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Zum "peripheren Islam" in Südostasien | Der Islam | bpb.de

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Zum "peripheren Islam" in Südostasien

Bernhard J. Trautner

/ 24 Minuten zu lesen

Welche Rolle spielt der Islam in der Politik? Im Mittelpunkt stehen die beiden größten muslimischen Staaten Südostasiens, Indonesien und Malaysia.

I. Einleitung

Von weltweit etwa 1,2 Mrd. Muslimen lebt ungefähr ein Fünftel in der südostasiatischen Peripherie der islamischen Welt. In drei Staaten stellen Muslime gegenwärtig die nominelle Mehrheit der Bevölkerung. Deutlich ausgeprägt ist diese Mehrheit gleichwohl nur in Indonesien, während Muslime in Malaysia und im Zwergstaat Brunei nur je eine leichte Mehrheit bilden; in einigen peripheren Landesteilen Malaysias sind sie sogar in der Minderheit. Islamische Minderheiten leben auch auf den Philippinen, in Singapur und in Thailand; sie stellen aber dort, beispielsweise auf den Süd-Philippinen, lokal durchaus auch die Mehrheit. Zusammengenommen leben mehr Muslime in Südostasien als in der gesamten arabischen Welt.


Anders als dem Kernraum der islamischen Welt, also den arabischen Staaten, der Türkei und dem Iran, widmete der Westen der südostasiatischen Peripherie des Islam lange Zeit nur geringe Aufmerksamkeit. Das ist rückblickend umso erstaunlicher, als im Malaysia von Premierminister Mahathir Mohammed ein Nation-building unter den vergleichsweise schwierigen Ausgangsbedingungen von Multiethnizität und Multikonfessionalität zu gelingen schien - zumindest bis zur schweren innenpolitischen Krise im Gefolge der Asienkrise 1997. Und Indonesien, das nach seiner Bevölkerungsstärke immerhin größte muslimische Land der Welt, hatte als verlässlicher Partner westlicher Außen- und Entwicklungspolitik gegolten - bis zum Sturz von Präsident Suharto im Jahr 1998. Diese Diskontinuitäten, die Asienkrise und der Sturz Suhartos sollten dann die Aufmerksamkeit des Westens wieder auf diese Region lenken - stärker jedenfalls als die zuvor geführte Debatte um die so genannten "asiatischen Werte". Diese hätten, so wurde argumentiert, mittels eines alternativen, nichtwestlichen Entwicklungsweges den wirtschaftlichen Erfolg von Staaten wie Malaysia oder Singapur ermöglicht.

Das lange geltende Image vom flexiblen, per se toleranteren, ja sogar unpolitischen peripheren Islam in Südostasien wurde in der jüngsten Vergangenheit von zwei gegenläufigen Tendenzen ins Wanken gebracht:

- Immer deutlicher trat einerseits die potentiell desintegrierende Kraft des Islam zutage, etwa als separatistisches Leitmotiv für die Errichtung eines islamischen Staates auf den Süd-Philippinen und im indonesischen Aceh.

- Mit der Ablösung Suhartos durch den muslimischen Philosophenkönig Abdurahman Wahid stellte der Islam aber andererseits auch sein integratives Potential unter Beweis: Der befürchtete Zerfall des indonesischen Inselreiches ist bislang ebenso ausgeblieben wie die landesweite Einführung des islamischen Rechts, der Scharî'a, über die Provinz Aceh hinaus.

Immerhin konnte nun nicht länger angenommen werden, der Islam habe im Zuge der leidlich erfolgreichen Modernisierung an normativem Einfluss verloren, islamisch motivierte Bewegungen und Gruppen besäßen bestenfalls marginale Bedeutung und lösten sich als Beiprodukt der Moderne und als vorübergehende fundamentalistische Reaktion auf diese gleichsam von selbst auf.

II. Die Islamisierung der Peripherie

Dass es sich bei den südostasiatischen Spielarten des Islam um vergleichsweise flexible und gegenüber anderen Weltanschauungen um ganz überwiegend tolerante Glaubenspraktiken handelt, wird konventionellerweise mit den spezifischen Eigenheiten des Islamisierungsprozesses der Peripherie begründet. Er erfolgte in dieser Region zunächst nicht direkt aus den "islamischen Kernlanden" Arabiens, sondern vermittelt über muslimische Händler aus Südindien. Dies geschah in einer Zeit, als der Islam dort zwar ein fertiges Lehrgebäude aufwies, aber noch nicht Herrschaftsreligion wie in der späteren Phase der Moghul-Kaiser war. Es handelte sich also (sozusagen in Analogie zur konstantinischen Wende im Christentum) um einen "vor-konstantinischen" Islam, der zudem sunnitische und schiitische Aspekte synthetisierte.

Auf der indonesischen Hauptinsel Java und auf Bali waren vor dem Islam bereits zwei Hochreligionen (Hinduismus und Buddhismus) von den lokalen "Altreligionen" synthetisiert worden. Entgegen einer antikolonial und nationalistisch gefärbten Selbstwahrnehmung, nach der die Ankunft des Islam einen radikalen Bruch mit den bisherigen kulturellen Traditionen dargestellt habe, vertritt die neuere Forschung die These, dass es sich um einen eher subtilen Prozess der wechselseitigen Inkulturation von Islam und lokalen Kulturen handelte.

Vor diesem Hintergrund kann es daher kaum verwundern, dass das gemeinhin als "strikt" angesehene Regelgebäude des Islam stärker als im islamischen Kernraum durch Fremdeinflüsse verformt wurde. Dies bezieht sich zunächst weniger auf Glaubensinhalte und das Rechtssystem der islamischen Scharî'a als vielmehr auf die kollektiv begangenen lokalen Riten und individuellen Verhaltens- und Benimmregeln, die in den sog. " c Adat" ("Gewohnheits-Islam") Eingang finden. Hiergegen haben sich stets die Befürworter eines am "arabischen Islam" orientierten Schriftislam gewandt und tun das noch immer. Tatsächlich hat nach der flächendeckenden Islamisierung des Malaiischen Archipels von den Häfen und von den Küstenregionen aus der Austausch mit Indien nachgelassen. Es kam zu einer geistigen Umorientierung auf die arabische Welt: Während im 7. Jahrhundert nicht wenige indonesische Theologie-Studenten beispielsweise an der nordindischen Nalanda-Universität studierten, lösten im 16. Jahrhundert Mekka und Medina die indischen Lehrstätten als bevorzugte Ausbildungsorte für die malaiische Bildungselite ab.

Nicht nur in der Auseinandersetzung des Islam mit den lokalen Traditionen und Religionen vollzogen sich Wandlungsprozesse auf beiden Seiten. Auch innerhalb des islamischen theologischen Diskurses selbst und als Reaktion auf die zunehmende Akkulturation des Islam auf dem Malaiischen Archipel setzte hier im 18. Jahrhundert eine Umorientierung von der bis dahin vorherrschenden mystisch/sufistischen Ausrichtung auf die eher orthodox/skripturalistische Interpretation ein. Die legalistische Ausrichtung nahm teilweise die Form heftiger Polemiken gegen den Sufismus an. Vor allem im 18. Jahrhundert sind aber auch immer wieder Versuche unternommen worden, die mystische Religionspraxis mit der Scharî'a zu versöhnen. Finden sich beispielsweise in den bis 1600 entstandenen Korankommentaren noch keine Spuren der mystischen Interpretation (tasawwuf), drangen diese im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts in die Schriften der Mehrzahl malaiischer Theologen ein.

Die historische Wasserscheide der Region, die koloniale Penetration des Raumes im 19. Jahrhundert, schlug sich unmittelbar auch in der theologischen Debatte nieder: Für neue Probleme wurden auch neue Lösungen gesucht. Die Koordinaten der Auseinandersetzung hierüber veränderten sich, und der Sufismus fiel als weltanschaulicher Orientierungspol nahezu fort. Dafür fand der Auftritt von Modernisten wie Muhammad Abduh oder Gamâl ad-Dîn al-Afghanî im arabischen Kernland Ägypten auch auf Java kräftigen Widerhall. Erst in der modernen nachkolonialen Epoche wurden dann sufistische Ansätze zumindest zaghaft rehabilitiert. Die indonesische Verfassung von 1945 erkennt beispielsweise das spezifische Amalgam animistischer, hinduistischer, buddhistischer und sufistisch-islamischer Elemente der javanischen Mystik (kebatinan) ausdrücklich an.

Der Befund, dass der Islam in Südostasien einem Prozess der Inkulturation unterlag, ist aus anthropologischer Perspektive mit Blick auf religiöse Riten und Feste vielfach bestätigt worden. Der indonesische Staatsgründer Sukarno hatte sich noch auf die Wiederkehr des ratu adil bezogen, des gerechten Königs, einer historischen Persönlichkeit des 17. Jahrhunderts, in der sich der schiitisch-islamische Messias (Mahdî), der hinduistische (10.) avatara-Wishnu und der buddhistische maitreya-Buddha zu einem Messias vereinigen. Es ist für Indonesien beispielsweise keineswegs außergewöhnlich, dass ein traditionelles lokales Oberhaupt der Muslime, der Sultan von Yogyakarta, Hamangkubuwono X, mit der islamischen basmala-Segensformel die jährliche labuhan-Feier eröffnet, die der Verehrung der hinduistischen Meeresgöttin Loro Kidul gewidmet ist. Auch im Jahr 2003 wurde in der autonomen orthodox-islamischen Provinz Aceh das Märtyrerfest der Schiiten, c Aschûrâ, begangen.

III. Malaysia und Indonesien

Das Selbstverständnis des Islam als gesellschaftlich dominante Weltanschauung war im Kernraum der islamischen Welt seit der endgültigen Etablierung der vier orthodoxen Rechtsschulen im 9. Jahrhundert nie prinzipiell und erst im ausgehenden 19. und im 20. Jahrhundert partiell in Frage gestellt worden. Anders an der südostasiatischen Peripherie: Sowohl früher - im heutigen Indonesien sogar seit Beginn der Islamisierung (seit dem 12./13. Jahrhundert) - als auch stärker als im Zentrum der islamischen Welt war und ist das Selbstverständnis der Muslime als der den Staat beherrschenden Bevölkerungsgruppe von der ethnisch-religiösen, pluralen Wirklichkeit herausgefordert. So bewirkten diese frühe Konfrontation mit schon etablierten Weltanschauungen (in Indonesien besonders auf Java) und dann die Herausforderung durch den Zuzug großer nichtislamischer Minderheiten in der Kolonialzeit nach West-Malaysia (Malaya) ein höheres Maß an weltanschaulich-politischer Selbstreflexion der Muslime in der Peripherie und ihren pragmatischen Umgang mit jener Pluralität.

Ausgehend von einer gemeinsamen Geschichte der Islamisierung ähnelten sich die postkolonialen Nation-building-Entwürfe Malaysias und Indonesiens allerdings nur bis zum Ende der sechziger Jahre. Beide standen und stehen immer noch (Malaysia) bzw. wieder (Indonesien) vor den zentralen Fragen, vor die mehrheitlich muslimische Gesellschaften seit der Abschaffung des Kalifats im Jahr 1924 durch Kemal Atatürk in der Türkei gestellt sind: Wie ist das Verhältnis des Islam zum Staat zu regeln, und welche Rolle soll der Islam als Normensystem im öffentlichen Raum einnehmen?

Im südostasiatischen Kontext ergaben sich zusätzliche Fragen im Hinblick darauf, dass der Islam unter formalen Gesichtspunkten das geteilte Referenzsystem der malaiischen Bevölkerungsmehrheit sowohl in Malaysia als auch in Indonesien stellt, diese Mehrheit aber im Vergleich zu den nicht-muslimischen, chinesischen bzw. indischstämmigen Minderheiten an der ökonomischen Entwicklung (Malaysia) bzw. an der politischen Repräsentanz (Indonesien) einen disproportional geringen Anteil hat. Eng damit verknüpft ist die Frage, welche politische bzw. staatsbürgerliche Rolle den - vor allem in Malaysia - zahlenmäßig bedeutenden nichtislamischen Minderheiten im jeweiligen Konzept des Nation-building zukommt.

Dass Malaysia und Indonesien unterschiedliche Antworten auf diese Fragen gefunden haben, lässt sich teilweise auf die ungleichen Ausgangslagen hinsichtlich der ethnisch-religiösen Zusammensetzung der beiden Gesellschaften zurückführen. Es ist jedoch auch das Produkt einer je spezifischen Form des Konsenses unter den politischen Eliten.

So hat Malaysia sukzessive seit Anbeginn und dann ganz dezidiert seit der Regierungsübernahme durch Premierminister Mahathir Mohammed 1981 einen proislamischen, gegenüber dem politischen Islam inklusiven Kurs verfolgt. In Indonesien dagegen folgte einer Phase der strikten Exklusion islamischer Visionen, die durchaus Anklänge an die ebenfalls stark vom Militär vorangetriebene laizistische Modernisierungsvision des türkischen Kemalismus hatte, der Versuch einer korporatistischen Inklusion der relevanten gesellschaftlichen Akteure des islamischen politischen Feldes. Diese Inklusion, die Suharto mit dem Ziel vorantrieb, andere, säkulare Kräfte (vor allem die Armee selbst) von der Macht fernzuhalten, war in keinerlei flankierende weltanschauliche Umorientierung eingebettet und scheiterte bekanntlich.

Bei vergleichbaren historischen Ausgangsbedingungen (Geschichte der Islamisierung, Kolonialisierung) und ausgehend von ähnlichen Verfassungsmodellen bzw. Staatsprinzipien, die sich beide von denen im arabischen Teil des Kernraums der islamischen Welt abheben, haben die politischen Eliten in Indonesien und in Malaysia unterschiedliche Strategien zur Bewältigung der Pluralität gewählt. Die Stellung des Islam im Verhältnis zur Politik wurde in beiden Fällen dynamisch angepasst. Dieser Anpassungsprozess, der in Malaysia in den siebziger Jahren, in Indonesien erst in den neunziger Jahren einsetzte, fügt sich jedoch allenfalls noch im indonesischen Fall in die für den islamischen Kernraum (arabische Staaten wie Tunesien, die Türkei und Iran) einschlägigen Interpretationsmuster für das Verhältnis von Islam und Politik ein, im malaysischen Fall dagegen nur schwerlich.

1. Malaysia: Nation-building im Zeichen von Malaiisierung, Islamisierung und ökonomischer Modernisierung

Malaysias Bevölkerung von knapp 23 Mio. Einwohnern ist nicht nur in konfessioneller Hinsicht, sondern auch ethnisch heterogen. Diese Heterogenität wird dadurch erhöht, dass die konfessionellen Trennlinien entlang der ethnischen Differenzierung verlaufen. Die Muslime malaiischer Abstammung bilden gegenüber den Nichtmuslimen chinesischer und indischer Herkunft nur eine leichte Mehrheit. Der malaiische Anspruch auf die Rolle des Staatsvolks wurde durch die Einbeziehung indigener Völker gestärkt, welche die lokale Bevölkerungsmehrheit in den erst 1963, also sechs Jahre nach der Unabhängigkeit Malaysias von Großbritannien, zum malaysischen Staatsverband akzedierten Teilstaaten Sabah und Sarawak auf Borneo stellen. Die Einbeziehung dieser Bevölkerungen, die weder Angehörige der chinesischen bzw. hinduistischen Hochkulturen noch Muslime waren, veranlasste die damalige politische Führung zur Preisgabe des Malaientums als des alleinigen ethnischen Bestimmungsfaktors für das Staatsvolk zugunsten eines Konzepts der bumiputera (Söhne des Landes), das in der Folge immer stärker islamisch interpretiert wurde.

Eine ähnlich knappe Mehrheit von Muslimen im Staat findet sich im arabischen Kernraum der islamischen Welt nur noch im Libanon. Dieser Staat war in seiner heutigen Form erst nach dem Ende des Ersten Weltkrieges mittels "politischer Chirurgie" von der französischen Mandatsmacht als ein Gebilde mit ursprünglich leichter christlicher Bevölkerungsmehrheit aus Groß-Syrien herausgetrennt worden. Dort überwiegt auch heute noch in Form des sog. Konfessionalismus der religiöse Aspekt der Heterogenität, verstehen sich doch schiitische und sunnitische Muslime ebenso wie die Christen bzw. Maroniten in der Regel als Araber. Die ethnisch-konfessionelle Heterogenität Malaysias dagegen nötigt die politisch und kulturell zwar dominierende, unter modernisierungstheoretischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten jedoch marginalisierte muslimische Bevölkerungsmehrheit, sich aus einer weltanschaulichen Sicht grundsätzlich mit einem ethnisch und konfessionell pluralen gesellschaftlichen Umfeld auseinander zu setzen. Dies gilt, obwohl der Islam hier, im Gegensatz zu Indonesien, die offizielle Religion des Bundesstaates ist - bei Ausübungsfreiheit für andere Religionen.

Die Dominanz des Islam als eines Faktors, der die Herausbildung eines ausgeprägten überkonfessionell-säkularen, also staatsbürgerlichen Nationalbewusstseins verhinderte, wird unter anderem hergeleitet aus der Tatsache, dass in Malaysia - im Gegensatz zum Nachbarland Indonesien - unterhalb der nationalen Ebene die gewachsenen Strukturen eines dynastischen Islam flächendeckend erhalten geblieben sind. Die Kolonialpolitik hatte die Stellung der traditionellen Oberhäupter, der Rajas bzw. Negris, und deren islamische Staats- und Gesellschaftsordnungen unangetastet gelassen. Der föderale Aufbau des malaysischen Bundesstaates perpetuierte diese Strukturen bis ins 20. Jahrhundert. Die neun Negris auf der Malaiischen Halbinsel übten zumindest bis in die Gegenwart in ihrem Herrschaftsbereich jeweils formal die Rechtshoheit und den für die Muslime zeremoniell maßgeblichen Einfluss aus. Heute beschränken sich die legislativen Rechte der Sultanate/Bundesstaaten im Wesentlichen auf das Gebiet des Familienrechts und auf die Verwaltung religiöser Angelegenheiten. Aus ihrer Mitte bestimmen die Negris turnusmäßig das formelle Staatsoberhaupt, den König von Malaysia Yang di-Peruan Agung ("den zum Herrn gemachten Großen"), der - nach dem Vorbild der konstitutionellen Monarchie des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland - seinerseits den Ministerpräsidenten ernennt.

Seit der Unabhängigkeit Malaysias von Großbritannien 1957 geht es um die Frage nach der weltanschaulichen Identität des Staates - ähnlich wie im Libanon. Im Gegensatz zu diesem aber wird die islamische Identität des malaysischen Staates nicht von einer weiteren großen Religion in Frage gestellt, wie dies im Libanon durch die Christen der Fall war und ist. Muslime haben im Libanon demnach einen besonderen Anlass, die islamische Identität des Staates umso mehr zu betonen, als keine ethnische Unterscheidung zwischen Muslimen und (christlichen) Maroniten möglich ist. Insofern erlaubt in Malaysia gerade die Vielfalt der mit dem Islam konkurrierenden asiatischen Weltanschauungen und Glaubenssysteme und deren Einbeziehung in die interethnischen Verhandlungen aus Sicht der muslimischen Mehrheit einen gelasseneren Umgang mit dieser Verschiedenheit.

Sollte im Libanon der ungeschriebene "nationale Pakt" den drei Hauptkonfessionen (Maroniten, Sunniten und Schiiten) einen fairen Anteil an der politischen Macht sichern, so galt während der fünfziger und sechziger Jahre zwischen Malaien einerseits und Chinesen (und Indern) andererseits, dass Letztere ihre politischen Aspirationen zugunsten der Malaien zurückstellten und sich mit ihrer Dominanz in der Wirtschaft zufrieden gaben. Diese als "historischer Kompromiss" bezeichnete Konstruktion sorgte für eine nur funktionale Aufteilung, nicht aber für eine echte politische Teilung der Macht. Bezogen auf das Gesamtgefüge blieb die Rolle des Islam zunächst eher untergeordnet. Um aber der islamischen Opposition zuvorzukommen, strebte die Regierung eine weitreichende Islamisierung des öffentlichen Lebens an - allerdings nur bezogen auf den muslimischen Bevölkerungsteil; so galt z.B. die Anerkennung der traditionellen religiösen Gerichtsbarkeit explizit nur für die Muslime.

Bereits 1951 spaltete sich die islamistische PAS (Parti Islam Se-Malaysia = Pan-islamische Partei Malaysias) von der Regierungspartei UMNO (United Malay National Organisation) ab; 1959 gewann sie die Wahlen in den Bundesstaaten Kelantan und Terengganu und zog schließlich 1969 ins nationale Parlament ein. In dieser Zeit nahmen die Spannungen zwischen den Ethnien stetig zu, sie entluden sich in den Rassenunruhen des Jahres 1969. Vor dem Hintergrund dieses gesamtnationalen Traumas war die folgende Phase vom Bemühen der relevanten politischen und gesellschaftlichen Akteure geprägt, den prekären Status quo, d.h. die politische Suprematie der Bumiputera, nicht anzutasten.

Der Amtsantritt des gegenwärtigen Premierministers Mahathir Mohammad im Jahr 1981 ist ein entscheidendes Datum in der Geschichte des politischen Islam in Malaysia. Zunehmend war das Konzept des Staatsvolks von Seiten zweier unterschiedlicher Kräfte islamisiert worden.

Einerseits zielte die bis dahin eher säkular orientierte Staatspartei UMNO als Partei der Malaien mit der Stärkung des Islam in einer zeitgemäßen Form und als Instrument der Modernisierung der Gesellschaft und des Staatswesens eher auf ihre malaiische Wählerklientel. Diese hatte begonnen, sich unter soziostrukturellen Gesichtspunkten zu enttraditionalisieren und war mit dem stets partikularistischen Bumiputerismus nicht mehr zu gewinnen, hatte dieses Konzept doch stets auf die bäuerlich-ländliche Herkunft und auf Überholtes rückverwiesen. Dagegen ließ sich über das neue Konzept des Islam eine moderne, über den politischen Bezug auf den Kernbereich der islamischen Welt sogar eine internationale Identitätsdimension besetzen.

Andererseits geriet das Konzept der Bumiputera in die Kritik von Seiten der PAS, der (anfangs) PAS-nahen Malaysischen Islamischen Jugendbewegung Angkatan Belia Islam Malaysia (ABIM) und vor allem der islamischen Renaissance-Bewegung Dakwah. Gerade wegen der universalistischen und tendenziell kosmopolitischen Perspektive eines überlokalen Islam wurde die chauvinistische Verknüpfung von Ethnie und Religion im Bumiputera-Konzept der Regierungspartei scharfer Kritik unterzogen.

Zweifelsohne verstärkten die gesellschaftlichen Kräfte einander auf ideologischer wie personeller Ebene. Der Impetus der Islamisierung gewann dadurch eine erhebliche Eigendynamik. Die Debatte über die Islamisierung ist infolgedessen heute überaus stark fragmentiert - weniger allerdings durch Polarisierung entlang eines Spektrums von "konservativ" auf der einen und "modernistisch" auf der anderen Seite als durch die politische Konkurrenz zwischen den Machtpolen Regierung und islamische Opposition.

Im Gegensatz zu den meisten Gesellschaften des islamischen Kernraums beruhte die Islamisierung Malaysias insgesamt auf einem breiten gesellschaftlichen Konsens. Sie war weder auf den Sturz korrupter, unfähiger und zur Veränderung unwilliger postkolonialer Eliten noch primär gegen Nicht-Muslime gerichtet, sondern in erster Line auf die Förderung der eigenen Entwicklung und Modernisierung - allerdings nicht nach westlichem Vorbild. Die erfolgreiche ökonomische Modernisierung im Sinne einer (Leicht-)Industrialisierung und eines Vorstoßens der Produktion in weltmarkttaugliche Hochtechnologiebereiche schuf eine wichtige Voraussetzung dafür, dass sich die politische Dynamik der Islamisierung in einem günstigen wirtschaftlichen Umfeld entfaltete: Auf der Basis exorbitanter ökonomischer Wachstumsraten gewann also nicht, wie in den rentenökonomischen Systemen der arabischen Welt, eine Gruppe nur auf Kosten der anderen ("Nullsummenspiel"). Die nichtmuslimischen Minderheiten mussten die ebenfalls zunehmend erfolgreiche staatliche Förderung der Bumiputera vor dem Hintergrund eines insgesamt wachsenden "Kuchens" ("Positiv-Summenspiel") nicht primär als Bedrohung ihrer eigenen Existenz wahrnehmen.

Als sich Ende der neunziger Jahre im Zuge der Asienkrise die ökonomischen Parameter in Richtung eines "Nullsummenspiels" zu verändern begannen, verschärften sich zwar die Konflikte innerhalb des islamischen Lagers, besonders um die mögliche Nachfolge Mahathirs, nicht aber diejenigen zwischen den Konfessionen - jedenfalls nicht in dem Maße, wie es zu erwarten gewesen wäre. Im Gegenteil: Das bis heute hochgradig konfessionalisierte, infolge ausbleibender interreligiöser bzw. interethnischer Vermischung kaum homogenisierte gesellschaftliche und politische System Malaysias konnte unter den Bedingungen der drastisch und nachhaltig zurückgehenden wirtschaftlichen Gesamtleistung dennoch vor dem Zusammenbruch bewahrt werden. Das ist auch der Flexibilität des malaysischen Gesellschaftsvertrags geschuldet: Neben der Verfassung schaffen informelle, schriftlich nicht niedergelegte Vereinbarungen zwischen den ethnischen Gruppen über ihre jeweilige Rolle in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik eine langfristige Erwartungssicherheit - auch unter sich verändernden Gegebenheiten - und verstärken den grundsätzlichen Willen aller beteiligten Gruppen zur Zusammenarbeit. Das reibungslose Funktionieren dieser Aushandlungsprozesse im Sinne sowohl der Vermittlung zwischen den Gruppen als auch innerhalb der malaiischen Elite verdankt sich zu einem guten Teil dem Charisma des noch weithin populären Mahathir. Aber die Rahmenbedingungen des Gesellschaftsvertrags zeigt noch stets die Regierung auf, so etwa mit der Verhängung des Ausnahmezustandes im Anschluss an die Rassenunruhen von 1969 für zwei Jahre, mit der unter fadenscheinigen Gründen erfolgten Inhaftierung Anwar Ibrahims, des schärfsten potenziellen Konkurrenten um die Nachfolge Mahathirs, und jüngst mit der Einführung eines rechtstaatlich bedenklichen Internal Security Act. In dasselbe Bild fügen sich dann aber auch Bemühungen der Regierung in jüngerer Zeit, die zivilgesellschaftlichen Organisationen aller Glaubensgemeinschaften in einer zwischen dem Staat und den Gemeinschaften vermittelnden Institution in Form interreligiöser Räte zusammenzufassen und politisch einzubinden. Als Reaktion auf die Islamisierung hatte nämlich auch bei den nichtmuslimischen Gruppen eine kulturelle Bewusstwerdung und eine politische Institutionalisierung eingesetzt. Die Institutionalisierung interreligiöser Räte scheiterte bislang vor allem am Widerstand von muslimischer Seite. So verfügen allein die Muslime derzeit in der Person des Negri über eine zwischen ihnen und der Bundesregierung zumindest symbolisch vermittelnde Institution.

Vor dem Hintergrund einer ökonomischen und politischen Erfolgsgeschichte des Gesamtstaates erscheint immerhin der Streit zwischen Bundesregierung und PAS-Regierung, die seit Jahren versucht, in der Provinz Kelantan weitere Bestimmungen der Syaria, des islamischen Rechts (arab.: Scharî'a), zu implementieren, in einem milderen Licht als die Auseinandersetzungen um die Einführung der Scharî'a im entwicklungsökonomisch renitenten wie politisch desolaten arabischen Zentrum der islamischen Welt.

Ähnlich wie dies im Ägypten Nassers oder im postrevolutionären Iran angestrebt wurde bzw. wird, stand Malaysias Entwicklung im Zeichen kultureller Eigenständigkeit gemäß der Parole "westliche Technologie, islamischer Geist". Malaysia hat sich bis heute allerdings keineswegs ausschließlich auf ein "authentisch islamisches", d.h. auf autochthonen Wurzeln beruhendes Modell festgelegt. So wenig das malaysische Entwicklungsmodell sich inhaltlich abgrenzen lässt, so ist doch ein Leitmotiv der Islamisierung wie auch der Debatte um die "asiatischen Werte" erkennbar, das sowohl von staatlicher als auch von (zivil)gesellschaftlicher Seite getragen wird: materielles Wohlergehen der Gesellschaft mit ihrem spirituellem Gefüge in Einklang zu bringen.

Für Letzteres stehen die islamischen - ersatzweise auch: "asiatischen" - Werte ein, wie sie traditionellerweise interpretiert und gelebt werden. Fern von Festlegungen etwa auf bestimmte islamische Rechtstraditionen oder -schulen schloss Mahathir sogar auf dem Höhepunkt der Debatte um die "asiatischen Werte" nicht aus, die Asiaten könnten vom Westen lernen, denn viele der so genannten "asiatischen Werte" seien einmal "westliche Werte" gewesen, der Westen habe sie aber erfolgreich abgelegt oder verloren. Genauso würden heutige asiatische Werte im Verlauf der Entwicklung herausgefordert und abgelegt werden.

Islamisierung von oben - also seitens der Regierung - bedeutet in diesem Zusammenhang also gerade nicht die Bewahrung oder gar die Wiederherstellung traditioneller Werte, um welche Regierung und islamische Opposition in der arabischen Welt allzu häufig zum Schaden der längst enttraditionalisierten, modernisierungswilligen Bevölkerungsteile wetteifern.

Dem Wegbrechen der universalen Werte der traditionalen Gesellschaften soll vielmehr ein umfassender symbolischer Rahmen Einhalt gebieten, der diese Werte als Gegengewicht zur antizipierten und wohl als letztlich unausweichlich erkannten, individualistischen und materialistischen Orientierung bewahrt und ggf. modifiziert. Gleichzeitig umgreift dieser Rahmen den wirtschaftlichen und technologischen Fortschritt und schafft eine Grundlage für die semantische Besetzung dieses Feldes als genuin "islamisch". Dieser symbolische Rahmen versucht somit, die beiden Felder "Tradition" und "Moderne" aufs Engste zu verknüpfen. Die zwischen diesen beiden Polen bestehende Spannung überträgt sich auf den Rahmen selber. Seine Grundlage, die islamische Symbolik, ist daher nicht statisch ("fundamentalistisch"), sondern - je nach Interpretation - in hohem Maße dynamisch bzw. recht beliebiger Interpretation ausgesetzt.

Zu dieser Islamisierung à la Malaysienne gehört also einerseits die Implementierung der klassischen Attribute eines islamischen Gemeinwesens und deren gleichzeitige Anpassung an den modernen Staat: Die religiösen Institutionen wurden ausgeweitet und zentralisiert; die Zakat (Almosengabe) wurde als öffentliche Abgabe eingeführt, die religiöse Rechtsprechung und andere zentrale Bereiche des religiösen Lebens wurden reorganisiert, wie der Bau von Moscheen, die Einrichtung traditional und modernistisch orientierter religiöser Schulen etc.

Andererseits versucht die Regierung, die Förderung des materiellen Wohlstands und eine forcierte Industrialisierungspolitik als islamisch geboten zu legitimieren, und zwar sowohl als Antwort auf die säkulare Attitüde im eigenen Land ("Der Islam hat zur industriellen Technologie nichts zu sagen") als auch in Abgrenzung gegenüber den meisten arabischen Staaten, die eine solche Industrialisierung aus traditionellen Gründen zumeist ablehnen.

Ähnlich wie im postkolonialen Tunesien überwog auch in Malaysia stets der Aspekt der Modernisierung. Die in beiden Fällen willkürliche modernistische Interpretation des Islam durch Regierung und Regierungspartei dient Mahathir allerdings nicht, wie seinerzeit Bourguiba, als Camouflage einer letztlich kemalistischen Agenda zum säkularisierenden Aufbrechen der traditional islamischen Gesellschaft und zur Entmachtung entwicklungsresistenter religiöser Gelehrter (Ulama). Wie Bourguiba usurpierten zwar auch UNMO und Mahathir den Islam im Sinne der Schaffung einer Staatsreligion, doch eben nicht mit dem Ziel, den Islam aus dem politischen Leben nach dem Vorbild der französischen laïcité herauszudrängen, sondern um mittels Inklusion und Stärkung bestehender religiöser Institutionen, gleich ob traditionalen oder zivilgesellschaftlichen Typs, den islamischen Charakter des Staates gerade zu verstärken.

Das Schreckensbild eines "islamischen Staates Malaysia", Saudi-Arabien oder Iran vergleichbar, ist gleichwohl fern der Realität. Denn die drei für das postkoloniale Malaysia bestimmenden Leitperspektiven Malaiisierung, Modernisierung und Islamisierung sind unauflösbar miteinander verbunden. So stellt Malaysia den wohl einzigen Staat in der islamischen Welt mit einem erfolgreichen makroökonomischen Profil dar, der auf dieser Basis auch die kulturelle Modernisierung leidlich bewältigt, und zwar nicht nur trotz, sondern augenscheinlich auch aufgrund der höchst heterogenen konfessionellen und ethnischen Gesellschaftsstruktur.

2. Indonesien: Von politischer Exklusion eines pluralen Mehrheits-Islam zur Inklusion - und wieder zurück?

Mit seinen etwas über 206 Mio. Einwohnern, von denen nominell etwa 85 Prozent als Muslime gelten, ist das indonesische Inselreich der bevölkerungsreichste Staat der islamischen Welt. In konfessioneller Hinsicht überwiegt der Islam weitaus stärker als in Malaysia. Auch ethnisch dominiert die malaiische Volksgruppe die indonesische Bevölkerung, Malaientum und konfessionelle Zurechnung zum Islam sind auch hier weitgehend deckungsgleich.

Die ethnische Kategorie des indonesischen Malaientums zerfällt allerdings in mindestens zwei Hauptgruppen, die Javaner der indonesischen Hauptinsel mit etwa 80 Mio. Menschen und die Sundanesen mit ca. 30 Mio., sowie in zahllose Untergruppen. Die Dominanz des Islam relativiert sich mit Blick auf das breite Spektrum seiner alltäglichen Erscheinungsformen, die angesiedelt sind zwischen dem Pol des "reinen" Islam und dem Pol des c Adat (Gewohnheitsrechts). Der `Adat-Islam rundet wie im Fall des javanischen Kebatinan animistische, hinduistische und buddhistische Vorstellungen von Tradition, Konsens und Harmonie als Grundlagen der Herrschaft und der sozialen Ordnung durch islamische Elemente ab. Unter den javanischen Muslimen werden daher konventionellerweise die Abangan (Rotköpfe) als nur "nominelle" Muslime bzw. Anhänger des javanischen Kebatinan einerseits von den Santri bzw. Putihan (Weißköpfe), den orthodox-frommen bis aktivistischen Muslimen, andererseits unterschieden. Zu Letzteren zählen die Mitglieder der beiden großen traditionellen Muslimorganisationen, der 1912 gegründeten Muhammadiyah mit heute etwa zwölf Mio. Mitgliedern, Intellektuellen und Akademikern der Mittelklasse vornehmlich aus dem städtischen Milieu, sowie der 1926 gegründeten Nahdatul Ulama (NU), eines Sammelbeckens der Ulama (religiösen Gelehrten), der Scheichs bzw. Kyai (religiösen Lehrer) und ihrer Anhänger. Die NU stellt heute mit 30 Mio. Mitgliedern die größte nationale Muslimorganisation nicht nur Indonesiens, sondern der gesamten islamischen Welt dar.

Ähnlich wie in Malaysia ist auch in Indonesien die chinesische Minderheit überdurchschnittlich erfolgreich und wohlhabend. Ihre Prosperität zieht die Missgunst vieler Malaien und insbesondere der gerade entstehenden malaiischen Mittelschicht auf sich. Doch im Gegensatz zu Malaysia, wo die Eliten nach dem nationalen Trauma von 1969 übereingekommen waren, das Fortkommen der Malaien gegenüber den anderen Ethnien zu fördern, mussten jene Malaien in Indonesien, die sich stärker islamisch definierten, die Regierungsmannschaft von Präsident Suharto als Geißel einer anti-muslimischen Allianz von katholischen Chinesen, (ehemaligen) Sozialisten und Militärs wahrnehmen, die ihnen einen adäquaten Platz in der Führung des Landes verwehrte. Andererseits war auch die chinesische Minderheit im täglichen Leben stark diskriminiert und ebenso wie die Malaien von politischen Führungsposten weitgehend ausgeschlossen, denn der Zugang zur Machtelite war strikt auf die Suharto-Familie, einige nichtmuslimische Geschäftsleute und sonstige Günstlinge beschränkt.

Die Frage der weltanschaulichen Identität Indonesiens ist seit der Unabhängigkeit von der niederländischen Kolonialmacht ohne tragfähige Antwort. Vielmehr handelt es sich um die Übergangsform eines durchaus religiösen, mehrheitlich muslimischen, jedoch nicht islamischen Staates: 1945 waren auf dem Weg vom Verfassungsentwurf, der sog. Piagam- bzw. Jakarta-Charta, bis zum endgültigen Text der Unabhängigkeitsverfassung die berühmten "sieben Worte" auf bis heute ungeklärte Weise getilgt worden. Jene Bestimmung sollte den Verfassungsgrundsatz Ketuhanan Yang Maha Esa (Glaube an die "All-Eine Göttlichkeit") ergänzen durch: "dengan kewajiban menjalankan syari'at Islam bagi pemeluk-pemeluk-nya" ("mit der Verpflichtung, die islamische Scharî'a durch ihre Anhänger einzuhalten").

Die Pancasila

1) Ketuhanan Yang Maha Esa (Glaube an die "All-Eine Göttlichkeit")

2) Kemanusiaan yang adil dan beradab (Gerechte und zivilisierte Humanität)

3) Persatuan Indonesia (Einheit Indonesiens)

4) Kerakyatan yang dipimpin oleh hikmat kebijaksanaan dalam permusyawaratan/perwakilan (Volksherrschaft, die durch Weisheit und Klugheit in Beratung und [parlamentarische] Vertretung gewährleistet wird)

5) Keadilan sosial untuk seluruh Rakyat Indonesia (Soziale Gerechtigkeit für das ganze indonesische Volk)

Die dann später von Suharto dekretierten Pancasila (fünf Prinzipien) hielten dieses politische System in der Schwebe zwischen den Polen "säkular" einerseits und "religiös" andererseits, ohne die konkrete Rolle der Konfessionen - und insbesondere des Islam - im Staatsgefüge inhaltlich näher zu bestimmen.

Die Grundentscheidungen über die weltanschauliche Identität des indonesischen Staates wurden also nicht auf dem Wege konsensorientierter Deliberation unter den Machteliten getroffen, sondern "von oben" gesetzt. In genauem Gegensatz zum malaysischen Staatswerdungsprozess geriet dann ein möglicher - wie auch immer dann im Detail beschaffener - islamischer Charakter des Staates als Hijau (grün/Farbe des Islam) in strikten Kontrast zur nationalen Identität der Merah-putih (rot-weiß/die Farben der Nationalflagge), die auf der Prämisse basierte, der politische Islam sei mit dem spezifischen Nation-building-Projekt Indonesiens unvereinbar. Diese Position war dezidiert gegen jegliche politische Erscheinungsform des Islam gerichtet und prägte bis in die neunziger Jahre den Staat nach innen und nach außen.

Nach außen schuf die Wahrnehmung des New-Order-Regimes von Suharto als formal säkular die Voraussetzung dafür, dass dieses sich dem Westen als verlässlicher Partner andienen konnte. Die Strategie stand ganz im Gegensatz zu Malaysias Außenpolitik, die insbesondere seit dem Machtantritt Mahathirs verstärkt politische Bezüge zur islamischen Welt suchte.

Im Innern gelang es dem nationalistischen Pol durch die machtpolitische motivierte Verfemung des Hijau-Pols, das Feld ohne ein Gegengewicht zu behaupten. So konnte weder eine gegenüber dem politischen Islam inklusive und gleichwohl von den anderen Konfessionen geteilte und dynamische Identität heranreifen wie im Fall Malaysias. Noch trug die Indoktrination der Gesellschaft durch die Pancasila und die staatlicherseits allen politischen Parteien, sozialen und religiösen Organisationen aufgezwungene Übernahme der "Fünf Prinzipien" als alleinige weltanschauliche Grundlage dazu bei, dass sich die reale konfessionelle und ethnische Pluralität der indonesischen Gesellschaft im korporatistischen Gefüge des New-Order-Staates hatte politisch abbilden und dadurch einer konstruktiven Bearbeitung hätte zugänglich machen können.

Nach der Machtübernahme Suhartos 1965 war bis etwa 1990 ein Nebeneinander zu beobachten von staatlicher Unterdrückung eines jeglichen politischen Dissenses - gleich ob islamisch oder kommunistisch - und der Förderung rein kultureller Glaubensäußerungen (aller Konfessionen) durch den Staat.

Das Religionsministerium wachte im Auftrag Suhartos im Bereich der Bildung darüber, dass in den ländlichen Islamschulen, den Pesantren, der Anteil religiöser Lehrinhalte am Gesamtcurriculum 30 Prozent nicht überstieg. Die indonesischen Streitkräfte, Angkatan Bersenjata Republik Indonesia (ABRI), hatten sich weitgehend aus eigener Macht eine Doppelfunktion (Dwifungsi) angemaßt: Sie umfasste nicht nur die äußere Verteidigung und die Sicherung der territorialen Einheit nach innen. Der kemalistischen Türkei nicht unähnlich, übernahm das Militär in allen Teilen des riesigen Inselreiches darüber hinaus die Überwachung der Gesellschaft gemäß der weltanschaulichen Orientierung an der Pancasila, bis hin zur Indoktrination. So wuchs ABRI - anfänglich von der zivilen Regierung gerne in Dienst genommen - zu einem schließlich weitgehend autonomen Machtzentrum heran. Als diese Macht der Streitkräfte letztlich Suhartos eigene Position zu gefährden drohte, versuchte er, die zuvor explizit ausgeschlossenen Gruppierungen, vor allem die vielfältigen islamischen Organisationen, mittels inklusiven Taktierens als Gegengewicht zum Militär aufzubauen.

Aufgrund der auch in Indonesien vorangekommenen ökonomischen Modernisierung war eine Politisierung der Gesellschaft und die Herausforderung des Staates durch partikulare Gruppeninteressen, gerade der politisch, wirtschaftlich und kulturell marginalisierten muslimischen Mehrheitsbevölkerung, langfristig ohnehin kaum aufzuhalten. Mit welcher Priorität Suharto dann einen Strategiewechsel von der Exklusion muslimischer Interessen zur Inklusion verfolgte, zeigt sich daran, dass er den zweiten starken Mann im Staate, den in Deutschland ausgebildeten Forschungs- und Technologieminister Habibie, 1990 mit der Gründung eines All-Indonesischen Intellektuellenforums für Muslime, Ikatan Cendekiawan Muslim Indonesia (ICMI), betraute. Es sollte spezifisch der Hinführung der durch die staatliche Exklusion zuvor extrem fragmentierten politischen Eliten der Muslime in die Staatsbürokratie, ins Kabinett und in das Parlament dienen. Andererseits suchte das Regime über die ICMI-Mitglieder, die durchaus zuvor bzw. gleichzeitig Mitglied anderer islamischer Institutionen waren, die staatliche Kontrolle über den wiedererwachenden islamischen Diskurs auszuweiten.

Anders als in den nominell "säkularen" Ländern des Mittleren Ostens (Türkei, Tunesien) gelang es dem Staat jedoch nicht, den Islam oder auch nur die wichtigsten islamischen Organisationen gänzlich zu usurpieren. So bildete beispielsweise der NU-Führer und spätere Präsident Abdurrahman Wahid die Speerspitze einer islamischen Zivilgesellschaft und Gegenöffentlichkeit gegenüber derjenigen, die Suharto herzustellen suchte.

Analog ähnlichen Konstellationen im Kernraum der islamischen Welt, etwa im Ägypten der siebziger Jahre, waren bereits in der Suharto-Ära auch indonesische Moscheen und Islamschulen weit weniger vom Staat überwacht worden als andere Orte des öffentlichen Lebens. Vereinzelt hatten sich dort Debattenforen herausgebildet, wo sich politischer und in extremen Fällen auch militanter Dissens herausbildete - im Verborgenen dann und in Ausnahmefällen mit einer bis ins Konspirative reichenden Abschottung nach außen.

Nach Suhartos Sturz 1998 bildeten die muslimischen Mainstream-Organisationen NU und Muhammadiya sowie kleinere islamische Gruppen ein vermittelndes Glied zwischen dem Staat einerseits und der Gesellschaft andererseits, wobei sie stärker in Letzterer verwurzelt sind. NU und Muhammadiya können beide auf eine lange Tradition primär sozialer, karitativer und erzieherischer Tätigkeit verweisen. Deshalb lässt sich bei ihnen derzeit nur eingeschränkt von Ansätzen für eine politisch motivierte, islamische Bürgergesellschaft sprechen.

1955 hatten in der letzten, als noch einigermaßen "frei" zu bezeichnenden Parlamentswahl in der Geschichte Indonesiens vor Suhartos Herrschaft islamische Parteien knapp 44 Prozent der Wählerstimmen errungen. Nach dem Ende des dem politisch aktiven Islam überwiegend feindlich gesinnten Suharto-Regimes waren es immerhin noch etwas über 37 Prozent (Wahlen von 1999); allerdings entfielen nur 14 Prozent der Stimmen auf Parteien, die sich für die Einführung des islamischen Rechts einsetzten. Ohne dass überhaupt darüber debattiert worden wäre, welche Form der Scharî'a eingeführt werden sollte, brachte es die Frage im November 2001 immerhin wieder auf die Agenda des Parlaments. Prompt formulierten ranghohe Militärs Warnungen an die Adresse der Scharî'a-Befürworter, durch die Hintertür die Pancasila-Doktrin anzutasten. Tatsächlich lehnte das Parlament die landesweite Einführung des islamischen Rechts im August 2002 mehrheitlich ab.

Keiner der prominenten muslimischen Politiker in Indonesien fordert heute die Einführung des islamischen Rechts oder gar die Errichtung eines islamischen Staates. Weder Amien Rais, heutiger Sprecher der Beratenden Volksversammlung und ehemaliger Muhammadiya-Führer, noch der ehemalige Präsident Abdurrahman Wahid sind der Auffassung, dass es historisch einen Präzedenzfall für einen "islamischen Staat" gegeben habe. Aber die von ihnen und von anderen Mehrheitsführern häufig wiederholten Aufrufe, die Debatte um die Einführung des islamischen Rechts einzustellen, zeigen, wie groß in Wirklichkeit der Klärungsbedarf hinsichtlich der weltanschaulichen Grundlagen und Visionen für die indonesische Nation noch bzw. wieder ist.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Eine um den wissenschaftlichen Literatur- und Fußnotenapparat ergänzte Version des vorliegenden Textes findet sich auf der Website des Autors unter http://www.bernhard-trautner.de/. Der Autor dankt der internationalen Studiengruppe "Islamic Culture and Modern Society" unter Leitung von G. Stauth, Universität Mainz und deren "Workshop on Asian Modernity and Islam" am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen (KWI) vom 8. bis 10. Juli 2003 für wichtige inhaltliche Impulse für den vorliegenden Beitrag.

Dr. rer. pol., geb. 1964; 2001 - 2003 Senior Research Fellow am Zentrum für Entwicklungsforschung der Universität Bonn, zuletzt Vertretungsprofessur für Politikwissenschaft und Politikmanagement an der Hochschule Bremen.
Anschrift: Hohle Gasse 12, 53177 Bonn.
E-Mail: E-Mail Link: mail@bernhard-trautner.de Zahlreiche Veröffentlichungen zu Politik, Soziologie und Kultur der islamischen Welt.