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Reform der Finanzverfassung - eine vertane Chance?

Gisela Färber Nils Otter Nils Gisela / Otter Färber

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Die unterschiedlichen Verhandlungspositionen von Bund und Ländern in der Frage der deutschen Finanzverfassung sowie die erzielten Ergebnisse werden zusammengefasst. Ohne eine Reform der Finanzverfassung können die intendierten Reformschritte nicht ihre Wirkung entfalten.

Einleitung

Die Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung hatte u.a. auch die Aufgabe, "... die Finanzbeziehungen (insbesondere Gemeinschaftsaufgaben und Mischfinanzierungen) zwischen Bund und Ländern (zu) überprüfen". Auch für die Finanzverfassung ging es darum, einen Abbauder finanziellen Verflechtungen zu erreichen.

Wenngleich die Vorsitzenden am 17. Dezember das Scheitern der Kommission erklären mussten, können die zuvor ausgehandelten Kompromisse im Bereich der Finanzverfassung bewertet werden.

Zum Reformbedarf: Handlungsbedarf bestand in vielfältiger Weise: beim Konnexitätsprinzip des Art. 104 a Abs. 1 GG eine stärker veranlassungsbezogene Kostenenlastung; eine Entflechtung der Mischfinanzierungen bezüglich Aufgabenverantwortung und Finanzierung; Einrichtung von Steuerautonomie zur Stärkung eigenverantwortlicher Aufgabenwahrnehmung; Neujustierung des Länderfinanzausgleichs auf vereinbarte Veränderungen der vorgelagerten Stufen; Aufteilung des maximalen Verschuldungspotenzials in Höhe von drei Prozent des BIP auf Bund und Länder sowieder Strafen bei Überschreiten der Grenze.

Unter den einzelnen Punkten gibt es Interdependenzen im Hinblick auf die konkreten Gestaltungsoptionen. In der Finanzverfassung werden durch die Ausgaben- und die Einnahmenverteilung sowie den Finanzausgleich nicht nur eigenständige Sachverhalte geregelt, sondern auch Defizite der vorgelagerten Stufen "geheilt". Insoweit hängt der konkrete Reformbedarf jeder dieser funktionalen Stufen immer davon ab, welche Optionen für die vorgelagerten Stufen wahrgenommen wurden.

Die Verhandlungen der Kommission

Die föderalen Finanzbeziehungen wurden auf vier Sitzungen der Föderalismuskommission explizit behandelt: Am 28. November 2003 war die Arbeitsgruppe "Finanzbeziehungen" eingesetzt worden. Am 11. März 2004 fand eine öffentliche Anhörung mit eingeladenen Experten statt. Am 10. Juni 2004 wurden die Finanzbeziehungen in einer nicht öffentlichen Klausurtagung der Kommission verhandelt. Auf der elften und letzten Sitzung der Kommission am 17. Dezember 2004 sollte ein gemeinsamer Reformentwurf präsentiert werden.

Der Bund konzentrierte sich in seinem ersten Positionspapier am 9. April 2003 auf die Gemeinschaftsaufgaben. Danach sollte der Hochschulbau auf die Länder zurückübertragen, die Bildungsplanung als gemeinsame Aufgabe fortgeführt, die Forschungsförderung zwischen Bund und Ländern aufgeteilt und die Gemeinschaftsaufgaben "Regionale Wirtschaftsstruktur" und "Agrarstruktur und Küstenschutz" beibehalten werden.

Finanzhilfen nach Art. 104 Abs. 4 GG sollten nach Meinung des Bundes evaluiert und nur noch befristet gewährt werden, die Wohnungsbauförderung sowie die Förderung der Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden vollständig auf die Länder übertragen werden.

Das erste Positionspapier der Ministerpräsidenten vom 6. Mai 2004 befasste sich mit der Steuergesetzgebung und den Mischfinanzierungen. Eine Verlagerung von Steuergesetzgebungskompetenzen auf die Länder wurde explizit abgelehnt, weil die Ministerpräsidenten die Unterschiede in den wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen zwischen den Ländern im Bezug auf Wirtschafts- und Steuerkraft als zu groß ansahen, um einen fairen Wettbewerb über die Steuereinnahmen gewährleistet zu sehen. Bei den Gemeinschaftsaufgaben wollten die Ministerpräsidenten die Forschungsförderung erhalten, den Küstenschutz ebenfalls gemeinsam fortführen und um den Hochwasserschutz erweitern, die Bildungsplanung als Gemeinschaftsaufgabe abschaffen und die "Förderung derregionalen Wirtschaftsstruktur", "Agrarstruktur und Küstenschutz", den "Hochschulbau" sowie der Finanzhilfen bis zur grundlegenden Neuregelung des Länderfinanzausgleichs und des Solidarpaktes II im Jahr 2019 beibehalten. Außerdem sollte über ein spezifisches Instrument in Anlehnung an den Art. 104 a Abs. 4 GG eine bedarfsorientierte Bundesfinanzierung auch in der Zukunft ermöglicht werden.

Im Laufe der Verhandlungen rückte das Problem der Bundesgesetzgebung mit erheblichen Kostenfolgen für die Länder auf die Agenda der Kommission. Der Bund bot den Ländern im November an, die Gesetzgebungskompetenz für die ihnen allein zustehenden Steuern zu erhalten und die Ertragskompetenz zwischen Versicherung- und Kraftfahrzeugsteuer zu tauschen. Um einen gleichmäßigen und effizienten Steuervollzug zu gewährleisten, sollte außerdem die Verwaltung der Gemeinschaftssteuern auf Bundesebene zentralisiert werden.

Die Ministerpräsidenten lehnten bereits im September eigene Steuerkompetenzen sowie die Entflechtung der Gemeinschaftsaufgaben nach dem Vorschlag des Bundes ab. Der Tausch von Versicherung- und Kfz-Steuer sollte zunächst von den Finanzministern der Länder überprüft werden. Für die Gemeinschaftsaufgaben, die auf die Länder rückübertragen werden sollten, sollte der Bund Pauschalzuweisungen entsprechend dem Durchschnitt der 1996 - 2000 zugeflossenen Bundesmittel bis 2019 gewähren. Bundesgesetze mit Kostenfolgen sollten nach Meinung der Länder im Bundesrat zustimmungspflichtig werden.

In einem letzten gemeinsamen Vorentwurf legten die beiden Vorsitzenden am 13. Dezember 2004 dann folgende Änderungen für den Bereich der Finanzverfassung vor: Die Länder sollten in Zukunft den Steuersatz der Grunderwerbsteuer selbst bestimmen, der Ertrag der Versicherungsteuer sollte mit dem der Kraftfahrzeugsteuer zwischen Bund und Ländern getauscht werden, die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau sollte als solche abgeschafft und an die Länder zurückübertragen werden und das Bundesfinanzministerium einen stärkeren Einfluss auf die Finanzverwaltung erhalten. Die Gemeinschaftsaufgaben zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftstruktur, der Agrarstruktur und des Küstenschutzes sollten erhalten bleiben. Gesetze mit "erheblichen Kostenfolgen" für die Länder sollten im Bundesrat zustimmungspflichtig sein. Schließlich gab es zwar keine Einigung über die Anteile von Bund und Ländern an der maximalen Verschuldungsgrenze gemäß Maastricht-Vertrag, wohl aber über die Aufteilung von Strafzahlungen im Verhältnis 65 : 35 auf die beiden Ebenen.

Beurteilung der Verhandlungsergebnisse aus normativer Sicht

Die Föderalismuskommission ist auf dem Gebiet der Finanzverfassung weit hinter den von der Wissenschaft geforderten Anforderungen zurückgeblieben und hat auch die Themen, welche von einem der beiden Verhandlungspartner gesperrt wurden, unverändert gelassen. Im Einzelnen lassen sich mehrere Einwände erheben.

Konnexitätsprinzip: Grundsätzlich ist die in Deutschland geltende Regelung der Ausgabenverantwortung solange sinnvoll und auch begrenzt effizient, wie sich die gesetzgebende Körperschaft nicht in die Art und Weise des Vollzugs einmischt. Zudem benötigen die vollziehenden Ebenen hinreichende eigene Einnahmenkompetenzen, um die Kostenfolgen von Bundesgesetzen aufzufangen; alternativ sind auch intelligente "Kostenerstattungsregeln" denkbar. Wenn jedoch detaillierte Vollzugsvorschriften ohne Kostenregelung festgelegt werden, tendiert der Exekutivföderalismus zu Zentralisierung, Übersteuerung und Ineffizienz. Die Lösung der Föderalismuskommission, die Zustimmungserfordernis des Bundesrates an das Überschreiten einer Kostenschwelle zu binden, ist vor diesem Hintergrund zwar alles andere als optimal. Sie stellt einen materiell schwachen Kompromiss dar, der allerdings im Kontext mit der ebenfalls geplanten Dezentralisierung von Kompetenzen und der Einführung der Zugriffsgesetzgebung zu sehen ist, bei der zumindest einzelne Länder in vielen Bereichen vom Bundesrecht abweichende Vollzugsregeln hätten implementieren können. Insoweit ist es auch aus der Perspektive der Finanzverfassung bedauerlich, dass die Neuregelung der Gesetzgebungszuständigkeiten mit den neuen Formen abweichender Länderregelungen gescheitert ist.

Gemeinschaftsaufgaben: Das Ergebnis, lediglich die Gemeinschaftsaufgabe "Hochschulbau" in die Kompetenz der Länder zurückzuüberführen, ist enttäuschend. Zwar gab es hier in den letzten Jahren die größten Konflikte bezüglich der Einigung über das erforderliche Finanzvolumen. Indes bestand auch bei den anderen Gemeinschaftsaufgaben Handlungsbedarf, zumal bei der regionalen Wirtschaftsförderung und indirekt auch bei Agrarstruktur und Küstenschutz über europarechtliche Vorgaben der nationale Entscheidungsspielraum längst verengt worden ist. Offensichtlich wurde in der Kommission keine Einigung für eine finanzielle Kompensation gefunden, bei der der Bund im Laufe der Jahre entlastet worden wäre und die derzeit begünstigten finanzschwachen Länder in einem längerem Zeitraum diese Ressourcen mit höherer, wenn nicht gar vollständiger Verwendungsfreiheit erhalten hätten.

Finanzhilfen: Der Vorschlag der Kommission zu den Finanzhilfen war innovativ und gut. Die vorgeschlagene Dezentralisierung der Wohnungsbauförderung und der Gemeindeverkehrsfinanzierung hätte Bund und Ländern Handlungsspielräume eröffnet, da diese Fördermaßnahmen keinen bundeseinheitlichen Handlungsbedarf mehr erkennen lassen und auf Länderebene eine an regionalen Prioritäten ausgerichtete Ressourcenverwendung behindern. Bei der Förderung des Sozialen Wohnungsbaus hätten Bund und Länder sich die Rückflüsse aus den Wohnungsbaudarlehen zur Sanierung ihrer Haushalte aneignen können, statt sie in eine Subventionierung des Wohnungsbau investieren zu müssen, die ökonomisch absurde Züge trägt.

Die Klausel, nach der Finanzhilfen in Zukunft nur noch für Aufgabenbereiche hätten gewährt werden dürfen, welche nicht ausschließlich Ländersache sind, schützt im Übrigen die föderale Kompetenzordnung davor, dass sich der Bund neue Kompetenzen de facto "kaufen" kann. Denn es darf nicht vergessen werden, dass die Mischfinanzierungen in den fünfziger und sechziger Jahren aus der Verwendung von Überschüssen des Bundes in diesem damals von der Verfassung nicht gedeckten Bereich entstanden waren. Zeitliche Limitierung und Evaluierung der Programme sind außerdem lange geforderte Qualitätssicherungsmaßnahmen interföderaler Finanzierungen.

Besteuerungskompetenzen: Dass das Thema Steuerautonomie für die Länder von den Reformverhandlungen gleich zu Anfang ausgeschlossen worden war, ist die wohl gravierendste Lücke. Dass am Ende doch ein Selbstbestimmungsrecht der Länder für den Steuersatz bei der Grunderwerbsteuer vereinbart wurde, stellt zwar den Zustand von vor 1983 wieder her, hätte aber nur kosmetische Wirkungen erzielt und keinesfalls regionale Steuerpreise für eine rationalere Mittelallokation etabliert.

Hier muss allerdings auch beachtet werden, dass nur solche Vorschläge überhaupt in der Debatte waren, die für einen fairen Steuerwettbewerb der Länder völlig ungeeignet sind. Die so genannten Ländersteuern sind fiskalisch relativ unergiebig (insgesamt zwölf Prozent der Ländersteuereinnahmen); eine Autonomie bei ihnen hätte eine andere Form des vertikalen Ungleichgewichts bewirkt, wie sie zum Beispiel auch in Australien kritisiert wird, und eine stark unterschiedliche Finanzkraftbasis an die verschiedenen Länder zugeteilt. Autonomie für die Länder muss wegen deren Ergiebigkeit immer bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer ansetzen. Die diesbezüglichen Zuschlagsmodelle, die schon im Kontext der Gemeindefinanzreform debattiert worden sind, schaffen allerdings extrem ungleiche Besteuerungsbasen zwischen den Ländern. Modelle, die diese Mängel nicht aufweisen, kamen gar nicht zur Verhandlung.

Auch ist der ausgehandelte Ertragstausch von zwei Steuerquellen unter den Gesichtspunkten einer sachlich adäquaten föderativen Steuerverteilung kritisch zu beurteilen: So ist die Kraftfahrzeugsteuer im Gegensatz zur Versicherungsteuer örtlich variabel und fließt den Ländern nach dem örtlichen Aufkommen zu, während die Versicherungsteuer am jeweiligen Sitz der Versicherung erhoben wird und damit nur schwer nach ihrem tatsächlichen Aufkommen verteilt werden kann. Verteilungsschlüssel können nur nach steuerfremden Gesichtspunkten vereinbart werden. Die Länder hätten dann ähnliche Probleme wie die Gemeinden beim kommunalen Umsatzsteueranteil. Die Idee regionaler Steuerpreise, welche die Voraussetzung für eine präferenzgerechte Ressourcenverwendung durch demokratische Wahlen darstellen, wäre weiter weg gewesen als zuvor.

Gemeindefinanzreform: Zu einer Reform der Finanzverfassung gehören auch die die Gemeinden und Gemeindeverbände betreffenden im 10.Abschnitt verankerten Vorschriften des Grundgesetzes. Schon 2003 sollte eine Reform der Kommunalfinanzen diesen Gebietskörperschaften eine verlässlichere Finanzbasis sichern. Die Verhandlungen scheiterten allerdings im Vermittlungsausschuss. Zwar waren die kommunalen Spitzenverbände mit beratender Stimme an den Verhandlungen der Föderalismuskommission vertreten, die für sie so essentiellen finanzpolitischen Handlungskompetenzen wurden aber nicht mehr thematisiert. Dabei hätte die Sicherung der kommunalen Finanzautonomie ein zentrales Anliegen der Länder sein müssen, weil von ihr die nationale und internationale Wettbewerbsfähigkeit ihrer Standorte bestimmt wird. An den Einnahmenverlusten der Länder infolge der Steuerreformen des Bundes waren die Gemeinden regelmäßig über Mindereinnahmen direkt und über den Steuerverbund zusätzlich indirekt negativ betroffen. Insoweit ist das Ausklammern dieses Themas unverständlich.

Länderfinanzausgleich: Dass auch der Länderfinanzausgleich aus den Verhandlungen ausgeklammert wurde, ist zwar nachvollziehbar, muss aber als "Geburtsfehler" der Kommissionsarbeit eingestuft werden. Denn der Länderfinanzausgleich einschließlich der verschiedenen Bundesergänzungszuweisungen hätte das "Schmiermittel" einer Reform darstellen können, mit dem scheinbare Verlierer von insgesamt wohlfahrtssteigernden Reformen der föderalen Verfassung hätten "herausgekauft" werden können. Vor diesem Hintergrund hat das Bundesverfassungsgericht der Kommission mit seinem Urteil vom 11. November 1999 einen "Bärendienst" erwiesen, da die dadurch vor Ende 2004 notwendig gewordene Reform des Länderfinanzausgleichs jegliche gestaltende Verhandlungsbereitschaft zunichte gemacht hat.

Versäumt wurde auch, mögliche neue Ziele eines Länderfinanzausgleichs zu verhandeln. Mit der Einführung von weiter gehender Steuerautonomie wäre dies unabdingbar gewesen. Aber auch das Verhältnis von horizontalen und vertikalen Transferzahlungen hätte man thematisieren können, z.B. in welchem Maße Bundesergänzungszuweisungen zum Ausgleich steuerreforminduzierter Steuerkraftunterschiede oder zum Ausgleich regional unterschiedlich in Anspruch genommener Steuervergünstigungen anstelle der horizontalen Ausgleichzahlungen eingesetzt werden könnten. Selbst bei einer konservativen Auslegung des bestehenden Länderfinanzausgleichs hätte eine Vielzahl von Reformansätzen verhandelt werden können, alle mit dem Ziel, die Anreizstrukturen dieses als "Umverteilungsinstrument" missbrauchten, politisch so wichtigen interföderalen Konsensbildungsmediums nachhaltig zu verbessern. Stattdessen findet fast im Nachgang zur Föderalismuskommission eine Debatte statt, inwieweit die neuen Länder die ihnen in Form von Bundesergänzungszuweisungen gewährten Solidarpaktmittel fehlverwenden würden. Dies indiziert aber erst recht, dass der Reformbedarf im Länderfinanzausgleich nicht erst 2019 wirkmächtig werden darf.

Nationaler Stabilitätspakt: Der nationale Stabilitätspakt muss in der Folge des Maastricht-Vertrages Regeln für die Aufteilung des gesamtstaatlichen Defizits auf die Gebietskörperschaften und der bei Überschreitung ggf. fällig werdenden Strafzahlungen festlegen. Es lagen Vorschläge vor, als Maßstab den Anteil an den Staatsschulden oder an den Gesamtausgaben heranzuziehen.

Diese Vorschläge übersehen indes, dass die asymmetrische Verteilung finanzpolitischer Kompetenzen, insbesondere der Besteuerungskompetenzen bei Bund, Ländern und Gemeinden, völlig unterschiedliche Bestimmungsgründe der Verschuldung generiert: Der Bund kann einen negativen Finanzierungssaldo autonom über eine Erhöhung der ihm zustehenden Steuern schließen, bedingt können dies die Gemeinden über eine Anhebung der Hebesätze. Den Ländern ist diese Möglichkeit jedoch verschlossen; qua Genehmigungsvorbehalt für die kommunalen Haushalte und Steuerverbund sind sie aber bis zu einem gewissen Grad für deren Verschuldung mitverantwortlich.

Vor diesem Hintergrund muss eine alleinige Festlegung der Strafanteile für Bund und Länder im Verhältnis 65 : 35 als nachgerade aberwitzig anmuten. Versäumt wurde eine Veränderung des Art. 115 GG in Richtung auf eine gesamtnationale Verschuldungsgrenze, welche nicht nur die längerfristige Einhaltung der statischen, ökonomisch unintelligenten, aber europarechtlich verbindlichen Drei-Prozent-Grenze sichert, sondern auch die neueren Erkenntnisse der Finanzwissenschaft zur nachhaltigen Haushaltsgestaltung berücksichtigt, wonach keine Lasten mehr auf zukünftige Generationen verschoben werden dürfen. Dieses Kriterium, welches das gleiche Ziel wie der Stabilitätspakt verfolgt, aber auf den Gestaltungsformen realer Lastverschiebungen und ihrer Eigendynamik beruht, muss den Kern der vertikalen und horizontalen Aufteilung der jährlichen Höchstverschuldungskontingente und der bei Überschreitung fällig werdenden Strafzahlungen ausmachen.

Normative Gesamtbeurteilung: In einer Gesamtschau der Verhandlungsergebnisse der Kommission muss das Urteil allerdings noch vernichtender ausfallen als in der Summe der Kritik an den einzelnen Punkten: Denn mit Ausnahme der Einführung einer Zugriffsgesetzgebung und der Neuordnung des Zustimmungserfordernisses des Bundesrates, also von Verhandlungspunkten, die der Finanzverfassung nicht direkt zuzurechnen sind, deren innere Rationalität aber erheblich beeinflussen, müssen die Ergebnisse nicht nur als geringfügig eingestuft werden, sondern auch als möglicherweise "verschlimmbessernd". Denn sie verschleiern die interföderale Verantwortung der einzelnen Gebietskörperschaften weiter, indem zum Beispiel bei der Versicherungsteuer auf Länderebene erstmals ein künstlicher Verteilungsschlüssel für eine Ländersteuer zum Zuge käme. Selbst die Etablierung eines Finanz-Controllings in der Länderfinanzverwaltung seitens des Bundes bedeutet mehr Kontrollaufwand statt mehr zielkonforme Selbststeuerung durch eine entsprechende Gestaltung des Gesamtsystems.

An keiner Stelle der Ergebnisse sind Anreize zu einer besseren, zukunfts- und wettbewerbsfähigeren Gestaltung der öffentlichen Haushalte festzustellen. Auch wurden die Auswirkungen der verschiedenen Änderungen auf die Zahlungsströme im Länderfinanzausgleich außer Acht gelassen. Ob aus der Verkettung der verschiedenen einzelnen Gestaltungselemente über den Länderfinanzausgleich nicht weiterer Reformbedarf resultiert, wenn zum Beispiel einzelne Länder in den nächsten Jahren einnahmenseitig und aufgrund von Entwicklungen, welche sie nicht zu vertreten haben, aus dem finanziellen Korridor herausfallen, ohne bundesrechtlich veranlasste Ausgaben kürzen zu können, bleibt ohne Beachtung, obwohl hierdurch der Prozess der politischen Willensbildung im Bundesrat empfindlich beeinflusst werden wird.

Eine Chance für einen Neustart?

Entgegen der Auffassung aller Experten, nach denen eine umfassende Reform der föderalen Verfassung und der Finanzverfassung eine win-win-Situation darstellt, ist bei den Verhandlungen der Föderalismuskommission wenig von den hierbei instrumentierbaren Gestaltungsebenen feststellbar. Denn weder finden sich explizite und zeitlich limitierte Kompensationsleistungen an mögliche Verlierer von Maßnahmen in den Vorschlägen, noch der Entwurf eines strategischen Verhandlungskonzepts, innerhalb dessen man "Verluste" in einem Gestaltungsbereich gegen "Gewinne" in einem anderen hätte tauschen können. So wurden die Verhandlungen - so der Eindruck der erzielten Kompromisse - Punkt für Punkt geführt und immer wieder von Forderungen gefährdet, die für die Gesamtheit des Bundes und der Länder unannehmbar waren, wie zum Beispiel das Ansinnen der neuen Länder, die Sonderleistungen an sie auf Verfassungsebene zu verankern.

Im Grunde fanden die Verhandlungen, wenn man sie im Nachhinein betrachtet, unter dem viel zitierten "Schleier der Unwissenheit" statt, allerdings in einem völlig anderen Sinne, als dies von seinen Protagonisten beabsichtigt war. Es fand nämlich keine Verständigung auf gemeinsame und bindende Grundregeln ohne Kenntnis der Verteilungsergebnisse statt, vielmehr wurde all das, was im Hinblick auf die finanziellen Auswirkungen nicht konkret rechenbar war, ex ante ausgeblendet. So stellte das Thema Steuerautonomie von Anfang an "vermintes Gelände [dar], dessen Betreten etliche Länder vor einer Mitwirkung an der Föderalismusreform zurückschrecken ließ[e], teilweise sogar schon Gespräche darüber" unterbunden hätte. Damit ist aber bei vielen Ländern der "Schleier der Unwissenheit" bezüglich der Chancen nachweisbar, die in alternativen Konzeptionen liegen. Die scheinbare Rechenbarkeit des Länderfinanzausgleichs und damit auch das Beharren auf ihm vertieft die institutionelle Blindheit der politischen Akteure.

Unter den beteiligten Akteuren verfügt indes zweifelsfrei die Bundesregierung über die zentrale Stellung im bundesstaatlichen Kompetenzgefüge; sie hat auch von der langjährigen, fortschreitenden Zentralisierung der Gesetzgebungskompetenzen am meisten profitiert. Die andauernde Finanzkrise der letzten Jahre hat aber aus dem Bund einen "überlasteten Monopolisten" gemacht, der die Verantwortung, die er im Laufe der Jahre an sich gezogen hat, nicht mehr finanzieren kann. Der Bund hat auch nicht mehr die finanziellen Mittel, mit denen er in der Vergangenheit Konsens "erkauft" hat.

Es werden also neue Konzepte gefordert. Hierzu gehören ein zielführendes Leitbild für eine Reform der Finanzverfassung und die Festlegungen von "Tauschwährungen", unter denen mögliche konkrete Reformvorschläge verhandelt werden könnten. Diese dürfen dann nicht bereichsweise, sondern müssen "quer" zu den Gestaltungsbereichen verhandelt werden. Eine Redezentralisierung von Gemeinschaftaufgaben kann nämlich sowohl mit Kompensationszahlungen auf Zeit verbunden werden als auch mit der Zuweisung von speziellen Steuererträgen oder einer gezielten Veränderung des Finanzausgleichs. Einführung von Steuerautonomie impliziert sogar die Einführung einer expliziten Versicherungsfunktion in den Tarif des Länderfinanzausgleichs.

Zwar kann der "Schleier der Unwissenheit" nicht völlig von der Materie gezogen werden, weil niemand seriös prognostizieren kann, welche Entwicklungen eine Reform der Finanzverfassung nach sich ziehen wird. Über vertrauensbildende Maßnahmen und eine bessere, verlässliche Informationsbasis können aber die notwendigen Veränderungen erneut verhandelt werden. Hier könnte man die Beteiligten im Rahmen eines Workshops einmal einladen, das Ganze als Planspiel durchzuexerzieren. Es geht um viel, nicht nur um die Finanzen eines einzelnen Landes oder des Bundes. Gelingt nämlich die Wiedereröffnung der Reform der Finanzverfassung nicht, steht zu befürchten, dass alle anderen bisher unternommenen Reformen ihre intendierten Wirkungen nicht entfalten können, weil sie durch den zunehmend desolaten Zustand der öffentlichen Finanzen konterkariert werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. BT-Drucksache 15/1685 vom 16. 10. 2003; BR-Drucksache 750/03 vom 17. 10. 2003 (Beschluss).

  2. Lediglich für die Forschungsförderung des Art 91b GG wird die Stärkung der inzwischen qualitätsgeprüften Unabhängigkeit der Forschung als Argument für die Beibehaltung der gemeinsamen Aufgaben- und Finanzierungsverantwortung angeführt.

  3. Vgl. die Tagesordnungen der Kommission (KoMbO) unter: (http://www.bundesrat.de).

  4. Vgl. Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung, Position des Bundes unter: (http://www. bundesregierung.de).

  5. Vgl. KoMbO, Kommissionsdrucksache 0045.

  6. Vgl. den Bericht des Vorsitzenden Franz Müntefering, in: KoMbO, Stenografischer Bericht, 8. Sitzung, S. 163.

  7. Vgl. Regierungspressekonferenz vom 10. November 2004 unter: (http://www.bundesregierung.de).

  8. Vgl. KoMbO, Kommissionsdrucksache 0074.

  9. Vgl. Die Länder sollen künftig über den Ladenschluss bestimmen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14. 12. 2004, S. 11.

  10. Vgl. z.B. Bertelsmann Stiftung, Reform der Gemeindefinanzen - Ein Vorschlag der Bertelsmann Stiftung, Gütersloh 2003.

  11. Ferdinand Kirchhof, Dem deutschen Föderalismus auf die Beine helfen, in: Der Landkreis, 74 (2004) 5, S. 364.

Dr. rer. pol., geb. 1955; Inhaberin des Lehrstuhls für Wirtschaftliche Staatswissenschaften an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften (DHV). Postfach 1409, 67324 Speyer.
E-Mail: E-Mail Link: faerber@dhv-speyer.de

Dr. rer. pol., geb. 1971; Sektionsreferent am Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung (FÖV) bei der DHV. Postfach 1409, 67324 Speyer.
E-Mail: E-Mail Link: otter@foev-speyer.de