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Die Deutschlandplanung der Sieger | 60 Jahre Kriegsende | bpb.de

60 Jahre Kriegsende Editorial Konturen einer integrierten Nachkriegsgeschichte Mythen des Anfangs Erinnerungen an den Luftkrieg in Deutschland und Großbritannien Die Deutschlandplanung der Sieger Kriegskinder in Europa

Die Deutschlandplanung der Sieger

Wilfried Loth

/ 17 Minuten zu lesen

Großbritannien, die USA und die Sowjetunion verfolgten zunächst Pläne, Deutschland in mehrere Einzelstaaten aufzuteilen. Danach ging es um eine einheitliche Umgestaltung. 1945 war die Zukunft Deutschlands grundsätzlich noch offen.

Einleitung

Was aus Deutschland werden sollte, bestimmten nach der bedingungslosen Kapitulation vom 8./9. Mai 1945 die Siegermächte. Großbritannien, die Sowjetunion und die USA hatten den Sieg über das NS-Imperium gemeinsam errungen und entschieden, die Souveränität über Deutschland zusammen mit Frankreich als vierter Besatzungsmacht gemeinsam auszuüben.

Angesichts des fundamentalen Gegensatzes zwischen Stalin'scher Mobilisierungsdiktatur und westlichen Demokratien ist oft darüber spekuliert worden, ob damit der Weg in die deutsche Teilung programmiert gewesen sei. Doch je näher man sich mit den Planungen der Siegermächte und ihren Verhandlungen über die Zukunft Deutschlands beschäftigt, desto deutlicher wird, dass die Intentionen der Sieger in eine ganz andere Richtung wiesen.

Teilungspläne

Schon während des Krieges lief die Diskussion der Alliierten über die Zukunft Deutschlands auf eine Aufteilung des Reiches hinaus. Die Wiederherstellung Österreichs als eigenständiger Staat und beträchtliche Gebietsabtretungen im Osten galten als selbstverständliche Kriegsziele. Darüber hinaus wurde eine Aufteilung des verbliebenen Reichsgebiets in mehrere unabhängige Einzelstaaten angestrebt. Nur ein solches dismemberment schien die Gewähr dafür zu bieten, dass sich ein besiegtes Deutschland nicht wieder zu einem bedrohlichen Machtfaktor entwickeln würde.

Hinsichtlich des Prinzips der Aufteilung gab es seit dem Beginn der britisch-sowjetischen Bündnisverhandlungen im Herbst 1941 eine grundsätzliche Verständigung zwischen Josef Stalin und Winston Churchill. Stalin ließ den britischen Premierminister am 21.November 1941 wissen, "dass Österreich als ein unabhängiger Staat von Deutschland abgetrennt werden müsse und Deutschland selbst, darunter auch Preußen, in eine Reihe mehr oder minder selbständiger Staaten zerschlagen werden müsse, um eine künftige Garantie für Frieden und Ruhe der europäischen Staatenzu schaffen". Churchill antwortete am 5.Dezember im Gespräch mit dem sowjetischen Botschafter Iwan Majskij, die "Hauptaufgabe" der Nachkriegsordnung bestehe darin, "ein für alle Mal die deutsche Gefahr zu beseitigen. Dazu sei eine vollständige Abrüstung Deutschlands wenigstens für die Dauer einer ganzen Generation ebenso erforderlich wie die Aufspaltung Deutschlands in einzelne Teile; insbesondere Preußen müsse von den übrigen Teilen Deutschlands getrennt werden."

Die Diskussion über die optimale Form der Aufteilung gelangte in Moskau im März 1944 zum Abschluss. Eine Kommission zur Beratung der Nachkriegsordnung unter dem Vorsitz des früheren Außenkommissars Maxim Litwinow verabschiedete ein Papier, das die Bildung von sieben Einzelstaaten vorsah: Preußen unter Abtretung von Ostpreußen, Oberschlesien und Schleswig; daneben ein rheinisch-westfälischer Staat sowie ein zweiter Nordstaat aus Hessen-Nassau, Hannover, Oldenburg und Bremen; dazu Sachsen, Bayern, Württemberg und Baden als eigenständige Staaten.

Bei der Vorbereitung der Konferenz von Jalta äußerte Außenkommissar Wjatscheslaw Molotow Bedenken, ob eine solch rigide Aufteilung bei den Westmächten durchzusetzen wäre. Litwinow empfahl, "von der ursprünglichen Disposition einer maximalen Aufgliederung aus[zu]gehen und dann, je nach Notwendigkeit, Konzessionen [zu] machen". Als Auffangposition schien ihm eine Vier-Staaten-Lösung vertretbar zu sein, die sich aus der Zusammenlegung nichtpreußischer Gebiete ergab. Der stellvertretende Außenkommissar Andrej Wyschinski meinte dagegen, dass es "angebrachter" sei, von Anfang an eine Fünf-Staaten-Lösung vorzuschlagen. Eine Entscheidung zwischen den verschiedenen Varianten wurde nicht getroffen. Stalin entschied sich dafür, zunächst die Vorschläge der Verbündeten abzuwarten und dann auf der Grundlage der Empfehlungen der Litwinow-Kommission zu verhandeln. Gleich zu Beginn der Konferenz von Jalta, in der Sitzung vom 5. Februar 1945, drängte er darauf, in der Frage der Aufteilung "eine definitive Entscheidung zu treffen".

Churchills Vorstellungen liefen auf eine Dreiteilung Deutschlands hinaus. Zum einen sollte Preußen das rheinisch-westfälische Industriegebiet im Westen und zusätzlich Gebiete im Osten verlieren, weil Preußen nach Churchills Auffassung das Land war, von dem der aggressive deutsche Militarismus seinen Ausgang genommen hatte. Er plädierte ferner für vollständige Abrüstung und Überwachung der industriellen Produktion. Zum anderen wollte er Sachsen, Bayern, Württemberg, Baden und die Pfalz einer restituierten Donauföderation mit Österreich und Ungarn anschließen. Die Süddeutschen, so meinte er, waren weniger aggressiv und verdienten daher schonendere Behandlung; zusammen mit den Nachfahren der Habsburgermonarchie sollten sie ein Gegengewicht zu Preußen wie zur "Waffenschmiede" des Reiches im Nordwesten bilden.

Der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt hielt ebenfalls eine Aufteilung des Reiches für erforderlich. Auf der Konferenz von Teheran Ende November/Anfang Dezember 1943 erklärte er, das Ruhrgebiet, das Saargebiet sowie der Nord-Ostsee-Kanal einschließlich der Städte Hamburg und Kiel sollten auf Dauer unter internationale Verwaltung gestellt werden; aus dem restlichen Gebiet sollten fünf autonome Staaten gebildet werden: Preußen, Hannover mit weiteren norddeutschen Gebieten, Sachsen, Hessen und Süddeutschland. Der Planungsstab des Treasury Department, für dessen Überlegungen Roosevelt viel Sympathie empfand, legte im September 1944 ein Programm vor, das die Pläne für internationale Mandatszonen dahingehend modifizierte, dass das Ruhrgebiet zusammen mit dem Rheinland eine solche Zone bilden sollte und der Nord-Ostsee-Kanal zusammen mit den nördlich davon gelegenen deutschen Territorien. Ostpreußen und Oberschlesien sollten an die Sowjetunion und Polen abgetreten werden, das Saargebiet und die Rheinpfalz an Frankreich. Das restliche Deutschland sollte in einen Nord- und einen Südstaat aufgeteilt werden.

Entscheidung für die Einheit

Allerdings erhoben sowohl die Experten des britischen Foreign Office als auch eine Mehrheit der Deutschland-Planer des amerikanischen State Department schwerwiegende Bedenken gegen die Aufteilungspläne: Die Aufteilung würde, so fürchteten sie, einen nationalen Revanchismus hervorrufen, der die gleichen aggressiven Kräfte freisetzen würde wie in der Vergangenheit. Die künstlichen Nachfolgestaaten des Reiches könnten nur mit Gewalt aufrecht erhalten werden, und außerdem seien sie wirtschaftlich nicht lebensfähig. Für angemessen hielten die Briten nur die Abtretung Ostpreußens und Oberschlesiens an Polen sowie eine internationale Kontrolle des Ruhrgebiets und des Nord-Ostsee-Kanals. Die Amerikaner setzten demgegenüber ganz auf die Integration der deutschen Volkswirtschaft in die Weltwirtschaft; Kontrollen sollten ihrer Überzeugung nach auf ein unerlässliches Mindestmaß beschränkt bleiben.

Churchill und Roosevelt hatten keine ausgearbeiteten Konzepte in der Tasche, als sie vom 4. bis zum 11. Februar 1945 in Jalta mit Stalin über die Nachkriegsordnung verhandelten. Der britische Außenminister Anthony Eden wollte sogar, um den Bedenken seiner Beamten Rechnung zu tragen, Entscheidungen in der Aufteilungsfrage zum gegenwärtigen Zeitpunkt bewusst vermeiden. Als Stalin verlangte, zumindest den Grundsatz der Aufteilung verbindlich zu beschließen, stimmten Churchill und Roosevelt zwar zu; Eden gelang es jedoch in der Beratung der Außenminister, eine Formulierung für die Kapitulationsurkunde durchzusetzen, die es offen ließ, ob die Siegermächte tatsächlich eine Aufteilung Deutschlands vornehmen würden. Es wurde beschlossen, "solche Maßnahmen" anzukündigen, "einschließlich der völligen Entwaffnung, Entmilitarisierung und der Zerstückelung Deutschlands, wie sie es für den zukünftigen Frieden und die Sicherheit für notwendig halten".

Als die Kommission zur weiteren Beratung der Aufteilungsfrage, die die "Großen Drei" in Jalta eingesetzt hatten, Anfang März 1945 in London zusammentrat, weigerten sich die britischen Vertreter erneut, sich auf das Prinzip der Aufteilung festzulegen. Stalin schloss daraus, dass "die Engländer und die Amerikaner, die als erste die Frage der Aufgliederung Deutschlands aufwarfen, nunmehr die Verantwortung für die Aufgliederung auf die UdSSR abwälzen" wollten, "um unseren Staat in den Augen der internationalen Öffentlichkeit anzuschwärzen". Um ihnen diese Möglichkeit zu nehmen, wurde der sowjetische Vertreter in der Aufteilungskommission am 24. März 1945 angewiesen, die Aufteilung ebenfalls als lediglich "potentielle Perspektive für eine Druckausübung auf Deutschland" zu relativieren. Aufteilungspläne wurden daraufhin in der Kommission nicht mehr verhandelt.

Spätestens Anfang Mai wurde aus der Entscheidung der Sowjetführung, nicht mehr auf die Aufteilung Deutschlands zu drängen, ein offensives Eintreten für die Wahrung der Einheit der bei Deutschland verbleibenden Gebiete. Am 9. Mai nutzte Stalin die offizielle Ansprache zur Kapitulation des Deutschen Reiches zu einem öffentlichen Bekenntnis zur deutschen Einheit: "Die Sowjetunion feiert den Sieg, auch wenn sie sich nicht anschickt, Deutschland zu zerstückeln oder zu vernichten." Den KPD-Führern erklärte er bei einer Instruktion über strategische Fragen am 4. Juni, es gelte, die "Einheit Deutschlands [zu] sichern".

Hinter diesem Positionswechsel stand nicht etwa die Hoffnung, nach dem erfolgreichen Vorstoß der Roten Armee bis nach Mitteldeutschland das ganze Land unter sowjetische Kontrolle bringen zu können. Stalin blieb nach Ausweis aller Quellen auch nach Kriegsende davon überzeugt, dass er zur definitiven Beseitigung der von Deutschland ausgehenden Gefahr auf die Kooperation mit den westlichen Verbündeten angewiesen war. Er fürchtete sogar, ähnlich wie Churchill, dieamerikanischen Truppen könnten sich ausDeutschland zurückziehen, "bevor die Hauptaufgaben der Besatzung - die Entmilitarisierung und Demokratisierung Deutschlands - vollendet" seien. Da die Verbündeten offensichtlich vor der Verwirklichung der Aufteilungspläne zurückschreckten, musste Stalin sie aufgeben. Die Alternative eines Bruchs mit den Alliierten war umso weniger akzeptabel, als dann jede Garantie für eine Beseitigung der Wurzeln des Nationalsozialismus in den westlichen Besatzungszonen fehlte und der Zugang zu den dringend benötigten Reparationen aus dem Ruhrgebiet versperrt war. Die Wahrung der Einheit Deutschlands stellte für Stalin die zweitbeste Lösung des deutschen Problems dar; sie musste auf jeden Fall gegen die Gefahr einer Allianz des amerikanischen mit dem deutschen "Imperialismus" verteidigt werden, die er alsbald witterte.

Mit Stalins öffentlichem Bekenntnis zur deutschen Einheit waren die Aufteilungspläne vom Tisch. Harry S. Truman, der nach dem Tode Roosevelts am 12. April 1945 das amerikanische Präsidentenamt übernommen hatte, hielt noch einige Zeit an ihnen fest. Stalin ließ er Ende Mai mitteilen, dass er "der Aufgliederung Deutschlands zuneige". Bei der Vorbereitung der Konferenz von Potsdam konnten die Vertreter des State Department Einfluss auf den Präsidenten nehmen. Truman entschied, dass der Plan einer Abtrennung des Ruhrgebiets nicht weiter verfolgt werden sollte. Seither hatte nur noch Churchill die Aufteilung Deutschlands im Blick. Er musste jedoch feststellen, dass die Angelegenheit nicht mehr vorankam. Eden bemerkte in der zweiten Juliwoche, kurz vor Beginn der Konferenz von Potsdam: "Der Premierminister, der in der Vergangenheit immer die Aufteilung befürwortet hat, beklagt sich wahrscheinlich ein wenig darüber, dass wir noch nicht einmal in unserer eigenen Prüfung und Beantwortung der Frage Fortschritte gemacht haben."

Von den Aufteilungsplänen blieb nur die Abtretung der Ostgebiete. Ihr genauer Umfang blieb allerdings umstritten, da Stalin der kommunistisch dominierten provisorischen Regierung Polens nach heftigen Auseinandersetzungen über die Abtretung der deutschen Gebiete östlich der Oder auch die Gebiete zwischen Oder und Lausitzer Neiße zugestanden hatte. Churchill und Roosevelt sperrten sich gegen eine solche Ausdehnung des polnischen Staates auf ganz Schlesien und die daraus vermutlich resultierende erhebliche Ausweitung der Vertreibung der deutschen Bevölkerung. Folglich konnte in Jalta nur das Prinzip beschlossen werden, "dass Polen einen substantiellen Gebietszuwachs im Norden und Westen erhalten muss". Zum Umfang dieser Erwerbungen sollte die Meinung der provisorischen polnischen Regierung gehört werden, und die "endgültige Festlegung der Westgrenze Polens" sollte danach noch "bis zur Friedenskonferenz warten". In der Sache hieß das, dass über den tatsächlichen Grenzverlauf zwischen Deutschland und Polen im Wesentlichen zwischen der polnischen und der sowjetischen Regierung entschieden werden würde.

Nachdem die polnische Regierung beim Anspruch auf ganz Schlesien geblieben war, ging der amerikanische Außenminister James F. Byrnes auf der Konferenz von Potsdam (17. Juli bis 2. August 1945) auf die sowjetische Forderung nach Anerkennung der westlichen Neiße als Grenzlinie zwischen dem deutschen Besatzungsgebiet und Polen ein. Sein britischer Kollege Ernest Bevin stimmte der neuen Grenzziehung in separaten Gesprächen mit dem polnischen Ministerpräsidenten Boleslaw Bierut zu. Die Vereinbarung über die "Aussiedlung" der deutschen Bevölkerung im Protokoll der Potsdamer Konferenz schloss die Gebiete ein, die jetzt nach übereinstimmender Auffassung der Alliierten unter polnischer Verwaltung standen. Der Friedensvertragsvorbehalt hinsichtlich dieser Gebiete war nur noch formaler Natur.

Demokratisierung

Die implizite Verständigung über die Aufgabe der Teilungspläne verstärkte den Gleichklang in der Frage der inneren Umgestaltung Deutschlands. Stalin zog aus der Notwendigkeit einer Fortsetzung der Kooperation mit den westlichen Alliierten den nahe liegenden Schluss, dass eine sozialistische Revolution im besiegten Deutschland nicht auf der Tagesordnung stand. Ein "Aktionsprogramm des Blocks der kämpferischen Demokratie", das die Moskauer Exilführung der KPD im Laufe des Jahres 1944 entwickelt hatte, durfte nicht veröffentlicht werden. Stattdessen wurde den Kadern der kommunistischen "Initiativgruppen", die die Rote Armee bei der Übernahme ihres Besatzungsgebiets unterstützen sollten, vor ihrer Abreise aus Moskau im April 1945 erklärt, "die politische Aufgabe bestehe nicht darin, in Deutschland den Sozialismus zu verwirklichen oder eine sozialistische Entwicklung herbeiführen zu wollen. Dies müsse im Gegenteil als schädliche Tendenz verurteilt und bekämpft werden. Deutschland stehe vor einer bürgerlich-demokratischen Umgestaltung, die ihrem Inhalt und Wesen nach eine Vollendung der bürgerlich-demokratischen Revolution von 1848 sei. (...) Die Besatzungsmächte kämen nach Deutschland, um den Faschismus und Militarismus auszurotten und die notwendigen Maßnahmen für eine demokratische Wiedergeburt des deutschen Volkes zu treffen."

Konzeptionell beruhte dieses Programm auf der Vorstellung, dass es möglich sein würde, die innere Ordnung der befreiten Länder an "den Prinzipien einer umfassenden Demokratie im Geiste der Volksfront" auszurichten. Majskij, der diese Formulierung in einem Grundsatzmemorandum vom Januar 1944 prägte, nunmehr als stellvertretender Außenkommissar, sah eine solche Ordnung für alle befreiten Länder von Frankreich bis Polen vor. Für die Länder, in denen die Demokratie noch nicht über stabile Grundlagen verfügte, plädierte er für "verschiedenartige Maßnahmen von außen, d.h. in erster Linie von Seiten der UdSSR, der USA und Englands", um ein "wahrhaft demokratisches System" zu schaffen. Eine Ausarbeitung der Kommission zur Beratung der Friedensverträge und der Nachkriegsordnung, die am 15.November 1944 fertiggestellt wurde, sah Deutschland als Teil einer "dritten, neutralen Sphäre" in Europa, die von Norwegen bis Italien reichen sollte.

In der Überzeugung, "dass eine demokratische Staatsordnung der Länder eine der wesentlichsten Garantien für die Stabilität des Friedens" ist, stimmte die Sowjetführung mit den westlichen Regierungen überein. Es war daher keineswegs nur ein Formelkompromiss, dass sich die "Großen Drei" in Potsdam auf eine "Vereinbarung über die politischen und wirtschaftlichen Grundsätze" einigen konnten, die "für die Behandlung Deutschlands in der ersten Kontrollphase" gelten sollten. Die britischen Planer hatten in den Entwurf, der auf eine amerikanische Vorlage vom März 1945 zurückging, vier Ziele aufnehmen lassen, von denen sich der Alliierte Kontrollrat leiten lassen sollte: vollständige Entwaffnung und Beseitigung oder Kontrolle der Rüstungsindustrie; Belehrung der Deutschen über ihre Verantwortung für die Kriegsfolgen; Beseitigung der NSDAP und Unterbindung jeglicher nationalsozialistischer und militaristischer Propaganda; ferner die Schaffung der "Grundlagen für einen Rechtsstaat in Deutschland und für die schließliche friedliche Mitarbeit im internationalen Leben". Das wurde von der sowjetischen Seite ebenso akzeptiert wie die Aufzählung der Elemente einer rechtsstaatlichen Ordnung: die Gewährung von Rede-, Presse- und Religionsfreiheit, die Achtung religiöser Einrichtungen und die Zulassung von Parteien und Gewerkschaften.

Hinsichtlich der Organisation der Verwaltung und des politischen Lebens auf gesamtstaatlicher Ebene war es die sowjetische Seite, die für möglichst starke gesamtdeutsche Strukturen argumentierte. Während der amerikanische Entwurf vorsah, "vorläufig" noch keine deutsche Zentralregierung zu errichten, beantragte Molotow die "Errichtung einer zentralen deutschen Verwaltung, bestehend aus Sekretären für verschiedene Verwaltungszweige". Sie sollte unter der Leitung des Alliierten Kontrollrats arbeiten, die Tätigkeit der "Provinzialverwaltungen" koordinieren und so die "Erfüllung der Beschlüsse des Kontrollrats und die Ausübung von Funktionen sicherstellen, die mit der Lösung von Problemen gesamtdeutschen Charakters verbunden sind". Da Bevin die Möglichkeit einer weitgehenden Dezentralisierung wahren wollte, wurde schließlich eine weniger kategorische Formulierung angenommen, wonach keine Zentralregierung errichtet, aber auf wichtigen Gebieten, insbesondere den schon von Molotow genannten Bereichen Außenhandel, Industrie, Finanz-, Transport- und Fernmeldewesen, "einzelne zentrale Verwaltungsbehörden" geschaffen werden sollten.

Trotz dieser Abschwächung war eine Grundlage für einen gemeinsamen Aufbau einer demokratischen Ordnung im besetzten Deutschland durch die Siegermächte geschaffen worden. Das gilt umso mehr, als in Potsdam auch eine weitgehende Einigung über die wirtschaftlichen Grundsätze gelang, die für die Behandlung Deutschlands gelten sollten. Man vereinbarte Richtlinien zur industriellen Abrüstung, zur Dezentralisierung der Wirtschaft durch die Zerschlagung von Kartellen, Syndikaten und Trusts, zur Umorientierung auf die Entwicklung der Landwirtschaft und einen industriellen Eigenbedarf für Friedenszwecke, zur Behandlung Deutschlands als wirtschaftliche Einheit und zu den Zwecken der gemeinsamen Kontrolle der Wirtschaft durch die Besatzungsmächte. Dabei wurde festgehalten, dass der Lebensstandard der Deutschen dem Durchschnittsstandard aller europäischen Länder mit Ausnahme Großbritanniens und der Sowjetunion entsprechen sollte. Schließlich wurde vereinbart, unverzüglich Maßnahmen zur Wiederherstellung des Transportwesens, zur Steigerung der Kohleförderung und der landwirtschaftlichen Produktion sowie zur Instandsetzung von Wohnungen und öffentlichen Versorgungseinrichtungen zu ergreifen.

Bruchstellen

Der Konsens in der Frage der Demokratisierung Deutschlands war insofern oberflächlich, als die sowjetischen Führer und ihre Administratoren über keinerlei praktische Erfahrung mit dem Leben in einer Demokratie verfügten. Die Etablierung einer demokratischen Ordnung von außen, ohnehin ein schwieriges Unterfangen, war für sie daher noch schwerer zu realisieren als für ihre westlichen Verbündeten. Die sowjetischen Planer stellten zwar fest, dass die ideologische Umerziehung des deutschen Volkes "eine im höchsten Maße heikle Angelegenheit" darstelle; die Kapitel "Schaffung eines demokratischen Regimes in Deutschland" und "Umerziehung des deutschen Volkes" in dem grundlegenden Memorandum zur Behandlung Deutschlands vom 9. März 1944 blieben jedoch unausgeführt. Stattdessen wies Stalin ausgerechnet den deutschen Kommunisten und einer noch zu schaffenden "Partei der Werktätigen" nach marxistischem Klassenverständnis im Juni 1945 eine zentrale Rolle bei der Wahrung der deutschen Einheit und der "Vollendung der bürgerlich-demokratischen Revolution" zu.

Zudem zeigten sich erhebliche Divergenzen zwischen den Alliierten hinsichtlich der von Deutschland zu leistenden Reparationen. Die Sowjetführung präsentierte in Jalta die Forderung nach Demontagen von Industrieanlagen und Lieferungen aus der laufenden Produktion in Höhe von jeweils zehn Milliarden US-Dollar (in Preisen von 1938) in einem Zeitraum von zehn Jahren. Die Hälfte davon sollte an die Sowjetunion gehen. Angesichts der immensen Kriegszerstörungen, die sich nach amerikanischen Schätzungen auf 35,7 Milliarden Dollar beliefen (nach eigenen Berechnungen auf 128 Milliarden Dollar), schien das eine vertretbare Forderung zu sein. In Moskau meinte man, dass sie die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft nicht über Gebühr belasten würde. Roosevelt stimmte nach eingehender Befassung mit dem Vorschlag überein, "die Gesamtsumme von 20 Milliarden Dollar als Grundlage für die Diskussion in der Reparationskommission festzuhalten" und die Hälfte dieser Summe der Sowjetunion zuzuweisen.

Die britische Führung befürchtete jedoch, dass die geforderten Summen die deutsche Leistungsfähigkeit überstiegen, und verweigerte in Jalta ihre Zustimmung. Unter dem Eindruck der Kriegszerstörungen im befreiten Europa griff diese Befürchtung im Sommer 1945 auch auf die amerikanische Führung über. Als die Reparationskommission Ende Juni zusammentrat, distanzierte sich der amerikanische Delegationsleiter Edwin B. Pauley von Roosevelts Zusage und beharrte auf dem Vorrang der Finanzierung von notwendigen Importen vor eventuellen Reparationslieferungen. Auf Molotows Kompromissangebot in Potsdam, der Kontrollrat könne im Falle zu geringer Produktion über eine Kürzung der Reparationsleistungen und den Vorrang von Importfinanzierungen beschließen, gingen die beiden westlichen Außenminister nicht ein.

Stattdessen setzten sie eine provisorische Reparationsregelung durch, die auf eine Ost-West-Teilung des Besatzungsgebiets hinauslief. Über die Höhe der insgesamt von Deutschland zu leistenden Reparationen wurde dabei noch nicht befunden. Die Feststellung des Umfangs der Demontagen wurde um ein halbes Jahr verschoben. Vereinbart wurde nur, dass die Sowjetunion ihre Reparationsansprüche sowie die Ansprüche Polens durch Entnahmen aus der SBZ und durch Zugriff auf deutsches Auslandsguthaben im Osten befriedigen sollte. Die westlichen Besatzungszonen und das entsprechende Auslandsguthaben sollten für Ansprüche der USA, Großbritanniens und weiterer berechtigter Länder zur Verfügung stehen. Außerdem sollte die Sowjetunion innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren zehn Prozent der industriellen Ausrüstung der Westzonen erhalten, die als "für die deutsche Friedenswirtschaft unnötig" angesehen wurde, und in einem Zeitraum von zwei Jahren weitere 15 Prozent gegen entsprechende Lieferungen von Nahrungsmitteln und anderen Produkten. Das letzte Wort bei der Definition des deutschen Bedarfs in Friedenszeiten sollten die Zonenkommandeure haben. Obwohl beschlossen worden war, das Besatzungsgebiet grundsätzlich als wirtschaftliche Einheit zu behandeln, wurde damit einer separaten Organisation des Wirtschaftslebens in der sowjetischen Zone einerseits und den drei westlichen Besatzungszonen andererseits Vorschub geleistet.

Schließlich krankten die Potsdamer Vereinbarungen daran, dass die Franzosen nicht beteiligt waren. Frankreich war von Churchill in Jalta als vierte Besatzungsmacht durchgesetzt worden, um den Mangel an Besatzungsstreitkräften auszugleichen, der bei einem Abzug der Amerikaner drohte, und um ein militärisches Gegengewicht zur Roten Armee in Europa zu schaffen. Daraus hatte jedoch keine der drei Siegermächte den Schluss gezogen, dass die französische Regierung an den grundlegenden Entscheidungen über die Nachkriegsordnung Europas zu beteiligen wäre. Selbst Churchill war nicht auf die Idee gekommen, den französischen Regierungschef zur Konferenz von Potsdam einzuladen.

Das erwies sich insofern als verhängnisvoll, als die provisorische Regierung der Französischen Republik unter General de Gaulle sogleich nach der Bekanntgabe der Konferenzergebnisse erklärte, dass Frankreich als Mitglied des Alliierten Kontrollrats der Einrichtung deutscher Zentralverwaltungen erst dann zustimmen werde, wenn das Ruhrgebiet, das Saargebiet und das Rheinland zuvor in der gleichen Weise vom Besatzungsgebiet abgetrennt würden wie die Gebiete östlich von Oder und Neiße. De Gaulle hielt es im Interesse der Sicherheit Frankreichs für notwendig, dass das Ruhrgebiet und das Rheinland "vom Rest Deutschlands in der Weise getrennt werden, dass ihre Bewohner wissen, dass ihre Zukunft nicht in Deutschland liegt". Um seine Ziele zumindest langfristig zu erreichen, nutzte de Gaulle die französische Vetomacht im Kontrollrat, um die Verwirklichung des Beschlusses zur Errichtung deutscher Zentralverwaltungen zu blockieren.

Die Schwächen der Potsdamer Vereinbarungen ändern jedoch nichts daran, dass ihre Autoren sie zu verwirklichen gedachten. Die Siegermächte hatten zu jener Zeit eine gemeinsame Zukunft des im Osten territorial reduzierten deutschen Staates im Sinn. Dass es ihnen nicht gelang, sie durchzusetzen, steht auf einem anderen Blatt. 1945 war die Zukunft Deutschlands grundsätzlich noch offen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die Erforschung der Deutschlandplanung der Siegermächte ist unterschiedlich weit gediehen. Eine moderne Gesamtdarstellung, die die Interaktionen zwischen den Siegermächten berücksichtigt, fehlt. Im Folgenden wird aus einer in Vorbereitung befindlichen größeren Studie zu diesem Thema zitiert.

  2. Molotow an Majskij, 21.11. 1941, in: Jochen P. Laufer/Georgij P. Kynin (Hrsg.), Die UdSSR und die deutsche Frage 1941 - 1948. Dokumente aus dem Archiv für Außenpolitik der Russischen Föderation, Bd. 1, Berlin 2004, S. 11f.

  3. Majskij an Molotow, 5.12. 1941, ebd. S. 16 - 18.

  4. Bericht "Zur Behandlung Deutschlands", 9.3. 1944, ebd. S. 333 - 364.

  5. Notiz Molotows, 16.1. 1945, ebd. S.527; Wyschinski an Molotow, 17.1. 1945, ebd. S. 524.

  6. Britisches Protokoll der Sitzung vom 5.2. 1945, in: Rolf Steininger (Hrsg.), Die Ruhrfrage 1945/46 und die Entstehung des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 1988, S. 286 - 290.

  7. So seine Ausführungen auf der Konferenz von Teheran, referiert bei Lothar Kettenacker, Krieg zur Friedenssicherung. Die Deutschlandplanung der britischen Regierung während des Zweiten Weltkrieges, Göttingen 1989, S. 234.

  8. Sitzung vom 1.12. 1943, Foreign Relations of the United States [künftig: FRUS] 1943 Cairo and Tehran, S. 600 - 604.

  9. Morgenthau Diary (Germany), Vol. I, Washington, D.C. 1967, S. 463 - 466.

  10. Vgl. L. Kettenacker (Anm. 7), S. 165f. u. 169 - 180; Carolyn Woods Eisenberg, Drawing the line. The American decision to divide Germany, 1944 - 1949, Cambridge-New York 1996, S. 20.

  11. FRUS Yalta, S. 656f. u. 978.

  12. Molotow an Gusew 24.3. 1945, in: J. P. Laufer/G. P.Kynin (Anm. 2), Bd. 1, S. 555.

  13. Josef Stalin, Über den Großen Vaterländischen Krieg der Sowjetunion, Moskau 1946, S. 219.

  14. Sitzungsmitschrift von Wilhelm Pieck, veröffentlicht in: Rolf Badstübner/Wilfried Loth (Hrsg.), Wilhelm Pieck - Aufzeichnungen zur Deutschlandpolitik 1945 - 1953, Berlin 1994, S. 50 - 53.

  15. So die Formulierung in einem Telegramm des sowjetischen Botschafters in Washington, Nikolai Nowikow, vom 27.9. 1946, zit. nach Wilfried Loth, Stalins ungeliebtes Kind. Warum Moskau die DDR nicht wollte, Berlin 1994, S. 26; weitere Belege ebd., S. 17 - 35.

  16. So sein Sonderbotschafter Harry Hopkins im Gespräch mit Stalin am 28.5. 1945, sowjetisches Protokoll in: J. P. Laufer/G. P. Kynin (Anm. 2), Bd. 2, Berlin 2004, S. 11 - 16.

  17. FRUS Berlin II, S. 989.

  18. Zit. n. L. Kettenacker (Anm. 7), S. 502.

  19. FRUS Yalta, S. 974.

  20. FRUS Berlin II, S. 480 u. 485.

  21. Documents on British policy overseas. Series I, Vol.1: The Conference at Potsdam July-August 1945, London 1984, S. 976 - 980, 1003 - 1009, 1065 - 1068.

  22. Peter Erler/Horst Laude/Manfred Wilke (Hrsg.), "Nach Hitler kommen wir". Dokumente zur Programmatik der Moskauer KPD-Führung 1944/45 für Nachkriegsdeutschland, Berlin 1994, S. 99.

  23. Notiert von Wolfgang Leonhard, Die Revolution entlässt ihre Kinder, Taschenbuchausgabe München 1969, S. 288f.

  24. Majskij an Molotow 11.1. 1944, in: J. P. Laufer/G. P.Kynin (Anm. 2), Bd. 1, S. 244 - 271, hier S. 259.

  25. So Majskij in seinem Memorandum vom 11. 1. 1944, ebd., S.259.

  26. Britische Fassung vom 11.6. 1945, FRUS 1945, III, S. 521f.

  27. Text der schließlich als Abschnitt III des Konferenz-Kommuniqués veröffentlichten Vereinbarung in FRUS Berlin II, S. 1502ff.; zu den Verhandlungen in Potsdam Albrecht Tyrell, Großbritannien und die Deutschlandplanung der Alliierten 1941 - 1947, Frankfurt/M. 1987, S. 330 - 344.

  28. FRUS Berlin II, S. 824.

  29. Zu den Verhandlungen über diese Fragen vgl. A. Tyrell (Anm. 27), S. 563 - 572.

  30. So Majskij an Molotow 11.1. 1944, in: J. P. Laufer/G. P.Kynin (Anm. 2), Bd. 1, S. 242.

  31. Ebd. S. 364.

  32. "Im Mittelpunkt Einheitliche Partei", notierte Pieck bei der Unterredung vom 4.6.1945; R. Badstübner/W. Loth (Anm. 14), S. 50.

  33. FRUS Yalta, S. 620f. u. 630f.

  34. Vgl. Wilfried Loth, Die Teilung der Welt. Geschichte des Kalten Krieges 1941 - 1945, Neuausgabe München 2000, S. 87.

  35. FRUS Yalta, S. 901f. u. 978f.

  36. Vgl. A. Tyrell (Anm. 27), S. 553 - 563.

  37. FRUS Berlin II, S. 278 - 281 u. 811.

  38. Artikel IV des Potsdamer Kommuniqués, FRUS Berlin II, S. 1505f.

  39. Erklärung vom 7.8. 1945, FRUS Berlin II, S. 1551 - 1555; de Gaulle im Gespräch mit Truman 22. u. 24.8. 1945, FRUS 1945, IV, S. 709 - 725.

  40. Vgl. seine Ausführungen im Gespräch mit seinen führenden außenpolitischen Mitarbeitern am 8.10. 1945, veröffentlicht bei R. Steininger (Anm. 6), S. 340f.

Dr. phil., geb. 1948; Professor für Neuere Geschichte an der Universität Duisburg-Essen. Historisches Institut, Universitätsstraße 12, 45117 Essen.
E-Mail: E-Mail Link: wilfried.loth@uni-essen.de