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Virtueller Wasserhandel zur Überwindung der Wasserkrise? | Wasser | bpb.de

Wasser Editorial Der Traum vom schnellen Wasser-Geld Wasserknappheit und Ernährungssicherung Süßwasservorräte und Klimawandel Partnerschaften - Lösung der globalen Wasserkrise? Virtueller Wasserhandel zur Überwindung der Wasserkrise? Zur Rolle der Ressource Wasser in Konflikten

Virtueller Wasserhandel zur Überwindung der Wasserkrise?

Lena Horlemann Susanne Neubert Susanne Lena / Neubert Horlemann

/ 15 Minuten zu lesen

Der virtuelle Wasserhandel erfährt als internationales Konzept zur Wassereinsparung zunehmende Beachtung. Vor- und Nachteile dieser Strategie werden diskutiert.

Einleitung

Die herannahende globale Wasserkrise ist in aller Munde. Weltweit werden daher Ansätze diskutiert, wie diese Krise abgewendet werden kann. Wasserressourcen müssen nachhaltig geschützt werden, damit der heutigen Weltbevölkerung und zukünftigen Generationen Wasser in angemessener Menge und Qualität zur Verfügung steht. Bei näherer Betrachtung haben dabei Verteilungsfragen die oberste Priorität. Weltweit leben etwa 1,4 Milliarden Menschen ohne einen gesicherten Zugang zu Trinkwasser, rund 2,6 Milliarden fehlen adäquate Einrichtungen zur Wasserentsorgung und -aufbereitung. Und das, obwohl global genügend Wasserressourcen existieren, um auch bei einer wachsenden Weltbevölkerung alle Nutzer - d.h. Menschen wie Ökosysteme - zu versorgen.

Zunehmende Verschmutzung und unzureichende Infrastruktur, aber auch fehlender politischer Wille, diese Missstände zu beheben, sind zumeist die ausschlaggebenden Faktoren, die eine Versorgung der Menschen mit Wasser verhindern. Gerade in wasserarmen Ländern spielt dabei eine erhebliche Rolle, dass der überwältigende Anteil des verfügbaren Wassers in der Bewässerungslandwirtschaft eingesetzt wird (im Weltdurchschnitt rund 70 Prozent, in wasserarmen Ländern häufig rund 90 Prozent).

Vor allem im Nahen und Mittleren Osten sowie in Nordafrika (MENA-Region) wird heute zum Teil schon mehr Wasser verbraucht, als sich regenerieren kann. Eine Lösung des Problems der Wasserknappheit ist hier daher besonders dringlich. Denn entgegen der populären Meinung, Kriege zwischen den Staaten würden in Zukunft um Wasser ausgetragen, liegt das Konfliktpotenzial vielmehr auf der lokalen Ebene, auf der sich die Konkurrenz zwischen den verschiedenen Nutzern - Haushalten, Bauern, Viehzüchtern - verschärft. Einen Ansatz zur längerfristigen Bewältigung der Wasserkrise und zur Verminderung dieser Konflikte stellt das Konzept des "virtuellen Wasserhandels" dar.

Virtueller Wasserhandel - Das Konzept

Die Produktion nahezu jeden Gutes erfordert den Einsatz von Wasser. In der Landwirtschaft wird es in Form von Regen- oder Bewässerungswasser genutzt, in der Industrie z.B. als Kühlwasser. Im Endprodukt ist das genutzte Wasser nicht mehr (oder nur zum kleinen Teil) physisch enthalten und wird daher als "virtuelles Wasser" bezeichnet. Der Austausch dieser Waren bedeutet somit auch den Handel mit dem darin virtuell enthaltenen Wasser. Ausgehend von dieser Erkenntnis formulierte der Geograph Anthony Allan die Idee, dass durch den gezielten Handel mit virtuellem Wasser die unterschiedlichen Wasserverfügbarkeiten einzelner Länder ausgeglichen werden könnten. Sein Konzept des virtuellen Wasserhandels - das er vorwiegend für die MENA-Region entwickelt hat - basiert auf der Vorstellung, dass wasserarme Länder ihren Bedarf an landwirtschaftlichen Produkten - vor allem Grundnahrungsmittel wie Getreide - verstärkt durch Importe aus wasserreichen Ländern decken, anstatt sie selbst zu produzieren. Das Ziel ist eine räumliche Verlagerung der wasserintensiven landwirtschaftlichen Produktion.

Globalisierung und virtueller Wasserhandel

Mit der fortschreitenden Globalisierung nehmen der weltweite Handel insgesamt und damit auch der virtuelle Wasserhandel zu. Den größten Anteil haben die Agrarprodukte, die rund 80 Prozent des virtuell gehandelten Wassers ausmachen. Forscher des Institute for Water Education haben umfangreiche Analysen vorgelegt, in denen die globalen Ströme von virtuellem Wasser bemessen werden. Sie zeigen, dass heute durch den Handel mit Agrargütern global betrachtet jährlich rund acht Prozent des gesamten für die Produktion von Nahrungsmitteln aufgewendeten Wassers gespart werden. Dies resultiert aus der Tatsache, dass die Effizienz der Wassernutzung in den einzelnen Ländern teilweise deutlich divergiert, sei es aus technologischen, sei es aus klimatischen Gründen. So werden z.B. in Frankreich zur Produktion von einem Kilogramm Mais im Bewässerungsfeldbau 530 Liter Wasser benötigt, während in Ägypten - insbesondere aufgrund der dort wesentlich höheren Verdunstungsraten - dazu 1.100 Liter erforderlich wären. Die globale Ersparnis beträgt somit 570 Liter Wasser pro Kilogramm, wenn Frankreich den Mais anbaut und Ägypten diesen importiert. Die weltweiten Einsparpotenziale von strategisch eingesetztem virtuellen Wasserhandel sind vor diesem Hintergrund also relevant. Die Frage ist, inwiefern wasserarme Entwicklungsländer Einfluss auf den Welthandel nehmen können und wollen. Der Großteil des Agrarhandels wird durch die OECD- und die Schwellenländer bestimmt. Entwicklungsländer haben nur geringen Einfluss auf den Weltmarkt. Daher gilt es zu identifizieren, wie Handelsströme zugunsten einer effektiveren und effizienteren Nutzung der weltweiten Wasserressourcen beeinflusst werden können.

Alternative Nutzung des eingesparten Wassers

Die Frage nach der alternativen Nutzung des durch virtuellen Wasserhandel eingesparten Wassers ist deshalb wichtig, weil die Entscheidung eines Landes, verstärkt virtuelles Wasser zu importieren, immer politökonomisch motiviert sein wird und nicht auf rein ökologischen Gegebenheiten basiert. Insofern hat gezielter Handel mit virtuellem Wasser vermutlich nur dann eine Chance, wenn daraus ein wirtschaftlicher Mehrwert für das Land erwächst.

Zunächst kann zwischen so genannten "blauem" und "grünem" Wasser unterschieden werden. Als "blau" wird das Süßwasser in Aquiferen, Seen und Flüssen bezeichnet, während "grünes" Wasser im Boden und in der Pflanze gebunden ist. Blaues Wasser lässt sich leichter alternativ nutzen als grünes, denn es kann transportiert werden. Im Gegensatz dazu kann lediglich der Boden, in dem grünes Wasser gebunden ist, alternativ genutzt oder bebaut werden (z.B. Forstwirtschaft, Viehhaltung oder der Erhalt von Ökosystemen). Die Diskussion um virtuellen Wasserhandel wird zwar über beide Typen von Wasser geführt, dennoch kommt dem blauen Wasser, das zur Bewässerung von landwirtschaftlichen Flächen genutzt wird, eine besondere Bedeutung zu, denn blaues Wasser ist das einzige Reservoir für die Trinkwasserversorgung. Politisch und praktisch ist die alternative Nutzung des eingesparten Wassers als Trinkwasser von größter Bedeutung gegenüber den anderen Nutzungen. Die Entscheidung fußt dann allerdings darauf, welche Nutzung von der Gesellschaft als prioritär angesehen wird.

Das gesparte blaue Wasser kann auch in der Industrie eingesetzt werden und damit zu einer prosperierenderen Wirtschaft beitragen, da Konsum- oder Exportgüter eine höhere Wertschöpfung als landwirtschaftliche Produkte generieren können. Ein großer Vorteil bei der industriellen Nutzung von Wasser besteht darin, dass es zumeist mehrfach eingesetzt werden kann, bevor es in Flüsse oder Abwassersysteme zurückgeleitet wird. Eine weitere alternative Nutzungsart, die sowohl für blaues als auch für grünes Wasser denkbar ist, ist der Anbau weniger wasserintensiver oder höherwertigerer Agrarkulturen. Hiermit könnte entweder absolut Wasser eingespart oder mehr Wertschöpfung pro Volumeneinheit Wasser erreicht werden.

Erwartete positive Effekte des virtuellen Wasserhandels

Das Konzept des strategischen virtuellen Wasserhandels wird in der Fachwelt äußerst kontrovers diskutiert. Befürworter sehen in ihm eine gute Möglichkeit, nachhaltig mit knappen Wasserressourcen umzugehen und gleichzeitig den weltweiten Bedarf an Nahrungsmitteln zu befriedigen. Der Strukturwandel, der durch die - wohlgemerkt langsame - Abkehr von der wasserintensiven Landwirtschaft vollzogen würde, könnte sich zudem vorteilhaft auf die wirtschaftliche Stärke des wasserarmen Landes auswirken. Die Erwirtschaftung von Devisen, z.B. durch den Export von Industrieprodukten, wäre auch notwendig, um Importe von virtuellem Wasser zu finanzieren. Weiterhin ist denkbar, das Konzept als regionale Strategie umzusetzen. So könnten sich Nettoimporteure und -exporteure von virtuellem Wasser herausbilden, und der Süd-Süd-Handel würde angeregt. Denkbar wäre dieser Ansatz etwa im südlichen Afrika. Relativ wasserreiche Länder wie Angola oder Mosambik könnten verstärkt virtuelles Wasser exportieren, während wasserarme Länder wie Botswana und Namibia dieses importieren würden.

Für Länder mit unterschiedlichen Vegetationszonen kann virtueller Wasserhandel auch auf nationaler Ebene sinnvoll sein und wäre womöglich dort am einfachsten zu realisieren, da hier keine Risiken politischer Abhängigkeiten eingegangen und keine Devisen für den Import aufgebracht werden müssten. Auch Handelshemmnisse existieren hier nicht wie auf zwischenstaatlicher Ebene. Ein Land mit sowohl wasserarmen als auch wasserreichen Gegenden, in dem erhebliches Potenzial bestünde, wäre z.B. China. Kostengünstige Methoden, an zusätzliche Wasserquellen zu gelangen, erschöpfen sich mehr und mehr. Auch der Transport zur Verteilung des Wassers in wasserknappe Regionen wird immer teurer, er verbraucht zudem viel Energie. Virtueller Wasserhandel könnte kostspielige und nicht nachhaltige Ansätze der Wassergewinnung und -allokation überflüssig machen, wie etwa den Bau von Staudämmen, die der Versorgung der Bewässerungslandwirtschaft dienen sollen. Zu guter Letzt meinen die Befürworter einer solchen Strategie, dass Konflikte um Wasser durch den virtuellen Wasserhandel verhindert werden können. Dies betrifft vor allem die lokalen Spannungen, die durch zunehmende Wasserarmut auftreten.

Schwachstellen des Konzepts

Kritiker des Konzepts kommen vor allem aus den Reihen der Politikwissenschaftler und (Agrar-)Ökonomen. Sie halten eine Umsetzung von internationalem virtuellem Wasserhandel als handelspolitische Strategie für unrealistisch, ja sogar für kontraproduktiv. Denn das Konzept basiert im Wesentlichen darauf, dass Dumpingpreise für Nahrungsmittel auf dem Weltmarkt durch die Agrarsubventionen des Westens gehalten werden. Nur wenn diese Preise auch niedrig bleiben, entsteht für wasserarme Länder ein Anreiz, landwirtschaftliche Produkte eher zu importieren als selbst anzubauen. Selbst wenn die Preise für Nahrungsmittel niedrig blieben, wären die Importe für die meisten Entwicklungsländer nicht bezahlbar, so die Kritiker weiter. Ein Strukturwandel, der eine Umsetzung der Strategie ermöglichen würde, beansprucht eine ungewisse Zeit und wäre mit zahlreichen Trade-offs verbunden, so dass virtueller Wasserhandel das akute Problem der Wasserknappheit nicht bewältigen kann und neue Probleme hervorbringt.

Aus Sicht von Sozialwissenschaftlern birgt eine politisch induzierte Umsetzung des virtuellen Wasserhandels die Gefahr, dass mit planmäßiger Reduzierung des landwirtschaftlichen Sektors eine Verödung des ländlichen Raums stattfindet. Gerade in Entwicklungsländern sind große Teile der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig. Die Ergebnisse wären Landflucht, steigende Arbeitslosigkeit und weitere Verstädterung. Dies könnte noch dadurch begünstigt werden, dass Nahrungsmittelimporte wegen hoher Transport- und Lagerverluste sowie Mangel an guter Regierungsführung gar nicht erst die ländlichen Gebiete erreichen.

Selbst wenn alternativ weniger wasserintensive Agrarprodukte angebaut würden, blieben sozioökonomische Risiken aufgrund der Pfadabhängigkeiten bestehen. Dies bedeutet, dass eine historisch entwickelte Produktionsweise nur schwer zu revidieren ist, da Produktionsfaktoren und -technologien, akkumuliertes Wissen sowie lokale Institutionen in den meisten Fällen wenig flexibel sind. Der Grund liegt zum einen darin, dass Neuerungen meist mit hohen Kosten verbunden wären, zum anderen werden v.a. institutionelle Einrichtungen oftmals als Tradition empfunden, so dass auch der Wille oder Mut fehlt, diese zu verändern. Ökologen meinen zudem, dass es auch in Ländern, die eigentlich als wasserreich gelten, zur Übernutzung von Ressourcen kommen kann, und zwar nicht nur von Wasserressourcen, sondern auch z.B. von Böden. In eine Bewertung der Potenziale des virtuellen Wasserhandels sollten daher immer auch die Auswirkungen auf das gesamte Ökosystem einbezogen werden. Zu guter Letzt stellt sich die Frage, wie sich eine politisch induzierte Strategie von virtuellem Wasserhandel mit Ansätzen der Dezentralisierung von Entscheidungsfindungsmechanismen und dem Appell - vor allem der westlichen Länder - nach vermehrter Subsidiarität vereinen lässt. Die Forderung nach einer umfassenden Umsetzung erhält aufgrund der damit verbundenen sozialen und ökonomischen Umstrukturierungen einen allzu planwirtschaftlichen Charakter.

Politische Überlegungen am Beispiel der MENA-Region

Virtueller Wasserhandel hat also aus Sicht verschiedener Disziplinen Potenziale, aber auch Schwachstellen vorzuweisen. Besonders relevant sind aber politische Determinanten, da die Politik letztlich darüber entscheidet, ob virtueller Wasserhandel in einem Land strategisch umgesetzt wird oder nicht. Was könnten also die Motive der Entscheidungsträger sein, sich für die Strategie zu entscheiden, und welches könnten Hinderungsgründe sein?

Wie Anthony Allan mehrfach argumentiert hat, wird nachhaltiges Management von Wasserressourcen - vor allem in der MENA-Region - dadurch verhindert, dass eine öffentliche Diskussion über das Problem der Wasserknappheit kaum existiert. Allan nennt dies einen "sanktionierten Diskurs", womit er ausdrücken will, dass zwar in Kreisen der Politiker wie auch der Wissenschaftler ein Bewusstsein darüber besteht, dass Wasserressourcen zunehmend knapp werden, ein Diskurs in der Öffentlichkeit aber vermieden wird - denn der uneingeschränkte Zugang zu Wasser wird vielfach von der Bevölkerung als grundlegendes Recht verstanden.

Virtueller Wasserhandel als politische Strategie kommt Allan zufolge diesem Phänomen entgegen. Indem verstärkt Nahrungsmittel importiert werden und somit die nationale Produktion nach und nach abnimmt, reduziert sich der Wasserverbrauch in der Landwirtschaft automatisch. Das Problem erledige sich demnach "politisch lautlos" von selbst. Politische Kosten, die notwendig wären, um Aufklärungsarbeit bzw. Akzeptanz für ein politisches Programm zum Wassersparen zu schaffen, entfielen somit. Doch ganz so leicht ist eine Reduzierung der landwirtschaftlichen Produktion nicht möglich, denn es stellt sich im Zusammenhang mit dem Problem der Wasserübernutzung - durch den hohen Wasserverbrauch in der Landwirtschaft - die Frage nach der adäquaten Landnutzung. Ein politisches Eingreifen würde aber bedeuten, dass formelle und traditionelle Landnutzungsrechte berührt würden. Auch Tarife oder Preise für Wasser und seine Bereitstellung können oft nicht erhoben werden, da das Wasser auf privatem Land entnommen wird und staatliche Kontrollen schwierig sind. Zum anderen ist die Vorstellung der Selbstversorgung - mit Wasser oder Nahrungsmitteln - und der Unabhängigkeit von anderen Staaten oftmals eine Frage des Selbstwertgefühls - auch wenn diese vielfach bereits real nicht existieren. Eine öffentliche Debatte um Wassermangel ist daher politisch äußerst sensibel.

Auch der ehemalige jordanische Minister für Wasser und Bewässerung, Hazim El-Naser, meint, dass eine Beschränkung der Wasserentnahmen durch Gesetze kaum möglich sei. Er denkt aber, dass eine Optimierung der Produktionseffizienz (z.B. durch Einführung von Tröpfchenbewässerung) der richtige Ansatz sei, da sie eine realistische Chance zur Umsetzung habe. Strategischer virtueller Wasserhandel könnte seiner Meinung nach in eine Gesamtstrategie zur Verbesserung des Wassermanagements einfließen. Seine Hoffnung setzt er vor allem in die jüngere Generation, deren Bewusstsein für den Umgang mit Ressourcen geschärft werden könne.

Für welche Länder könnte virtueller Wasserhandel sinnvoll sein? Eine Umstellung von landwirtschaftlicher auf industrielle Produktion ist nicht auf Knopfdruck möglich und auch nicht so einfach plan- und steuerbar; das zeigt die Existenz vieler Weltprobleme. Auf jeden Fall handelt es sich um sehr langsame Prozesse. Unterschiedliche Rahmenbedingungen erfordern daher "eine regionalisierte Betrachtung der Sinnhaftigkeit von virtuellem Wasserhandel und seinen sozioökonomischen Voraussetzungen". In vielen Entwicklungsländern arbeitet ein relevanter Anteil der Bevölkerung in der Landwirtschaft für die Sicherung des eigenen Nahrungsbedarfs. Die Subsistenzlandwirtschaft ist dabei zwar vom ökonomischen Kreislauf ausgeschlossen, trägt aber einen wichtigen Teil zur Armutsminderung bei. Für solche Bevölkerungen - und somit offenbar generell für sehr arme Entwicklungsländer - scheidet der virtuelle Wasserhandel daher aus, denn er würde lediglich mit Nachteilen, z.B. mehr Abhängigkeit und mehr Armut, erkauft werden.

Der virtuelle Wasserhandel könnte aber für solche Länder von Interesse sein, die trotz absoluter Wasserknappheit über einen relativ hohen Entwicklungsstand verfügen und die daher die ökonomische Potenz aufweisen, um die nötigen Devisen für virtuelle Wasserimporte zu erwirtschaften. Dies sind vor allem die Länder des Nahen und Mittleren Ostens (z.B. Jordanien, Syrien) und zum Teil des südlichen Afrikas (z.B. Südafrika, Botswana). Zudem eignen sich diese Ländergruppen am ehesten, weil dort die Abhängigkeit von der Landwirtschaft i.d.R. geringer ist als in wenig entwickelten Ländern. Hierdurch sind auch die verknüpften sozioökonomischen Risiken geringer zu veranschlagen.

Wege zur Umsetzung

Planwirtschaftliche Maßnahmen sind im Zusammenhang mit virtuellem Wasser kaum empfehlenswert. Wie also kann erreicht werden, dass der Handel mit agrarischen Gütern Schritt für Schritt in diese Richtung gelenkt wird? Möglich wären z.B. Anbaubeschränkungen für wasserintensive Produkte, Begrenzungen für Wasserentnahmen zur Bewässerung von Kulturen und eine Einführung von auf Rohwasser bezogenen Wasserpreisen. Am sinnvollsten scheint es, das Konzept im Rahmen der Ansätze zur ökonomischen Bewertung von Rohwasser einzusetzen. Vor allem Wirtschaftswissenschaftler vertreten die These, dass das Konzept des virtuellen Wasserhandels versucht, das Pferd von hinten aufzuzäumen. Maßgeblich für die Entscheidung, welche Produkte in einem Land hergestellt, welche im- und exportiert werden, ist nicht die Menge an verfügbarem Wasser, sondern sind die komparativen Kostenvorteile, die in den Entwicklungsländern zumeist Arbeitskraft und Boden sind. Daher müssten in erster Linie Preise für Wasser und seine Bereitstellung dafür sorgen, dass Wasser sich zu einem relevanten Kostenfaktor entwickelt. In wasserarmen Ländern würde dann Wasser aufgrund seiner Knappheit automatisch so teuer, dass sich Bewässerungslandwirtschaft nur bei einem sehr wassereffizienten Landmanagement und bei bestimmten Kulturarten lohnen würde. Der Handel mit Nahrungsmitteln, also virtuellem Wasser, würde dann aus rein ökonomischen Gründen zunehmend zwischen wasserarmen und wasserreichen Ländern stattfinden.

Südafrika beginnt, diesen Weg einzuschlagen. Im Jahr 1997 wurde, um Wasserressourcen zu sparen und vor allem dem Problem der Unterversorgung mit Trinkwasser Herr zu werden, das White Paper on Water Policy erlassen, in dem es heißt: "Wo Wasser zur Herstellung von wasserintensiven Produkten (...) benötigt wird, kann es effizienter sein, diese zu importieren, als zu versuchen, sie in einer wasserarmen Gegend zu produzieren. Die Einführung von Managementinstrumenten wie der Bepreisung wird diesen Ansatz unterstützen." Deutliches Ziel dieser Wasserpolitik ist es, den Handel mit virtuellem Wasser auszubauen, um Wasserressourcen zu sparen. Im Zuge dessen werden seither Preise für Wasser und seine Bereitstellung erhoben, seit dem Jahr 2004 wird Wasser zusätzlich rationiert. Um arme Bevölkerungsteile nicht zu benachteiligen, wurden Unterstützungsprogramme für die Armen eingeführt.

Südafrikas Maßnahmen sind durchaus nicht unumstritten bzw. können nicht für alle wasserarmen Länder als Blaupause dienen. Aus Sicht der Kritiker sind mit der Einführung von Preisen für Wasser immer noch zu hohe soziale Kosten verbunden. In anderen Ländern - wie z.B. in Jordanien - wird das Erheben von Gebühren von Fachleuten als nicht durchsetzbar angesehen. Die einzig vernünftige Lösung scheint zu sein, virtuellen Wasserhandel in den Ansatz des Integrierten Wasserressourcen-Managements (IWRM) einzubinden. 1992 in den Dublin-Prinzipien verankert, stellt er heute das allgemein anerkannte Leitbild für die nachhaltige Nutzung und Bewirtschaftung von Wasserressourcen dar. Ziel von IWRM ist es, in einem partizipativen Prozess Lösungen zu erarbeiten, die für alle Nutzer und Nutzungen akzeptabel sind und die verschiedenen Interessen - vor allem zwischen den Sektoren - gleichgewichtig berücksichtigen.

Schlussfolgerungen

Um Wasserressourcen einzusparen, sollten vorrangig alle bestehenden und effizienten Ansätze für ein verbessertes Management der Wasserressourcen ausgeschöpft werden. IWRM ist das maßgebliche Konzept, das hier herangezogen werden muss. Virtueller Wasserhandel kann nur dann eine sinnvolle Lösung für das Problem von Wasserarmut eines Landes sein, wenn erstens andere, bereits anerkannte Ansätze das Problem nicht beheben und zweitens ausgeschlossen werden kann, dass er mit erheblichen sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Folgen (auch für die Exportländer) verbunden ist.

Dies gilt insbesondere für arme Entwicklungsländer, deren Wirtschaft hauptsächlich auf der Agrarwirtschaft beruht. Anders sieht das für Länder mit höherem Einkommen aus. Auch hier muss zwar IWRM als maßgebliches Konzept berücksichtigt werden. Dennoch besteht in diesen Ländern ein größeres Potenzial, ergänzend den virtuellen Wasserhandel einzusetzen, da für den Import von Nahrungsmitteln entsprechende Devisen generiert werden können und hier weniger negative sozioökonomische Folgen erwartet werden als in den armen Entwicklungsländern. Insgesamt muss daher eruiert werden, was die maßgeblichen Ursachen der Wasserarmut sind. Ist ein Land physisch wasserarm, müssen andere Maßnahmen ergriffen werden, als wenn die Wasserarmut ökonomische Ursachen hat oder auf Missmanagement und schlechter Regierungsführung beruht.

Um zu erreichen, dass Wasser einen ebenbürtigen Stellenwert neben den Produktionsfaktoren Arbeit, Boden und Kapital erlangt, sollte die Diskussion um virtuellen Wasserhandel verstärkt im Zusammenhang mit Preisen für Wasser, seine Bereitstellung und Aufbereitung bzw. Entsorgung geführt werden, auch wenn dies vielfach einen politischen Kraftakt bedeutet. Virtueller Wasserhandel als Strategie bleibt zudem immer eine politische und gesellschaftliche Entscheidung. Selbst wenn alle Aspekte und Indikatoren für eine Umsetzung sprechen, müssen in erster Linie die politischen Entscheidungsträger und die Gesellschaft überzeugt sein, das Konzept in konkrete Maßnahmen überführen zu wollen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Der Artikel basiert zu großen Teilen auf den Ergebnissen der Studie von Lena Horlemann/Susanne Neubert, die am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) im Rahmen des Forschungsprojekts "Virtueller Wasserhandel - Ein realistisches Konzept zum Umgang mit Wasserarmut in Entwicklungsländern?" entstand und als Manuskript vorliegt. Im Rahmen des Projekts wurden zudem Papiere von folgenden Autorinnen und Autoren erstellt, die jeweils eine Sicht der tangierten Disziplinen darstellen: Michael Brüntrup, Hazim El-Naser, Holger Hoff/Mutasem El-Fadel/Munther Haddadin, Diana Hummel, Thomas Kluge/Stefan Liehr, Daniel Malzbender, Richard Meissner, Lena Partzsch/Philipp Schepelmann, Roland Treitler, Eva Youkhana/Wolfram Laube. Vgl. Aaron Wolff, Conflict and Cooperation Along International Pathways, in: Water Policy, 1 (1998) 2, S. 251 - 265.

  2. Vgl. Anthony Allan, Virtual Water: a long term solution for water short Middle Eastern economies. Paper presented at the 1997 British Association Festival of Science, University of Leeds 1997.

  3. Vgl. Arjen Y. Hoekstra (Hrsg.), Virtual Water Trade - Proceedings of The International Expert Meeting on Virtual Water Trade, Research Report Series No. 12, Delft 2003.

  4. Vgl. Taikan Oki u.a., Virtual Water Trade To Japan And In The World, in: ebd., S. 221 - 235.

  5. Vgl. Daniel Renault, Value of Virtual Water in Food: Principles and Virtues, in: ebd., S. 77 - 91.

  6. Vgl. Malin Falkenmark/Jan Lundquist/Carl Widstrand, Macro-scale water scarcity requires micro-scale approaches: Aspects of vulnerability in semi-arid development, in: Natural Resources Forum, 13 (1998) 4, S. 258 - 267.

  7. Vgl. Anton Earle/Anthony Turton, The Virtual Water Trade Amongst Countries of the SADC, in: A.Y. Hoekstra (Anm. 3), S. 183 - 197.

  8. Vgl. Anthony Allan, The Middle East Water Question. Hydropolitics and the Global Economy, London - New York 2002.

  9. Vgl. Thomas Kluge/Stefan Liehr, in: Lena Horlemann/Susanne Neubert, "Virtueller Wasserhandel". DIE-Studie, S. 13.

  10. Die Diskussion um die sozialen Folgen von Wasserpreisen kann hier nicht im Einzelnen geführt werden. Anerkannte Meinung ist es jedoch, dass Wasserressourcen nur dann adäquat bewirtschaftet werden, wenn Preise und Tarife für seine Bereitstellung, Aufbereitung und Entsorgung eingeführt werden. Vgl. Yacov Tsur u.a., Pricing Irrigation Water: Principles and Cases from Developing Countries, Washington, D. C. 2004.

  11. Vgl. http://www.polity.org.za/html/govdocs/white_papers/water.html?rebookmark=1.

  12. Vgl. Susanne Neubert/Lena Horlemann, Empfehlungen zur zukünftigen strategischen Orientierung der deutschen EZ im Wasser- und Bewässerungssektor, DIE Discussion Paper Nr. 4/2005, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Bonn 2005.

M. A., geb. 1975; wiss. Mitarbeiterin am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) in Bonn; Im Tulpenfeld 4, 53113 Bonn.
E-Mail: E-Mail Link: Lena.Horlemann@die-gdi.de

Dipl.-Ing., Dr. rer. agr., geb. 1958; wiss. Mitarbeiterin am DIE
E-Mail: E-Mail Link: Susanne.Neubert@die-gdi.de