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Ein Krieg "jeder gegen jeden": Terror und die Politik der Angst | Wertepluralismus und Toleranz | bpb.de

Wertepluralismus und Toleranz Editorial Was für den Westen zählt, oder: Sind amerikanische Werte auch unsere Werte? Ein Krieg "jeder gegen jeden": Terror und die Politik der Angst Globaler Dschihad? Zum Verhältnis von Wissenschaft, Technologie und Globalisierung in der arabischen Welt Zivile oder herrschaftliche Religion?

Ein Krieg "jeder gegen jeden": Terror und die Politik der Angst

Benjamin R. Barber

/ 28 Minuten zu lesen

Der Autor versucht, mögliche Ursachen für die Terroranschläge vom 11. September 2001 aufzuzeigen. Dabei geht er zuerst auf die Wirkungen des modernen Terrorismus ein.

Einleitung

Terrorismus erscheint auf den ersten Blick als ein Beweis brutaler Macht, in Wirklichkeit handelt es sich dabei um eine Strategie der Angst, nicht der Stärke. Terror entsteht aus Schwäche - Machtlosigkeit - und führt zum Erfolg, indem die Macht der stärkeren Gegner gegen sie selbst gewendet wird. Terrorismus ist eine Art strategisches Jiu-Jitsu, das nur dadurch siegt, dass andere zu Verlierern werden, bezwungen durch ihre eigene Stärke und ihre eigenen Ängste. Die teuflische Raffinesse hinter den Angriffen auf das World Trade Center und das Pentagon wurde nicht so sehr durch den rohen, aber dämonisch einfallsreichen Einsatz von Passagierflugzeugen als Bomben offenbar, sondern in der sich anschließenden Manipulation der Angst, die dem Luftverkehr und den Börsen schweren Schaden zufügte. Gleichermaßen wirksam war Bioterror - nicht als Tat an sich, sondern als ein Werkzeug der Lähmung. Durch die Einwirkung auf die Medien wurde eine Furcht bei denjenigen geweckt, welche die öffentliche Meinung bilden, und so kam es zu einem Multiplikatoreffekt, der es dem Bioterror mit einem an sich relativ geringen Schaden erlaubte, ein Maximum an Wirkung zu haben.

Indem wir durch die "Propaganda der Tat", wie es der Anarchist Michael Bakunin nannte, an unsere eigene Angst gefesselt wurden, haben die Terroristen gewissermaßen den Sozialvertrag gelöst und uns zurück in eine Art "Naturzustand" versetzt. In den vergangenen 400 Jahren sind wir den Weg von Anarchie, Unsicherheit und Angst (dem von Sozialtheoretikern wie Thomas Hobbes postulierten Naturzustand) hin zu Recht und Ordnung (rechtmäßige Ordnung), politischer Sicherheit und dem Genuss bürgerlicher Freiheit gegangen. Durch das Handeln außerhalb des Gesetzes, indem die Unsicherheit allgegenwärtig gemacht und Freiheit in Risiko verwandelt wird, drängt uns der Terrorismus zurück in eine Quasi-Anarchie. Um vollständig zu verstehen, was dies bedeutet, muss man in die Welt der politischen Philosophie eintauchen. Während es viel Neues unter unseren derzeitigen Bedingungen gibt - Technologie, weltweite Interdependenz, Metastasen bildender Extremismus, der nur lose mit seinen rechtfertigenden Ideologien und Religionen verbunden ist -, so ist doch vieles alt: der Zusammenbruch von Staatsbürgertum und Gesetzesordnung als Folge von zivilem Unfrieden und Krieg, ein Gefühl der Wirkungslosigkeit von Souveränität unter dem Druck von Terror und Unsicherheit; die Brauchbarkeit der Metapher vom "Naturzustand" auf internationaler Ebene, auf der die üblichen innerstaatlichen Sicherheiten nicht länger gelten und auf der das menschliche Leben mit Hobbes schlichten Worten häufig gewalttätig, böse, brutal und kurz ist.

Die Wirkung des modernen Terrorismus ist eine direkte Folge der Logik des westlichen Gesellschaftsvertrags: In einer Demokratie dürfen Menschen keine Bomben werfen. Demokratie bedeutet die Schlichtung von Konflikten mit Worten und durch Mehrheiten, nicht mit Stärke und Gewalt. Macht und Betrug sind, wie Hobbes es bezeichnet, die Kardinaltugenden des Naturzustands, in dem es kein Gesetz gibt. Sie müssen unter normalen sozialen Verhältnissen durch Abstimmung und Rechtmäßigkeit überwunden werden. Wenn in unserer Demokratie immer noch Bomben geworfen werden, dann stimmt etwas mit unserer Demokratie nicht - etwas, das uns zurückversetzt in diesen absolut anarchischen Naturzustand, aus dem uns demokratische Souveränität und Rechtmäßigkeit befreien sollte. Die Handlungen der Terroristen sind überwiegend pathologisch und bringen weder rationale Analyse noch Verständnis hervor, geschweige denn Rechtfertigung. Aber es stimmt auch etwas nicht mit unserer Demokratie, etwas zunehmend Problematisches hinsichtlich unserer grundlegenden Normen Souveränität und Unabhängigkeit. Das erste Problem - pathologischer Terrorismus - könnte durch besondere militärische und geheimdienstliche Operationen beseitigt werden; das zweite Problem ist viel wesentlicher, weil seine Lösung staatsbürgerliche und demokratische Handlungen auslöst und jeden Einzelnen in der Gesellschaft betrifft.

Unter normalen Umständen sollte es in einer Demokratie keinen Grund für die Anwendung von Gewalt geben, geschweige denn für die Durchführung terroristischer Handlungen. Es ist das Ziel demokratischen Regierens, Beteiligung und Mitspracherecht von "Untertanen" (die also Staatsbürger werden) zu erlauben, so dass Gewalt buchstäblich außer Frage steht. Tyrannei erzeugt Gewalt, weil sie jede andere Alternative unmöglich macht. Gewalt ist sogar unter tyrannischen Regierungen nicht das Instrument der Wahl. Auseinandersetzungen, die auf Gewalt basieren, begünstigen zwar gewöhnlich die Mächtigen; Gewalt kann aber auch für diejenigen eine Option darstellen, die durch eine politische Ordnung (oder ein politisches Chaos) gänzlich entmachtet werden. In dieser Lage befanden sich die algerischen Nationalisten, die sich in den fünfziger Jahren den Franzosen gegenübersahen, oder der Afrikanische Nationalkongress, der in den achtziger Jahren mit der südafrikanischen Apartheid konfrontiert war. Der Terrorismus avancierte zu einer Waffe des Widerstands.

Demokraten sind immer von Terroristen irritiert, weil Terrorismus in einem demokratischen Rahmen unerklärlich ist. Daher lautet die Frage von so vielen Amerikanern nach dem 11. September 2001: "Warum mögen sie uns nicht? Was haben wir falsch gemacht?" Es wird schnell ersichtlich, dass diejenigen, die Gewalt anwenden - mit oder ohne Rechtfertigung -, in der Regel nicht die Wahrnehmung teilen, dass sie "demokratische" Optionen haben, gleich, ob dies "Zugang" zu Macht bedeutet oder die Möglichkeit, eine Rolle bei der Gestaltung der "Res publica" (der Domäne der öffentlichen Angelegenheiten) zu spielen.

Wir können die Wahrnehmung und das Urteil derjenigen in Frage stellen, die derartige Aussagen über unser System treffen, und wir können sie einfach als Wahnsinnige und Dämonen abtun und entsprechend mit ihnen umgehen, sie als "die Bösen" abschreiben. Immerhin können ihre Taten treffend genug als "böse" beschrieben werden. Aber wir müssen auch fragen, ob unsere Demokratie unter den Bedingungen der globalisierten Gesellschaft offen für jene ist, die mit den Terroristen sympathisieren. Terroristen selbst sind selten echte Demokraten, und sie benutzen allgemein die Rhetorik von Freiheit und Unterdrückung, um zerstörerische Absichten zu rationalisieren. Doch für die große Zahl verängstigter, unterdrückter und missbrauchter Menschen stellt sich unsere globale Welt der Märkte und des Konsums häufig als ein anarchisches System dar, das sie ausschließt. Diese Menschen sehnen sich in erster Line nach Selbstverwaltung, dem Recht, das Schicksal, das sie und ihre Familie zu ertragen haben, zumindest zum Teil selbst zu bestimmen - und sie mögen wenig zuversichtlich hinsichtlich ihrer Chancen sein. Wenngleich sich der Terrorismus nicht durch die Konzentration auf die globale Anarchie und das Bemühen um weltweite Demokratisierung beenden lässt, wird dies jedoch solche Gewalt weitaus anomaler machen, weitaus weniger verführerisch für die Massen in der Dritten Welt, die sich selbst derzeit zu den Machtlosen und Ausgegrenzten zählen.

Es gibt zwei wichtige demokratische Defizite, die vielen Menschen das Gefühl geben, als würden sie immer noch (oder wieder) im Naturzustand leben, wo es weder Sicherheit noch Freiheit gibt, weder Gerechtigkeit noch Gleichheit. Das erste ist das Demokratiedefizit Amerikas (und des Westens), unser Versagen, dem Ziel gerecht zu werden, allen unseren Bürgern ein Leben in Freiheit zu ermöglichen. Das zweite ist das globale Demokratiedefizit, das Fehlen demokratischer Regulierung und rechtmäßiger Institutionen auf der globalen Ebene, die die Anarchie der internationalen Märkte kontrollieren und bändigen könnten, eine Anarchie, die dem Terrorismus in die Hände spielt. Demokratie innerhalb unseres Systems ist ein Punkt und Globalisierung und seine Auswirkungen auf Demokratie im internationalen Kontext ein anderer.

Um auf diese beiden komplexen Themen einzugehen, werde ich die Betrachtung des Verhältnisses von Kultur und Religion vereinfachen müssen. Daher kann eine an und für sich notwendige Unterscheidung zwischen nationaler oder ethnischer Kultur und religiöser Wertekultur nicht vorgenommen werden, da sich beide vielfach überschneiden: Wenn ich von Kultur spreche, werde ich zugleich Religion meinen, und wenn ich Religion sage, meine ich damit auch die Kultur.

Unser Demokratiedefizit

Wenn der Krieg der Fundamentalisten gegen die Moderne - was ich Heiliger Krieg gegen McWorld genannt habe - nicht als schlichter Kampf unter und zwischen den Kulturen verstanden wird (wie Samuel Huntington und Andrew Sullivan ihn fälschlicherweise definiert haben), in dem der Islam, dominiert durch seine Fundamentalisten, versucht, die moderne Welt ins Mittelalter zurückzudrängen, dann muss er als ein Kampf innerhalb von Kulturen verstanden werden, ein Kampf innerhalb einer einzigen modernen Zivilisation. In allen Religionen gibt es fundamentalistische Tendenzen: Wir müssen nicht erst zu den Kreuzzügen oder der Inquisition zurückgehen, um eine Kostprobe der christlichen Version zu bekommen, gewissermaßen der "christlichen Taliban". Jerry Falwell beispielsweise führte die Anschläge des 11. September auf einen zornigen Gott zurück, der Rache übe für Homosexualität, Abtreibung, Feminismus.

Diese Entwicklung wird durch die aggressiv säkularen und schamlos materialistischen Tendenzen der globalen Märkte der Moderne verschärft sowie durch ihre durchdringende, privatisierende Zuordnung zum Konsum. Wenn es zu schwierig wird, einen Ausgangspunkt für religiöse Orientierung und Gebete in den säkularisierten Treffpunkten der modernen Gesellschaft (das Multiplexkino, der TV-Raum, der Computerarbeitsplatz) zu finden, werden einige stattdessen einen Ort für ein religiöses Martyrium suchen. Wenn Verehrung nicht friedlich und würdig erfolgen kann, wird sie sich selbst in einen großen "Kampf" verwandeln - einen "Heiligen Krieg" gegen Ungläubige, deren Ungläubigkeit nicht in der Verehrung einer anderen Religion besteht, sondern in der Ablehnung aller Religionen und der krassen Kultivierung eines säkularen Kulturimperialismus.

Tatsächlich ist der Fundamentalismus eine Erfindung des Westens, des Christentums: Die Kreuzfahrer waren die ersten großen Jihad-Krieger, die unbedingt Ungläubige bestrafen sowie ein Gottesreich schaffen wollten. Unzufrieden mit seinen Kriegen gegen den Islam (die es verlor, so wie der islamische Heilige Krieg heute seinen Kreuzzug verlieren wird), verfiel das Christentum in einen brudermörderischen Krieg, der im Dreißigjährigen Krieg gipfelte, in einem Konfessionskrieg um religiöse Reinheit, der die europäische Bevölkerung dezimierte.

Was Europa dabei entdeckte (und was der Islam sich noch bewusst zu machen hat) war, dass die Koexistenz von Religion und weltlicher Souveränität eine Teilung in der menschlichen Seele erfordert: eine Aufteilung in geistliche und weltliche Werte. Papst Gelasius postulierte im Mittelalter eine Doktrin der Zwei Schwerter, in der Religion und Staat jeweils ihr eigenes Reich haben sollten. Die Zwei-Schwerter-Doktrin erkannte indirekt an, dass bei einem Vordringen des weltlichen in das geistliche Reich die Gefahr politischer Tyrannei bestünde: des politischen Totalitarismus. Und wenn die Kirche in das Reich des Weltlichen vordrang, bestand die Gefahr der Theokratie, von Intoleranz und bürgerlichem Unfrieden.

Die Zwei-Schwerter-Lehre vermied sowohl Anarchie als auch Tyrannei, aber sie ließ die tief Religiösen unzufrieden zurück. Als diese fühlten, dass ihr verkleinertes Reich durch die Moderne erdrückt wurde - durch Säkularisierung, Privatisierung und Handel -, revoltierten sie gegen die Umsicht der Trennung und die liberalen Dogmen von Grenzen, die ein Schutz für einen bescheidenen Säkularismus in tief religiösen Zeiten hätten sein können, die jedoch zu einer Bedrohung für die Religion in zutiefst säkularen Zeiten wurden. Puritaner versuchten einst, in Massachusetts ein Gemeinwesen zu schaffen, und heute nehmen ihre Nachfahren, die der derzeitigen Elterngeneration angehören, ihre Kinder aus den öffentlichen Schulen - aus Entsetzen über die aufdringliche, oberflächliche Popkultur. Jüdische Fundamentalisten weisen den Staat Israel als ein Sakrileg an der messianischen Heilserwartung zurück, während andere heute ebenfalls im Namen fundamentalistischer Dogmen Anspruch auf Gebiete in Palästina ("Judäa und Samaria") erheben, die kein Teil des Staates Israel waren. Kürzlich an die Macht gekommene Hindu-Fundamentalisten bestehen darauf, dass der Staat abtrünnigen Seelen die Religion auferlegt - eine Bedrohung für den religiösen Pluralismus im demokratischen Indien.

Daher ist es kaum eine Überraschung oder ein Bruch mit der Tradition, wenn Islamisten die Vorstellung haben, dass die neue globale Unordnung den Tod für ihre Kinder, ihre Werte und ihre Religion bedeutet. Denjenigen, die sich durch ihren Glauben in einen Krieg um Unschuld und Märtyrertum verirren, muss dies notfalls mit Gewalt verboten werden: Doch es ist kaum vorstellbar, dass ein Verbot ausreichen wird, um die Verbreitung des Fundamentalismus zu stoppen oder die Welt vom pathologischen Terrorismus zu heilen. Wir müssen uns nicht nur der globalen Armut annehmen, sondern auch der Frage eines Freiraums für das Praktizieren von Religion. In den Vereinigten Staaten wurde die vernünftige Prämisse einer Trennung von Kirche und Staat zu der unvernünftigen These von der Notwendigkeit einer strikten Privatisierung von Religion ausgeweitet. Religion ist schon per Definition ihrem Wesen nach öffentlich: Sie betrifft Gemeinschaften und Gemeinden, nicht bloß Individuen, und ihre Ausübung macht öffentliche Regeln erforderlich. Ihre Abschirmung gegen den Staat (und des Staates gegen sie) kann nicht durch den Ruf nach ihrer Privatisierung erfolgen. Zwar mag der Islam in seiner derzeitigen fundamentalistischen Ausprägung zuviel öffentlichen Raum beanspruchen, doch das Christentum und andere Religionen wurden veranlasst, zu wenig davon zu besetzen. Verständlicherweise fühlt sich daher der tief Religiöse von diesen Beschränkungen verletzt.

Falls es in allen Religionen Fundamentalisten gibt und diese eine Reaktion auf zu liberale Normen darstellen, können diese auch in kulturellen und ethnischen Gemeinschaften angetroffen werden. Somit ist es angebracht, von einem kulturellen Fundamentalismus zu sprechen. Hier erheben ebenfalls Männer und Frauen, die sich angegriffen fühlen, Anspruch auf die Herrschaft kultureller Ethnizität, was totalitär und ausgrenzend sein kann. Das frühere Jugoslawien zerbarst über Klüften, die durch einen religiösen und ethnischen Fundamentalismus aufgerissen wurden, für den der Völkermord die einzige Antwort zu sein schien.

Sicherlich gibt es offene und tolerante Kulturen und Gemeinschaften, aber ebenso existieren geschlossene, ausgrenzende und intolerante. Die These ist nicht neu, dass eine Gemeinschaft, je stärker sie wird, je geschlossener und vollständiger ihre Kultur ist, umso unwahrscheinlicher tolerant und offen ist. Gemeinschaften, die in einer gemeinsamen Kultur wurzeln, bieten vieles, wonach wir uns bei der Suche nach einer kulturellen Identität sehnen: Brüderlichkeit, ein Zusammengehörigkeitsgefühl, Homogenität, Verbindendes. Verdichtete, starke Kulturgemeinschaften sind weitaus erfolgreicher als eher unverbindliche Netzwerke wie der Sierra Club, die Amerikanische Union für Freiheitsrechte oder Ärzte ohne Grenzen.

Es gibt also eine natürliche und unvermeidliche Spannung zwischen den Werten einer Kulturgemeinschaft und den Werten einer offenen Gesellschaft, zwischen Identität und Demokratie. Staatsbürgerschaft ist die Identität der Demokratie, doch sie ist weniger widerstandsfähig als beispielsweise Rasse oder Religion. Etwas anderes zu glauben wäre Wunschdenken. Die Demokratisierung unserer kulturellen Gemeinschaften schwächt diese unvermeidlich, obwohl sie dadurch weit weniger verwundbar für Missbrauch gemacht werden und weitaus mehr mit fortschrittlichen liberalen Idealen zu vereinbaren sind. Ein Jugendwanderclub, geschweige denn der Sierra Club, wird seine Mitglieder nicht derart binden wie die Hitlerjugend - Gott sei Dank. Rationale Orientierungen fördern nicht unbedingt emotionale Bindungen an die Demokratie, obwohl auch die Demokratie stabile, sich kulturell identifizierende Mitglieder braucht.

Kein Amerikaner kann der verführerischen staatsbürgerlichen Sprache eines Alexis de Tocqueville widerstehen, der die lokale Dynamik von Demokratie in Amerika in ihrer kindlichen Form eingefangen hat: starke örtliche Gemeinschaften, die aus engagierten Bürgern bestehen. Engagierte männliche Bürger, wohlgemerkt: engagierte männliche, weiße, protestantische, grundbesitzende Bürger. Würde man eine Frau oder einen Afro-Amerikaner nach der Dynamik der amerikanischen Demokratie in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts fragen, als Tocqueville seine geschickt verfasste Beschreibung publizierte, würden diese sagen: "Demokratie für wen?". "Nicht für uns." Die von Tocqueville gefeierte Widerstandsfähigkeit der Gemeinde wurde in Wirklichkeit durch Ausgrenzung und Homogenität erkauft, durch Sklaverei und die Verweigerung der bürgerlichen Rechte der Frauen. Unser staatsbürgerliches Gebilde ist heute weitaus integrierender, weitaus umfassender, weitaus vielfältiger. Aber weniger engagiert, weniger im Besitz gemeinsamer Werte, weniger in der Lage, sich als einzigartige Gemeinschaft zu verstehen. Der Handel, den wir in Amerika eingegangen sind, bestand in der Aufgabe eines widerstandsfähigen, aber auf lokaler Gemeinschaft basierenden und damit oft auch ausgrenzenden bürgerlichen Engagements zu Gunsten einer integrierenden multikulturellen Gesellschaft, die ebenso staatsbürgerlich farblos wie staatsbürgerlich frei war - befreit von der Sklaverei, aber auch ohne Verbindendes. Die amerikanischen Südstaaten waren, wie jeder Leser des großen amerikanischen Klassikers "Vom Winde verweht" weiß, vor dem Bürgerkrieg tatsächlich das Zuhause einer aristokratischen und zutiefst amerikanischen Kultur, in der die Familie, die Kirche und die Gemeinschaft vielleicht fester verwurzelt waren als irgendwo sonst in Amerika - zum Preis der Sklaverei und der Unterordnung von Frauen unter männlich dominierte Sitten. Als eine Gemeinschaft war der Süden den neuen Industriestädten des Nordens weit überlegen, wo die Proletarier oft wirtschaftlich schlechter lebten als manche Haussklaven im Süden.

Wenn wir über die Taliban in Afghanistan oder den Irak reden, müssen wir auch unsere eigenen staatsbürgerlichen Seelen prüfen. Mit unserem Stolz auf die Demokratie liegen wir nicht falsch, und sie liegen nicht richtig mit ihrer engstirnigen Intoleranz gegenüber Pluralismus und Freiheit. Aber wir müssen unsere demokratischen Verfahren richtig und wirklich ordnen, um deren antidemokratischer Rhetorik wirksam zu begegnen. Wir müssen uns nicht Huntingtons Prognose eines Kampfes der Kulturen anschließen: Unsere eigene Existenz umfasst alle die Spannungen und Widersprüche, die er dem "Anderen" zuschreibt. Auf unserer linken Schulter sitzt unser eigener Teufel, der mit den guten Engeln auf der rechten Schulter streitet. Schon Lincoln wusste, dass wir die Ursachen unserer Probleme während unseres eigenen großen Bürgerkriegs nicht im Ausland und in fremden Kulturen suchen mussten. Er wusste, dass wir für das im Namen unserer Freiheit begangene Unrecht mit eigenem Blut bezahlen würden.

Amerikanischer Exzeptionalismus und das Ende der amerikanischen Unschuld

Um unser eigenes demokratisches Defizit zu begreifen, genügt ein Blick auf unsere eigenen Ansprüche an Demokratie. Es geht nicht darum, unsere Ideale aufzugeben, sondern vielmehr darum, sie zu stärken, indem wir ehrlich bezüglich der Herausforderungen sind, vor denen diese angesichts unserer eigenen Geschichte standen und stehen. Das globale Demokratiedefizit ist keine Angelegenheit verkannter Hoffnungen, sondern ein herausforderndes Projekt. In Amerika haben wir den Mythos des amerikanischen Exzeptionalismus gebraucht, um uns von unserer Verantwortung für die Welt und in der Welt abzuschirmen. Ebenso wie die Schweiz sich selbst als "Sonderfall Schweiz" etikettiert, so bestehen wir auf unserem "Sonderfall Amerika" - ein mythisches Land des Neubeginns, wo es möglich ist, die Unschuld des Paradieses zurückzugewinnen, eine "Stadt auf dem Hügel", wo wir, wie Tom Paine behauptete, zum Anfang zurückkehren und noch einmal von vorn anfangen könnten. Als ob die Geschichte der Gewalt, des Unfriedens und der Boshaftigkeit, die Widersprüche, Irrtümer und Vorurteile in Europa, die Voltaire und andere Philosophen der Aufklärung bereits als Synonyme für die europäische Geschichte erkannt hatten, vermieden oder beiseite geschoben werden könnten. Durch zwei große Ozeane und unseren eigenen "reinen" Ursprung geschützt - so eine beliebte Vorstellung -, würde Amerika das Land des "neuen Menschen" sein, ein Land der Unschuld und Erneuerung, eine nüchterne "Tabula rasa", nach der eine neue Geschichte geschrieben werden könnte.

Der Mythos der Unschuld hing vom Mythos der Unabhängigkeit ab - von Autonomie, Separation und völliger nationaler Souveränität. Geographie und Geschichte (oder ihr Fehlen) waren die Garanten der neuen Isolation Amerikas vom Rest der Welt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die amerikanische Außenpolitik zunächst um den Versuch geordnet, Amerika vor der Welt abzuschirmen und zu schützen. Und als Amerikaner schließlich fremden Boden betreten mussten, um Kriege im Ausland zu führen, hatten wir das Selbstverständnis, anderer Menschen Großbrände zu löschen. "Star wars" (der jüngste Raketenschutzschild) ist nur die letzte Bemühung bei dem Versuch, durch Technologie wenigstens einen virtuellen Ozean zu schaffen, der die USA vor ausländischen Feinden schützt.

Der 11. September 2001 bedeutete das Ende des doppelten Mythos von amerikanischer Unschuld und amerikanischer Unabhängigkeit. Die Terroristen machten die amerikanische Souveränität zum Gespött. Sie erteilten eine Lektion in boshafter Unabhängigkeit, die durch Terror geschaffen und durch Angst unterstrichen wurde. Mit den New Yorker Türmen fiel ebenso die Einbildung, dass es für irgendeine Nation möglich sei, in der neuen Welt anarchischer Interdependenz alleine zu marschieren. Amerika kann zwar versuchen, sich aus den globalen Angelegenheiten herauszuhalten, aber die Welt wird sich nicht aus Amerika heraushalten. Kein Ozean ist breit genug, kein Schild stark genug, keine Mauer hoch genug, um die USA vor den Auswirkungen der globalen Anarchie zu schützen. Die Welt kam in der Verkörperung dessen nach Amerika, wie wir es uns in unseren Albträumen immer vorgestellt haben - als das Böse, auftauchend aus unserer Mitte, um uns zu vernichten. Die "Bösen" mochten einst in Ägypten, dem Sudan oder Afghanistan ausgebildet worden sein, doch sie lebten nicht in Kairo oder Kabul, sondern in Hamburg, Florida und New Jersey und wurden an amerikanischen Schulen unterrichtet, machten sich mit amerikanischen Technologien vertraut und versteckten sich hinter den amerikanischen Tugenden Toleranz, Pluralismus und Privatsphäre, die sie angreifen und zerstören wollten.

Dies hätte keinen solchen Schock hervorrufen müssen. Amerika ist ein erstaunlich multikulturelles Land, so "global", wie überhaupt eine Nation auf Erden sein kann. Schon lange vor dem 11. September war die Welt in Amerika angekommen - und ihre Menschen brachten ihre eigenen Tugenden und Untugenden, ihre Freude und ihren Ärger, ihre Sehnsucht nach Chancen und ihr Verlangen nach Verneinung mit. Lange bevor das Attentat auf das World Trade Center die große Mehrheit der Amerikaner in die Wirklichkeit zurückholte, war Interdependenz die amerikanische Realität. Doch der Realität war mit einer vermessenen unilateralistischen Außenpolitik getrotzt worden, die durch Versäumnis und Isolierung mit einer globalen Anarchie konspirierte, welche freie Märkte und wuchernden Terrorismus gleichermaßen förderte. Die Weigerung, Beiträge an die Vereinten Nationen zu zahlen, das Verlassen der UNESCO, die Zurückweisung des Vertrags über das Verbot von Landminen und die Weigerung zur Teilnahme an der Durban-Konferenz über Rassismus (wie irrig und befangen diese auch gewesen sein mag) waren Ausdruck dessen, was selbst für Amerikas Freunde als eine amerikanische Arroganz erschien, die ebenso töricht wie kontraproduktiv war.

Doch der 11. September, ein Tag des Terrors, erinnerte die amerikanische Nation daran, dass eine anarchische Welt Amerika selbst in einen Naturzustand zurückdrängen könnte, in dem die Unsicherheit allgegenwärtig wäre und Angst der einzige Motor sozialer Beziehungen. So wie einst der Naturzustand (als Metapher für das Chaos der Religionskriege und die Anarchie der Staatsbildung in Frankreich und England) der philosophische Hintergrund für die Legitimation mächtiger neuer demokratischer Formen von Souveränität (jegliche politische Autorität wurzelt in der Zustimmung der Regierten, die dem Staat im Gegenzug für die Garantie von Freiheit und Ordnung gewährt wird) war, bringt heute die globale Anarchie wieder neue Formen globaler Souveränität hervor, die im Angesicht des Terrors Sicherheit gewährleisten.

Die Frage ist, ob die Vereinigten Staaten als Antwort auf die inzwischen erkannte globale Anarchie versuchen werden, zwischen der Anarchie, die die globalen Märkte antreibt, und der Anarchie, die den Terrorismus antreibt, zu unterscheiden; ob sie Letzterer nur mit militärischen und geheimdienstlichen Mitteln begegnen sowie der Welt eine "Pax Americana" aufzwingen werden, die bloß ein Versuch wäre, die amerikanische Souveränität auszudehnen, statt ihre Grenzen zu erkennen. Oder werden sie begreifen, was Interdependenz bedeutet, dass die Anarchie der globalen Märkte und die Anarchie des Terrorismus zusammenhängen und dass die angemessene Antwort darin bestehen muss, Wege zu finden, Souveränität und ihre bestimmenden demokratischen Institutionen zu globalisieren? Die Wahl ist klar, die amerikanische Präferenz ist es nicht. Beide Positionen werden in der Bush-Regierung und unter der amerikanischen Bevölkerung vertreten. Diejenigen, die - in der Sprache des Präsidenten - behaupten, dass die Welt sich in zwei Lager teilte: in jene, die sich an die Seite der USA stellen, und in jene, die zu den Unterstützern des Terrorismus gehören, sind Traditionalisten, die sich an die Hoffnung klammern, dass Amerika den Weg noch immer alleine gehen kann, solange andere ihm folgen. Zu ihnen zählen Vizepräsident Dick Cheney und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Die Alternative besteht für Amerika darin, ein führender Partner bei multilateralen Verhandlungen zu werden und die Unterschiede und vitalen Interessen anderer Nationen anzuerkennen, die nicht unbedingt genau mit den eigenen übereinstimmen müssen. Der besonnene Ansatz der Koalitionsbildung von Außenminister Colin Powell hat dieses Modell verfolgt. Präsident Bush selbst hat beide Lager umworben, wenngleich langfristig die beiden nicht vereinbar sind.

Der Krieg "jeder gegen jeden" und die internationale Unordnung

In jedem Fall muss dem Krieg "jeder gegen jeden" in einem globalen Rahmen begegnet werden. Und dies bedeutet die Demokratisierung von Globalisierung: die Schaffung von Volkssouveränität und staatsbürgerlicher Teilhabe auf dem anarchischen internationalen Gebiet. Die Alternative bestünde in Hobbes' Krieg "jeder gegen jeden", in dem Stärke und List die Kardinaltugenden sind (worauf sich die El-Qaida gut zu verstehen scheint). Schließlich geht es bei Hobbes' erstem Naturgesetz darum, alles Notwendige zu tun, um zu überleben - und dies schließt das "Recht", andere zu töten, mit ein.

Der Widerspruch, dem sich die Vereinigten Staaten gegenübersehen, besteht darin, dass sie selbst bei der Schaffung einer internationalen "Ordnung" mitgewirkt haben, die in Wirklichkeit eine internationale Unordnung ist - ein arrangierter Krieg "jeder gegen jeden", in der Pose eines freien Marktes, jedoch mit Bedingungen, die die Globalisierung von Verbrechen, Waffen, Prostitution, Drogen und Terror ebenso begünstigen wie die Verbreitung unkontrollierter Märkte. Es ist die Voraussetzung dafür geschaffen worden, die hochprofitable freie Märkte ermöglicht - eine unkontrollierte und undurchsichtige Interdependenz, die von völlig ungeregelten transnationalen finanziellen und unternehmerischen Interessen dominiert wird -, allerdings zum Preis eines globalen Umfelds, das eine weitaus böswilligere Interdependenz fördert, die von Kriminellen und Terroristen beherrscht wird. In einer radikal asymmetrischen Form von Internationalismus haben die Amerikaner und ihre Verbündeten die Wirtschaft, den Handel, die Mobilität von Menschen und natürlichen Ressourcen sowie die vielen mit den freien Märkten verbundenen Untugenden globalisiert. Die demokratischen, rechtmäßigen und staatsbürgerlichen Institutionen jedoch, die innerhalb von Nationalstaaten den Kapitalismus und seine marktwirtschaftlichen Institutionen begrenzen und kontrollieren sowie die Ausbreitung von Anarchie verhindern, haben sie nicht globalisiert.

Der Kapitalismus ist ein kraftvoller und starker Tiger, der angestachelt werden kann, um eine Wirtschaft zu beleben - vorausgesetzt seine Kräfte werden durch staatsbürgerliche und politische Institutionen gebändigt. Die Globalisierung hat den Tiger aus dem Käfig gelassen und einen "wilden" Kapitalismus freigesetzt, der wie ein befreiter Tiger seine räuberischen und alles verschlingenden Gewohnheiten wieder aufgenommen hat.

Wilde Kräfte können nur durch einen Gesellschaftsvertrag und die Erzwingung von Volkssouveränität gebändigt werden. Die Frage lautet, ob dies auf globaler Ebene möglich ist und ob die Vereinigten Staaten nun Bemühungen in diese Richtung unterstützen werden. So, wie dies einst bedeutete, dass der Einzelne die Freiheit, so zu handeln wie es ihm gefiel, zu Gunsten einer Garantie seiner konkreten Sicherheit und einer nun etwas begrenzteren, aber sicheren Freiheit aufgeben musste, werden heute Staaten ebenfalls diesen Handel eingehen müssen, indem sie zulassen, dass im Namen einer neuen globalen Sicherheit in ihre Souveränität eingegriffen wird. Wir können nicht mehr länger zwischen Anarchien wählen - zufrieden mit der wirtschaftlichen Anarchie unkontrollierter Märkte, aber entsetzt über die vom globalen Terrorismus erzeugte politische Anarchie. Die internationale Unordnung gewährt Unternehmen die Freiheit, den wirtschaftlichen Sektor ohne Angst vor Regulierung oder Eindämmung zu dominieren, und den Terroristen die Freiheit, die Risse der anarchischen Interdependenz herbeizuführen, die die globale Unordnung darstellen. In der Tat ist der Terror der pathologische Ausdruck einer Verzweiflung, die weit intensiver von denjenigen empfunden wird, die durch die Anarchie der globalen Beziehungen der Märkte marginalisiert und missbraucht werden. Die Amerikaner fragen: "Warum hassen sie uns?" Die Opfer der globalen wirtschaftlichen Unordnung hassen nicht die Amerikaner, doch sie wollen, dass ihr Schmerz und Leiden ebenso viel zählt wie der Schmerz und das Leiden derjenigen, die am 11. September getötet wurden. Ihr Ziel besteht nicht darin, Amerikas Leiden zu missachten, sondern ihr eigenes geachtet zu wissen.

Die Gesellschaftsverträge früherer Epochen enthielten häufig eine Unabhängigkeitserklärung, in der ein Volk seine Autonomie und Souveränität gegenüber inländischen Herrschern oder ausländischen Oberherren verkündete. Sie gehörten zu einer Ära der Schaffung von Nationen, in der die Errichtung und Verteidigung von Grenzen entscheidend waren. In unserem neuen Zeitalter sind die Grenzen porös geworden, und der globale Gesellschaftsvertrag verlangt nach einer neuartigen und noch nie da gewesenen Unabhängigkeitserklärung. Nation für Nation kann die Demokratie nicht mehr länger allein überleben. Dass der Kapitalismus ein globales System ist, begriff Trotzki schon vor langer Zeit, auch, dass "Sozialismus in einem Land" unmöglich wäre. Da Wirtschaft, Ökologie, Technologie und Kultur ebenso wie Verbrechen, Krankheit, Revolution und Terrorismus ein neues globales System erzwingen, müssen wir verstehen, dass "Demokratie in einem Land" auch nicht länger möglich ist. Hobbes' Widerspruch - dass ein souveränes Nationalstaatensystem mit Inkaufnahme von Anarchie unter Nationen geschaffen werden müsse, um die Anarchie innerhalb von Nationen zu überwinden - kann nicht mehr länger gelten. Die Kosten sind zu hoch geworden. Die heutige Forderung nach der Globalisierung von Demokratie, der Globalisierung von Recht, nach der Schaffung starker internationaler Institutionen, die echte Teilhabe erlauben, ist nicht mehr länger schlicht eine romantische Forderung unbedeutender Weltföderalisten nach einer unmöglichen Utopie. Sie ist zu einer Frage nationaler Sicherheit geworden, ein Imperativ eines neuen Realismus. Damit gelangt man wieder direkt zur Eingangsfrage: Warum werfen Menschen in einer Demokratie Bomben (selbst wenn sie sich außerhalb der Demokratie befinden)?

Die Antwort lautet, dass es für diejenigen, die den gewaltsamen Widerstand und den Terrorismus unterstützen, keine Demokratie gibt. Ein Gesellschaftsvertrag, der nicht alle Menschen und alle Völker einschließt, kann nicht funktionieren. Den Terrorismus bändigen heißt, den Anarchismus zu bändigen, innerhalb dessen bisher auch Unternehmen und das globale Finanzkapital bequem agieren. Der Westen ist nicht nur bei der Schaffung einer globalen Ordnung, die auch den Finanzanarchismus eindämmt, gescheitert, sondern er hat eine Ideologie - einige würden sogar sagen: eine Theologie - der Privatisierung gehegt, die tatsächlich weniger öffentliche Verantwortlichkeit, weniger Transparenz und weniger Demokratie in Nationen befürwortet hat. Das neoliberale Paradigma, für das Reagan und Thatcher eintraten und das sich heute sogar "linke" Parteien zu Eigen machen, begann mit einem Krieg gegen den "großen Staat" und seine bürokratische Passivität, aber dieses Konzept ist heute weniger zu einem Angriff auf den bürokratischen Staat geworden als zu einem Angriff auf die "res publica", die öffentlichen Dinge und Güter, die die Demokratie bestimmen. Privatisieren bedeutet in diesem Sinne, wortwörtlich, Güter de-publik zu machen, sie aus der Öffentlichkeit zu entfernen und die bürgerliche Gemeinschaft ohne ein Fundament zurückzulassen. Ohne eine Bewahrung unserer Öffentlichkeit verlieren wir jede Möglichkeit der Gemeinsamkeit.

Erst nach dem 11. September verstand der Westen ziemlich unvermittelt wieder die Bedeutung von Gemeinwohl, von Gemeinsinn. Viele Menschen, die lange nicht über die "res publica" nachgedacht hatten, stellten fest, dass öffentliche und nationale Sicherheit Güter sind, die nicht privatisiert werden können und sollten. Niemand fragte Bill Gates von Microsoft oder Michael Eisner von Disney am 12. September nach einer Strategie, um dem Terrorismus zu begegnen. Im Gegenteil drängten Politiker, die lange Zeit den Abbau des Staates befürworteten, hart darauf, Sicherheitskräfte an amerikanischen Flughäfen zu "föderalisieren", die privat beschäftigt, schlecht bezahlt, unzureichend ausgebildet und in der Folge (ohne ihre eigene Schuld) völlig inkompetent waren. Staatliche Kräfte - Polizei, Feuerwehr und Sicherheitsbeamte - wurden plötzlich zu Helden und lösten Börsenmakler, Anwälte und Banker als die unentbehrlichen Männer und Frauen einer Gesellschaft unter Belagerung ab. Nicht mehr die Konsumenten dominierten unsere Welt: Staatsbürgerschaft gewann ihre Macht zurück, Hoffnung und Inspiration zu wecken - der Bürger-Cop, der Bürger-Soldat, der Bürger-Präsident verkörperten den Geist eines Volkes, das plötzlich die Bedeutung seiner Gemeinschaftlichkeit wieder erkannte.

Mehr als sonst irgendetwas haben die Nachwirkungen des 11. September das Bedürfnis nach und die Bedeutung von staatsbürgerlichen Tugenden erneuert: den "Verfassungspatriotismus", die säkulare Ideologie hoher Ideale, welche die ansonsten ungleichen Bestandteile einer multikulturellen Nation zusammenhält. Amerikas zivile Religion war im Verlauf seiner zweihundertjährigen Geschichte sein größter bürgerlicher Besitz. Die allgegenwärtige amerikanische Flagge mag Beobachtern außerhalb der Vereinigten Staaten als ein zu starkes emotionales und sogar gefährliches Zeichen von nationalem Chauvinismus erscheinen, aber für viele Amerikaner ist sie in einer multikulturellen Gesellschaft ein Zeichen nationaler Einheit und eine Erinnerung daran, was die Amerikaner als demokratisches Volk verbindet. Sie verleiht der schmalen Identität rechtlicher Staatsbürgerschaft eine viel umfassendere Identität von bürgerlicher Mitgliedschaft an dem, was der Philosoph John Dewey "die große Gemeinschaft" nannte. Sie verkörpert Treue zu einem Gesellschaftsvertrag, der auf Volkssouveränität gründet, und erinnert die Amerikaner an die Notwendigkeit von Demokratie zur Sicherstellung von Freiheit und Sicherheit.

Wenn wir eine globale Ordnung schaffen wollen, die ebenso gerecht wie fruchtbar ist, ebenso immun gegen wirtschaftliche Ausbeutung wie gegen terroristischen Nihilismus, Frauen und Kinder ebenso schützt wie Eigentum, dann sind nicht nur neue demokratische und bürgerliche Institutionen notwendig, sondern eine Art globales bürgerliches Ethos, das eine transnationale Staatsbürgerschaft begründen kann.

Am Anfang war auch das heutige vereinigte Europa nicht nur eine zukünftige Wirtschaftsunion oder Freihandelszone, es war eine Idee, die Männer wie Jean Monnet, Konrad Adenauer und Robert Schuman auf den Trümmern zu vieler Kriege träumten. Es war die Idee des Europäischen - die heute traurigerweise weitgehend auf die Idee des Euro reduziert worden ist. Dennoch entsteht derzeit eine europäische bürgerliche Zivilgesellschaft, eine europäische Sichtweise, ein europäischer Identitätssinn, für den eine Währungsunion allein nur ein schwaches Symbol ist.

Globale Zivilgesellschaft und ein Platz für Religion

Das vorrangige Ziel einer nachhaltigen Strategie gegen den Terrorismus besteht darin, eine gerechte und integrierende Welt zu schaffen, an der alle Bürger Anteil haben, doch eine bürgerliche Gesinnung, die Säkularismus erzwingt oder religionsfeindlich erscheint, wird für das Problem des Fundamentalismus nicht geeignet sein. Denn die Feinde des Westens versuchen nicht nur an der Fülle des Kapitalismus teilzuhaben, sondern auch seine säkulare Kraft und seinen absoluten Materialismus zu schwächen. Sie sind besorgt, dass der globale Kapitalismus ohne sie oder auf ihre Kosten gedeihen wird, aber sie sind ebenso besorgt, dass es ihm gelingen könnte, sie einzuschließen und dabei ihre Werte zu unterlaufen und ihre Kinder zu korrumpieren. "McWorld" bringt eine Welt von Ambivalenzen mit sich, und ihr möglicher Erfolg bei der Integration ist ebenso beunruhigend wie das derzeitige Versagen hierbei.

Der neoliberale Mythos der allmächtigen Märkte hat eine neuartige - von unten nach oben verlaufende - Form der absoluten Homogenität geschaffen, die zutiefst bedrohlich für die religiöse Vielfalt und das Streben nach immateriellen Gütern ist, ganz gleich, ob es sich dabei um kulturelle, erzieherische oder religiöse Vielfalt handelt. Christliche Fundamentalisten sind ebenso geprägt von ihrer Furcht vor dem Materialismus der Popkultur und seiner Tendenz zu materieller Überladung und Gewalt wie moslemische und jüdische Fundamentalisten. In Millionen amerikanischer christlicher Hausschulen werden die Kinder unterrichtet, um sie von der Popkultur fernzuhalten, die die öffentliche Erziehung durchdringt. Friedfertige und hart arbeitende moslemische Eltern sehen in dem allumfassenden Angriff des materiellen Konsums ebenso eine Bedrohung ihrer höchsten Werte.

Es ist eines der Rätsel unserer Tage, warum wir es Theokratie nennen und uns über Tyrannei beklagen, wenn die Religion jeden Bereich des Lebens bestimmen darf, und wir es Totalitarismus nennen und uns über die Zerstörung der Freiheit beklagen, wenn ein Einparteienstaat jeden Bereich des Lebens dominiert, aber wir es Freiheit nennen und den Triumph der eindimensionalen Marktgesellschaft feiern, wenn die Wirtschaft und der private Sektor jeden Bereich des Lebens dominieren. Eine globale bürgerliche Haltung wird ebenso den Bedürfnissen des Geistes wie bisher schon den Bedürfnissen des Körpers Platz einräumen müssen. Sie soll Pluralismus wie Privatheit sicherstellen und garantieren, dass "freie" Märkte nicht die Bedingungen wirklicher Freiheit untergraben. Diese Aufgaben gehen über die Schaffung globaler Institutionen zur Überwachung der Wirtschaft und die Regelung der sozialen Gerechtigkeit hinaus. Aber sie sind für den Sieg über den Terrorismus ebenso wichtig wie die ökonomische und politische Agenda.

Der angemessene Umgang mit Religion in einer neuen und gerechten globalen Weltordnung wird erfordern, dass wir erneut die Kompromisse der frühreren Sozialverträge betrachten. Als es der Religion in den Jahrhunderten vor dem Aufstieg der Demokratie erlaubt war, die Politik zu dominieren, gab es endlose Bürgerkriege, die in durchdringender Intoleranz und religiösem Absolutismus wurzelten. Die Herrschaft der Toleranz verlangt die Trennung zwischen Religion und Regieren, und die Gesellschafterverträge des 16. und 17. Jahrhunderts verdrängten die Religion aus dem Staat; dies hatte auch Auswirkungen auf die verfassungsmäßige Trennung der beiden Bereiche in Amerikas konstitutionellem Gründungsdokument. Die Vereinbarungen forderten den Vorrang von politischen Identitäten, bei denen die Menschen zuerst Staatsbürger und erst danach Gläubige seien, umgekehrt wurden die Bürger sowohl der Nichteinmischung des Staates bei der Religionswahl und der freien Ausübung jeglichen religiösen Glaubens versichert.

Der Kompromiss funktionierte so lange gut, wie die Gesellschaften religiös waren und der Staat eher der Garant der freien Religionsausübung war als ihr Feind. Aber im Zeitalter des McWorld, das eine eigene säkulare Theologie mit einem aggressiven Glauben an materielle Produkte und den Konsum als Schlüssel zum guten Leben hat, haben sich Gläubige und Andächtige verdrängt gefühlt, selbst in Amerika und mit Sicherheit im Rest der Welt. In den letzten Jahren benutzten die Gerichte in den Vereinigten Staaten die Trennung von Kirche und Staat als ein Argument für die völlige Privatisierung von Religion - indem sie sie von einer öffentlichen, aber nichtstaatlichen Angelegenheit der Gemeinschaft zu einer privaten Sache der persönlichen Präferenz für Zuhause machten. Aber die Ausübung von Religion ist keine private Vorliebe wie die Wahl des Fernsehprogramms. Niemand kann Religion allein in der Privatheit des eigenen Zuhauses ausüben. Eine Kirche ist eine Gemeinschaft aus Andächtigen und bietet Teilhabe an öffentlichen Praktiken, die von öffentlichen Orten abhängen.

Ohne Respekt vor religiösen Bedürfnissen haben die Amerikaner religiöse Symbole von öffentlichen Plätzen verbannt. Dies beraubt die Religion ihrer Treffpunkte; es schützt zwar die andersgläubige Minderheit, nimmt aber der Mehrheit ihre Fähigkeit, als eine Gemeinschaft ihren gemeinschaftlichen Glauben zu feiern. Auch auf der globalen Ebene muss ein Weg gefunden werden, um die Schaffung einer offiziellen Religion zu verhüten, ohne zugleich religiöse Gemeinschaften zu privatisieren. Wir können nicht die Freiheit des öffentlichen Raumes sicherstellen, indem wir die Gläubigen dazu bringen, jede Religion davon fern zu halten. Die beste Zivilgesellschaft ist der nichtstaatliche öffentliche Bereich, in dem wir durch freien Zusammenschluss freiwillige Gemeinschaften von Erziehung, Kultur und Glauben schaffen, die unser plurales menschliches Wesen bestimmen. Zivilgesellschaft ist öffentlich, sie ist frei, aber nicht privat. Sie fordert angemessenen Raum für all diejenigen Aktivitäten, die dem Leben Sinn und Würde geben.

Um angemessen auf diejenigen zu reagieren, die von der globalen Unordnung durch ihre Anarchie sowie aufgrund ihrer Verwundbarkeit durch die Mächtigen, Reichen und Gewalttätigen ausgeschlossen sind, muss die globale Zivilgesellschaft demnach in erster Linie ein bürgerlicher Raum sein. Das bedeutet, dass sie weder alleine durch Regierungen noch durch Märkte geschaffen werden kann. Es bedeutet, dass der neue globale Sozialvertrag, wurzelnd in einer neuen Deklaration der Interdependenz, der Religion in einem bürgerlichen Raum - der so stabil und frei ist wie seine demokratische Regierung - ebenso viel Platz einräumt wie den Märkten. Dies ist selbstverständlich ein großer Auftrag. Aber es ist bei weitem der beste Weg, um denjenigen, die heute ohne Hoffnung auf Gerechtigkeit oder auf das Überleben ihrer tiefsten religiösen Werte existieren, eine Zukunft zu bieten. Indem wir alle Menschen in die Sphäre der Demokratie führen und eine Übereinkunft bilden, welche die Anarchie der globalen Beziehungen überwindet, schaffen wir eine Welt, in der sowohl Freiheit als auch Glaube sichergestellt werden und in der folglich Terrorismus unbedeutend wird. Weil in einem gelebten öffentlichen Raum mit Wahlstuben, Parlamenten und freien Medien auf der einen Seite und Plätzen der Andacht, Schulen und bürgerlichen Zusammenschlüssen auf der anderen, mit Fabriken und Geschäften, die für alle offen sind, es für niemanden einen Grund geben wird, Bomben zu werfen. Das Leben wird unter diesen Bedingungen sogar so schön sein, dass es selbst Fanatikern nicht erlaubt, sich in den Tod zu verlieben.

Ph. D., geb. 1939; Kekst Professor of Civil Society an der University of Maryland und Direktor des New York Office of The Democracy Collaborative.

Anschrift: 370 Riverside Drive, New York 10025.
E-Mail: thepnyx@hotmail.com

Veröffentlichungen u.a.: Starke Demokratie. Über die Teilhabe am Politischen, Hamburg 1994; Jihad vs. McWorld. How Globalism and Tribalism are Reshaping the World, New York 1995 (Coca-Cola und Heiliger Krieg. Wie Kapitalismus und Fundamentalismus Demokratie und Freiheit abschaffen, Bern u. a., aktual. Neuausgabe Frankfurt/M. 1999).