UN ohne Ordnung
Vereinte Nationen und globale Sicherheit
Bröckelndes Fundament
Die herrschende Blockade der Vereinten Nationen in ihren sicherheitspolitischen Kernaufgaben reflektiert eine Erosion vor allem der liberalen Elemente der Nachkriegsordnung, die damit in vielerlei Hinsicht zum Opfer ihrer eigenen Erfolge wird. Ohne die Liberalisierung des Welthandels hätten Länder wie China nicht so schnell aufsteigen können, selbst Moskaus Großmachtambitionen und der Wiederaufbau der russischen Streitkräfte wäre ohne den massiven Energiehunger einer wachsenden Weltwirtschaft und die damit verbundenen Rohstoffeinnahmen nicht denkbar gewesen. Im Umgang mit sicherheitspolitischen Krisen vor allem in Asien und Afrika waren die Vereinten Nationen "ein Vehikel der normativen Integration" in eine westlich dominierte liberale Ordnung: Frieden schaffen durch demokratische Wahlen, individuelle Grundrechte und Rechtsstaatlichkeit.[11]Es war gerade der Siegeszug von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit als Leitbild eines guten politischen Systems in den 1990er und 2000er Jahren, der den herrschenden Eliten in Peking oder Moskau die Prekarität ihrer Macht deutlich machte. Zusammen mit den Folgen der katastrophalen Experimente wirtschaftlicher Liberalisierung wie im Russland der 1990er Jahre ist die liberale Weltordnung dadurch in der Wahrnehmung einer wachsenden Zahl von Hauptstädten zu einer Bedrohung geworden.
Das militärische Scheitern der USA und ihrer engsten Alliierten im Irak von 2003 bis 2008 sowie die Finanzkrise 2008/09 und die Eurokrise von 2010 bis 2014 unterstrichen die Verwundbarkeit des Westens und ließen den Kampf gegen die liberalisierenden Elemente der internationalen Nachkriegsordnung aus Sicht der Autoritären nun auch realistisch und gewinnbar wirken.[12]
Das ist der Hintergrund, vor dem vor allem Moskau in den Vereinten Nationen geradezu eine Rollback-Kampagne gegen liberale und demokratische Prinzipien als Mittel zur Konfliktbeilegung betreibt. Dabei haben Putin und sein Gelegenheitsalliierter Xi Jinping immer mehr Verbündete, von der ungarischen Regierung unter Viktor Orbán über die der Philippinen unter Rodrigo Duterte bis zu Ägyptens Abdel Fatah al-Sisi.
Gemeinsam haben diese Regierungen in den vergangenen Jahren nicht nur militärisches Eingreifen, Sanktionen oder Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs beim Verdacht auf schwerste Straftaten wie Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verhindert. Sie blockieren auch die UN-Berichterstattung über Gewalt und Menschenrechtsverletzungen sowie diplomatische Ermahnungen zur Einhaltung nationaler Verfassungen und Wahlregularien. Die autoritäre Front nutzt hier die berechtigte Kritik an der oft naiven Hoffnung auf einzelne Elemente von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit wie etwa Wahlen als Motor der Befriedung. Dem wird allerdings weder im Einzelfall noch auf der konzeptionellen Ebene ein plausibles Gegenmodell gegenübergestellt. Damit dient die Blockade nur der gemeinsamen Verteidigung der autokratischen Regime gegen politischen Wandel sowie einer zunehmenden Zerrüttung der liberalen Weltordnung.