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Chancengleichheit trotz Studiengebühren: die USA als Vorbild? | Hochschulpolitik | bpb.de

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Chancengleichheit trotz Studiengebühren: die USA als Vorbild?

Michael Hartmann

/ 18 Minuten zu lesen

Amerika, du hast es besser? Bei der Einführung von Studiengebühren verweisen viele auf das Beispiel USA. Der genaue Vergleich zeigt: Die Privatisierung der Kosten wird nicht mehr, sondern weniger Gerechtigkeit und Qualität bringen.

Einleitung

In der laufenden Diskussion über Studiengebühren wird Kritikern, die auf die drohenden sozialen Folgen dieses Schrittes hinweisen, immer wieder das Beispiel der USA entgegengehalten. Dort liege der Anteil der Studierenden aus sozial schwachen Familien weit höher als in Deutschland, obwohl die US-Hochschulen durchweg Studiengebühren erhöben, und zwar höhere als hierzulande vorgesehen. Solche Gebühren seien mit einer sozialen Öffnung der Hochschulen also durchaus vereinbar. Dafür sorge vor allem ein ausgeklügeltes Stipendiensystem, das jedem Bewerber ein Studium gestatte, der die erforderlichen Leistungsvoraussetzungen erfülle.

Dieses Argument hat zunächst viel für sich. Die Studierendenquote in den USA liegt tatsächlich erheblich oberhalb des deutschen Niveaus. Sie bleibt auch nicht auf die oberen Klassen der Gesellschaft beschränkt. Die untere Hälfte der Bevölkerung weist beim Hochschulbesuch ebenfalls ein relativ hohes und außerdem stetig weiter steigendes Niveau auf.

Zwischen 1972 und 1992 konnten die High-School-Absolventen, die aus dem untersten Fünftel der US-Bevölkerung stammen, die Rate der College-Immatrikulation von 38 auf 54 Prozent erhöhen. Das oberste Quintil erhöhte seine Quote in demselben Zeitraum allerdings von 85 auf 94 Prozent.

Hochschulqualität

Ein zweiter Blick offenbart aber die Kehrseite der Medaille. Die Bildungsbeteiligung im postsekundären Sektor liegt in den USA vor allem deshalb so hoch, weil das Angebot an Bildungsinstitutionen in diesem Bereich außerordentlich groß ist und - weit wichtiger - extrem unterschiedlich ausfällt. Von den ungefähr 4200 Hochschulen des Landes bieten gut 1 800, in der Regel so genannte Community Colleges, nur ein zweijähriges Kurzstudium an. Ungefähr 40 Prozent der Studierenden begnügen sich mit dieser Kurzausbildung. Die übrigen Hochschulen, allesamt zumindest Vierjahreseinrichtungen, werden üblicherweise in vier Kategorien unterteilt. Zur ersten Kategorie zählen ungefähr 150 Colleges und Universitäten, zur zweiten gut 250 Colleges. Den deutschen Universitäten in etwa vergleichbar ist nur die erste dieser vier Gruppen, weil dort in der Regel Forschung stattfindet und auch promoviert werden kann.

Die Kinder aus den verschiedenen Klassen und Schichten der US-Gesellschaft verteilen sich sehr ungleichmäßig auf diese vier Hochschultypen. Während die Studierenden an den Hochschulen der obersten Kategorie zu drei Vierteln aus dem obersten Viertel der Bevölkerung und nur zu neun Prozent aus den beiden unteren Vierteln kommen, so sieht es an den Community Colleges fast umgekehrt aus. Dort stammen 51 Prozent aus der unteren Hälfte der Bevölkerung, aber nur 22 Prozent aus dem oberen Viertel. Die übergroße Mehrzahl der Studierenden aus der unteren Bevölkerungshälfte (635000) durchläuft entweder nur eine zweijährige Hochschulbildung oder besucht eine der Hochschulen der beiden schlechteren Kategorien, während es gerade einmal 90000 an die Hochschulen der Kategorien 1 und 2 schaffen. Diese ausgesprochen ungleiche Verteilung über die qualitativ höchst unterschiedlichen Hochschultypen liefert die wesentliche Erklärung dafür, warum die Hochschulbesuchsquote in den USA auch bei den unteren Bevölkerungsschichten so hoch liegt, obwohl Hochschulen, die mit den deutschen auch nur annähernd vergleichbar sind, hohe Studiengebühren nehmen. Die Kinder aus den weniger betuchten Familien gehen vorwiegend dorthin, wo die Ausbildung relativ billig, zugleich aber auch relativ schlecht ist. Die USA beherbergen eben, wie es ein sachkundiger Beobachter einmal formulierte, nicht nur 50 der besten, sondern auch 500 der schlechtesten Hochschulen der Welt.

Leistung

Der klare Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und dem Besuch der einzelnen Hochschultypen sagt allerdings noch nicht aus, inwieweit er auf die Höhe der Studiengebühren oder auf die je nach Elternhaus unterschiedlichen Leistungen der Studierenden zurückzuführen ist; denn das Verhältnis zwischen den Ergebnissen des entscheidenden Scholastic Assessment Test (SAT) und der familiären Herkunft ist ebenfalls sehr deutlich. Von jenen High-School-Absolventen, die auf über 1300 von insgesamt 1600 möglichen Punkten kommen, stammen zwei Drittel aus dem obersten Viertel der Gesellschaft, während die untere Hälfte nur 13 Prozent stellt. Vergleicht man diese Werte mit der sozialen Zusammensetzung der Studierenden, dann liegt der Schluss nahe, dass für die Verteilung der Studienbewerber auf die verschiedenen Hochschultypen überwiegend die in diesem Test gezeigten Leistungen verantwortlich sind. Die Konzentration der Kinder aus der unteren Bevölkerungshälfte an den schlechteren Hochschulen scheint auf ihre geringeren Leistungen zurückzuführen zu sein. Zwar ist unbestreitbar, dass der Leistungsrückstand massive soziale Ursachen hat - zum Beispiel schlechtere Schulen, eine lernfeindliche Umgebung oder fehlende familiäre Unterstützung -, eine darüber hinausgehende Benachteiligung durch die Studiengebühren oder die Aufnahmeprozeduren würde dann aber keine nennenswerte Rolle spielen.

So einfach liegen die Dinge jedoch nicht. Weder gehen alle High-School-Absolventen mit hohen SAT-Scores an die guten Hochschulen, noch rekrutieren diese ausschließlich gute Testteilnehmer. Zwar existiert eine Relation zwischen dem Testergebnis und der Aufnahme an einer der guten Hochschulen, sie ist jedoch sehr viel lockerer, als zu vermuten wäre. So wählen von den ungefähr 130000 Bewerbern mit mehr als 1300 Punkten nur ganze 44000 eine Hochschule der ersten Kategorie. Gleichzeitig weist - und das ist genauso überraschend - nur ein gutes Viertel der Studierenden an den Hochschulen der ersten Kategorie ein Ergebnis von mehr als 1300 Punkten auf. Fast dieselbe Anzahl bringt es nur auf maximal 1100 Punkte (14 Prozent) oder hat an dem Test nicht einmal teilgenommen (9 Prozent). Die Zusammenhänge zwischen SAT-Score und Hochschultyp sind somit wesentlich komplexer.

Die Rolle der Studiengebühren

Da es offensichtlich nicht allein, vielleicht nicht einmal vorrangig, von der intellektuellen Leistungsfähigkeit abhängt, wer in den USA auf welche Hochschule geht, stellt sich die Frage, welche Rolle die Studiengebühren in diesem Prozess spielen. Diese Gebühren fallen je nach Hochschultyp sehr unterschiedlich aus. Für die Two-Years-Colleges betragen sie im Durchschnitt gut 2000 Dollar, für die öffentlichen Four-Years-Colleges liegen sie mit über 5100 Dollar schon zweieinhalbmal und für die privaten Vierjahreseinrichtungen mit mehr als 20000 Dollar sogar zehnmal so hoch.

Angesichts der eindeutigen Vorzüge einer guten Hochschule stellt sich die Frage, warum nicht einmal die Mehrzahl derjenigen, die dank ihrer Leistungen die Voraussetzungen für die Aufnahme an eine dieser Universitäten mitbringen, dort auch studieren. Ein entscheidender, wenn nicht sogar der entscheidende Grund dafür ist in der Höhe der Studiengebühren zu suchen. Während 40 Prozent der Studienanfänger aus Familien mit weniger als 30000 Dollar Jahreseinkommen ein Zweijahres-College besuchen und nur 21 Prozent eine vierjährige Ausbildung an einem privaten College beginnen, sehen die Verhältnisse bei ihren Kommilitonen, die aus Haushalten mit mehr als 90000 Dollar Jahreseinkommen stammen, mit 21 zu 38 Prozent genau entgegengesetzt aus. Die größte Differenz gibt es an den privaten Universitäten, den mit Abstand teuersten Institutionen. Dort studiert zwar mehr als ein Fünftel der Studierenden, die aus einer Familie mit über 200000 Dollar Jahreseinkommen stammen, und immerhin noch fast jeder neunte aus Haushalten mit 100000 bis 200000 Dollar; aber nicht einmal drei Prozent der Studierenden aus Familien mit weniger als 30000 Dollar sind dort eingeschrieben.

Diese Zahlen zeigen, wie wichtig die Studienkosten für die Bildungsentscheidungen mittlerweile sind. In einem Hochschulsystem, dessen Kosten mit über 52 Prozent weltweit am stärksten privat finanziert werden muss, stellen die Studiengebühren auf der einen Seite eine zentrale Einnahmequelle der Hochschulen, auf der anderen Seite jedoch eine große Belastung der Familien dar. Das Studium der Kinder erscheint für 70 Prozent der US-Amerikaner als eine finanzielle Bürde, die die Möglichkeiten einer durchschnittlichen Familie übersteigt, anders als etwa ein Hauskauf oder die Absicherung des Alters. US-Bildungsexperten sehen die große Gefahr, dass so genannte low-income students, die besonders preissensibel sind, in Zukunft seltener studieren oder ganz aus dem Hochschulsystem herausfallen werden. Ob diese Befürchtungen zutreffen, ist noch offen. Die hohen Kosten werden allerdings mit großer Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass immer mehr Kinder aus der unteren Hälfte der Bevölkerung auf die schlechten Hochschulen gehen werden. Sie verzichten damit zwar nicht auf einen Hochschulabschluss, müssen aber bei der Qualität deutliche Abstriche machen.

Diese Gefahr wird umso größer, je stärker die Gebühren die finanziellen Möglichkeiten der Familien überschreiten. Der Trend ist eindeutig. Seit Anfang der 1980er Jahre sind die Gebühren für alle Hochschultypen deutlich schneller gestiegen als die Realeinkommen. Während das durchschnittliche Familieneinkommen unter Berücksichtigung der Inflation zwischen 1980 und 2000 um knapp 22 Prozent gewachsen ist, haben sich die Studiengebühren im selben Zeitraum weit mehr als verdoppelt. Seit 2000 hat sich diese Entwicklung noch einmal beschleunigt. Generell treffen die enorm gestiegenen Gebühren die einzelnen Schichten der US-Gesellschaft sehr unterschiedlich, da die Einkommensentwicklung in den vergangenen drei Jahrzehnten außerordentlich starke Differenzen aufweist. Während die obersten fünf Prozent der Familien ihr Jahreseinkommen zwischen 1980 und 2001 inflationsbereinigt von knapp 112 000 auf über 164 000 Dollar haben steigern können und das vierte Fünftel in der Spitze immerhin noch einen Zuwachs von knapp 71 000 auf nunmehr gut 82 000 Dollar zu verzeichnen hat, haben die anderen Schichten bestenfalls ihre Realeinkommen bewahren können.

So ist es nicht weiter überraschend, dass die Gebührenanhebungen der vergangenen 20 Jahre für das oberste Fünftel der US-Gesellschaft relativ leicht zu verkraften waren. Der Prozentsatz ihres Einkommens, den sie für die Studiengebühren (ohne Berücksichtigung von Stipendien und Darlehen) zahlen müssen, ist zwischen 1980 und 2000 zwar auch gestiegen, aber nur sehr moderat von etwa 1,5 auf zwei Prozent für die staatlichen Vier-Jahres-Hochschulen und von rund sieben auf zehn Prozent für die privaten Vier-Jahres-Einrichtungen. Beim untersten Fünftel sieht das anders aus. Für die beiden genannten Hochschultypen muss mit 25 bzw. knapp 120 Prozent des durchschnittlichen Einkommens nun doppelt so viel aufgewendet werden wie noch 1980.

Stipendien und Darlehen

Wie groß die finanzielle Belastung für die Familien tatsächlich ist, drücken die bisher genannten Zahlen allerdings noch nicht aus. Erst bei Berücksichtigung der zahlreichen Stipendien- und Darlehensprogramme seitens des Bundes, der Einzelstaaten und der einzelnen Hochschulen ergibt sich ein realistisches Bild. In diesem Punkt haben die Befürworter des US-amerikanischen Modells unzweifelhaft Recht. Zieht man die vielfältigen Unterstützungen mit in Betracht, reduzieren sich die Belastungen erheblich. Vor allem in den vergangenen Jahren hat die öffentliche Debatte über die Kostenexplosion bei den Studiengebühren offensichtlich so viel politischen Druck erzeugt, dass es zu einer starken Anhebung der verschiedenen Fördermöglichkeiten gekommen ist.

Interessant ist, wie sich diese Entwicklung auf die verschiedenen Einkommensklassen der US-Bevölkerung ausgewirkt hat. In den 1990er Jahren ist der Nettopreis für ein Zwei-Jahres-College für die untere Hälfte der Bevölkerung leicht von zwei auf drei Prozent ihres Einkommens gestiegen, während er für die beiden oberen mit zwei bzw. einem Prozent gleich blieb. Bei den öffentlichen Vier-Jahres-Hochschulen hat sich die Belastung für das unterste Viertel mit sieben Prozent nicht verändert, für das oberste Viertel von zwei auf drei Prozent des Einkommens erhöht. Relativ am stärksten hat die sehr kleine Zahl von Studierenden von den Unterstützungen profitiert, die aus dem untersten Viertel der Bevölkerung kommt und an einer privaten Vier-Jahres-Einrichtung studiert. Die Kosten für sie haben sich im Verlauf des Jahrzehnts von 30 auf "nur" noch 25 Prozent des Familieneinkommens reduziert, während sie für die Studierenden aus dem obersten Viertel leicht auf 11 Prozent gestiegen sind.

Diese Zahlen zeigen, dass trotz aller Unterstützungsprogramme die wohlhabenden und reichen Familien dennoch am wenigsten belastet werden, weil die enormen Einkommenszuwächse es ihnen erlauben, die höheren Kosten aufzubringen. Außerdem sorgt die zunehmende Verschiebung von einkommensabhängigen (Need-Based Grants) zu leistungsabhängigen Stipendien (Merit Grants) dafür, dass ein stetig steigender Teil der Stipendien den Kindern aus besser situierten Elternhäusern zugute kommt. An den privaten Hochschulen zeigt sich das am deutlichsten. Von 1992 bis 1999 hat sich das Verhältnis zwischen der Unterstützung für Studierende aus dem untersten und dem obersten Viertel der Bevölkerung dramatisch verschoben. Erhielten erstere 1992 mit knapp 2 900 Dollar noch fast 1 000 Dollar mehr an Beihilfen, so bekamen sieben Jahre später die Kinder aus den reicheren Elternhäusern mit gut 3 500 Dollar sogar schon mehr. Entscheidend für diese Veränderung ist das stark gewachsene Gewicht der Merit Grants.

Außerdem können sich Studierende aus ärmeren Familien ein Studium an den besseren Hochschulen allein deshalb immer weniger leisten, weil die Gesamtkosten (inklusive Unterbringung, Verpflegung, Bücher) ihre finanziellen Möglichkeiten übersteigen. Für einen Studienplatz an einem Zwei-Jahres-College müssen Familien aus dem untersten Viertel trotz aller Stipendien ein Drittel ihres Jahreseinkommens zahlen. An einer staatlichen Vier-Jahres-Hochschule sind es mehr als zwei Fünftel und an einer privaten Universität knapp zwei Drittel.

Die relativ hohe Nettobelastung macht es für die meisten Familien unumgänglich, zusätzlich zu den Stipendien und steuerlichen Erleichterungen die verschiedenen staatlichen und privaten Darlehensprogramme (loans) in Anspruch zu nehmen. Machten Stipendien 1993 noch 46 Prozent aller Hilfen aus, waren es 2003 nur noch 38 Prozent. Besonders betroffen davon sind die Graduate Students, bei denen der Anteil der Grants dramatisch von 37 auf 22 Prozent gefallen ist, während es im Undergraduate-Bereich "nur" eine zehnprozentige Senkung gab. Für jeden Vollzeitstudierenden bedeutet das: Lagen 1983 die Grants und die Loans noch in gleicher Höhe bei jeweils gut 1600 Dollar (in konstanten Dollars von 2003), so hat sich die Relation bis 2003 auf gut 5800 zu knapp 4000 Dollar zu Gunsten der Darlehen verändert.

Zwei Entwicklungen sind hier besonders bedenklich. Zum einen deckt die Höchstförderung beim wichtigsten Bundesstipendium (Pell Grant), die seit 1975 real um 20 Prozent gesunken ist, heute nur noch ein gutes Drittel der Kosten an einer staatlichen Vier-Jahres-Hochschule ab, während es vor 25 Jahren noch über 82 Prozent waren. Davon sind ganz besonders die ärmeren Familien betroffen. Zum anderen hat bei den Darlehensprogrammen eine gravierende Verschiebung hin zu den teureren Varianten stattgefunden. So ist der für die untere Hälfte der Bevölkerung interessanteste, weil günstigste Typ, die Federal Perkins Loans, in den vergangenen zehn Jahren auf niedrigem Niveau eingefroren worden. In abgeschwächter Form gilt das auch für das aus Sicht dieses Personenkreises zweitwichtigste Programm, die Subsidized Stafford Loans, bei dem die Zinsbelastung durch staatliche Zahlungen relativ niedrig gehalten wird. Es hat im vergangenen Jahrzehnt nur eine Steigerung von 40 Prozent zu verzeichnen. Dagegen haben die finanziell sehr viel teureren, weil weniger oder gar nicht geförderten Darlehenstypen erheblich an Gewicht gewonnen. Die Unsubsidized Stafford Loans haben sich im selben Zeitraum inflationsbereinigt verachtfacht und die von Privatinstitutionen (wie vor allem Geschäftsbanken, bei denen nicht nur die Zinsraten höher liegen, sondern auch die Rückzahlungsmodalitäten schlechter ausfallen) vergebenen Darlehen versiebenfacht. Lagen die drei erstgenannten Varianten in ihrer Gesamtsumme 1993 noch zehnmal so hoch wie die beiden letztgenannten, so ist die Differenz mittlerweile auf weniger als 20 Prozent zusammengeschmolzen.

Angesichts dieser Zahlen verwundert es nicht, dass sich die durchschnittliche Verschuldung der Studierenden in den USA gravierend erhöht hat. Nach dem Bachelor waren es 1993 (inflationsbereinigt) durchschnittlich 12100 Dollar. 2000 war die Summe dagegen schon auf 19300 Dollar gestiegen, an den Privatuniversitäten mit Promotionsstudiengängen sogar von 16800 auf 28000 Dollar. Zeitungsberichten zufolge sollen es mittlerweile im nationalen Durchschnitt schon über 30000 Dollar sein. Dieser Wert schließt auch alle jene Studierenden mit ein, die an den preiswerten Community-Colleges oder billigen staatlichen Vier-Jahres-Hochschulen studieren. Wer an den teureren Einrichtungen eingeschrieben ist und vor allem, wer nach dem Bachelor noch weiter bis zum Master, zur Promotion oder zum Examen an einer Professional School studiert, kann leicht auf eine Verschuldung bis in den sechsstelligen Bereich hinein kommen.

Eliteuniversitäten und Chancengleichheit

In den vergangenen zwei, drei Jahren ist in der amerikanischen und in der deutschen Presse eine Reihe von Artikeln erschienen, in denen die Topuniversitäten der USA wie Harvard, Princeton oder Stanford für ihr vorbildliches Stipendiensystem gelobt wurden. Der Grundtenor der Artikel lautet: Auch dem Nachwuchs aus den ärmeren Schichten der US-Gesellschaft werde der Besuch der Elitehochschulen ermöglicht, wenn er die erforderlichen Leistungen bringe. Besonders hervorgehoben wird eine Initiative, die Princeton im Wintersemester 2001/2002 startete und der sich Harvard zwei Jahre später angeschlossen hat. Für Studierende aus einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen mit einem Familieneinkommen unter 50 000 (Princeton) bzw. unter 40 000 Dollar (Harvard) wird die Unterstützung seitens der Hochschulen seither nur noch als nicht rückzahlungspflichtiges Stipendium ohne den zuvor üblichen Darlehensanteil vergeben.

Die Tatsache, dass Princeton und Harvard als erste einen solchen Schritt gemacht haben, zeigt zweierlei: zum einen die Sorge, das Image einer prinzipiell für alle zugänglichen Universität nicht mehr aufrecht erhalten zu können, wenn weniger als zehn Prozent (im Falle Princetons genau acht Prozent) der Studierenden aus der unteren Hälfte der Bevölkerung stammen, gleichzeitig aber jeder fünfte Studierende aus den oberen gut zwei Prozent der Gesellschaft stammt. Zum anderen können diese beiden Elitehochschulen sich eine solche Unterstützung finanziell auch am ehesten leisten, weil es sich bei ihnen um die beiden mit Abstand reichsten Hochschulen des Landes handelt.

Die Maßnahmen, die Princeton und Harvard ergriffen haben, waren auf den ersten Blick erfolgreich. So hat Princeton den Anteil der Studierenden aus Familien aus der unteren Hälfte der Bevölkerung zwischen 2001 und 2004 von acht auf 14 Prozent steigern können. Harvard dürfte das mit einer zeitlichen Verzögerung von zwei, drei Jahren ebenfalls gelingen. Dennoch trügt der Eindruck. Gegen eine durchgreifende Veränderung in der sozialen Rekrutierung an den Eliteuniversitäten sprechen vor allem zwei Gründe. Erstens bedarf es, wie erwähnt, der Finanzkraft von Harvard und Princeton, um solche Programme wirklich umfassend realisieren zu können. Zweitens sind die Zugewinne der unteren Bevölkerungshälfte ausschließlich auf Kosten jener Familien gegangen, die zwar überdurchschnittlich verdienen, aber nicht wohlhabend sind. Der Anteil der Kinder aus dem obersten Quintil der US-Gesellschaft blieb davon unberührt. Nach wie vor stellen sie ca. vier Fünftel der an den führenden privaten Eliteuniversitäten eingeschriebenen Studierenden.

Die Bedeutung der Kosten, die ein Studium an einer der Spitzenuniversitäten verschlingt, wird erst klar, wenn man sich die Belastung anschaut, die ein Studium für die einzelnen Einkommensgruppen darstellt. Auch nach Abzug aller Finanzhilfen, die für Studierende aus dem untersten Einkommensquintil an den Ivy-League-Universitäten immerhin über drei Viertel der Gesamtkosten abdecken, bleibt für sie eine Belastung von 53 Prozent des familiären Bruttojahreseinkommens. Die Studierenden aus dem obersten Quintil sind mit nur gut 20 Prozent viel geringer belastet. Das gilt unabhängig davon, ob sie Unterstützung erhalten - wie jeder fünfte von ihnen - oder nicht. Alle Stipendien und sonstigen Hilfsmaßnahmen können die Kosten offensichtlich nicht so weit drücken, dass der aus den Einkommensunterschieden resultierende Vorteil der Kinder aus wohlhabenden und reichen Elternhäusern auch nur annähernd ausgeglichen wird.

Am stärksten von hoher Verschuldung bedroht sind jene Studierenden, die nach dem Bachelor noch weiter studieren. Ein Artikel des Harvard Magazine aus dem Jahr 2002 zeigt sehr deutlich auf, wie brisant dieses Problem inzwischen auch für Harvard geworden ist. Selbst an der Harvard Graduate School of Education, einer der preisgünstigeren Einrichtungen der Hochschule, liegt die durchschnittliche Verschuldung der Studierenden nach dem Master bei 42000 Dollar, fast ein Fünftel mehr als das Einstiegsgehalt der Absolventen. Die Verschuldung erreicht bei denpromovierten Erziehungswissenschaftlern sogar Spitzenwerte von 135000 Dollar; selbst mit den großzügigsten Stipendien liegt die durchschnittliche Verschuldung immer noch bei einem Wert von über 70000 Dollar. Solche Schulden wirken vor allem für jene Studenten bedrohlich und abschreckend, die in bescheidenen oder gar ärmlichen Verhältnissen groß geworden sind und wissen, dass sie im Notfall nicht auf familiäre Unterstützung zurückgreifen können.

Die USA als Vorbild?

Die Entwicklung in den USA zeigt ganz deutlich: Die Hoffnung, dass eine Privatisierung der Kosten für die Hochschulbildung mit dem meritokratischen Prinzip der Leistungsauswahl und der gleichen Chancen für alle Tüchtigen vereinbar sei oder es gar stärke, entbehrt jeglicher Grundlage. Ein Rückzug des Staates aus seiner Verantwortung verschärft vielmehr die Ungerechtigkeit. Wer die deutschen Universitäten - völlig zu Recht - für ihre soziale Selektivität anprangert, der darf nicht übersehen, dass die in Leistung und Qualität vergleichbaren US-Einrichtungen noch selektiver sind. Kommen an den hiesigen Universitäten schon zwei Drittel der Studierenden aus dem oberen Drittel der Gesellschaft, so stammen in den USA sogar drei Viertel aus dem oberen Bevölkerungsviertel. An den hierzulande für ihre Politik der "Need-Blind-Admission" besonders gepriesenen Eliteuniversitäten fällt die Sozialauslese noch krasser aus. Dort studieren mit jeweils einem Fünftel genauso viele Kinder aus Familien der obersten zwei Prozent der US-Bevölkerung wie aus Familien der unteren 80 Prozent, und das, obwohl die ungefähr 15 Prozent der Studierenden, die aus dem Ausland kommen, als Vollzahler die Stipendienprogramme für ihre US-Kommilitonen maßgeblich mit finanzieren.

Die drastische Anhebung der Studiengebühren bildet die Kehrseite der sinkenden öffentlichen Ausgaben für den Hochschulbereich. Vergleicht man beide im Zeitverlauf, so kann man gut sehen, dass die Studiengebühren immer dann besonders stark angehoben wurden, wenn die öffentlichen Ausgaben besonders stark zurückgingen, so Anfang der 1990er und in den vergangenen Jahren. Noch deutlicher wird dieser Zusammenhang bei einem Blick auf die Struktur der Hochschulfinanzierung. Wurden die staatlichen Einrichtungen 1980 noch zu über 50 Prozent durch öffentliche Mittel finanziert und nur zu knapp 13 Prozent durch Studiengebühren, so hat sich das Verhältnis bis 2000 drastisch verändert. Die öffentlichen Zuweisungen machen nur noch gut 36 Prozent aus, die Gebühren dagegen fast 19 Prozent.

In Deutschland ist grundsätzlich mit einer vergleichbaren Entwicklung zu rechnen. Auch hierzulande wird die Erhebung von Studiengebühren Hand in Hand gehen mit einer weiteren Senkung der staatlichen Mittel. Außerdem dürfte, und das ist noch wichtiger, die in den nächsten Jahren bevorstehende Anhebung der Gebühren (auf deutlich mehr als die anfangs als Höchstgrenze genannten 500 Euro) eine soziale Differenzierung des Hochschulbesuchs nach US-Vorbild zur Folge haben. Die ursprünglichen Pläne der hessischen Landesregierung, den Hochschulen zu gestatten, für alle Studiengänge oberhalb des Bachelors Gebühren von bis zu 1500 Euro zu nehmen, deuten an, in welche Richtung es gehen wird. Parallel zur massiven Differenzierung und Hierarchisierung der Universitätslandschaft durch das Exzellenzprogramm und ähnliche Maßnahmen werden sich auch die Gebühren je nach Attraktivität von Universität und Studienfach auseinander entwickeln.

Die guten und vor allem die Spitzenuniversitäten werden in Zukunft auch hierzulande ganz überwiegend den Kindern des Bürgertums vorbehalten sein, während die Masse der Studierenden an die weitgehend auf Ausbildung reduzierten Massenhochschulen verdrängt werden wird.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. CollegeBoard, Education Pays 2004, Washington, D.C. 2004, S. 32.

  2. Nach der Klassifizierung der Carnegie Foundation zählen 151 Hochschulen zur Kategorie Doctoral/Research Universities - Extensive, d.h. zu Universitäten, an denen innerhalb von drei Jahren mindestens 50 Promotionen stattfinden.

  3. Anthony P. Carnevale/Stephen J. Rose, Socioeconomic Status, Race/Ethnicity, and Selective College Admissions, in: Richard D. Kahlenberg (Ed.), America's Untapped Ressource: Low-Income Students in Higher Education, New York 2004, S. 106.

  4. Vgl. Robert Stevens, University to Uni, London 2004, S. xiii.

  5. Der dreistündige Multiple-Choice-Test stellt Fragen aus den beiden Bereichen Sprache (verbal) und Mathematik/Naturwissenschaften (mathematics), bei denen man jeweils maximal 800 Punkte erreichen kann. Der nationale Durchschnitt liegt bei gut 500 Punkten pro Bereich.

  6. Carnevale und Rose definieren die Quartile nicht allein anhand des Einkommens, sondern als sozio-ökonomische Quartile durch eine Kombination von Einkommen, Bildung und Beruf. Die offiziellen Statistiken des U.S. Census Bureaus und der Hochschulen gehen dagegen nur vom Einkommen aus und verwenden zudem unterschiedliche Unterteilungen, Quartile und Quintile, sowie verschiedene Einkommensstufen (mal beginnt die höchste Einkommenskategorie bei 90000, mal bei 100 000 Dollar). Das macht die Datenlage und damit auch die Darstellung etwas kompliziert. Im Text handelt es sich bei Angaben aus offiziellen Quellen (auch CollegeBoard) deshalb immer um Einkommensklassen, bei Zahlen, die auf Carnevale und Rose Bezug nehmen, um sozio-ökonomische Quartile.

  7. Vgl. P. Carnevale/S. Rose (Anm. 3), S. 130.

  8. Welch große Rolle die Qualität der besuchten Schule spielt, zeigt sich, wenn man die Schulen in drei Kategorien unterteilt und dann die erreichten Testergebnisse je nach sozialer Herkunft miteinander vergleicht. Während die Resultate beim obersten Viertel der Bevölkerung nur um 10 Prozent differieren, beträgt der Unterschied bei den beiden unteren Vierteln zwischen 50 und über 100 Prozent. Vgl. P. Carnevale/S. Rose (Anm. 3), S. 132.

  9. Eigene Berechnungen nach P. Carnevale/S. Rose (Anm. 3), S. 137. Immerhin besucht fast jeder dritte High-School-Absolvent aus dem untersten Einkommensviertel der Gesellschaft trotz eines Ergebnisses, das im oberen Drittel liegt, überhaupt keine Hochschule. Vgl. CollegeBoard (Anm. 1), S. 30.

  10. Vgl. P. Carnevale/S. Rose (Anm. 3), S. 137.

  11. Vgl. CollegeBoard, Trends in College Pricing 2004, Washington, D.C. 2004, S. 8.

  12. Bei den privaten Eliteuniversitäten kommen dann noch die Aufnahmeverfahren dazu, welche die Kinder aus bürgerlichen Kreisen ganz eindeutig begünstigen. Vgl. Michael Hartmann, Elitesoziologie. Frankfurt/M. 2004, S. 123ff. und Jerome Karabel, The Chosen, Boston 2005.

  13. Vgl. CollegeBoard (Anm. 1), S. 33.

  14. Vgl. Christian Bergs/Christiane Konegen-Grenier, Studiengebühren. Erfahrungen im Ausland. Lektionen für Deutschland (unveröffentlichtes Paper), Köln 2004, Abbildung 11.

  15. Vgl. John Immerwahr, The Affordability of Higher Education: A Review of Recent Survey Research. A Report by Public Agenda for the National Center for Public Policy and Higher Education, New York 2002, S. 23.

  16. Vgl. National Center for Public Policy and Higher Education, Losing Ground, San Jose 2002, S. 5.

  17. Neuere Auswertungen liegen leider nicht vor.

  18. Vgl. CollegeBoard (Anm. 11), S. 18.

  19. Vgl. CollegeBoard, Trends in Student Aid 2004, Washington, D.C. 2004, S. 16.

  20. Vgl. CollegeBoard (Anm. 11), S. 18.

  21. Vgl. CollegeBoard (Anm. 19), S. 12f.

  22. Eigene Berechnungen nach CollegeBoard (Anm. 11), S. 9 und CollegeBoard (Anm. 19), S. 14.

  23. Vgl. CollegeBoard (Anm. 19), S. 7.

  24. Vgl. National Center of Education Statistics, The Condition of Education 2004, Washington, D.C 2004, S. 99.

  25. Schon von den Undergraduates kommen an den Ivy-League-Universitäten drei Viertel aus diesem Teil der Bevölkerung; vgl. Catherine Hill/Gordon Winston/Stephanie Boyd, Affordability: Family Incomes and Net Prices at Highly Selective Private Colleges and Universities. (Discussion Paper) Williams Project on the Economics of Higher Education, Williamstown, S. 6. Bezieht man die Masterstudiengänge, die in viel geringerem und zudem sinkenden Maße durch Stipendien gefördert werden, sowie vor allem die mit Gebühren von über 40000 Dollar sehr kostenaufwendigen Professional-Schools mit ein, wird die Marke von 80 Prozent erreicht.

  26. Vgl. ebd., S. 9.

  27. Ein Bericht der Brookings Institution zeigt, dass die Gebührenbelastung für eine Mittelschichtfamilie zwischen 2001 und 2004 mit zehn Prozent mehr als dreimal so schnell gestiegen ist wie ihr Einkommen, während sich bei einer Upper-Class-Familie die Relation zugunsten der Einkommen verändert hat.

  28. Vgl. CollegeBoard (Anm. 11), S. 19f.

  29. Vgl. Michael Hartmann, Elite und Masse - die Aufspaltung der deutschen Universitätslandschaft in Forschungs- und Ausbildungsuniversitäten, in: Heinz Sünker (Hrsg.), Bildungspolitik und Bildungsforschung, Frankfurt/M. (i. E.).

Dr. phil., geb. 1952; Professor für Soziologie, TU Darmstadt, Institut für Soziologie, Residenzschloß, 64283 Darmstadt.
E-Mail: E-Mail Link: hartmann@ifs.tu-darmstadt.de