht hätte.

Taba

Auf Grundlage der wenige Monate später vorgelegten "Clinton-Parameter" kamen die Verhandlungsführer im Januar 2001 in Taba erneut zusammen und erzielten nun erhebliche Fortschritte in den Endstatusfragen. Anders als in Camp David verhandelten Israelis und Palästinenser ohne internationale Vermittlung in Taba direkt miteinander. Der damalige EU-Sonderbeauftragte für den Nahost-Friedensprozess, Miguel Ángel Moratinos, der als Beobachter an den Verhandlungen teilnahm, dokumentierte die Positionen beider Verhandlungsteams im Nachgang in einem "non-paper". Demnach einigten sie sich auf Jerusalem als Hauptstadt von Israel und Palästina, inklusive palästinensischer Souveränität über die arabischen Viertel Ost-Jerusalems und Teile der Altstadt. Beachtenswert ist, dass es in Taba auch eine Abkehr vom lange dominanten Teilungsparadigma Jerusalems gab und beide Seiten grundsätzlich die Idee einer "offenen Stadt" in Erwägung zogen. Zudem näherten sich die Konfliktparteien an Clintons Vorschlag für die heiligen Stätten an, also dass die Westmauer des Tempelplateaus (Klagemauer) unter israelischer und der Tempelberg/Haram al-Sharif ansonsten unter palästinensischer Souveränität stehen solle, ohne diesbezüglich jedoch eine Einigung zu erzielen.

Hervorzuheben ist, dass die Teilnehmer die Taba-Verhandlungen als Grundlage für eine konstruktive Fortsetzung von Gesprächen sahen und nicht als einmalige Gelegenheit, wie es in Camp David von Clinton vorgesehen war. Entsprechend betonten die israelischen und palästinensischen Verhandlungsführer in ihrer gemeinsamen Abschlusserklärung nicht nur die positive Atmosphäre der Gespräche, sondern auch, dass beide Seiten einer Einigung niemals so nahe gewesen seien. Die eskalierende Al-Aqsa-Intifada und die Wahlniederlage Baraks nur einen Monat später gegen Sharon machten die Fortschritte jedoch hinfällig.

Genf

In Reaktion auf die festgefahrene Situation der diplomatischen Hauptkanäle (Track I) wurde nach informellen Verhandlungen im Rahmen sogenannter Track-II-Diplomatie im Oktober 2003 mit der Genfer Initiative ein umfassender Friedensplan vorgelegt. Unter den Initiatoren der Initiative waren mit den beiden früheren israelischen beziehungsweise palästinensischen Ministern Yossi Beilin und Yasser Abed Rabbo auch zwei Vertreter der Taba-Verhandlungen. Jerusalem wurde darin als Hauptstadt beider Staaten vorgeschlagen, mit palästinensischer Souveränität über den Tempelberg/Haram al-Sharif und israelischer Souveränität über die Westmauer. Darüber hinaus erarbeiteten die Unterhändler Detailpläne für die Umsetzung dieser Vorschläge in der Praxis, indem sie Lösungsansätze für die spezifischen Herausforderungen bezüglich Teilung und Konnektivität von israelischer und palästinensischer Hauptstadt für jedes einzelne Stadtviertel thematisierten. Die Vorschläge stießen auf erheblichen öffentlichen Widerstand, auf palästinensischer Seite vor allem seitens der Hamas, während Israels Ministerpräsident Sharon sie als "the most serious historic error made since Oslo" bezeichnete.

Annapolis

Die bislang letzten direkten offiziellen Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien fanden durch Vermittlung von US-Präsident George W. Bush im November 2007 in Annapolis statt. Al Jazeera und der "Guardian" veröffentlichten Anfang 2011 die "Palestine Papers" genannten Geheimdokumente der in den Monaten nach der Konferenz geführten Verhandlungen. Daraus geht hervor, dass die Palästinenser zu wesentlichen Zugeständnissen in Jerusalem bereit waren und, im Gegenzug für israelische territoriale Zugeständnisse, Israel die Annexion fast aller Siedlungen in Ost-Jerusalem anboten. Der palästinensische Verhandlungsführer Saeb Erekat formulierte es demnach gegenüber den Israelis so: "We are building for you the largest Jerusalem in history."

In direkten Verhandlungen mit PA-Präsident Mahmud Abbas legte der israelische Premier Ehud Olmert Ende August 2008 eine Karte vor, der zufolge er zwar Teile Ost-Jerusalems als palästinensische Hauptstadt vorsah, aber für die Annexion aller Siedlungen Ost-Jerusalems einschließlich der angrenzenden Siedlungen im Westjordanland keine wesentlichen Zugeständnisse offerierte. Die palästinensische Hauptstadt al-Quds wäre auf wenige unzusammenhängende Teile Ost-Jerusalems beschränkt gewesen, die vom Westjordanland isoliert wären. Der weitere Verhandlungsprozess scheiterte letztlich daran, dass Olmert aufgrund von Korruptionsvorwürfen zurücktreten musste.

Ausblick und Einordnung

Obgleich in der Vergangenheit in offiziellen und informellen Verhandlungen erhebliche Annäherungen in der Jerusalemfrage erzielt wurden, lässt die gegenwärtige Situation wenig Grund zur Hoffnung auf eine für beide Konfliktparteien akzeptable Regelung. Vorsichtige Fortschritte wurden seit Oslo immer wieder durch innenpolitischen Widerstand gegenüber einer Verständigung sowohl in Israel als auch in Palästina verhindert. Die letzten direkten Verhandlungen liegen inzwischen fast zehn Jahre zurück, und weder Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu noch PA-Präsident Abbas scheinen derzeit in der Lage zu sein, den politischen Mut beziehungsweise Willen zu erforderlichen Kompromissen aufzubringen. In der Jerusalemfrage haben Netanyahu und die seit rund zehn Jahren von ihm angeführten Regierungen auch keine Kompromissbereitschaft mehr erkennen lassen, es gilt wieder das Diktum der Unteilbarkeit Jerusalems.

Angesichts dieser verfahrenen Situation präsentierte US-Präsident Donald Trump im Dezember 2017 seine Entscheidung, die US-Botschaft nach Jerusalem zu verlegen und die Stadt damit als israelische Hauptstadt anzuerkennen, als einen wichtigen Beitrag zur Lösung der Jerusalemfrage, da diese nun "vom Tisch" sei. Dass dieser äußerst einseitige Regelungsversuch keine nachhaltige und für die palästinensische Seite akzeptable Lösung sein kann, steht außer Frage. Zugleich diskreditiert er die USA als Vermittler im Friedensprozess, was sich auch darin zeigt, dass die palästinensische Führung seit Trumps Entscheidung den Kontakt zu Vertretern der US-Administration ablehnt. Vor diesem Hintergrund besteht umso größere Dringlichkeit für eine aktivere europäische Einmischung in die Jerusalemfrage. Zu diesem Zweck müsste die EU ihre Politik des bloßen Konfliktmanagements zugunsten intensivierter Anstrengungen zu einem produktiven Beitrag der gesamten internationalen Gemeinschaft für eine nachhaltige Konfliktregelung verändern.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Muriel Asseburg/Jan Busse, Der Nahostkonflikt. Geschichte, Positionen, Perspektiven, München 2016.

  2. Vgl. Stephan Stetter, World Society and the Middle East. Reconstructions in Regional Politics, Houndmills 2008.

  3. Vgl. Simon Sebag Montefiore, Jerusalem. Die Biographie, Frankfurt/M. 2011.

  4. Jan Busse, Deconstructing the Dynamics of World-Societal Order. The Power of Governmentality in Palestine, London 2018, S. 26.

  5. Bernhard Wasserstein, Jerusalem. Der Kampf um die Heilige Stadt, München 2002, S. 31.

  6. Vgl. Michael Brenner, Israel. Traum und Wirklichkeit des jüdischen Staates, München 2016; Rashid Khalidi, Palestinian Identity. The Construction of Modern National Consciousness, New York 2010.

  7. Vgl. UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA), East Jerusalem. Key Humanitarian Concerns, Jerusalem 2011, Externer Link: http://www.ochaopt.org/sites/default/files/ocha_opt_jerusalem_report_2011_03_23_web_english.pdf.

  8. Vgl. International Crisis Group, The Status of the Status Quo at Jerusalem’s Holy Esplanade, Middle East Report 159/2015.

  9. Eine solche "multilaterale" Lösung war bereits unter anderen Vorzeichen während des Ersten Weltkrieges im Sykes-Picot-Abkommen mit dem Konzept einer gemeinsamen alliierten Verwaltung Jerusalems durch Frankreich und Großbritannien angedacht, wurde aber aufgrund des zuerst erfolgten britischen Einmarsches im Sandschak Jerusalem nie implementiert.

  10. Vgl. Jan Busse/Stephan Stetter, Das Jahr, das den Nahen Osten veränderte, in: APuZ 5–7/2017, S. 27–33.

  11. Vgl. Stephan Stetter, The Legal Foundations of Normative Borders and Normative Orders. Individual and Human Rights and the Israel-Palestine-EU Triangle, in: Raffaella A. Del Sarto (Hrsg.), Fragmented Borders, Interdependence and External Relations, Houndmills 2015, S. 155–178.

  12. Hier sind vor allem die Resolutionen 242 von 1967, 338 von 1973 und 2334 von 2016 zu nennen.

  13. Vgl. International Court of Justice, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion, 9.7.2004, Externer Link: http://www.icj-cij.org/files/case-related/131/131-20040709-ADV-01-00-EN.pdf; Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 25.2.2010, Firma Brita vs. Hautpzollamt Hamburg-Hafen, Externer Link: http://www.jurion.de/urteile/eugh/2010-02-25/c-386_08-1.

  14. Vgl. Asseburg/Busse (Anm. 1).

  15. Die Berichte der ICG im Dossier Israel/Palästina sind zu finden unter Externer Link: http://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/eastern-mediterranean/israelpalestine. Zu den Berichten der EU-Botschafter siehe etwa EU Report: Jerusalem Has Reached "Dangerous Boiling Point", 20.3.2015, Externer Link: http://www.haaretz.com/1.5340360.

  16. Zit. nach Charles D. Smith, Palestine and the Arab-Israeli Conflict. A History with Documents, Boston–New York 2010⁷, S. 438.

  17. Vgl. ebd., S. 438f.

  18. Vgl. ebd., S. 486f.

  19. Vgl. The Moratinos Nonpaper on the Taba Negotiations, Summer 2001, in: Journal of Palestine Studies 3/2002, S. 81–89, hier S. 83ff.

  20. Vgl. The Israeli-Palestinian Joint Statement at Taba, 27 January 2001, in: Journal of Palestine Studies 3/2002, S. 80f.

  21. Vgl. The Geneva Initiative, The Geneva Accord and Annexes – A Summary, Ramallah–Tel Aviv 2009, Externer Link: http://www.geneva-accord.org/images/PDF/Summary.pdf.

  22. Zit. nach Smith (Anm. 16), S. 504.

  23. Meeting Minutes on Borders, 4.5.2008, Externer Link: http://www.ajtransparency.com/files/2648.pdf, S. 7.

  24. Vgl. Summary of Olmert’s "Package" Offer to Abu Mazen, 31.8.2008, Externer Link: http://www.ajtransparency.com/files/4736.pdf.

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ist promovierter Politikwissenschaftler und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Internationale Politik und Konfliktforschung an der Universität der Bundeswehr München. E-Mail Link: jan.busse@unibw.de

ist Professor für Internationale Politik und Konfliktforschung an der Universität der Bundeswehr München und Mitherausgeber der "Zeitschrift für Internationale Beziehungen". E-Mail Link: stephan.stetter@unibw.de