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Prinzipien, Ziele und Institutionen der Afrikanischen Union | Afrika | bpb.de

Afrika Editorial Deutschland in Afrika. Der Kolonialismus und seine Nachwirkungen Deutschland, Afrika und die Entstehung gemeinsamer Interessen Wirtschaftsreformen und Armutsbekämpfung in Afrika Prinzipien, Ziele und Institutionen der Afrikanischen Union Südafrikas gelungener Wandel Der Konflikt in Darfur

Prinzipien, Ziele und Institutionen der Afrikanischen Union

Siegmar Schmidt

/ 18 Minuten zu lesen

Mit der Gründung der Afrikanischen Union (AU) unternimmt Afrika nach dem Scheitern der Organisation Afrikanischer Einheit (OAE) einen erneuten Anlauf, die Einheit und Entwicklung des Kontinents zu stärken. Im Unterschied zur OAE wird die Souveränität der Mitgliedsstaaten durch einen Interventionsmechanismus deutlich eingeschränkt.

Einleitung

Das Ende der Organisation Afrikanischer Einheit (OAE) war eher unauffällig: Im Juli 2002 ging die erste panafrikanische Organisation in die Afrikanische Union (AU) über. Mit dem Übergang von der OAE zur AU wurde der erste - weitestgehend erfolglose - Versuch einer Kooperation zwischen den afrikanischen Staaten, die nordafrikanischen Staaten eingeschlossen, zu Grabe getragen. Die im Jahr 1963 gegründete OAE war ein Kind der Dekolonisierungsphase: Angesichts der kolonialen Erfahrung entwickelte sich die Organisation zum Advokaten des Prinzips der Souveränität und vertrat eine strikte Politik der Nichteinmischung in die internen Angelegenheiten der Mitgliedsstaaten. Alternativvorschläge, wie der Entwurf der Vereinigten Staaten von Afrika des ghanaischen Präsidenten Kwame Nkrumah aus dem Jahr 1963 besaßen in diesem politischen Klima keine Chance. Der größte "Erfolg" der OAE war es, die territoriale Integrität der neuen Staaten zu bewahren, da alle Grenzveränderungen oder gar die Entstehung neuer Staaten strikt abgelehnt und delegitimiert wurden, auch wenn sie ökonomisch oder politisch Sinn ergeben hätten. Die zum Grundprinzip erklärte Nichteinmischung hatte zur Folge, dass die Organisation auch angesichts einer Serie von Putschen, zahlreichen Bürgerkriegen und schwersten Menschenrechtsverletzungen passiv blieb. In institutioneller Hinsicht stand die Organisation auf schwachen Füßen. Das OAE-Sekretariat blieb ohne eigene Befugnisse, und die Organisation litt zunehmend unter einem eklatanten Mangel an Ressourcen, da zahlreiche Mitgliedsstaaten keine Beiträge zahlten. Die Organisation degenerierte daher immer stärker zu einer "permanenten Konferenz" der Staats- und Regierungschefs Afrikas, die ihre Auftritte am Sitz der Organisation in Addis Abeba vor allem zur Repräsentation nutzten. Divergierende Interessen, enges nationalstaatliches Denken und mangelnde Kooperationsbereitschaft bedingten eine weitgehende politische Handlungsunfähigkeit. Lediglich in der strikten Ablehnung und der politischen Mobilisierung gegen die "Siedlerregime" (Rhodesien [ab 1980 Zimbabwe], Südafrika, Namibia) und die verbleibenden Kolonien im südlichen Afrika (Angola und Mosambik) herrschte politische Einigkeit, was zu diplomatischen Initiativen im Rahmen der Vereinten Nationen führte.

Anfang der neunziger Jahre, unter dem Eindruck zahlreicher Krisen und Konflikte und vor dem Hintergrund des geostrategischen Bedeutungsverlustes Afrikas, unternahm die OAE einen Versuch, ihre Konfliktbearbeitungspolitik neu auszurichten. Der neu geschaffene "Mechanismus für die Prävention, das Management und die Lösung von Konflikten" führte zu einer Ausweitung der Aktivitäten, wie sie sich in zahlreichen Vermittlungs- und Tatsachenermittlungsmissionen niederschlugen. Die viel diskutierte militärische Komponente kam jedoch über konzeptionelle Ansätze kaum hinaus, sieht man von einigen Beobachtermissionen ab. Insgesamt konnte die OAE weder einen Beitrag zur Entwicklung des Kontinents leisten noch ihren Anspruch, den Frieden auf dem Kontinent zu bewahren, einlösen.

Ende der neunziger Jahre setzte in Afrika eine Diskussion über eine Reform der bestehenden kontinentalen Strukturen ein. Zum einen starteten die Regierungen des Senegals, Algeriens, Nigerias und Südafrikas verschiedene Initiativen, die wirtschaftliche und politische Entwicklung des Kontinents voranzutreiben. Diese mündeten Ende 2001 in die Gründung der Neuen Partnerschaft für Afrikas Entwicklung (NEPAD). Der wegen seiner Verstrickung in terroristische Attentate vom Westen geächtete libyische Staatschef Khadafi spielte eine Schlüsselrolle beim Übergang von der OAE zur AU. Er forderte bereits im Jahr 1999 eine Reform der OAE und warb auf einem Treffen im libyschen Sirte im September 1999 in der Tradition Nkrumahs für die Idee der Vereinigten Staaten von Afrika mit gemeinsamer Armee, Währung und starker zentraler Führung. Die OAE-Mitgliedsstaaten lehnten zwar die hochfliegenden Pläne Khadafi ab, erkannten aber die Notwendigkeit eines umfassenden Neuanfanges und beschlossen die Gründung der AU.

Die Afrikanische Union

Die 33 Artikel umfassende Gründungsakte der AU nennt einen umfassenden Katalog an Zielen und Prinzipien der Union. Dazu gehören die Förderung der afrikanischen Einheit auf allen Gebieten, die Verwirklichung von demokratischen Grundsätzen, Menschenrechten und guter Regierungsführung sowie Frieden, Sicherheit und Stabilität.

Artikel 3 der Gründungsakte betont zwar ausdrücklich die Souveränität, territoriale Integrität und Unabhängigkeit der Mitgliedsstaaten, doch wird im Folgenden das Souveränitätsprinzip erheblich relativiert. Die AU-Gründungsakte ist der erste völkerrechtliche Vertrag, in dem ein Recht einer militärischen Intervention aus humanitären Gründen festgeschrieben ist. Gemäß Artikel 4 (h) kann die Versammlung der Staats- und Regierungschefs bei schwerwiegenden Umständen, insbesondere im Falle von Kriegsverbrechen, Völkermord oder Verbrechen wider die Menschlichkeit, einen Militäreinsatz anordnen. Nichtverfassungsgemäße Regierungswechsel, z.B. durch einen Militärputsch, werden abgelehnt. Ausgedehnt wurde diese sehr weitgehende Bestimmung noch 2003 durch den Vertragszusatz, dass Interventionen auch im Falle von "ernsthaften Bedrohungen der legitimen Ordnung" möglich seien. Diese äußerst weit ausgreifenden Bestimmungen sind bislang rechtlich nicht eindeutig kodifiziert worden. Unklar ist z.B., in welchen Fällen eine Bedrohung legitimer Ordnung vorliegt und was eine "ernsthafte" Bedrohung ist. Die Interpretation der Ziele und Prinzipien der AU wird eine Hauptaufgabe des in der Gründungsakte vorgesehenen Afrikanischen Gerichtshofes sein. Das Statut des Gerichtshofes ist Mitte 2004 von einer ausreichenden Zahl von Staaten ratifiziert worden und kann seine Arbeit aufnehmen. Mittlerweile gehören alle Staaten des afrikanischen Kontinents mit Ausnahme Marokkos der AU an.

Die AU-Institutionen

Die institutionelle Struktur der AU orientiert sich stark am Vorbild der EU. - Das oberste Organ bildet die Versammlung der Staats- und Regierungschefs. Die Konstruktion entspricht dem Europäischen Rat mit dem wesentlichen Unterschied, dass sie Entscheidungen mit einer Zweidrittelmehrheit und bei verfahrenstechnischen Fragen sogar mit einfacher Mehrheit fällen kann. - Der Exekutivrat besteht in der Regel aus den Außenministern und entspricht dem Ministerrat der EU in der Formation des allgemeinen Rates. Auch er trifft im Unterschied zum EU-Ministerrat, der mit sowohl absoluten als auch qualifizierter Mehrheiten (je nach Politikbereich) Entscheidungen fällt, Entscheidungen generell wiederum mit einer Zweidrittelmehrheit. - Der Ausschuss der Ständigen Vertreter bereitet wie die gleichnamige EU-Institution die Sitzungen des Exekutivrates vor. - Im Unterschied zur EU-Kommission ist die AU-Kommission bisher lediglich als Sekretariat konzipiert. - Im März 2004 wurde das Pan-Afrikanische Parlament (PAP) ins Leben gerufen. Nach einer fünfjährigen Übergangsperiode als beratende Institution soll das Parlament volle legislative Befugnisse erhalten und direkt gewählt werden.

Neben dem bereits erwähnten Afrikanischen Gerichtshof ist noch die Einrichtung einer ganzen Reihe von zusätzlichen, in erster Linie beratenden Institutionen vorgesehen. Innerhalb der Institutionen gilt nicht das EU-Prinzip einer wenn auch nur sehr grob gewichteten proportionalen Stimmverteilung nach der Bevölkerungszahl der einzelnen Staaten, sondern strikt das Prinzip der Stimmengleichheit. Dies bedeutet in der Praxis, dass Nigeria mit seinen zirka 130 Millionen Einwohnern genau wie der Inselstaat Sao Tomé and Principe mit rund 200 000 Einwohnern nur eine Stimme in der Versammlung und dem Exekutivrat besitzt. Ferner entsendet jeder Mitgliedsstaat fünf Abgeordnete, unter denen mindestens eine Frau sein muss, in das PAP. Bemerkenswert ist vor dem Hintergrund europäischer Erfahrungen vor allem der Verzicht auf ein Vetorecht. Dies bedeutet, dass auch große und mächtige Staaten Abstimmungsniederlagen hinnehmen müssten. Dies widerspricht der afrikanischen Tradition von Entscheidungsprozessen, die erstens stark konsensorientiert ist und in der zweitens offene Abstimmungsniederlagen als Gesichtsverlust gelten, der das Ansehen von Regierungen und Individuen, aber auch den Nationalstolz schwer beschädigen würde. Abzuwarten bleibt auch, ob in Abstimmungen unterlegene Staaten die Entscheidung respektieren werden.

Die AU-Institutionen befinden sich gegenwärtig im Prozess der Selbstkonstituierung. Häufig stehen sie zunächst nur auf dem Papier, da weder die physische Infrastruktur noch die "Spielregeln", wie z.B. Geschäftsordnungen, vorhanden sind. Wie das gegenwärtig laufende Verfahren über die Bestellung der Richter für den Afrikanischen Gerichtshof demonstriert, bedarf es - wie auch in der EU - des schwierigen und zeitraubenden Austarierens von Interessen bei Personalentscheidungen. Der AU-Beschluss, die Organe in verschiedenen Regionen Afrikas anzusiedeln, bekräftigt das Prinzip des Regionalproporzes. Angesichts der weitaus größeren Entfernungen als in der EU und einer schwachen Infrastruktur wird diese Entscheidung zu logistischen Problemen führen.

Die größten Fortschritte machte bisher die Einrichtung des PAP, dessen Sitz in Midrand in der Nähe der südafrikanischen Hauptstadt Pretoria sein wird. Aus den Auseinandersetzungen zwischen Libyen, Ägypten und Südafrika um den Parlamentssitz ging Südafrika als Sieger hervor, da das Land die Infrastruktur zur Verfügung stellen und die vorläufige Finanzierung garantieren wird, Ägypten wahrscheinlich andere Institutionen erhält und Libyen für viele Staaten inakzeptabel war, da es selbst kein frei gewähltes Parlament besitzt. In der Diskussion um Gründung und Sitz des PAP spielte der finanzielle Aspekt eine zentrale Rolle. Die von der tansanischen Parlamentspräsidentin Gertrude Mongella eingeforderte Summe von 18 Mio. US-Dollar wurde von den Staats- und Regierungschefs schließlich reduziert. Die Diskussion über die Kosten für das PAP ist symptomatisch für die Finanzierungsprobleme der AU. Die AU kann das ohnehin geringe Budget für laufende Kosten für 2003/2004 von nach AU-Angaben rund 43 Mio. US-Dollar nicht aufbringen. Bis Juli 2004 hatten lediglich 13 der 53 AU-Mitgliedsstaaten ihre Beiträge entrichtet. Um die Funktionsweise der AU sicherzustellen, finanzieren Algerien, Südafrika, Libyen und Nigeria zur Zeit 40 Prozent der Haushaltes. Zukünftig sollen die Mitgliedsstaaten 0,5 Prozent ihres Haushaltes für die AU bereitstellen, wobei eine Ermäßigung für arme Staaten auf 0,25 Prozent in der Diskussion ist.

Im Rahmen eines Treffens im Juni 2004 beschloss die AU die Einrichtung des in der Gründungsakte vorgesehenen Rats für Wirtschaft, Soziales und Kultur (Economic, Social and Cultural Council, ECOSOCC). Der Rat, der wie der Wirtschafts- und Sozialausschuss der EU nur beratende Funktion besitzt, wird sich aus Vertretern der Zivilgesellschaft und der Berufsverbände zusammensetzen. Von den 150 Delegierten werden 106 - also zwei aus jedem Mitgliedsland - von Organisationen aus den Mitgliedsstaaten und 24 von transnationalen Einrichtungen entsendet werden. Hinzu kommen als ein innovatives Element 20 Delegierte aus der im Ausland weit verstreuten afrikanischen Diaspora. Unklar ist allerdings, nach welchen Kriterien die entsendenden Organisationen ausgewählt werden und wie sich die im Ausland lebenden Afrikaner überhaupt erfassen lassen. Mit der Gründung von ECOSOCC reagierte die AU auch auf massive Kritik zivilgesellschaftlicher Organisationen in Afrika, die bislang vom gesamten AU-Prozess ausgeschlossen waren. Die AU wie auch NEPAD sind bislang ausschließlich Projekte der afrikanischen Staats- und Regierungschefs ohne Verankerung in der Öffentlichkeit.

Die AU und NEPAD

Die im Oktober aus mehreren anderen Initiativen hervorgegangene NEPAD-Initiative ist von der AU zu ihrem Entwicklungsprogramm erklärt worden. NEPAD unterscheidet sich von vergleichbaren Vorgängerunternehmungen dadurch, dass zunächst eine vorurteilsfreie und auch selbstkritische Bestandsaufnahme der Fehler der Vergangenheit unternommen wird und ein klares Bekenntnis zu demokratischen Prinzipien, Menschenrechten, Good Governance und marktwirtschaftlichen Strukturen erfolgt. Die Impulse zu einer Gesundung des Kontinents müssen, so NEPAD, aus Afrika selbst kommen, doch benötigt der Kontinent eine neue Partnerschaft (insbesondere Investitionen) mit den entwickelten Staaten. Das umfangreiche Programm erwähnt nahezu alle relevanten Aspekte von Entwicklung. Ein zentrales neues Element stellt der African Peer Review Mechanism (APRM) dar. Staaten, die ein diesbezügliches Protokoll unterschrieben haben, verpflichten sich damit, einer Überprüfung durch andere Mitglieder des "Klubs", inwieweit sie die durch NEPAD eingegangenen Verpflichtungen einhalten, zuzustimmen. Der APRM, der dem Vorbild der OECD folgt, sieht einen fünfstufigen Mechanismus vor, der auch den Besuch einer hochrangigen Delegation umfasst, die durch Gespräche mit Offiziellen, aber auch Vertretern der Opposition und Zivilgesellschaft sowie Recherchen vor Ort Defizite und Leistungen feststellen soll. Nachdem der überprüften Regierung die Gelegenheit zur Stellungnahme und zur Erstellung eines Aktionsprogramms gegeben worden ist, sollen die Ergebnisse des "Reviews" in verschiedenen AU-Institutionen diskutiert und veröffentlicht werden. Ein Sanktionsmechanismus bei Nichteinhaltung der Prinzipien ist nicht vorgesehen, vielmehr wird betont, dass der Mechanismus auf Lerneffekte abzielt. Für die Überprüfung erstellte das NEPAD-Sekretariat im März 2004 eine Liste mit 21 Zielen, die mit 78 Kriterien überprüft werden sollen. Für die Überprüfung, inwieweit ein Unterzeichnerstaat die Kriterien beachtet, wurden bislang noch keine verbindlichen Indikatoren definiert. Das Dokument gibt lediglich 98 Beispiele für Indikatoren.

Von der AU wurde die Zusammenlegung der NEPAD- und AU-Institutionen beschlossen. So wird das NEPAD-Sekretariat in der AU-Kommission aufgehen. Unklar ist jedoch noch, wie der APRM-Prozess von AU-Institutionen gesteuert und ausgewertet werden soll.

Der Rat für Frieden und Sicherheit

Anstelle des unzulänglichen Konfliktmechanismus der OAE ist mit dem Rat für Frieden und Sicherheit (Peace and Security Council, PSC) eine vollkommen neue, zentrale Institution mit umfassenden Funktionen getreten. Angesichts der Tatsache, dass im Jahr 2000 zirka die Hälfte aller afrikanischen Staaten und 20 Prozent der Bevölkerung direkt oder indirekt von Gewaltkonflikten betroffen waren, kommt der Konfliktprävention und -bearbeitung herausragende Bedeutung für die Zukunft Afrikas zu. Der PSC-Rat ist ein permanentes Organ mit umfassenden Zuständigkeiten: Er kann die Entsendung von Friedensmissionen anordnen und der Versammlung der Staats- und Regierungschefs militärische Zwangsmaßnahmen empfehlen, um Frieden und Sicherheit wiederherzustellen. Artikel 8 (13) bestimmt, dass Entscheidungen im PSC nach Möglichkeit im Konsens getroffen werden sollen, doch sofern dies nicht möglich ist, benötigen sie eine Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mitglieder. Ein Vetorecht wie im UN-Sicherheitsrat existiert nicht. Analog zum Sicherheitsrat der UN besteht der PSC aus 15 Mitgliedern, von den fünf für drei Jahre und die übrigen zehn für jeweils zwei Jahre von den AU-Staaten, die das PSC-Protokoll ratifiziert haben, mit Zweidrittelmehrheit gewählt werden. Dabei gilt ein Regionalproporz, denn jede der fünf Regionen kann drei Mitglieder wählen. Für die Wahl in den PSC gelten strenge Auswahlkriterien, u.a. müssen Beiträge gezahlt worden sein, die Staaten müssen in der Lage sein, ihre Verpflichtungen zu erfüllen, und demokratische Prinzipien, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit respektieren. Wird insbesondere das letzte Kriterium ernst genommen, so reduziert sich die Zahl der zur Verfügung stehenden Staaten erheblich. Wird im Hinblick auf Demokratie und Menschenrechte "großzügig" verfahren, so verliert der Rat insgesamt an Glaubwürdigkeit. Es wäre nahezu absurd, wenn Staaten, in denen die Menschenrechte und demokratische Prinzipien verletzt werden, eine Intervention beschließen oder sogar selbst intervenieren würden, um gerade diese Prinzipien zu verteidigen, die sie selbst nicht beachten würden. Trotzdem wurden im März 2004 mit Südafrika, Nigeria, Algerien, Äthiopien und Gabun Mitglieder für drei Jahre in den PSC gewählt, von denen die drei letztgenannten die Demokratiekriterien nicht erfüllen.

Der PSC besitzt folgende Instrumente und Organe: - Eingreiftruppen (Stand-by Force), die eine Sollstärke von 15 000 Mann bis zum Jahr 2010 erreichen sollen; - ein kontinentweites Frühwarnsystem bestehend aus Experten der Mitgliedsstaaten, die in einem Lagezentrum ("Situation Room") Analysen erstellen, und Beobachtermissionen vor Ort entsenden können; - ein "Panel of the Wise", das aus fünf respektierten Persönlichkeiten besteht und dem PSC beratend zur Seite steht; - ein Militärausschuss, der in unterschiedlicher Formation bis zur Ebene der Verteidigungsminister für militärische Fragen zuständig ist.

Weiterhin wird ein spezieller Friedensfonds für die Finanzierung von Militäreinsätzen eingerichtet. Der Fonds soll aus dem regulären Haushalt der AU sowie durch freiwillige Beiträge der Mitgliedsstaaten, Unternehmen und Zivilgesellschaften und der Geberstaaten finanziert werden.

Der Rat soll eine dezentralisierte Struktur erhalten. In den fünf Regionen - Nord-, West-, Ost- und Zentralafrika sowie das südliche Afrika - soll jeweils eine Brigade mit einer Stärke von zirka 10 000 Soldaten aufgebaut werden. Die konzeptionellen Planungen für den Aufbau der Ostafrikanischen Brigade haben bereits begonnen.

Wie die anderen Institutionen der AU befindet sich der PSC noch in der Aufbauphase und sieht sich mit erheblichen Finanzierungslücken konfrontiert.

Gleichwohl engagierte sich die AU - ganz im Gegensatz zur passiven Arabischen Liga - im Konflikt in der Region Darfur im Sudan. Nachdem die AU zunächst nur ein kleines Kontingent von 120 Militärbeobachtern und rund 250 Mann Begleitpersonal entsandt hatte, beschloss die Versammlung, die Truppen auf bis zu 3 000 Mann aufzustocken. Angesichts der Dimensionen der Krise ist es zweifelhaft, ob die Truppenstärke ausreichen wird, doch markiert der Einsatz eine politische Wende, da die traditionelle Politik der Nichteinmischung aufgegeben worden ist unddie sudanesische Regierung gezwungen wurde, der Aktion wenn auch widerwillig zuzustimmen. Aufgrund mangelnder eigener Kapazitäten bleibt die AU auf logistische Unterstützung westlicher Staaten angewiesen. Der Deutsche Bundestag hat dem Einsatz deutscher Transportflugzeuge im Dezember 2004 zugestimmt.

Südafrika als Motor der Integration

Im Unterschied zur OAE ist mit Südafrika der wirtschaftlich leistungsfähigste und am weitesten in seiner Entwicklung fortgeschrittene Staat Schwarzafrikas von Beginn an Mitglied der AU. Thabo Mbeki versucht wie sein Vorgänger Nelson Mandela, den wegen der Apartheidpolitik einstigen Paria-Staat wieder "zurück" nach Afrika zu bringen. Südafrika ist nach den ersten Wahlen 1994 zum Motor der panafrikanischen Entwicklungen auf demKontinent geworden. Zu den wichtigsten Projekten oder nationalen Interessen gehören der Aufbau von AU und NEPAD. Besondere Bedeutung kommt dabei dem Aufbau einer Sicherheitsarchitektur zu. In Analogie zu Willy Brandts berühmtem Ausspruch "Ohne Frieden ist alles nichts" formulierte Thabo Mbeki: "No peace without development, no development without peace."

Das Land arbeitet zum Teil eng mit Nigeria und anderen reformbereiten Staaten zusammen. Für Präsident Mbeki ist gerade das NEPAD-Projekt Herzstück der von ihm propagierten Afrikanischen Renaissance. Dieses am Panafrikanismus orientierte Konzept verbindet vorkoloniale Werte wie das ubuntu-Konzept gegenseitiger Solidarverpflichtung mit Demokratie, Menschenrechten und guter Regierungsführung. Ein demokratischer und friedvoller Kontinent wird von den Architekten der NEPAD als Vorbedingung für die (Re-)Integration des Kontinents in die globalisierte Welt betrachtet. Sowohl die Konstruktion von NEPAD als auch der AU tragen deutlich Südafrikas Handschrift:

Besonderen Einfluss auf NEPAD besitzt das Land auch dadurch, dass sich der Sitz des NEPAD-Sekretariats im Midrand bei Johannesburg befindet. Das Sekretariat logiert im gleichen Gebäude wie die südafrikanische Entwicklungsbank und wird von Wiseman Nkuhlu, einem Wirtschaftsberater Präsident Mbekis, geleitet.

Ferner erbringt Südafrika erhebliche finanzielle Leistungen für die AU und ist Sitz des PAP. Südafrikas Engagement hat das internationale Ansehen des Landes erhöht und es zum wichtigsten Ansprechpartner in Afrika für die Industrieländer gemacht. Die zunehmende politische Dominanz Südafrika, die begleitet wird von einer aggressiven Expansionsstrategie südafrikanischer Unternehmen in afrikanischen Staaten - südafrikanische Supermarktketten finden sich mittlerweile in Mosambik und Sambia -, hat zu Misstrauen anderer afrikanischer Staaten geführt. Das Image Südafrikas bewegt sich zwischen den Polen "Messias" und "Merkantilist". Die historische Hinterlassenschaft der Apartheid und die Sensibilität der Nachbarstaaten führt dazu, dass das Land in der Zimbabwe-Politik sehr vorsichtig agiert.

Innerhalb Südafrikas werden von der Opposition vor allem die Übernahme der Kosten für das PAP unter Hinweis auf eigene Entwicklungsprobleme kritisiert. Der Präsident, der die Einigung und die Reintegration Afrikas in die Welt als seine "Mission" betrachtet, hat sich ungewohnt scharf gegen diese Kritik verwahrt. Das Engagement des Landes droht zu einer Überdehnung seiner militärischen Kapazitäten zu führen. Es fehlen gut ausbildete Truppen der mit insgesamt 55 000 Soldaten kleinen Armee, die überdies durch eine HIV/AIDS-Infektionsrate von 23 Prozent geschwächt wird. Über den Einsatz der 3 000 bereits in Peacekeeping-Missionen eingesetzten Truppen hinaus sind gegenwärtig keine weiteren größeren Aktionen möglich.

Reaktionen der Gebergemeinschaft

Die wichtigsten Geberstaaten reagierten anfangs sehr positiv, teilweise sogar euphorisch auf NEPAD. Im Jahr 2002 verabschiedeten die in den G 8 zusammengeschlossenen wichtigsten Industriestaaten in Reaktion auf NEPAD einen Aktionsplan, in dem umfassende Unterstützung zugesagt wurde, sowohl im Bereich der politischen Reformen als auch für die eher traditionellen Entwicklungsvorhaben im Infrastrukturbereich. Besonders betonten die G-8-Staaten die Bedeutung von Friedens- und Sicherheitsaspekten sowie den Kampf gegen Krankheiten, insbesondere die HIV/AIDS-Pandemie. Auf dem letzten G-8-Treffen in Sea Island im Juni 2004 im US-Bundesstaat Georgia zeigte sich, dass Sicherheitsfragen für die G 8 höchste Priorität haben und demgegenüber nur relativ geringes Interesse an den umfangreichen Infrastrukturprogrammen der NEPAD besteht. Damit erfüllten sich die Erwartungen der teilnehmenden afrikanischen Regierungschefs, unter ihnen Thabo Mbeki aus Südafrika und Olegusun Obasanjo aus Nigeria, dass die G 8 substanzielle Zusagen zur Finanzierung des Programms machen würden, nicht. Besonderes Interesse besteht auf Geberseite am APRM-Mechanismus. Mit Enttäuschung reagierten die Geber einerseits auf die langsamen Fortschritte des APRM und die relativ vagen Kriterien für die Überprüfungen. Sie kritisieren hinter vorgehaltener Hand, dass AU-Institutionen eine Schlüsselrolle im APRM-Mechanismus einnehmen werden, da diese noch nicht hinreichend konstituiert und in der AU Staaten vertreten sind, die weder Demokratie und Menschenrechte achten noch Good Governance praktizieren. Insgesamt warten die in den G 8 informell zusammengeschlossenen Geberstaaten die Ergebnisse der ersten Überprüfungen ab. Verschiedene Regierungen der OECD-Staaten haben bereits angekündigt, weitere Unterstützung an die Ergebnisse der Überprüfungen bzw. die Reformbereitschaft der untersuchten Staaten zu knüpfen. Diese offen angekündigte Konditionalität steht im deutlichen Kontrast zum Verzicht des APRM auf Sanktionen. Entgegen den Erwartungen vieler Beobachter wurde das Ignorieren der Entwicklung in Zimbabwe durch NEPAD nicht als Lackmus-Test für deren Glaubwürdigkeit betrachtet, sondern hat eher dem Ansehen der Entwicklungsgemeinschaft im südlichen Afrika (SADC) schweren Schaden zugefügt.

Während das Interesse an NEPAD zweifelsohne zurückgegangen ist, wird der AU zunehmend mehr Interesse entgegengebracht. Erneut steht der Sicherheitsbereich im Vordergrund: Die G-8-Staaten haben angekündigt, finanzielle Unterstützung u.a. für das Training afrikanischer Peacekeeping-Einheiten in einer Größenordnung von bis zu 75 000 Mann zu leisten. Bislang ist es jedoch bei Ankündigungen geblieben, auch weil die AU zunächst keine konkreten Planungen vorgelegt hat, wofür die Mittel verwendet werden sollen. Neben der Weltbank, die einige Infrastrukturprojekte von NEPAD mit rund einer halben Mrd. US-Dollar fördert, hat die EU bereits Zusagen in Höhe von 250 Mio. Euro für den Peace Fund des PSC gemacht. Hinzu kommen Mittel für das PAP und noch einmal 111 Mio. Euro für die AU-Mission in der sudanesischen Krisenregion Darfur. Mit NEPAD und der AU sowie ihrer regelmäßigen Teilnahme an den Gipfeln ist es den afrikanischen Staatschefs gelungen, Afrika wieder oben auf die internationale Agenda zu setzen.

Bewertung und Perspektive

Jede Bewertung der AU-Institutionen kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur vorläufigen Charakter haben. Die Einrichtung eines derart komplexen Institutionensystems, das die Souveränität afrikanischer Staaten selbst in Sicherheits- und Verteidigungsfragen deutlich reduzieren wird, stellte ein ambitioniertes, wahrscheinlich ein überambitioniertes Projekt dar: Es ist erstens angesichts des allgegenwärtigen Ressourcenmangels, der die Ausbildung eines notwendigen bürokratischen Unterbaues verhindert, und zweitens unter Berücksichtigung der traditionell hohen Wertschätzung staatlicher Souveränität schwer vorstellbar, wie in aus historischer Perspektive sehr kurzer Zeit funktionsfähige Institutionen entstehen können. Dies verdeutlicht nicht zuletzt der Blick auf die Geschichte der europäischen Integration.

Doch selbst wenn sich nicht alle Vorhaben und Institutionen realisieren lassen und eventuell nur eine begrenzte Zahl von Staaten den politischen Willen zeigt, die ehrgeizigen Projekte zu unterstützen, haben NEPAD und die AU bereits eine innerafrikanische Diskussion über die Zukunft des Kontinents ausgelöst und für neue Dynamik im Verhältnis zu den Gebern gesorgt, die auf ein höheres Maß an Kooperation bei Konfliktverhütung und -eindämmung (auch in Form von Militäreinsätzen) hinauslaufen könnte. Für die internationale wie innerafrikanische Glaubwürdigkeit der AU wird das Engagement im Sudan eine entscheidende Rolle spielen. Im Bewusstsein weiter Bevölkerungskreise spielen die jüngsten Entwicklungen noch keine Rolle. Beide Initiativen benötigen langfristig aber die Unterstützung der Bevölkerung, da sie sonst Fremdkörper bleiben werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Volker Matthies, Friedenspolitische Bearbeitung kriegerischer Konflikte, in: Mir A. Ferdowsi (Hrsg.), Afrika - ein verlorener Kontinent?, München 2004, S. 225 - 248.

  2. Vgl. zur Umwandlung der OAU zur AU Peter Meyns, Die "Afrikanische Union" - Afrikas neuer Anlauf zu kontinentaler Einheit und globaler Anerkennung, in: Rolf Hofmeier/Andreas Mehler (Hrsg.), Afrika-Jahrbuch 2001, Opladen 2002, S. 51 - 67.

  3. Die Gründungsakte kann unter www.africa-union.org abgerufen werden. Teilübersetzung in: Internationale Politik, 56 (2001) 11, S. 78 - 85.

  4. Im Folgenden konzentriert sich diese Darstellung vor allem auf Institutionen, ausgeblendet werden u.a. die Entwicklungsdimension, der Handel sowie die geplante Einrichtung von fünf regionalen Wirtschaftsgemeinschaften.

  5. Marokko protestiert damit gegen die Mitgliedschaft der Republik Westsahara in der AU.

  6. Vgl. Cape Times, Business Report vom 1. 10. 2004.

  7. Eine externe Finanzierung der laufenden Kosten ist weder von afrikanischer Seite erwünscht noch von Geberstaaten in Betracht gezogen worden.

  8. Das Schlüsseldokument von Oktober 2001 kann unter www.nepad.org abgerufen werden.

  9. Bis August 2004 waren folgende 24 Staaten dem APRM beigetreten: Algerien, Angola, Benin, Burkina Faso, Kamerun, Kongo (Brazzaville), Ägypten, Äthiopien, Gabun, Ghana, Kenia, Lesotho, Mali, Malawi, Mauritius, Mosambik, Nigeria, Ruanda, Senegal, Sierra Leone, Südafrika, Tansania, Uganda, Sambia.

  10. Vgl. Siegmar Schmidt/Keith Gottschalk, The African Union and the New Partnership for Africa's Development - strong institutions for weak states?, in: Internationale Politik und Gesellschaft (IPG), (2004) 4, S. 138 - 158; Jakkie Cilliers, A guide to the NEPAD African Peer Review Mechanism, Pretoria 2003.

  11. Vgl. NEPAD, Objectives, standards, criteria and indicators for the APRM (http://www.nepad.org/documents/110.pdf).

  12. Die Beispielindikatoren sind in der Regel sehr allgemein definiert und beziehen sich zum größten Teil auf internationale Verträge und Abkommen.

  13. Vgl. V. Matthies (Anm. 1), S. 226.

  14. Vgl Jakkie Cilliers/Kathryn Sturman, Challenges facing the AU's Peace and Security Council, in: African Security Review, 13 (2004) 2, S. 97 - 104.

  15. Anfang 2004 hatten insgesamt 28 Staaten das PSC-Protokoll unterschrieben, von denen u.a. Algerien, Burundi, Kamerun, Sudan, Äthiopien, Libyen und Zimbabwe den Kriterien nicht entsprechen.

  16. Vgl. hier das Protokoll über die Errichtung des PSC, abrufbar über die Homepage der AU (Anm. 3). Das Protokoll trat am 25. 5. 2004 in Kraft, nachdem es von der erforderlichen Zahl von Staaten ratifiziert worden war.

  17. Vgl. Nelson Alusala, African Stand-by Force. East Africa moves on, in: African Security Review, 13 (2004) 1, S. 109 - 120.

  18. Vgl. Anthoni van Nieuwkerk, South Africa's National Interest, in: African Security Review, 13 (2004) 2, S. 85 - 98.

  19. Zit. in: Chris Landsberg, The quiet diplomacy of liberation, Johannesburg 2004, S. 198.

  20. Vgl. Siegmar Schmidt, Afrika - ein marginaler Kontinent? Die Globalisierung aus afrikanischer Perspektive, in: Joachim Betz/Stefan Brüne (Hrsg.), Neues Jahrbuch Dritte Welt. Globalisierung und Entwicklungsländer, Opladen 2003, S. 87 - 100.

  21. Vgl. Tim Hughes, Composers, conductors and players. Harmony and discord in South African foreign policy, Johannesburg 2004, S. 73 - 110.

  22. 22 So der Titel eines Zeitungsbeitrages des aus Nigeria stammenden Direktors des Centre for Conflict Resolution in Kapstadt, Adekeye Adebajo, South Africa: messiah or mercantilist?, in: This Day vom 4. 5. 2004.

  23. Vgl. den Beitrag des früheren südafrikanischen Botschafters in Russland, Gerrit Olivier, Is Thabo Mbeki Africa's saviour?, in: International Affairs, 79 (2003) 4, S. 815 - 828.

Dr. phil., geb. 1961; Professor für Politikwissenschaft an der Universität Koblenz-Landau, Campus Landau. Institut für Sozialwissenschaften, Kaufhausgasse 9, 76 829 Landau.
E-Mail: E-Mail Link: schmidts@uni-landau.de