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Ein Weltbürger, der keinem Fürsten dient | Schiller | bpb.de

Schiller Editorial Friedrich Schiller Die Aktualität eines Idealisten Ein Weltbürger, der keinem Fürsten dient Friedrich Schiller in Deutschland und Europa Mein Schiller-Jahr 1955

Ein Weltbürger, der keinem Fürsten dient

Marie Haller-Nevermann

/ 22 Minuten zu lesen

Als Weltbürger, der sich keinem Fürsten angedient hat, kann Schiller als emphatischer Anwalt der res publica, als Klassiker der Moderne gelten.

Einleitung

So unterschiedlich die Sicht auf Friedrich Schiller in den neueren Biographien auch ausfällt, so zeigen sie doch, dass das zum Mythos erstarrte Bild eines weltfremden Idealisten differenziert und korrigiert werden muss. Schiller ist nicht nur der klassische Nationaldichter, er wird auch als großer Menschenkenner und als scharfsinniger Psychologe gesehen und - nicht zuletzt - als hoch politischerAutor. Überblickt man das dramatische Werk und die historischen Schriften, fällt rasch auf, dass der deutscheste aller deutschen Dichter am allerwenigsten nationale Stoffe behandelt, sondern - als europäisch denkender Autor - seine Themen und Figuren in der Geschichte der anderen europäischen Länder findet. Dies lässt sich zwar auch mit einem Ausweichen vor den Zwängen der für Schiller bedrohlichen, stets präsenten Zensur erklären, aber es zeigt sich darin vor allem die europäische Dimension seines Denkens, welche die nationale Enge der Kleinstaaterei im Deutschland seiner Zeit überwindet.

1782 flieht Schiller aus Württemberg und spricht fortan von seinem "Dichterberuf" - einen Begriff wählend, der vor ihm nicht existierte. Den steinigen Weg vom Selbstverleger zum freien Schriftsteller geht er kompromisslos. Nichts kann ihn von diesem Ziel abhalten, weder der frühe Erfolg der Mannheimer "Räuber"-Inszenierung und der dadurch auf ihm lastende politische Druck noch gesundheitliche Krisen oder Enttäuschungen wie der Verzicht des Intendanten des Mannheimer Nationaltheaters, Wolfgang Heribert Freiherr von Dalberg, auf eine weitere Zusammenarbeit und das daraus folgende Ende seiner Tätigkeit als Mannheimer Theaterdichter. In denkwürdigen Sätzen resümiert er in der "Ankündigung der Rheinischen Thalia" vom 11. November 1784: "Ich schreibe als Weltbürger, der keinem Fürsten dient. Früh verlor ich mein Vaterland, um es gegen die große Welt einzutauschen (...). Die Räuber kosteten mir Familie und Vaterland (...). Das Publikum ist mir jetzt alles, mein Studium, mein Souverain, mein Vertrauter."

Schiller wiederholt sein politisches Bekenntnis in der Audienzszene des 1787 uraufgeführten "Don Karlos". Zweimal weist Marquis Posa das Angebot König Philipps, in freier Wahl einen Posten am Hofe zu wählen, zurück: "Ich kann nicht Fürstendiener sein." Posa lässt sich durch die Gunstbezeugung des Königs nicht kompromittieren, lehnt einen Kompromiss mit dem Despoten ab. Und dann erhebt er die kühne, ja halsbrecherische Forderung: "Gehen Sie Europens Königen voran. / Ein Federzug von dieser Hand, und neu / Erschaffen wird die Erde. Geben Sie / Gedankenfreiheit." (III. Akt/ 10. Szene) Das Verlangen nach "Gedankenfreiheit" wird nunmehr als öffentliche Forderung erhoben - Schiller schreibt für die großen Ideen der europäischen Aufklärung und wendet sich gegen Zensur und Despotismus im eigenen Land. Schon der Autor der "Räuber" hat aus seiner republikanischen Gesinnung, seiner rebellischen, antiabsolutistischen Einstellung keinen Hehl gemacht und seinen Humanitätsanspruch bis zum letzten Stück, "Wilhelm Tell", beibehalten. Stauffachers Rede formuliert noch einmal das große Freiheitsideal: "Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht." (II/2)

Europäische Aufklärung

Der Freiheitsanspruch bezieht sich nicht allein auf deutsche Fürstentümer oder Kleinstaaten, Freiheit wird in einer europäischen Dimension verstanden. So wie Schiller die Themen für seine Freiheitsdramen in der italienischen ("Die Verschwörung des Fiesko zu Genua"; "Die Braut von Messina"), spanischen ("Don Karlos"), englischen ("Maria Stuart"), französischen ("Die Jungfrau von Orleans"), russischen ("Demetrius"-Fragment) und schweizerischen Geschichte ("Wilhelm Tell") fand (die "Wallenstein"-Trilogie mit dem historischen Hintergrund des Dreißigjährigen Krieges soll gesondert betrachtet werden), kaum aber in der deutschen ("Die Räuber"; "Kabale und Liebe"), so verweisen auch die historischen Schriften auf die Geschichte nicht der deutschen, sondern der europäischen Staaten. Das für Schiller zentrale Konzept einer ästhetischen Erziehung definiert sich als Teil des europaweiten Aufklärungsdenkens und seiner Eruption in der Französischen Revolution. Nicht absolutistische Machtgier der deutschen Fürsten und ihre Politik der Kleinstaaterei, nicht der Traum von einem geeinigten Deutschland als Kulturnation stehen im Zentrum von Schillers Denken, sondern die Auseinandersetzung mit der Vielfalt an Erfahrungen mit Freiheit und Unfreiheit, mit Widerstand und Despotismus, mit Inquisition und Aufklärung in ganz Europa.

Ein drastisches Beispiel für das Motiv der Tyrannenkritik ist das frühe Gedicht "Die schlimmen Monarchen" aus dem Jahr 1782, das die vielfältigen Ausprägungen des Despotismus, vor allem Verschwendungssucht, Willkür und Unterdrückung, geißelt und auf die mangelnde Kontrolle absolutistischer Machtausübung abzielt. Ein Beispiel euphorisch gestalteter Freiheitsthematik ist das "Reiterlied" aus "Wallensteins Lager": "Wohl auf, Kameraden, auf's Pferd, auf's Pferd / Ins Feld, in die Freiheit gezogen." (I/11)

In der Einleitung zur 1788 publizierten historischen Abhandlung "Geschichte des Abfalls der Vereinigten Niederlande von der Spanischen Regierung" weist Schiller darauf hin, "daß gegen die trotzigen Anmaßungen der Fürstengewalt endlich noch eine Hülfe vorhanden ist, daß ihre berechnetsten Plane an der menschlichen Freiheit zu Schanden werden, daß ein herzhafter Widerstand auch den gestreckten Arm eines Despoten beugen, heldenmütige Beharrung seine schrecklichen Hülfsquellen endlich erschöpfen kann". So wie er die Großmachtansprüche des spanischen Königs Philipp II. analysiert, dessen "gefürchtete Übermacht ganz Europa zu verschlingen droht", so erkennt Schiller im Gegenzug die Freiheitsideen der europäischen Aufklärung als einzig mögliche Gegenbewegung gegen die "schwere Zuchtrute des Despotismus". Die Analyse der "Gründung der niederländischen Freiheit" im 16. Jahrhundert, als "die Niederländer ihrem spanischen Tyrannen die Spitze" geboten haben, ist für den Dichter des "Don Karlos" von Gewicht, weil sie ein Licht wirft auf die eigene Zeitgeschichte und die Epoche der Aufklärung und mit ihr auf die uneingelösten Freiheitsideale. Sie werden als "die neue Wahrheit, deren erfreuender Morgen jetzt über Europa hereinbricht", gedeutet. Mit "Don Karlos" will Schiller es sich aller Bedrohung durch die Zensur zum Trotz "zur Pflicht machen, in Darstellung der Inquisition, die prostituierte Menschheit zu rächen, und ihre Schandflecken fürchterlich an den Pranger zu stellen. Ich will - und sollte mein Karlos dadurch auch für das Theater verloren gehen - einer Menschenart, welche der Dolch der Tragödie biß jetzt nur gestreift hat, auf die Seele stoßen." Die verweigerte "Gedankenfreiheit", die Machtbasis des spanischen Tyrannen, wird als das stärkste Hindernis erkannt für den Fortschritt von Vernunft und Erkenntnis. "Die Freiheit blieb das Grundmotiv seines Denkens und Dichtens", so Thomas Mann 1955 in seinem "Versuch über Schiller".

Schiller und seine Zeit

Betrachtet man Schillers Lebensweg vor der Folie der historischen Entwicklung, sieht ihn mithin als Zeitgenossen, so wird eine besondere, sein politisches Bewusstsein nachhaltig prägende Konstellation deutlich. In seine Schulzeit fiel die Phase der demokratischen Revolution in Nordamerika, in der deutschen Geistesgeschichte und in den Naturwissenschaften vollzog das Bürgertum zwischen 1770 und 1830 seinen Aufbruch, geprägt durch die Hochzeit der deutschen Aufklärung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Mit der Überwindung des einseitigen Rationalismus der Aufklärung in der Literatur, der Pädagogik, auf der politischen Bühne und in religiösen Auseinandersetzungen wurde eine neue Lebens- und Weltsicht entwickelt, die in der Philosophiegeschichte als Epoche des deutschen Idealismus und in der Literaturgeschichte als Sturm und Drang, Weimarer Klassik und Romantik bezeichnet werden.

In seinem 30. Lebensjahr wurde Schiller Zeuge der Französischen Revolution. Die kritische Analyse dieser ersten bürgerlichen Erhebung in der Geschichte hat sein Leben grundlegend bestimmt. Zentrale Themen der Dichtung wie der historischen und philosophischen Abhandlungen waren fortan die Freiheits- und Menschenrechte, die Kritik an absolutistischer Willkür ("Die Räuber", "Don Karlos", "Wilhelm Tell") und an der Ständegesellschaft ("Kabale und Liebe"), die Entstehung einer bürgerlichen Nation ("Geschichte des Abfalls der Vereinigten Niederlande") und die Entwicklung der Französischen Revolution ("Über die ästhetische Erziehung des Menschen", "Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs", "Wallenstein"). Auch die Rolle der Frau, ihre Position in der Stände- bzw. der bürgerlichen Gesellschaft, wird reflektiert, wobei die großen Frauenfiguren oftmals dem widersprechen, was Schiller in Lyrik und Prosa über Tugend und Würde der Frauen formuliert hat. In der Jungfrau von Orleans, in Elisabeth ("Maria Stuart"), der Gräfin Terzky ("Wallenstein"), in Marina ("Demetrius") und Hedwig (Tells Gattin, Fürsts Tochter) gestaltete er Frauen, die sich durch Stärke, Autonomie, Ehrgeiz, Mut, ja Verwegenheit auszeichnen.

Sein umfangreiches, den damaligen Kenntnisstand repräsentierendes Wissen erwarb sich Schiller Zeit seines Lebens durch gezielte Lektüre, durch Quellenstudium und durch Gespräche. Er ist wenig gereist, er lernte Deutschland nur zum Teil kennen, die anderen europäischen Länder gar nicht, nicht einmal die Schweiz seines Wilhelm Tell und erst recht nicht Italien oder gar Griechenland. Aus gesundheitlichen Gründen scheute er Hitze und Reisestrapazen. Doch das, was ihm eine begrenzte Anschauung bot, ergriff er so intensiv, dass es ihm gelang, auch das in seinen Erfahrungshorizont zu integrieren, was er sich durch Studium und fremde Schilderung angeeignet hat. Ein großes Potenzial an gedanklich strukturierter Phantasie und ein hervorragendes Gedächtnis sind hierfür die wesentlichen Voraussetzungen.

In seinem eigenen Leistungshorizont hat Schiller stets das Höchste von sich gefordert. "Dasjenige zu leisten und zu seyn, was ich nach dem mir gefallenen Maaß von Kräften leisten und seyn kann, ist mir die höchste und unerläßlichste aller Pflichten", schreibt er Ende 1791 an den dänischen Schriftsteller Jens Immanuel Baggesen. Er strebt das selbst gesetzte Ideal kompromisslos an - ein Grund dafür, dass sich "in seinen Werken so Weniges (findet), was man matt oder mittelmäßig nennen müßte"; es ist Schiller ganz unmöglich, "etwas Unklares oder Ungewisses in seinem Geiste zurückzulassen" (Wilhelm von Humboldt). Selten hat ein Dichter größere Forderungen an sich und seinen Stoff gestellt: "Umformend, wie er sich gegen die Welt verhält, verhält er sich gegen sich selber. (...) Dichtend tut er sich Gewalt, unterwirft sich dem Gesetz einer fordernden Auswahl. (...) Nur so war ihm das Dasein möglich."

Obwohl Schiller stets eine gewisse Distanz zur Tagespolitik hält, ist er doch ein sehr genauer Beobachter des Zeitgeschehens. Sein Interesse gilt der sozialen Ordnung, in der er lebt, er analysiert den Umgang mit politischer Macht, er reflektiert den kulturellen und sozialen Zustand seines Landes und vergleicht diesen mit der Entwicklung der anderen europäischen Nationen. Die großen Gestalten seiner Dramen "greifen mit den Machtverhältnissen zugleich Denkstrukturen an; die Geistigkeit der geschichtlichen Verläufe ist diesem Deuter der Geschichte eigen". Schon als Carlsschüler hat Schiller sein außerordentliches Interesse an historischen Themen bewiesen. Da er von hervorragenden Lehrern unterrichtet wird, erwirbt er sich in seiner Schulzeit ein breites Geschichtswissen. Vor allem aber bei den Recherchen für die Stücke liest Schiller die neue Literatur zur europäischen Geschichte. Im April 1786 schreibt er seinem Dresdener Freund Christian Gottfried Körner: "Ich wollte daß ich zehen Jahre hintereinander nichts als Geschichte studiert hätte. Ich glaube ich würde ein ganz anderer Kerl sein."

Der Brief dokumentiert eine Wende in Schillers Leben. 1786 ist das Jahr, in dem er sich für lange Zeit auf die Geschichtsschreibung zurückzieht - auf Kosten der Dichtung. Im Zeitalter der Französischen Revolution befasst sich der Historiker mit den großen politischen Brüchen und den gesellschaftlichen Umschichtungen der europäischen Staaten des 16. und 17. Jahrhunderts, in denen sich die Entwicklung zur Moderne ankündigte. Er beginnt die Arbeit an "Geschichte des Abfalls der Vereinigten Niederlande von der Spanischen Regierung", eine Analyse des Aufstandes der niederländischen Provinzen gegen die spanischen Besatzer. Der Aufstand wurde 1567 von den Truppen des Herzogs Alba blutig niedergeschlagen. Mit dieser Arbeit - sie erscheint 1788 bei Crusius in Leipzig - tritt Schiller zum ersten Mal als Historiker an die Öffentlichkeit. "Ich muß Ihnen gestehen, dass ich mich durch diesen Schritt dem neuen Fach der Geschichte, dem ich mich angefangen habe zu bestimmen, beim Publikum etwas gut ankündigen möchte", schreibt er seinem Verleger bei Erscheinen der Abhandlung im Oktober 1788. Der erwünschte Erfolg stellt sich ein und ist die Basis dafür, dass Schiller - vor allem durch die Vermittlung von Goethe - eine Professur für Geschichte an der Universität Jena erhält.

Am 26. Mai 1789 hält er im größten und völlig überfüllten Hörsaal der Universität seine Antrittsvorlesung: "Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte". Seine Vorstellungen kommen dem heutigen, fachübergreifenden Verständnis entgegen: "Eigentlich sollten Kirchengeschichte, Geschichte der Philosophie, Geschichte der Kunst, der Sitten, und Geschichte des Handels mit der politischen in Eins zusammen gefasst werden und dies erst kann Universalhistorie seyn." Mit aufklärerischem Optimismus zeichnet er Geschichte als zielgerichteten Prozess der Entfaltung des Menschen in all seinen Fähigkeiten. Dieser von einem hohen Bildungsanspruch geleitete Entwicklungsprozess soll vorrangig durch die Kunst befördert werden. Gefragt ist der "philosophische Geist", nicht der an Zweckdienlichkeit und Reputation orientierte "Brotgelehrte".

Krieg und Frieden in Europa

Angeregt durch seinen Verleger Georg Joachim Göschen beginnt Schiller schon 1789 mit der Arbeit an seiner zweiten großen historischen Abhandlung, der "Geschichte des Dreyßigjährigen Kriegs". Seine Leistung ist die in sich geschlossene, den Wissensstand systematisierende Darstellung der Ereignisse des großen Religionskrieges. In einer Mischung aus Fakten und Erzählhandlung stellt er den Verlauf der kriegerischen Handlungen vom Prager Fenstersturz am 23. Mai 1618 bis zum Westfälischen Frieden am 24. Oktober 1648 dar. Bei seinen Quellenstudien steht die Figur des friedländischen Feldherren Wallenstein im Mittelpunkt seines Interesses. In der Darstellung der konfessionellen Auseinandersetzungen, welche die dreißig Jahre währenden kriegerischen Konflikte auslösen, analysiert Schiller das Verhältnis zwischen Glaubenskonflikten und Politik: "Aus einer Rebellion in Böhmen und einem Exekutionszug gegen Rebellen ward ein deutscher und bald ein europäischer Krieg." Schiller richtet den "Blick auf Deutschland und das übrige Europa" und stellt fest, dass sich Europa in "diesem fürchterlichen Kriege (...) zum ersten Mal als eine zusammenhängende Staatengemeinschaft" erkannt hat. Sein Biograph Peter André Alt weist darauf hin, dass die in "Bücher" unterteilte Abhandlung in ihrer Fünfteiligkeit "die formale Ökonomie einer klassischen Tragödie" abbilde, der ein inhaltlicher Spannungsbogen entspreche mit dem einleitenden ersten Buch, "mit der Steigerung im zweiten, dem Höhepunkt im dritten und der durch den Friedensschluß bezeichneten Katharsis in letzten Buch".

Besonders in der Sicht auf den mächtigen Feldherrn Wallenstein zeigt sich der aufklärerische Charakter der Abhandlung. Schiller zeigt zum einen die politischen Konsequenzen hybriden Verhaltens, es ist eine Studie über den Umgang mit Macht und über Machtmissbrauch als Ursache des persönlichen Scheiterns in einer historischen Konstellation. Zum anderen zeigt die Schrift die Eigengesetzlichkeit des historischen Prozesses, an dem sich der individuelle Gestaltungswille bricht und der einer Vernunftorientierung und aufklärerischen Vorstellungen Grenzen setzt.

In seinem Opus magnum, dem "Wallenstein", mit dem Schiller zur Dichtung zurückkehrt, erfährt dieses Thema eine weitere Ausdifferenzierung. Eine wichtige (wenngleich nicht historische, sondern erfundene) Figur in diesem Zusammenhang ist Max Piccolomini. In ihm gestaltet Schiller die Vision einer neuen europäischen Friedensordnung. Sein Vater, der kaisertreue Octavio Piccolomini repräsentiert die alte Ordnung der kaiserlichen Tradition. Max Piccolomini gibt Schiller Wallensteins Tochter Thekla an die Seite; beide sind sich in Liebe verbunden. Sie unternehmen eine Reise durch die vom Krieg verwüsteten Länder. Ihr Entsetzen über den Zustand des geschundenen Landes führt sie dazu, von Wallenstein die Realisierung seiner Vision eines großen, die politischen und religiösen Fronten überwindenden, europäischen Friedens zu erhoffen.

Schiller zeigt in seinem weitgehend zwischen 1796 und 1798 entstandenen dreiteiligen Monumentaldrama Wallenstein als charismatischen Feldherrn und Zauderer, als kühlen Strategen und bedenkenlosen Machtmenschen, als grüblerischen Melancholiker, der bis an den Rand der Selbsttäuschung an die Sterne glaubt und bis zuletzt vor dem Verrat am Kaiser zurückschreckt, der ihm die böhmische Krone bringen soll und ihm statt dessen den Kopf kostet. Der historische Stoff ist für Schiller "Magazin für seine Phantasie", mit dem er frei umgeht. Wallenstein, "des Glückes abenteuerlicher Sohn", ist sein dunkelster Charakter und in seiner ganzen Ambivalenz eine sehr moderne Figur.

Trotz ihrer elf Aufzüge und siebeneinhalbtausend jambischen Verse lässt sich die Trilogie, für die Schiller die Nemesis als Titelvignette vorsah, als titanischer Einakter über die letzte Stunde des charismatischen Heerführers lesen. Der Friedländer fällt vom Kaiser ab und schlägt sich auf die Seite der Schweden. Ob der Heerführer jedoch nur scheinbar zum Feind überläuft oder ob umgekehrt seine Vision einer europäischen Friedensordnung nur ein propagandistisches Alibi ist für Ehr- und Rachsucht (so Schillers Resümee in der "Geschichte des Dreyßigjährigen Kriegs"), all dies bleibt für Wallenstein offen. Auch die ideelle Legitimität ist bereits in so hohem Maße fragwürdig geworden, dass sie den Verrat nicht rechtfertigen kann. Das Opfer ist Max Piccolomini, Schillers Identifikationsfigur, der an "der Väter Doppelschuld" zugrunde geht.

Wallensteins Glaube an die Gestaltungsmöglichkeit der Geschichte zerbricht. In inhaltlichem Bezug zu Theklas Klage über den Verlust der durch Max verkörperten Liebe ("Wallensteins Tod", IV/12) beklagt auch er in einem großen Erinnerungsmonolog (V/3) im Bewusstsein der Schuld den Verlust seiner Hoffnung und seiner Ideale. Angesichts des Todes von Max blickt Wallenstein noch einmal auf die Idee des Schönen zurück. Seine selbstkritischen Reflexionen erweisen sich indessen als so brüchig, dass das alte hybride Selbstbild schnell wieder die Oberhand gewinnt. Es wird endgültig zum Schweigen gebracht, als ihn die Schergen Buttlers - des Kaisers Befehl vollstreckend - ermorden.

Nationale Stoffe hat "dieser größte politische Aktivist der deutschen Literatur" kaum aufgegriffen. Nationale Zersplitterung und Kleinstaaterei verhindern jeden Patriotismus. Schiller wird zu einem Dramatiker der Weltgeschichte, der seinen in der Gegenwart oder in der Geschichte verankerten Gegenstand ins Überzeitliche transponiert, was jedoch nicht bedeutet, dass er Normen festschreiben will oder auf die Aktualisierung eines Stoffes verzichtet.

Die Erziehbarkeit des Menschen

Die Zeitgenossen haben die politische Botschaft - "Gedankenfreiheit" und Gerechtigkeit als zentrale Motive - unmittelbar verstanden, sie erkannten Schillers republikanischen Gestus und sahen in ihm vor allem den Aufbegehrenden, der das Bestehende nicht nur kritisierte, sondern die Gesellschaft verändern, die soziale Lage verbessern, Erziehung und Bildung jedes Einzelnen entwickeln wollte. Sie spürten die produktive Kraft des Aufrührerischen, das ideale Potenzial, das sich in den Texten artikuliert. Insofern ist dieser Dichter durchaus einer der "wirkungsreichsten Erzieher des deutschen Volkes zur Staatsgesinnung", wie ihn Albert Ludwig in seiner ersten großen Wirkungsgeschichte von 1909 charakterisierte. Seine Dichtung ist in hohem Maße "Reflexionskunst" mit dem Ziel einer "Bestimmung des eigenen Standortes": "das lebendige Produkt einer individuellen bestimmten Gegenwart". Sein rebellischer Geist, sein Freiheitsanspruch, seine sozialen Forderungen, sein unerschütterlicher Glaube an die Erziehbarkeit des Menschen und nicht zuletzt die Klarheit und poetische Kraft seiner Sprache verleihen Schiller bis in die heutige Zeit höchste Aktualität.

Schillers Denkkonzept ist dem deutschen Idealismus verpflichtet; geistige Deutungsmodelle und Werthierarchien gelten ihm als treibende Kraft der kulturellen Entwicklung. Idealismus im Hinblick auf Schiller bedeutet, dass er das Geistige, die Idee als das Medium betrachtet, das eine solche Entwicklung leitet, wobei er von der Autonomie der geistig-kulturellen Entwicklung ausgeht. Eine zentrale Idee Schillers ist die Einheit des Menschen mit sich selbst auf immer höherer Stufe - er begreift sie als Prozess, der, wie in den "Briefen zur ästhetischen Erziehung des Menschen" dargestellt, zu keinem Abschluss gelangen kann. Möglich ist immer nur die Annäherung an das Ziel einer Entfaltung der menschlichen Kräfte in absoluter Freiheit. Im vierten Brief heißt es: "Jeder individuelle Mensch (...) trägt, der Anlage und Bestimmung nach, einen reinen idealischen Menschen in sich, mit dessen unveränderlicher Einheit in allen seinen Abwechselungen übereinzustimmen die große Aufgabe seines Daseins ist." Zwei Wege gebe es, den in seine jeweilige Realität eingebundenen Menschen mit der Idee in Einklang zu bringen: "entweder dadurch, daß der reine Mensch den empirischen unterdrückt, daß der Staat die Individuen aufhebt; oder dadurch, daß das Individuum Staat wird, daß der Mensch in der Zeit zum Menschen in der Idee sich veredelt". Für Schiller ist "der Dichter (...) der einzige wahre Mensch, und der beste Philosoph ist nur eine Karikatur gegen ihn", wie er im Januar 1795 an Goethe schreibt. Poesie und Philosophie stehen im Mittelpunkt aller Geistestätigkeit, sie repräsentieren den Menschen. Alle anderen Wissenschaften zeigen lediglich, was der Mensch an Kenntnissen besitzt oder sich angeeignet hat.

Schillers Denkkonzept lag nicht nur seinen historischen, seinen kunst- und dichtungstheoretischen Schriften, sondern auch seinen Dramen zugrunde. Gemeinsam mit Goethe schuf er, was heute als das Ideendrama der Weimarer Klassik verstanden wird. Stoff, Handlung und Charaktere folgen einer übergeordneten Idee. Gegenstand der Dramen ist "der handelnde Mensch", und dieser ist ideengeleitet: "Wenn Schiller von Idee handelt, handelt er von Tat." Die Idee bedürfe der Umsetzung, und die Umsetzung bedürfe der Idee. Die Idee "als Entwurf zur Tat" erfahre die Brechung in der Unversöhnlichkeit von Idee und Tat. Insofern erscheine der Untergang in Schillers Dramen als die höchste Form der Tat.

Europäische Wirkung

Die Wirkung, die Schiller schon zu Lebzeiten erzielt, beruht in erster Linie auf seinen historischen Dramen: "Primär durch Schiller und nur sekundär durch andere Dichter, Romanschriftsteller und Historiker ist die Geschichte der Frühen Neuzeit dem Bürgertum vor Augen gestellt worden, sind Philipp II., Wallenstein, Maria Stuart, die englische Königin Elisabeth und die Jungfrau von Orleans historische Bekannte geworden, über die man reflektierte und sich nach Bedarf wissenschaftlich weiterorientierte." Dabei war seine Perspektive immer eine europäische: "Es ist ein armseliges, kleinliches Ideal, für eine Nation zu schreiben; einem philosophischen Geiste ist diese Grenze durchaus unerträglich. Dieser kann bei einer so wandelbaren, zufälligen und willkürlichen Form der Menschheit bei einem Fragmente (und was ist die wichtigste Nation anders?) nicht stille stehen. Er kann sich nicht weiter dafür erwärmen, als soweit ihm diese Nation oder Nationalbegebenheit als Bedingung für den Fortschritt der Gattung wichtig ist", hatte er Körner am 13. Oktober 1789 aus Rudolstadt geschrieben. Eine tiefe - von Goethe geteilte - Skepsis gegenüber nationalstaatlicher Repräsentanz und Größe der Deutschen behielt Schiller lebenslang bei; selten hat er seine Bedenken so deutlich formuliert wie in dem Xenion "Deutscher Nationalcharakter" aus dem Jahre 1797: "Zur Nation euch zu bilden, ihr hofft es / Deutsche, vergebens; / Bildet, ihr könnt es, dafür freier zu / Menschen euch aus."

Überblickt man die Reihe seiner Dramen, so fällt auf, dass antike und mythologische Stoffe fehlen, dass keines der fertiggestellten Stücke auf die unmittelbare Tagespolitik bezogen ist. Vom ersten bis zum letzten Drama werden politisches Machtstreben und Machtmissbrauch zur Diskussion gestellt, sind Verschwörung und Rebellion ein wiederkehrendes Thema. Auch die Dramen der klassischen Phase, also die der Weimarer Zeit ab 1800, handeln von den politisch-sozialen Konflikten der Zeit, gespiegelt im Bild der Geschichte. Die Rebellion, getragen von den Ideen der europäischen Aufklärung, gewinnt ihre Kraft aus dem Ziel, Menschen- und Freiheitsrechte zu verwirklichen. Die Darstellung der äußeren Welt korrespondiert mit der Erforschung der Innenwelt der handelnden Figuren, woraus die große Bedeutung des Monologs in Schillers Dramatik resultiert. Das Ziel der Umgestaltung absolutistischer Herrschafts- und Machtstrukturen in Europa wird nicht an einen revolutionären Weg gebunden, sondern an die Entwicklung des Bewusstseins. Schillers ästhetische Theorie ist auf Bildung und Erziehung des Menschen gerichtet. Reformen haben in dieser Sichtweise nur Bestand, wenn sie von dem entwickelten und weiterzuentwickelnden Bewusstsein ausgehen.

Diese Bildungsidee ist heute von hoher Aktualität. Der Mensch setzt sich als Ziel des Bildungsprozesses. Dies entspricht dem nach wie vor aktuellen Bild der freien Entwicklung der Persönlichkeit, der Entwicklung eines Subjekts, das mit sich selbst identisch und autonom handlungsfähig ist, wie es die heutige Bildungstheorie formuliert. Dieses Ziel gilt für alle Menschen; Bildung für alle als Voraussetzung der Persönlichkeitsentwicklung ist ein zutiefst demokratisches Ziel. Es ist nicht nur in Deutschland, sondern europaweit und darüber hinaus in der westlichen Welt als Grundrecht verankert. Erst Bildung entfaltet Freiheit; Bildung und Freiheit sind die Grundbedingungen jeder menschlichen Persönlichkeitsentfaltung. In diesem Sinn ist Schiller Reformer gewesen mit dem Anspruch einer kontinuierlichen Entwicklung des Bewusstseins. Schiller ist Rebell der Freiheit, nie Revolutionär. Fast alle Dramen sind Tragödien, die zentralen Figuren und mit ihnen die Idee sind zum Scheitern verurteilt. Eine Ausnahme ist sein letztes Stück, "Wilhelm Tell", in dem die Vernunft der Geschichte den Sieg davonträgt.

Während Kant die Französische Revolution trotz ihres manifesten Terrors als das signum prognosticum des stets möglichen Fortschritts interpretiert und den Terror als nicht vermeidbare Perversion hinnimmt, zieht Schiller spätestens mit der ihn zutiefst empörenden Ermordung des französischen Königs eine Trennlinie. Wenn er noch erwogen hat, sich für den seit über einem Jahr gefangen gehaltenen und seinen Prozess erwartenden König Ludwig XVI. einzusetzen, so macht die im Januar 1793 erfolgte Hinrichtung diesen Überlegungen ein Ende. Am 8. Februar 1793 schreibt er an seinen Dresdener Freund Christian Gottfried Körner: "Ich habe wirklich eine Schrift für den König schon angefangen gehabt, aber es wurde mir nicht wohl darüber, und da liegt sie mir nun noch da. Ich kann seit 14 Tagen keine französische Zeitung mehr lesen, so ekeln diese elenden Schinderknechte mich an."

"Die 'Ästhetische Erziehung des Menschen' ist seine vielleicht umfassendste theoretische Antwort auf die Französische Revolution: gegen Frankreich gedacht und doch Frankreich verpflichtet (...). Der Grundgedanke: innere Wandlung statt des äußeren Umsturzes, ist schon die Moral der 'Räuber` und alte schwäbische Haltung. (...) Das Neue bei Schiller ist der Übergang von religiöser und moralischer Erziehung zu ästhetischer." Es ist diese politische, diese staatsphilosophische Perspektive, die Schiller bis an das Ende der Briefe beibehalten wird. Schlüsselbegriff ist die Erziehung, verstanden als Streben nach dem Ideal der Vollkommenheit. Die Kunst und nur sie erscheint als Weg der Erziehung und zugleich als Werkzeug der Vervollkommnung des Menschen. In der immer fortschreitenden Aufklärung des Verstandes sieht Schiller eine Vereinseitigung, zur Einheit des Menschen gehöre die Ausbildung des Empfindungsvermögens gleichwertig dazu. Autonomie und Würde bestehen in der "inneren Freiheit" des Willens zu einer zielgerichteten Entwicklung; damit ist die Verantwortung des Menschen für eine vernunftgeleitete Erziehung und Selbsterziehung vorgezeichnet. Das Kriterium der Schönheit sieht er in der harmonischen Einheit von Rationalität und Sensualität erfüllt.

Mit diesem Entwurf knüpft Schiller an Erkenntnisprozesse an, die im 18. Jahrhundert im Rahmen der europäischen Aufklärung die Emanzipation des Menschen zum Ziel gehabt haben. Auf der Grundlage der bisher gewonnenen Einsichten geht es um eine Veränderung der Gesamtsituation des Individuums. Mit ihrem Postulat Selbstbestimmung des Menschen ist die Aufklärung eine geistige und zugleich eine gesellschaftskritische Bewegung, die mit einem Säkularisierungsprozess einherging.

Schiller ist der Dichter des Tragischen; seine Dramentheorie ist Kant und dessen Reflexionen über die Tragödie verpflichtet. Kants Abhandlung "Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen" (1764) sowie seiner Theorie der sittlich-moralischen Autonomie des Menschen folgend, sah er in der Tragödie das einzig mögliche Argumentationsmedium. Nur im tragischen Konflikt von Ideen und Taten, Pflichten und Neigungen erweise sich die Befähigung des Menschen zur Selbstbestimmung, mithin seine Freiheit.

Schiller heute

Leidensweg der Idee oder strahlender Augenblick der Geschichte: Was hat uns Schillers Vorstellung von Europa oder sein Freiheitsbegriff noch zu sagen? Natürlich: Europa hat sich weiterentwickelt - als Schauplatz blutiger Weltkriege, aber auch - nach 1945 - als kulturelle, politische und wirtschaftliche Gemeinschaft. Es hat verbindliche Rechtsinstitute geschaffen, die der Sicherung der Freiheit dienen. Jedes der europäischen Länder begreift sich als ein durch Gewaltenteilung garantierter Rechtsstaat, als ein Sozialstaat, in dem jeder Bürger den Anspruch auf Schutz der Persönlichkeit hat, in dem für jeden Bürger der Gleichheitssatz gilt. Das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Unantastbarkeit der Würde des Menschen sind die für das Zusammenleben aller Bürgerinnen und Bürger wichtigsten Menschenrechte. Dem entspricht ein striktes Verbot von Zensur, Willkür und Inquisition in den modernen Demokratien Europas. Es gibt eine gemeinsame Wertbasis, den so genannten acquis communitaire, dem sich vorab auch die Länder unterwerfen müssen, die Mitglied der Europäischen Union werden wollen.

Wenngleich also der Freiheitsbegriff als Kern der Demokratie heute unbestritten ist, so ist die in den Grundnormen garantierte Freiheit dennoch auf vielen Ebenen gefährdet. Die Gefährdungslage ist heute allerdings eine grundsätzlich andere. Die dem Anspruch nach freien Medien unterliegen einer extremen Konzentration und Machtfülle, die den Freiheitsanspruch selbst zu unterhöhlen und in sein Gegenteil zu verkehren drohen; Konsumdenken, technischer Fortschritt und ein übersteigertes Diktat der Mode führen zu einem Konformitätsdruck, der auf Kosten einer inneren geistigen Freiheit der Werte und Orientierungen nur noch die äußere Freiheit der Auswahl zwischen vorgegebenen Alternativen zuzulassen scheint. Dieser Konformitätszwang neigt dazu, Störendes und Fremdes auszugrenzen. Diesen die Jetztzeit charakterisierenden Gefährdungen gegenüber entfalten die Schiller'schen Überzeugungen auch heute noch rebellische Gegenkräfte: Dass es gerade die Freiheit ist, die den Menschen zum Menschen macht, die Maßstab und Wertorientierung ist für das politische Handeln und das gesellschaftliche Zusammenleben; dass Bildung und Erziehung hierfür die notwendigen Grundvoraussetzungen sind; dass innere Freiheit und Toleranz die zentralen Werte des Zusammenlebens sind und damit ein Schutz vor jedweder Form von Diskriminierung, Unterdrückung und Despotismus.

Welche sind die heutigen Fürsten, denen der kritische und aufgeklärte Bürger den Dienst verweigern könnte? Hier hat der Begriff der Freiheit nach wie vor zentrale Bedeutung: Freiheit gegenüber der Bevormundung durch die Medien, durch Konsum, Mode oder durch die Technik; Gedankenfreiheit gegenüber alten und neuen Formen der Inquisition; Gedankenfreiheit als Basis für das Ziel der ästhetischen Erziehung und Bildung für alle, für die Durchsetzung der noch immer nicht eingelösten Forderungen der Aufklärung nach Befreiung aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit.

Wenn im Jahre 2005 aus Anlass des 200. Todestages nach der Bedeutung Schillers für das 21. Jahrhundert gefragt wird, so ist festzuhalten: Auch im Zeitalter der Globalisierung wird Schiller nicht nur als Klassiker Geltung beanspruchen können. Die Figuren eines Franz und Carl Moor, eines Ferdinand, eines Karlos und Marquis Posa, der Jungfrau, einer Maria Stuart und eines Wallenstein sind von aktueller Bedeutung. Ihre Niederlagen und ihre Siege vermitteln eine aufklärerische Botschaft. Das in den "Briefen zur ästhetischen Erziehung" entworfene Konzept einer ganzheitlichen Humanität, Schillers kompromissloser Glaube an die Entwicklungsfähigkeit und die Erziehbarkeit des Menschen, hat eine den Kriterien der europäischen Aufklärung verpflichtete Aussagekraft.

In Schillers Werk finden wir nicht nur die Postulate humaner Menschlichkeit, es gibt auch Auskunft über die Psychologie politischer Konflikte und die sozialpsychologischen Dimensionen historisch-politischer Kämpfe. Gerade die Europa umgreifende Perspektive zieht sich wie ein roter Faden durch das Werk. Was Schiller in seinen theoretischen Schriften als Menschenbild entwirft, findet sich untergründiger, widersprüchlicher, differenzierter, aber auch besonders deutlich in seinen Dramen wieder. In den dramentheoretischen Überlegungen und eben in den Dramen selbst erweist er sich nicht nur als scharfsinniger Psychologe, sondern in gleichem Maße auch als ein der Aufklärung verpflichteter Menschenkenner, als ein politisch reflektierter Rebell der Freiheit.

Thomas Mann ging in seinem "Versuch über Schiller" im Schiller-Jahr 1955 noch einen Schritt weiter: "Wie stark (...) habe ich das empfunden (...), daß er, der Herr seiner Krankheit, unserer kranken Zeit zum Seelenarzt werden könnte, wenn sie sich recht auf ihn besänne." Als Weltbürger, der sich keinem Fürsten angedient hat, wird Schiller auch für das 21. Jahrhundert der emphatische Anwalt der "Sache des Öffentlichen", der res publica, der Klassiker der Moderne bleiben.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Brief an Wilhelm Friedrich Reinwald am 14.4. 1783.

  2. Max Kommerell, Geist und Buchstabe der Dichtung. Goethe, Schiller, Kleist, Hölderlin, Frankfurt/M. 1962, S. 189.

  3. Ebd.

  4. Peter André Alt, Schiller. Eine Biographie. Leben - Werk - Zeit. 2 Bde., München 2000, Bd. 1, S. 665.

  5. Vgl. dazu Dieter Borchmeyer, Macht und Melancholie. Schillers Wallenstein, Frankfurt/M. 1988.

  6. Walter Muschg, Die deutsche Klassik tragisch gesehen, in: Heinz Otto Burger (Hrsg.), Begriffsbestimmung der Klassik und des Klassischen, Darmstadt 1972, S. 174.

  7. Albert Ludwig, Schiller. Sein Leben und Schaffen, Berlin 1909.

  8. M. Kommerell (Anm. 2), S. 135ff.

  9. Ernst Schulin, Schillers Interesse an Aufstandsgeschichte, in: Otto Dann (Hrsg.), Schiller als Historiker, Stuttgart-Weimar 1995, S. 137.

  10. Vgl. dazu Walter Müller-Seidel, Die Geschichtlichkeit der deutschen Klassik. Literatur und Denkformen um 1900, Stuttgart 1963.

  11. Vgl. dazu Norbert Oellers, Friedrich Schiller. Zur Modernität eines Klassikers, Frankfurt/M.-Leipzig 1996.

  12. Robert Minder, Schiller, Frankreich und die Schwabenväter, in: ders., Kultur und Literatur in Deutschland und Frankreich. 5 Essays, Frankfurt/M. 1962, S. 125.

Dr. phil., geb. 1950; Germanistin und Romanistin; wissenschaftliche Mitarbeiterin am Berlin-Brandenburgischen Institut für Deutsch-Französische Zusammenarbeit in Europa, Genshagen. Nassauische Straße 53, 10717 Berlin.
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