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Demographie-Werkstatt Deutschland: vom Krisen- zum Chancenmanagement | Arbeit | bpb.de

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Demographie-Werkstatt Deutschland: vom Krisen- zum Chancenmanagement

Pascal Frai Rainer Thiehoff Rainer Pascal Frai / Thiehoff

/ 15 Minuten zu lesen

Der Handlungsdruck des demographischen Wandels bewirkt eine Qualitätsoffensive an deutschen Arbeitsplätzen. Bisheriges Krisenmanagement kann von den Unternehmen systematisch zum Chancenmanagement umgewandelt werden.

Einleitung

Ein Dachdecker- und Klempnerbetrieb aus Meerbusch macht es vor: Gesellen, die hier ihre Lehrzeit absolvieren, üben ihr Handwerk nicht nur im klassischen Sinne aus, sondern übernehmen auch Aufgaben der Kundenbetreuung oder der EDV-gestützten Auftragsbearbeitung. Die Zielstellung dieses Ausbildungsansatzes ist klar definiert: "Meine Mitarbeiter bekommen nicht nur einen ganzheitlichen Blick aufs Geschäft. Sie profitieren im Alter auch gesundheitlich von den angedachten Schwerpunktverlagerungen vom Außen- zum Innendienst", erläutert Firmeninhaber Anton Plenkers.


Die Grundidee des nordrhein-westfälischen Handwerksbetriebs kann auch für andere Unternehmen von Nutzen sein: Was angesichts des ab dem Jahr 2012 schrittweise ansteigenden Renteneintrittsalters wie eine arbeitsorganisatorische Notlösung erscheint, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Einstieg in einen chancenreichen Prozess der Personal- und Organisationsentwicklung.



Um dies zu erkennen, bedarf es jedoch eines neuen Blicks auf die Innovationspotenziale des demographischen Wandels, die Leistungsprofile älterer Arbeitnehmer und nicht zuletzt die Eckpfeiler alternsgerechter Unternehmen. Auch darauf bezogene Ansätze staatlich moderierten Wissenstranfers gilt es am Beispiel der Initiative "Neue Qualität der Arbeit" in den Blick zu nehmen, auf ihre unternehmerische Passung hin zu überprüfen sowie Handlungsempfehlungen abzuleiten.

Vom Defizit- zum Kompetenzmodell

Die deutsche Personalpolitik der vergangenen Jahrzehnte lässt erkennen: Ältere Arbeitnehmer werden gemeinhin als wenig konkurrenzfähig angesehen. Das Altern gehe - so die gängige Auffassung - mit dem raschen Verlust physischer, geistiger und motorischer Fähigkeiten einher. Dieses so genannte "Defizitmodell" hat in der Vergangenheit dazu beigetragen, dass Beschäftigte samt ihres Erfahrungswissens lange vor dem gesetzlichen Rentenalter aus dem Arbeitsleben ausgegliedert wurden.

Entsprechend misstrauisch wird unter dem Gesichtspunkt der Arbeitsfähigkeit die Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters auf 67 Jahre beäugt. Daran wird deutlich, dass die starke Präsenz des Defizitmodells nicht nur den Leitlinien deutscher Personalabteilungen entspringt, sondern zugleich an der gesamtgesellschaftlichen Sichtweise auf die Leistungsfähigkeit älterer Beschäftigter festzumachen ist. Doch wie zutreffend sind die Zuschreibungen? Arbeitsmedizinische Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass die Verfasstheit eines älteren Menschen zwar nicht völlig losgelöst von seinem Lebensalter ist, aber weniger von diesem determiniert wird als allgemein angenommen.

- Ältere behalten die Fähigkeit, sich normalen psychischen und physischen Anforderungen anzupassen.
- Die Belastbarkeit Älterer ist unterhalb der Dauerleistungsgrenze nur wenig eingeschränkt.
- Die Konzentrationsfähigkeit und der Wissensgebrauch sind bis ins hohe Alter kaum begrenzt - ausreichende Erholungsphasen vorausgesetzt.
- Die Lernfähigkeit muss entgegen landläufiger Meinung bei Älteren kaum schlechter sein als bei Jüngeren.

Auch bei der Bewertung des so genannten faktischen und prozeduralen Wissens lohnt genaues Hinsehen. So sind die kommunikativen Fähigkeiten bei Älteren oft besser ausgeprägt. Lebens- und Arbeitserfahrung erleichtern es ihnen, bei komplexen Sachverhalten den Überblick zu behalten. Darüber hinaus haben Ältere häufig eine besser entwickelte Toleranz gegenüber Handlungsstilen anderer, wissen ihre eigenen Möglichkeiten und Grenzen präziser einzuschätzen und können auf dieser Basis Entscheidungen fundierter vertreten und vor allem angemessen umsetzen.

Arbeitswissenschaftler erfassen diese Fähigkeiten im so genannten Kompetenzmodell. Es bildet die Stärken der Älteren realistischer ab, ohne dabei altersbedingte Beeinträchtigungen auszublenden. Dabei wird von der Vorstellung eines "differentiellen" Alterns ausgegangen. Danach können sich die verschiedenen Leistungs- und Persönlichkeitsbereiche unterschiedlich stark und in verschiedene Richtungen verändern - einige Fähigkeiten werden besser, andere bleiben gleich und wieder andere lassen nach. Überdies altern Menschen im biologischen Sinne nicht alle gleich oder gleich schnell.

Eine große Rolle spielen beim Altern neben dem Lebensstil und anlagebedingten Faktoren die arbeitsbedingten Einflüsse. Forschungsergebnisse zeigen, dass dauerhaft anforderungsarme, monotone und hocharbeitsteilige Tätigkeiten mit zu hohen Routineanteilen zu vorzeitigem körperlichen und physischen Verschleiß, Dequalifizierung, Demotivierung, Verlust der Lernfähigkeit und sinkender mentaler Leistungsfähigkeit führen können. Dies sind alles Attribute, die heute gern mit dem "natürlichen" Altersgang begründet werden, häufig jedoch mit einer unzweckmäßigen Arbeitsgestaltung korrespondieren.

Die vermeintlich geringere Arbeitsfähigkeit Älterer ist also weder schicksalhaft noch biologisch zwingend. Leistungsvoraussetzungen wie Gedächtnis, Kreativität, Problemlösungskompetenz, Kommunikations-, Innovations- und Lernfähigkeit sind stattdessen in hohem Maße von den Reizen abhängig, denen der Mensch im Laufe seines Berufslebens ausgesetzt war und ist. Sie können durch gezielte Maßnahmen in den Bereichen Prävention, Betriebliche Gesundheitsförderung und Arbeitsgestaltung erhalten, gefördert und auch erweitert werden. Betraut man Ältere und auch Jüngere im Laufe ihres Berufslebens jeweils mit Aufgaben, die ihren aktuellen Stärken entsprechen, profitieren Beschäftigte wie Unternehmen gleichermaßen.

Age-Management als Handlungsansatz

Um die eigene Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit zu sichern, gibt es im Privat- und Freizeitbereich eine Reihe von Ansatzpunkten. Auf anderen Gebieten kann und sollte darüber hinaus der Arbeitgeber im Sinne eines Age-Managements aktiv werden, welches auf gleich mehreren Ebenen den wirtschaftlichen Unternehmenserfolg fördert. Zu kurz gegriffen sind dabei selektive Maßnahmen wie ein wenig Rückenschule hier oder ein neuer Bürostuhl dort. Erforderlich sind vielmehr systematische Ansätze auf folgenden betrieblichen Innovationsfeldern:

- Sicherheit und Gesundheit;
- Arbeitsorganisation und Arbeitsgestaltung;
- Unternehmenskultur und Führung;
- Qualifikation, Weiterbildung und lebenslanges
Lernen.

Die Bezeichnung "Innovationsfelder" soll dabei unterstreichen, dass es keineswegs nur um ein bestmögliches betriebliches Ausbessern betrieblicher Schwachstellen geht. Vielmehr soll entlang der einzelnen Ansatzpunkte aufgezeigt werden, dass angesichts eines neuartigen Handlungsdrucks immer schon da gewesenes Innovationspotenzial aktiviert werden kann.

Innovationsfeld Sicherheit und Gesundheit

Gesundheit ist mehr als die Abwesenheit von Krankheit. Sie bewegt sich in einem dynamischen Spannungsfeld zwischen Belastungen auf der einen und Ressourcen auf der anderen Seite. Betriebe können auf diese Balance etwa durch betriebliche Gesundheitsförderung positiv Einfluss nehmen. Moderne Ansätze fragen schon länger nicht mehr nur danach, was krank macht, sondern zusätzlich auch, was Gesundheit und Lebensqualität verbessert. Darunter fallen alle Maßnahmen, die gesundheitlich präventiv wirken und das Gesundheitsbewusstsein sowie die Gesundheitsressourcen der Beschäftigten fördern. Das Spektrum reicht von ergonomisch gestalteten Arbeitsplätzen über Betriebssportangebote, vollwertiges Kantinenessen bis hin zu Seminaren und Gesundheitszirkeln.

Ein solches Engagement macht sich über eine höhere Mitarbeitermotivation, eine größere Attraktivität für Bewerber sowie niedrigere Fehlzeiten auch für das Unternehmen bezahlt. Bei betrieblichen Präventionsmaßnahmen zur Vorbeugung posttraumatischer Belastungsstörungen konnte beispielsweise bereits bei konservativem Vorgehen (nur die ersparten Arbeitsunfähigkeitstage berücksichtigend) ein Return on Investment von 2,5 nachgewiesen werden.

Ein betriebliches Gesundheitsmanagement ist insbesondere dann erfolgreich, wenn vorausschauend geplant wird und die Betroffenen als Experten in eigener Sache rechtzeitig einbezogen werden. Fragt man ältere Beschäftigte, unter welchen Arbeitsbedingungen sie sich vorstellen können, auch im Alter noch zu arbeiten, bzw. welche gesundheitsunterstützenden Maßnahmen sie sich wünschen, so stehen beispielsweise "keine Schichtarbeit" sowie "Angebote zum Bewegungstraining und zum Stressabbau" im Vordergrund. Fest steht, dass nur gesunde Beschäftigte, die sich bei der Arbeit wohl fühlen, leistungsbereit und leistungsfähig sind, die anstehenden Herausforderungen der modernen Arbeitswelt auch annehmen und bewältigen können.

Innovationsfeld Arbeitsgestaltung

Kaum zu überschätzen für Wohlbefinden und Gesundheit der älteren, aber auch der jüngeren Beschäftigten ist eine befriedigende Arbeitsaufgabe, die angemessen fordert und fördert. Davon hängt maßgeblich der Grad der Arbeitszufriedenheit und der Arbeitsmotivation ab. Hilfreich dabei ist eine Arbeitsorganisation, die weitgehende Autonomie bei der Wahl der eigenen Arbeitsweise, der Arbeitsmittel, der Pausenzeitpunkte, der Arbeitszeit, der Arbeitsgeschwindigkeit sowie der Arbeitsplanung gewährt. Eine solche Möglichkeit der Selbstorganisation und eines selbstgewählten Arbeitsrhythmus wirkt den Risiken einer Überforderung entgegen.

Gesundheitsförderlich ist zudem ein Tätigkeitenmix, der die körperlichen und geistigen Leistungspotenziale der Beschäftigten optimal anspricht. Das Stichwort für eine solche Arbeitsorganisation lautet Mischarbeit, unter der sich eine Reihe von Konzepten mit unterschiedlicher Reichweite summieren lassen. Hierzu zählen beispielsweise Gruppenarbeit, Jobrotation, Job-Enrichment (Arbeitsanreicherung) bzw. Job-Enlargement (Arbeitsplatzausweitung). Unter dem Aspekt der besonderen Leistungsfähigkeit altersgemischter Teams gewinnen auch die Instrumente "Tandembildung" und "Mentoring" an Bedeutung. Beim Mentoring gibt eine erfahrene Person ihr Wissen und ihre Fähigkeiten an eine noch unerfahrene Nachwuchskraft weiter, bei der Tandembildung schließen sich ein Jüngerer und ein Älterer als Team zusammen, um gemeinsam Projekte zu bearbeiten.

Noch nicht ausgeschöpfte Potenziale für eine verbesserte Beschäftigungsfähigkeit und Arbeitsmotivation liegen überdies in der Arbeitsgestaltung, etwa durch ergonomische Maßnahmen. Dabei gilt es, aufgrund ihrer steigenden quantitativen Bedeutung Büroarbeitsplätze verstärkt in den Blick zu nehmen. Mit etwa 17 Millionen Beschäftigten ist Büroarbeit charakteristisch für die moderne Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft. Wer hier ansetzt, investiert in die Wertschöpfungszentren von morgen.

Innovationsfeld Unternehmenskultur

Eine erhöhte Zufriedenheit mit der Führungskompetenz des Chefs verbessert nachweislich die Arbeitsfähigkeit der Mitarbeiter. Dabei sind es vor allem vier Bereiche, an denen ältere Beschäftigte Führungsqualitäten festmachen: Bereitschaft zur Kooperation, Kommunikationsfähigkeit, Fähigkeit zur überindividuellen Arbeitsplanung und Einstellung gegenüber dem Alter. Wer als Vorgesetzter die Vorurteile des "Defizitmodells" für zutreffend hält, wird diese der Tendenz nach auch bestätigt bekommen. Dass Mitarbeitern, denen soziale Anerkennung, Förderung und Unterstützung dauerhaft versagt bleiben, darauf mit Entmutigung, verringerter Leistung, innerer Kündigung und mitunter sogar Krankheit reagieren, ist unmittelbar eingängig.

Eine richtungsweisende Arbeitskultur setzt vor diesem Hintergrund unabdingbar eine tragfähige betriebliche Kommunikationskultur voraus. Nur wer miteinander redet, erfährt etwas von bestehenden Problemen, Krankheiten und Überforderungen, kann loben und konstruktive Kritik üben. Fehlt der Dialog, werden die Beschäftigten - Junge und Alte - über kurz oder lang das Gefühl haben, dass weder ihre Arbeit noch ihre Person von Bedeutung sind. Wieviel Potenzial an dieser Stelle brachliegt, zeigen die Ergebnisse der repräsentativen Studie "Was ist gute Arbeit?" der Initiative Qualität der Arbeit (INQA). Danach erfahren 61 Prozent der Beschäftigten in Deutschland nie oder selten Anerkennung für ihre Arbeit. 48 Prozent haben sich im Zeitraum der vorausgegangenen vier Wochen nie oder selten mit ihrem Unternehmen besonders verbunden gefühlt, und 27 Prozent fühlen sich hinsichtlich ihrer fachlichen Kompetenz und Fertigkeiten sowie bezüglich ihrer Fähigkeiten zu organisieren oder zu planen unterfordert.

Erfolgversprechend erscheinen daher Führungsstile, die Wertschätzung und Wertschöpfung im Zusammenhang betrachten und im Gegenüber weniger den Untergebenen als vielmehr den Partner sehen, den es zu unterstützen und zu fördern gilt - dies auch vor dem Hintergrund, dass kaum etwas für ältere Beschäftigte psychisch so belastend ist wie eine fehlende Perspektive im Unternehmen. Entsprechende Schulungen können dazu beitragen, Vorgesetzte für den positiven Umgang mit älter werdenden Belegschaften zu sensibilisieren und den Blick der Führungskräfte für veränderte Bedürfnisse und Motive zu schärfen.

Innovationsfeld Lebenslanges Lernen

Vor allem ältere Beschäftigte stehen bei vielen Personalverantwortlichen in dem Ruf, wenig lernfähig bzw. lernmotiviert zu sein. Zugleich sind sie nicht gerade im Zentrum von Maßnahmen der Personalentwicklung zu verorten. Dabei spricht objektiv nichts dagegen, dass ältere Beschäftigte ihre Wissensbestände erhalten, pflegen, erweitern und auch neue Qualifikationen erwerben, die dem Unternehmen als Humankapital zur Verfügung stehen; dies erst recht, da die Halbwertszeit erworbener Qualifikationen immer kürzer wird und Wissen kontinuierlich aufgefrischt werden muss. In Unternehmen wird dagegen vielfach die Position vertreten, dass Ältere Wandlungsprozesse per se nicht bewältigen können. Die Gründe dafür, dass Ältere beim Lernen zuweilen an ihre Grenzen stoßen, sind jedoch häufig haus- bzw. betriebsgemacht. Als mögliche Schwierigkeiten können genannt werden:

- fehlende oder nicht zielgruppenadäquate Weiterbildungsmöglichkeiten;
- anforderungsarme und nicht persönlichkeitsfördernde Tätigkeiten;
- qualifikatorische Sackgassen;
- fehlende Kommunikation und Zusammenarbeit mit Kollegen.

Unstrittig ist auch: Jemand, der längere Zeit nicht gelernt hat - einerlei ob Alt oder Jung -, braucht in der Regel mehr Zeit zum Lernen als der Lerngeübte. Wer lange nicht gelernt hat, hat außerdem häufig Angst vor Lernsituationen. Dies unterstreicht die Notwendigkeit einer Unternehmenskultur, die Lernen als generationenübergreifende Aufgabe der Personalentwicklung begreift und entsprechend organisiert. Hierzu gehören neben einem innovationsfreundlichen Umfeld Arbeitsplätze, die Lernanreize bieten.

Wer sein Unternehmen in den skizzierten Innovationsfeldern "demographiefest" macht und ältere Beschäftigte darin unterstützt, ihre Stärken bis zum Renteneintritt optimal zu entfalten, benachteiligt nicht etwa die jungen Beschäftigten. Ob ergonomisch gestaltete Arbeitsplätze, lernförderliche und zugleich motivierende Arbeitsinhalte, die Bildung altersgemischter Teams oder vorausschauende Weiterbildungspläne - es gibt kaum einen Bereich, der nicht auch von jüngeren (und ihrerseits älter werdenden) Beschäftigten dankbar angenommen würde und die Unternehmensbindung stärkt. Ist entlang der aufgezeigten Handlungsfelder ein systematisches Age-Management aufgebaut, sind die Grundsteine für einen betrieblichen Innovationsprozess gelegt, dessen Stoßrichtung die Autoren hier in der Formel "Spitzenleistungen durch Spitzenarbeitsplätze" zusammenfassen.

Eine neue Qualität der Arbeit

Der demographische Wandel stößt an, was aus sozialen wie ökonomischen Erwägungen heraus auch ohne den Megatrend erfolgversprechend wäre: eine Qualitätsoffensive an deutschen Arbeitsplätzen. Dieser stand bislang entgegen, dass in den politischen und gesellschaftlichen Debatten vorrangig auf den quantitativen Aspekt der Arbeit - die Zahl der Arbeitsplätze - abgestellt wurde. Gesundheitsmanagement, Mitarbeiterorientierung und moderne Lern- und Führungskulturen galten lange als "Spielwiese" und blieben entsprechend Randaspekte. Bei genauem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass Zahl und Qualität der Arbeitsplätze untrennbar miteinander verbunden sind.

So verbessert eine betriebliche Gesundheits- und Humanressourcenpolitik nicht nur die Motivation und die Beschäftigungsfähigkeit, sondern sie schafft auch die Basis für Leistungsbereitschaft und Kreativität der Beschäftigten. Ungeachtet der Herausforderung exakter empirischer Messungen, leisten derartige Maßnahmen zweifelsohne einen gewichtigen Beitrag zum Betriebsergebnis sowie zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit. Nicht zuletzt zeigt sich, dass Länder, die altersgerechte und damit qualitativ hochwertige Arbeitsplätze sowie einen hohen Beschäftigungsanteil Älterer aufweisen, auch beim Wirtschaftswachstum hervorstechen. Umgekehrt wird deutlich, dass Volkswirtschaften, welche die Älteren vorschnell aus dem Erwerbsleben ausgegliedert haben, dagegen führende Plätze in der Arbeitslosenstatistik innehaben.

Ein Ansatz, der mittels Vorschriften und Gesetzen auf ein betriebliches Umdenken beim Umgang mit dem demographischen Wandel hinwirken will, erscheint wenig erfolgversprechend. Zielführender ist dagegen ein Staatshandeln, das dem Ansatz der "dienenden Führung" ("Servant Leadership") Rechnung trägt. Hierbei tritt der Staat als "Ermöglicher" auf, der einen Wissenstransfer initiiert, Kooperations- und Netzwerkstrukturen aufbaut sowie die Akteure bei der praktischen Umsetzung von Maßnahmen unterstützt. Hinzu kommen muss im Kontext dieses Modells die Bereitschaft der staatlichen Stellen, sich auf die Besonderheiten und Sichtweisen der Unternehmenswelt einzulassen und beispielsweise betriebswirtschaftliche Nutzennachweise von Handlungsangeboten zur Verfügung zu stellen. Betroffene werden so zu Beteiligten, denen Entscheidungen erleichtert, aber nicht aus der Hand genommen werden.

Im Sinne eines solchen "Servant Leadership"-Ansatzes unterstützt INQA deutsche Unternehmen seit dem Jahr 2001 bei der Bewältigung des demographischen Wandels sowie weiteren Ansatzpunkten der Humanressourcenförderung. Als Zusammenschluss aus Bund, Ländern, Sozialpartnern, Sozialversicherungsträgern, Stiftungen und engagierten Unternehmen zeigt sie Wege auf, die sozialen Interessen der Beschäftigten an gesunderhaltenden und gesundheitsfördernden Arbeitsbedingungen mit den wirtschaftlichen Interessen der Unternehmen zu verbinden.

Dazu nutzt die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales initiierte und organisatorisch von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin getragene Initiative verschiedene Wege des Wissenstransfers. Zur Anwendung gelangt eine Instrumentenpalette, die vom Aufbau betrieblicher Benchmarkingsysteme über Qualifizierungskonzepte bis hin zu bundesweiten Informationskampagnen reicht. Hinzu tritt die Förderung einer gesellschaftlichen Debatte, in deren Mittelpunkt die Frage "Wie wollen wir morgen arbeiten?" steht (Abbildung).

Unternehmen, die Gesundheit und Beschäftigungsfähigkeit ihrer älter werdenden Belegschaften nicht dem Zufall überlassen wollen, finden auch auf der operationalen Ebene der Initiative konkrete Anknüpfungspunkte. Sie reichen von der Vernetzung mittels Good Practice Datenbank "Gute Praxis" über Projektarbeit im INQA-Initiativkreis "30, 40, 50plus - Älterwerden in Beschäftigung" bis hin zu einer demographiebezogenen Wanderausstellung "DemograFIT", die betriebliche Change-Prozesse begleiten bzw. anstoßen soll. Allen Instrumenten gemeinsam ist die Tatsache, dass mit ihnen arbeitswissenschaftlich untermauerte Handlungsfelder abgesteckt werden, die Unternehmen professionelle Hilfe zur Selbsthilfe ermöglichen.

Dies gilt auch für das von INQA initiierte Unternehmensnetzwerk für Demographie "ddn". Zentrales Instrument des bundesweiten Netzwerks von Unternehmen für Unternehmen ist ein wissenschaftliches Panel, mit dem die Mitglieder den Stand ihrer Demographiefestigkeit ermitteln können. Optional nutzen die Unternehmen darauf aufbauend ein Benchmarking, welches sie in Relation zu anderen Panel-Teilnehmern setzt. Das Instrument des Panels ist nicht neu. Neu ist die selbsttragende synergistische Kernidee: Statt aufwendige individuelle Organisationsuntersuchungen durchführen zu müssen, sind die Ergebnisse fester Bestandteil eines gemeinsamen Lern-, Vergleichs- und Weiterentwicklungsprozesses. Mit dieser Praxis selbstgesteuerten Wissenstransfers kann das Demographienetzwerk eine Führungsposition unter den Demographieinitiativen beanspruchen.

Den Wandel gestalten

Der demographische Wandel rückt neben der Notwendigkeit einer alternsgerechten Personal- und Organisationsentwicklung vor allem deren Chancen in den Blickpunkt. Die Identifikation mit dem Unternehmen kann verstärkt, Leistungsbereitschaft und Motivation können nachhaltig gefördert werden. Statt vorzeitig aus dem Erwerbsleben entlassen zu werden, können ältere Beschäftigte über das bisherige Rentenalter hinaus gerade in der Wissensgesellschaft bzw. Wissensökonomie Schlüsselrollen für ihre Unternehmen einnehmen.

Wie kann ich meine älter werdende Belegschaft beim Entfalten ihres Potenzials bestmöglich unterstützen? Wer sich diese Frage entlang der dargestellten Innovationsfelder Sicherheit und Gesundheit, Arbeitsorganisation und Arbeitsgestaltung, Unternehmenskultur und Führung sowie lebenslanges Lernen stellt, Arbeitsbedingungen hinterfragt und ein systematisches Age-Management aufbaut, kann einen chancenreichen Personal- und Organisationsentwicklungsprozess in Gang setzen, der die Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig sichern hilft.

Die ersten Unternehmen haben sich inzwischen aus ihrer abwartenden Haltung gelöst und bereiten sich aktiv auf den demographischen Wandel vor. Sie tun dies mit vorausplanenden Analysen ihrer Altersstruktur, dem Einsatz von Demographie-Beauftragten, dem Verzicht auf Altersangaben in Stellenanzeigen oder der gezielten Einstellung Älterer. Hinzu kommen flexible Arbeitszeitmodelle, ein systematisches Gesundheitsmanagement, spezielle Weiterbildungsprogramme für Ältere oder Maßnahmen alternsgerechter Arbeitsgestaltung. Auch gibt es Unternehmen, die gegenwärtig die Zusammensetzung ihrer Belegschaften analog zur Kundenstruktur (Henkel KGaA) oder zur Altersstruktur der Erwerbsbevölkerung (Metro AG) organisieren, um sich darüber langfristig besser im Wettbewerb zu positionieren.

Trotz vieler zielführender Ideen, erfolgreicher Programme und wegweisender Praxisbeispiele steht die Auseinandersetzung mit dem demographischen Wandel in Deutschland noch ganz am Anfang. Gewohnt daran, alte Mitarbeiter beständig durch junge ersetzen zu können, wird die Tragweite der demographischen Herausforderung vor allem von kleinen und mittleren Unternehmen unterschätzt. Sie werden schon bald im grenzüberschreitenden Wettbewerb um die besten Fachkräfte stehen. Diese drehen dem Standort Deutschland auch aufgrund qualitativ besser erscheinender Arbeitsplätze schon jetzt zu Tausenden den Rücken zu. Doch auch der gesellschaftliche Blick auf den demographischen Wandel ist noch nicht so geschärft, wie er in Anbetracht der Herausforderungen sein sollte: Um in Zukunft die gleiche Menge an Konsum- und Investitionsgütern pro Kopf der Bevölkerung produzieren zu können, müssen künftig weniger Erwerbspersonen zu produktiveren Leistungen in der Lage sein. Auch hierfür sind Schritte erforderlich, die auf alternsgerechte und qualitativ hochwertige Arbeitsplätze abzielen.

Wie diese Schritte aussehen könnten, zeigt der Blick nach Finnland. Dort schlossen alle gesellschaftlichen Kräfte einen Pakt, um die demographischen Risiken durch gemeinsames Handeln zur Chance zu wenden. Die Resultate der vielfältigen Maßnahmen - eine deutlich über dem europäischen Durchschnitt liegende Beschäftigungsquote Älterer, bessere Gesundheits- und Leistungsfähigkeitswerte, aber vor allem eine Gesellschaft, die lebenslanges Lernen als Aufgabe begriffen hat und bereits im Vorschulalter ansetzt - geben den Finnen recht.

Auch Deutschland könnte von einem solchen Pakt profitieren. Immer mehr gesellschaftliche und politische Akteure treten auf den Plan und entfalten neue, meist hilfreiche Aktivitäten. Die bisher gewonnenen Erfahrungen zeigen, dass Ansätze, bei denen eine professionell unterstützte Eigenverantwortung der Betroffenen im Vordergrund steht, besonders erfolgversprechend verlaufen. Damit die Vielzahl an Aktivitäten möglichst rasch zu Erfolgen führt, sind Vernetzung und Koordination geboten. Die damit betrauten politischen Akteure stehen dabei vor einer nicht zu unterschätzenden Herausforderung. Es gilt, das Megathema Demographie auch mittels Netzwerken wie INQA und ddn so zu steuern, dass es nicht zerrieben wird, bevor dessen Chancen richtig erkannt wurden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. INQA-Datenbank Gute Praxis, Vom Dach herunter ins Büro: Altern als Dachdecker im Beruf durch Erweiterung der Aufgabenstruktur, in: http://www.inqa.de/Inqa/Navigation/root,did=63166.html (26.10. 2006).

  2. Vgl. Gabriele Freude/Peter Ullspenger/Waltraut Dehoff, Zur Einschätzung von Vitalität, Leistungsfähigkeit und Arbeitsbewältigung älterer Arbeitnehmer, in: Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, FB 876, Dortmund-Berlin 2000.

  3. Vgl. Gunda Maintz, Leistungsfähigkeit älterer Arbeitnehmer - Abschied vom Defizitmodell, in: Bernhard Badura/Henner Schellschmitt/Christian Vetter (Hrsg.), Fehlzeiten-Report 2002, Berlin/Heidelberg 2002.

  4. Vgl. G. Freude/P. Ullspenger/W. Dehoff (Anm. 2).

  5. Vgl. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Hrsg.), Mit Erfahrung die Zukunft meistern. Altern und Ältere in der Arbeitswelt, Broschüre, Dortmund 2004.

  6. Vgl. Initiative Neue Qualität der Arbeit (Hrsg.), Erfolgsfaktor Gesundheit. Tagungsbericht zum INQA-Personalforum am 11. November 2004 in Berlin, INQA-Bericht 9, Dortmund 2005.

  7. Vgl. Joachim Vogt/Jorg Leonhard/Brigit Köper/Stefan Pennig, Economic Evaluation of CISM - A Pilot Study, in: Emergency Mental Health, 6 (2004) 4, S. 185 - 196.

  8. Vgl. Tatjana Fuchs, Was ist gute Arbeit? Anforderungen aus der Sicht von Erwerbstätigen, in: Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Dortmund-Berlin 2006.

  9. Vgl. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Hrsg.), Alles grau in grau? Ältere Arbeitnehmer und Büroarbeit, Broschüre, Dortmund 2006.

  10. Vgl. ebd., Gute Mitarbeiterführung. Psychische Fehlbelastungen vermeiden, Broschüre, Dortmund 2005.

  11. Vgl. T. Fuchs (Anm. 8).

  12. Vgl. Peter Krauss-Hoffmann/Rolf Manz/Reimund Overhage (Hrsg.), Lebenslanges Lernen. Konzepte, Strukturen und Perspektiven als Beitrag für ein Leitbild moderner Arbeit, INQA-Bericht 17, Dortmund 2006.

  13. Vgl. Jürgen Glaser/Severin Hornung/Monika Labes, Indikatoren für die Humanressourcenförderung - Humankapital messen, fördern und wertschöpfend einsetzen. Unveröffentlichter Zwischenbericht zum Projekt 2104 an die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Dortmund 2005.

  14. Vgl. Rainer Thiehoff, Älter, besser, moderner, in: Süddeutsche Zeitung vom 24.10. 2005, S. 7.

  15. Vgl. Hans Hinterhuber/Leonhard J. Schnorrenberger/Rüdiger Reinhardt/Anna Maria Picher-Friedrich, Servant Leadership. Prinzipien dienender Unternehmensführung, Berlin 2006.

  16. Vgl. INQA-Sonderheft, in: Arbeit, Zeitschrift für Arbeitsforschung, Arbeitsgestaltung und Arbeitspolitik, Stuttgart 2004.

  17. Vgl. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Hrsg.), Mehr Ältere in Beschäftigung - Wie Finnland auf den demographischen Wandel reagiert, Broschüre, Dortmund 2006.

Dipl. Soz.-Wiss., Wirtschaftsredakteur, geb. 1975; Redakteur für Öffentlichkeitsarbeit bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin sowie der Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA), Friedrich-Henkel-Weg 1 - 25, 44149 Dortmund.
E-Mail: E-Mail Link: frai.pascal@baua.bund.de Internet: www.inqa.de

Dr. rer. pol., geb. 1953; Geschäftsführender Vorstand des Unternehmensnetzwerks Demographie (ddn) sowie Leiter Kommunikation, Öffentlichkeitsarbeit bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Friedrich-Henkel-Weg 1 - 25, 44149 Dortmund.
E-Mail: E-Mail Link: thiehoff.rainer@baua.bund.de Internet: www.baua.de