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Europäisierung und Globalisierung der Polizei | Polizei | bpb.de

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Europäisierung und Globalisierung der Polizei

Wilhelm Knelangen

/ 15 Minuten zu lesen

Angesichts sich globalisierender Kriminalität wird grenzüberschreitende Zusammenarbeit für die Polizei immer wichtiger. Die Rahmenbedingungen polizeilicher Arbeit werden nicht mehr allein auf nationaler, sondern zunehmend auf globaler, insbesondere auf der Ebene der EU gesetzt.

Einleitung

Wie kaum eine andere Institution wird die Polizei gemeinhin mit der Idee des souveränen Nationalstaates verbunden, repräsentiert sie doch das Gewaltmonopol und damit das klassische Signum der Staatlichkeit. Dieser Grundsatz, der seit Max Weber die staatstheoretische Diskussion prägt, ist in den vergangenen Jahren immer stärker unter Druck geraten. Im Gegensatz zu Räumen schwacher oder zerfallender Staatlichkeit steht ein Verlust des Gewaltmonopols in der OECD-Welt zwar nicht zur Debatte. Aber auch dort kann ein signifikanter Wandel der Grundlagen des Politikfeldes innere Sicherheit diagnostiziert werden, der auf Prozesse von Europäisierung und Globalisierung zurückzuführen ist. Die traditionelle Vorstellung einer auf den institutionellen, rechtlichen und legitimatorischen Bezugsrahmen des Nationalstaates orientierten Polizei verliert angesichts der ökonomischen, sozialen und politischen Verflechtungen zwischen den Gesellschaften sukzessive an Überzeugungskraft.



Im Folgenden soll gezeigt werden, dass die Rahmenbedingungen wie auch die zentralen politischen Leitlinien für die Arbeit der Polizei nicht mehr allein - in einzelnen Segmenten vielleicht nicht einmal mehr in erster Linie - auf nationaler, sondern auf globaler Ebene, insbesondere der der Europäischen Union gesetzt werden. Dabei sind vier Dimensionen von Europäisierung bzw. Globalisierung zu unterscheiden, die eng miteinander zusammenhängen, aber jeweils eigenständige Entwicklungen bezeichnen: erstens die Veränderung der räumlichen Strukturen der Kriminalität, zweitens die wachsende Bedeutung der bi- und multilateralen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der Polizei, drittens die Bedeutung europäischer und internationaler Politikgestaltung für die nationalen Systeme und schließlich viertens die Ausweitung der Einsatzfelder von Polizeibeamten über das eigene Staatsgebiet hinaus.

Globalisierung der Kriminalität

Die erste Dimension bezeichnet die Veränderung der räumlichen Strukturen der Kriminalität. Dabei gilt es zunächst einzuschränken, dass nach wie vor der Großteil der registrierten Straftaten einen lokalen oder regionalen Hintergrund hat. Die These von der "Globalisierung der Kriminalität" trifft deshalb bei genauerem Hinsehen lediglich für ausgewählte Deliktsbereiche zu - insbesondere für die unter dem Begriff der "organisierten Kriminalität" (OK) zusammengefassten Straftaten. Hier ist die Entwicklung allerdings dynamisch. Das Bundeskriminalamt registriert seit Jahren einen anhaltend hohen Anteil von OK-Verfahren, bei denen mindestens ein Tatort im Ausland lag. Das betrifft insbesondere den Rauschgifthandel. Aber auch in anderen Deliktsbereichen wieMenschenhandel, Schleusungskriminalität oder Geldwäsche sind globale bzw. sich globalisierende Strukturen erkennbar. Ähnliches gilt für die "neuen" Spielarten des Terrorismus, die sowohl hinsichtlich der politischen Agenda und ideologischen Grundlagen als auch der Mitgliedschafts- und der Organisationsstrukturen einen transnationalen Zuschnitt haben. Im Fall der Internetkriminalität scheinen nationale Grenzen sogar vollends im virtuellen globalen Raum zu verschwinden.

Dass die organisierte Kriminalität als "Schattenseite der Globalisierung" gekennzeichnet wird, lenkt den Blick darauf, dass sie in spezifischer Weise mit dem Wandel der Weltwirtschaft durch die Globalisierung verbunden ist. Kriminelle Organisationen bieten Güter und Dienstleistungen an, die in der OECD-Welt nicht legal oder nur zu hohen Preisen erhältlich sind. Die illegalen Unternehmer profitieren dabei von der Aufhebung von Handelsschranken, der Liberalisierung des Kapitalverkehrs, den neuen Möglichkeiten der Kommunikationstechnologie oder von gesunkenen Transportkosten. Der fehlende Strafverfolgungsdruck in Räumen schwacher Staatlichkeit kommt ihnen dabei ebenso zugute wie ihnen die mit der Globalisierung verbundene Schwächung der staatlichen Kontrollmöglichkeiten und die Fragmentierung der Rechtssysteme in die Hände spielt.

Wie hoch der finanzielle Schaden zu veranschlagen ist, der durch organisierte Kriminalität verursacht wird, lässt sich zwar nur schätzen, aber schon die im Raum stehenden Zahlen unterstreichen die Brisanz. Das Büro für Drogenkontrolle und Verbrechensbekämpfung der Vereinten Nationen und der Internationale Währungsfonds führen zwischen zwei und fünf Prozent des global erwirtschafteten Sozialprodukts auf die Aktivitäten krimineller Organisationen zurück. Damit wäre eine Großenordnung erreicht, die - je nach Rechengrundlage - an die Wirtschaftsleistung von Ländern wie Italien oder Frankreich herankommt.

Bi- und multilaterale Zusammenarbeit

Die zweite Dimension umfasst die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Polizeien und stellt gewissermaßen die "operative" Reaktion auf die Globalisierung der Kriminalität dar. Der Informationsaustausch steht dabei seit jeher im Mittelpunkt. Die schon 1923 gegründete Internationale Kriminalpolizeiliche Organisation (IKPO) dient bis heute primär diesem Zweck. Die Organisation stellt für die Zentralstellen seiner 186 Mitgliedstaaten (in Deutschland: BKA) ein abgesichertes Kommunikationssystem für den Austausch polizeilicher Daten bereit. Wenngleich Interpol, wie die IKPO verkürzend genannt wird, durch die Schaffung von Europol an öffentlicher Aufmerksamkeit eingebüßt hat, ist sie doch nach wie vor das zentrale Netzwerk für den bi- und multilateralen Informationsaustausch der Kriminalpolizeien.

Einen Schritt weiter als Interpol sind die meisten EU-Staaten (ausgenommen Großbritannien und Irland) mit den Schengener Übereinkommen gegangen, in denen parallel zum Abbau der Kontrollen an den Binnengrenzen verbindliche Mechanismen zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der Polizeien vereinbart worden sind. Das Schengener Durchführungsübereinkommen von 1990 sieht neben einer gemeinsamen Sicherung der Außengrenzen und neben Regeln für die Kooperation in den Grenzregionen die Schaffung des Schengener Informationssystems (SIS) vor, in dem Personen und Sachen zur Fahndung ausgeschrieben werden können. Ursprünglich als "Ausgleichsmaßnahme" für den Wegfall der Grenzkontrollen begründet, hat das SIS nach der Erweiterung des Schengener Raumes Ende 2007 nunmehr den Charakter eines elektronischen Fahndungssystems für den gesamten kontinentaleuropäischen Raum.

Das Polizeiamt Europol hat im Juli 1999 offiziell seine Tätigkeit in Den Haag aufgenommen. Ursprüngliche Pläne der Bundesregierung, auf eine europäische Bundespolizei nach dem Vorbild des FBI hinzuarbeiten, ließen sich nicht durchsetzen. Exekutive Befugnisse hat Europol nicht. Der Auftrag des Amtes besteht vielmehr in der Unterstützung der Ermittlungstätigkeit nationaler Polizeibehörden. In das Europol-Informationssystem geben die mitgliedstaatlichen Zentralstellen (in Deutschland: BKA) personenbezogene Daten nach den Grundsätzen der Europol-Konvention und des nationalen Rechts ein. Zudem können bei Europol Analyseprojekte durchgeführt werden, die entweder auf die Herstellung genereller Lagebilder oder auf die Unterstützung konkreter Ermittlungen zielen. Nicht zuletzt sind die nationalen Verbindungsbeamten bei Europol zu nennen, die Zugriff auf ihre nationalen Informationssysteme haben und deshalb den bilateralen Informationsaustausch beschleunigen können.

Das Mandat von Europol ist bislang beschränkt auf die zentralen Felder der organisierten Kriminalität, sofern mindestens zwei Mitgliedstaaten betroffen sind. Über Europol sind im Jahr 2007 zu 7618 Fällen (2000: 1919) über 260 000 Nachrichten (2000: 35 366) ausgetauscht worden. Doch trotz dieser Zahlen ist die Leistungsfähigkeit von Europol begrenzt. Denn zum einen ist das Amt unmittelbar davon abhängig, in welchem Umfang die nationalen Behörden bereit sind, eigene Informationen weiterzugeben. Zum anderen sind die Ressourcen limitiert. Die Behörde hat einen Etat von etwa 70 Millionen Euro und verfügt über eine Personalstärke von knapp 600 Personen, davon 114 Verbindungsbeamte und etwa 60 unterstützende Kräfte. Zum Vergleich: Das BKA als deutsche Zentralstelle weist allein ein Haushaltsvolumen von 360 Millionen Euro aus und beschäftigt mehr als 5500 Personen.

Mit Eurojust - der Europäischen Einheit für justizielle Zusammenarbeit - ist im Jahr 2002 in Den Haag das staatsanwaltschaftliche Pendant zu Europol gegründet worden. Eine europäische Staatsanwaltschaft ist Eurojust, die im Kern aus 27 nationalen Vertretern besteht, allerdings nicht. Vielmehr steht auch hier der Gedanke der Unterstützung mitgliedstaatlicher Behörden durch die Koordinierung von grenzüberschreitenden Strafverfolgungsmaßnahmen im Mittelpunkt - offenbar mit wachsendem Widerhall: Im Jahr 2007 hat Eurojust erstmals mehr als eintausend neue Fälle bearbeitet. Ein geradezu rasantes Wachstum hat schließlich auch die europäische Grenzschutzagentur Frontex hinter sich, die 2005 in Warschau ihre Arbeit aufgenommen hat. Die Agentur soll die Maßnahmen der nationalen Grenzpolizeien beim Schutz der Außengrenzen koordinieren, bei der Ausbildung unterstützen und gemeinsame Risikoanalysen durchführen. Tatsächlich hat Frontex bereits zahlreiche Kooperationsprojekte an Flug- und Seehäfen sowie an Landesgrenzen initiiert. Öffentliche Aufmerksamkeit fanden aber vor allem die Operationen gegen illegale Einwanderung im Mittelmeerraum, an denen sich die Bundespolizei im Jahr 2007 mit 148 Beamten und zwei Hubschraubern beteiligt hat. Frontex repräsentiert damit einerseits die Idee, den Schutz der Außengrenze als gemeinsame Aufgabe der Mitgliedstaaten zu begreifen. Andererseits symbolisiert die Agentur die Probleme und Widersprüche der auf Abwehr illegaler Einreise konzentrierten Flüchtlings- und Einwanderungspolitik der EU.

Der Dynamik auf europäischer Ebene zum Trotz wird die internationale Zusammenarbeit weiterhin in erster Linie auf bilateralen Wegen realisiert. Insbesondere in den Grenzregionen bestehen seit vielen Jahren eingespielte Formen der Zusammenarbeit. Mit den Gemeinsamen Zentren ist dabei seit Mitte der 1990er Jahre ein neues Modell etabliert worden. Den Ausgangspunkt stellte 1997 die Gründung des "Gemeinsamen Zentrums der deutsch-französischen Polizei- und Zollzusammenarbeit" dar, das heute seinen Sitz in Kehl hat und mit etwa 60 Beamten beider Seiten besetzt ist. Das Zentrum bietet rund um die Uhr Unterstützung in Fällen mit grenzüberschreitendem Bezug an. Dem Kehler Beispiel sind in den vergangenen Jahren weitere gefolgt. Eine "Gemeinsame Stelle im Grenzgebiet" zwischen der Bundesrepublik, Belgien und Luxemburg besteht seit 2003 in Luxemburg. Zuletzt sind im Vorfeld des Wegfalls der Kontrollen an der deutsch-polnischen und der deutsch-tschechischen Grenze im Dezember 2007 Gemeinsame Zentren in Swiecko in der Nähe von Frankfurt/Oder sowie Schwandorf (Bayern) und Petrovice (Tschechien) eröffnet worden.

Eine andere Form der internationalen Zusammenarbeit stellt schließlich die Ausbildungs- und Ausstattungshilfe für Polizeien anderer Staaten dar. Die Bundesregierung verfolgt damit das Ziel, "den Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen im Bereich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung" zu fördern. Die Hilfsmaßnahmen sind aber zugleich Bestandteil der "Vorverlagerungsstrategie" des Bundeskriminalamts, nach der die polizeiliche "Abwehrlinie" möglichst weit in die Ursprungs- und Transitländer der Kriminalität verlagert werden soll. Im Kern geht es damit um die Verbesserung der Leistungs- und damit auch der Kooperationsfähigkeit von Polizeibehörden in strategisch wichtigen Staaten und Regionen. Dass zwischen beiden Zielen im Einzelfall problematische Abwägungen notwendig werden können, liegt auf der Hand. Das gilt umso mehr, seitdem die Strategie der "Vorverlagerung", die ursprünglich für die Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität entwickelt worden war, nach den Anschlägen von New York und Washington auf den Bereich des Terrorismus ausgeweitet worden ist. Für den Bereich der Ausbildungs- und Ausstattungshilfe sind von 2000 bis 2007 etwa 85 Millionen Euro zur Verfügung gestellt worden. In diesem Rahmen werden Ausbildungsprojekte finanziert sowie Fahrzeuge, Kommunikationsmittel oder anderes polizeiliches Gerät geliefert, nicht jedoch Waffen und Munition. Während zu Anfang des Jahrzehnts noch die mittel- und osteuropäischen Staaten den Schwerpunkt der Hilfsleistungen darstellten, ist es seit einigen Jahren - mit weitem Abstand - Afghanistan, weil die Bundesregierung dort den schwierigen Aufbau einer zivilen Polizeiorganisation unterstützt. Aus dem Stabilitätspakt für Afghanistan sind bis 2007 rund 60 Millionen Euro für die Polizeireform geflossen.

Europäische und internationale Politikgestaltung

Die dritte Dimension umfasst die Europäisierung und Globalisierung der Politikgestaltung im Politikfeld innere Sicherheit. Weil die Regierungen immer stärker auf internationale Kooperation angewiesen sind, hat sich die ehedem als klassische Domäne der Nationalstaatlichkeit geltende Politik der inneren Sicherheit längst zu einem wichtigen Feld der Außenpolitik bzw. der internationalen Beziehungen entwickelt. Auf der einen Seite setzen Regierungen außenpolitische Instrumente ein, um ihre Ziele im Bereich der inneren Sicherheit zu erreichen; auf der anderen Seite werden wesentliche Teile der rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen der Polizeiarbeit nicht mehr auf der nationalen, sondern auf der internationalen Ebene gesetzt. Der 11. September 2001 hatte in diesem Zusammenhang zwar Katalysatorfunktion, aber auch zuvor haben Fragen der Kriminalitäts- und Terrorismusbekämpfung im bilateralen Rahmen oder in internationalen Organisationen und Netzwerken wie den Vereinten Nationen, der OECD oder der G8-Gruppe eine wichtige Rolle gespielt. Die Organisationen haben zwar in der Regel keine formale Kompetenz zur verbindlichen Entscheidung. Aber ihre Beschlüsse stellen in der politischen Diskussion wichtige Referenzpunkte dar. Das gilt beispielsweise für die Vereinbarungen der Financial Action Task Force zur Geldwäsche oder die Schlussfolgerungen der G8-Treffen zum Kampf gegen organisierte Kriminalität.

Am weitesten vorangeschritten ist die zwischenstaatliche politische Vernetzung innerhalb der Europäischen Union. Kennzeichnend für die EU ist, dass die Politikgestaltung im Politikfeld innere Sicherheit im Unterschied zu den klassischen Gemeinschaftspolitiken nicht supranationalen Mustern folgt. Rechtsetzung und -durchsetzung bleiben formal in der Verantwortung der Mitgliedstaaten. Das Einstimmigkeitsprinzip im Rat der Innen- und Justizminister erweist sich überdies in einer Union mit 27 Mitgliedstaaten als hohe Hürde für die Einigung in substanziellen Bereichen. Es ist bemerkenswert, dass die EU in den vergangenen 15 Jahren dennoch eine wichtige koordinierende und zum Teil auch steuernde Funktion in diesem Politikbereich übernommen hat. Der 11. September 2001 hatte auch hier eine katalysierende Wirkung, konnten doch im Rahmen des "Aktionsplanes gegen den Terrorismus" mehrere Projekte durchgesetzt werden, die zuvor lange im Rat blockiert worden waren.

Im Mittelpunkt der europäischen Rechtsetzung stehen naturgemäß Maßnahmen zur Verbesserung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Neben der Schaffung von Instrumenten der vertikalen Kooperation wie Europol, Eurojust oder Frontex spielt die Erleichterung des horizontalen Informationsaustauschs eine zentrale Rolle. Nach dem "Grundsatz der Verfügbarkeit", auf den sich die Mitgliedstaaten im "Haager Programm" von 2004 verständigt haben, sollen polizeiliche Informationen im grenzüberschreitenden Austausch zu den gleichen Bedingungen zur Verfügung stehen wie im innerstaatlichen Bereich. Als ein erstes Paket zur Umsetzung dieses ambitionierten Ziels versteht sich der Vertrag von Prüm, der am 27. Mai 2005 von sieben EU-Staaten unterzeichnet und mittlerweile weitgehend in das EU-Recht überführt worden ist. Dieser sieht vor, dass die Polizeibehörden wechselseitig auf die Datenbanken zu DNA und Fingerabdrücken sowie auf die Fahrzeugregister zugreifen können.

Einen weiteren Schwerpunkt stellt die Erleichterung der Rechtshilfe in Strafsachen dar, die traditionell als besonders eng mit der nationalen Souveränität verbunden gilt. Nachdem in den 1990er Jahren zunächst der Gedanke der Harmonisierung strafrechtlicher Regeln dominant war, setzte sich mit dem Europäischen Rat von Tampere das aus dem Binnenmarktbereich bekannte Prinzip der "gegenseitigen Anerkennung" von justiziellen Entscheidungen durch. Prominentestes Beispiel für dessen Umsetzung ist der Rahmenbeschluss zum Europäischen Haftbefehl, der ein erleichtertes Verfahren für die Auslieferung von gesuchten Personen im direkten Kontakt der Justizbehörden ermöglicht.

Die Reichweite der politischen Entscheidungen der EU beschränkt sich indes nicht auf die Verbesserung der vertikalen und horizontalen Kooperation. Vielmehr spielt die europäische Ebene zusehends eine wichtige Rolle bei Fragen des materiellen Polizeirechts, des Strafrechts und des Strafprozessrechts. Zwar handelt es sich dabei in der Regel um Rahmenbeschlüsse oder Richtlinien, die noch der Umsetzung durch die nationalen Parlamente bedürfen. Aber deren Handlungsspielraum ist sehr klein. Beispiele dafür sind die umstrittene Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung aus dem Jahr 2006, welche die Anbieter von Telekommunikationsdiensten verpflichtet, die Verbindungsdaten ihrer Kunden von Telefon und Internet für sechs Monate "auf Vorrat" zu speichern sowie der Rahmenbeschluss zum Terrorismus von 2002, der eine Definition von terroristischen Straftaten und Mindesthöchststrafen für die Mitgliedschaft in terroristischen Organisationen vorsieht.

Ausweitung der Einsatzfelder

Die vierte Dimension von Europäisierung und Globalisierung umfasst schließlich die Ausweitung der Einsatzfelder der Polizeibeamten über das eigene Staatsgebiet hinaus. Das betrifft etwa die Personen, die im Rahmen von Aus- und Fortbildungsprojekten in anderen Staaten ihren Dienst tun. Ein anderes Beispiel sind die Verbindungsbeamten des BKA, die seit den frühen 1980er Jahren an die deutschen Auslandsvertretungen entsandt werden. Ihre Aufgabe ist die Vermittlung zwischen der deutschen Polizei und den Behörden vor Ort sowie die Unterstützung beim Informationsaustausch und bei der Rechtshilfe. Der erste Verbindungsbeamte wurde 1983 nach Bangkok (Thailand) entsandt; zu einem regelrechten Schub hat der Fall des eisernen Vorhangs geführt. Mit gegenwärtig 64 Verbindungsbeamten an 52 Standorten in 50 Ländern ist seitdem ein weltumspannendes direktes Kommunikationsnetz der deutschen Polizei entstanden.

Einen signifikanten Wandel der Einsatzfelder stellen die Auslandseinsätze dar, an denen die Polizei im Rahmen von Friedens- oder Stabilisierungsmissionen von UNO, OSZE oder EU teilnimmt. Die erste Mission führte Beamte des damaligen Bundesgrenzschutzes (BGS) nach Namibia, wo sich insgesamt 50 Beamte im Rahmen des UNTAG-Einsatzes vom September 1989 bis März 1990 an der Überwachung der örtlichen Polizei und der Beobachtung der Wahlvorbereitungen beteiligten. Seither waren deutsche Kontingente von Bundes- und Länderpolizisten in insgesamt 24 Missionen vertreten. Die Aufgabenschwerpunkte variieren. Ebenfalls der Beobachtung von Wahlvorbereitungen dienten Einsätze in Kambodscha (1992/93) und der Westsahara (1993 - 96). Mit den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien setzte dann eine neue Phase ein. Deutsche Polizisten waren an der Überwachung des Embargos gegen Restjugoslawien auf der Donau ebenso beteiligt wie beim Wiederaufbau der Polizei in Bosnien-Herzegowina.

Bis heute ist der Balkan der regionale Schwerpunkt der Auslandseinsätze. Besonders weitreichend sind die Befugnisse im Rahmen der United Nations Mission in Kosovo (UNMIK). Hier beschränken sich die Aufgaben der Beamten nicht auf die Beratung lokaler Autoritäten, sondern umfassen die gesamte Breite von der Gefahrenabwehr bis zu Strafverfolgung und Grenzschutz. Der Einsatz im Kosovo ragt auch mit Blick auf die eingesetzte Personalstärke heraus. Bis März 2008 waren dort mehr als 2500 Polizeibeamte im Einsatz. Zu einem zweiten regionalen Schwerpunkt hat sich Afghanistan entwickelt. Dort engagiert sich die Bundesrepublik seit 2002 mit der "Projektgruppe Polizeiliche Aufbauhilfe Afghanistan" (PGPAA). Dieses bilateral vereinbarte Projekt wird seit Juni 2007 von der EU-Polizeimission in Afghanistan ergänzt, an der ebenfalls deutsche Beamte teilnehmen. Anfang September 2008 befanden sich 259 deutsche Beamte im Auslandseinsatz, die meisten davon (138) im Kosovo und in Afghanistan (28 PGPAA, 33 EUPOL).

Perspektiven

Die Bedeutung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der Polizei hat rasant zugenommen. Vor dem Hintergrund sich globalisierender Segmente der Kriminalität sind bi-und multilaterale Kooperationsstrukturen neu entstanden sowie bewährte Formen aufgewertet und ausgeweitet worden. Zwar kann keine Rede davon sein, dass ein europäischer oder gar globaler Leviathan die nationalen Systeme von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung ablösen würde. Innere Sicherheit ist ein souveränitätsgeladenes Politikfeld, in dem die Regierungen eifersüchtig auf ihren formalen Kompetenzen beharren. Dennoch kann nicht übersehen werden, dass die rechtlichen und institutionellen Grundlagen für die Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden zusehends außerhalb des Nationalstaats gesetzt werden. Diese Entwicklung scheint zunächst eine angemessene Antwort auf die Veränderung der Kriminalitätsstrukturen zu sein. Sie wirft freilich auch Probleme auf. Weil internationale Kooperation wesentlich auf die Vernetzung von polizeilichen Daten zielt, stellt der Schutz persönlicher Daten eine drängende Herausforderung dar. Auch schränkt die Verlagerung der Entscheidungen auf europäische oder gar globale Ebenen die Möglichkeiten der demokratischen Kontrolle ein. Das Europäische Parlament hat im Politikfeld innere Sicherheit bislang nur Anhörungsrechte, der Handlungsspielraum nationaler Parlamente ist bei international ausgehandelten Entscheidungen gering. Dass in den politischen Debatten über die internationale polizeiliche Zusammenarbeit die Belange der Sicherheit dominieren, während der Schutz der Freiheit im Schatten steht, ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die Vernetzung der Regierungen der parlamentarischen und zivilgesellschaftlichen Begleitung einstweilen vorausgeeilt ist.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Trutz von Trotha, Ordnungsformen der Gewalt oder Aussichten auf das Ende des staatlichen Gewaltmonopols, in: Birgitta Nedelmann (Hrsg.), Politische Institutionen im Wandel, Opladen 1995, S. 129 - 166.

  2. Vgl. u.a. Markus Jachtenfuchs u.a., Policing Among Nations. Internationalizing the Monopoly of Force, Hertie School of Governance Working Paper 28/2008; Bernhard Frevel/Hans-Joachim Asmus (Hrsg.), Einflüsse von Globalisierung und Europäisierung auf die Polizei, Frankfurt/M. 2008; Martin H. W. Möllers/Robert Chr. van Ooyen (Hrsg.), Europäisierung und Internationalisierung der Polizei, Frankfurt/M. 2006.

  3. Vgl. Cyrille Fijnaut/Letizia Paoli (eds.), Organised Crime in Europe. Concepts, Patterns and Control Policies in the European Union and Beyond, Dordrecht 2006.

  4. Im jüngsten Lagebild liegt der Wert bei 85,2 Prozent, wobei sich die internationalen Bezüge auf 119 Staaten verteilen, vgl. Bundeskriminalamt, Organisierte Kriminalität. Pressefreie Kurzfassung, Wiesbaden 2008, S. 17.

  5. Vgl. Ulrich Schnecker, Transnationaler Terrorismus, Frankfurt/M. 2006, S. 49 - 100.

  6. Vgl. grundlegend Elmar Altvater/Birgit Mahnkopf, Globalisierung der Unsicherheit - Arbeit im Schatten, schmutziges Geld und informelle Politik, Münster 2002.

  7. Vgl. Susanne Krasmann/Werner Lehne, "Organisierte Kriminalität" im Windschatten der Globalisierung legaler und illegaler Märkte, in: Vorgänge, 137 (1997), S. 106-119.

  8. Vgl. Richard Mörbel/Sönke Schmidt, Verhütung und Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Handlungsperspektiven aus deutscher und europäischer Sicht, Berlin 2008, S. 4.

  9. Vgl. Mathieu Deflem, Policing World Society. Historical Foundations of international police cooperation, Oxford u.a. 2002.

  10. Vgl. dazu im Überblick Reinhard Mokros, Polizei und Justiz auf Ebene der Europäischen Union, in: Hans Lisken/Erhard Denninger (Hrsg.), Handbuch des Polizeirechts, München 20074, S. 1358 - 1380.

  11. Zur Entwicklung von Europol vgl. Wilhelm Knelangen, Das Politikfeld innere Sicherheit im Integrationsprozess, Opladen 2001, S. 189 - 253.

  12. Zu den Zahlen siehe Europol, Annual Report 2007, The Hague 2008, S. 32f., 42.

  13. Vgl. Hermann von Langsdorff, Eurojust: eine neue Einrichtung. Aufgaben, Rechtsrahmen, Problemfelder, in: Peter-Christian Müller-Graff (Hrsg.), Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, Baden-Baden 2005, S. 125 - 135.

  14. Vgl. Eurojust, Jahresbericht 2007, Den Haag 2008, S. 9.

  15. Vgl. Andreas Fischer-Lescano/Timo Tohidipur, Europäisches Grenzkontrollregime. Rechtsrahmen der europäischen Grenzschutzagentur Frontex, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, 67 (2007), S. 1219 - 1276.

  16. Vgl. Bundestags-Drucksache 16/9888, S. 9.

  17. Vgl. dazu Reinhard Mokros, Zusammenarbeit mit den Polizeien der Nachbarstaaten, in: H. Lisken/E. Denninger (Anm. 10), S. 1279 - 1319.

  18. Vgl. Bundesrats-Drucksache 16/6839, S. 8.

  19. Vgl. Bundestags-Drucksache 16/9270, S.6 f.

  20. Vgl. Peter Andreas/Ethan Nadelmann, Policing the Globe. Criminalization and Crime Control in International Relations, Oxford 2006.

  21. Vgl. die Beiträge in Ulrich Schneckener (Hrsg.), Chancen und Grenzen multilateraler Terrorismusbekämpfung, SWP-Studie, S 14 (2007).

  22. Ein Novum stellte allerdings das Vorgehen des UNO-Sicherheitsrates nach dem 11. September 2001 dar, der mit der Resolution 1373 allen Staaten verbindliche gesetzgeberische Auflagen für Maßnahmen gegen den Terrorismus machte, vgl. Christian Schaller, Völkerrechtliche Rahmenbedingungen und die Rolle der Vereinten Nationen bei der Terrorismusbekämpfung, in: U. Schneckener (Anm. 21), S. 21.

  23. Vgl. Peter Nitschke, Europäisierung der Kriminalpolitik, in: Hans-Jürgen Lange (Hrsg.), Kriminalpolitik, Wiesbaden 2008, S. 387 - 401; zur Entwicklung siehe W. Knelangen (Anm. 11).

  24. Vgl. ausführlich Wilhelm Knelangen, Die Europäische Union: eine "starke Macht" im Kampf gegen den Terrorismus?, in: Peter Nitschke (Hrsg.), Globaler Terrorismus und Europa, Wiesbaden 2008, S. 99 - 123.

  25. Vgl. Daniela Kietz/Andreas Maurer, Der Vertrag von Prüm: Vertiefungs- und Fragmentierungstendenzen in der Justiz- und Innenpolitik der EU, in: Integration, 29 (2006), S. 201 - 212.

  26. Vgl. Bundeskriminalamt, Das Bundeskriminalamt. Das Profil, Wiesbaden 2008, S. 14.

  27. Vgl. Thorsten Stodiek, Internationale Polizei, Baden-Baden 2004.

  28. Vgl. Bundesministerium des Innern, Arbeitsgruppe Internationale Polizeimissionen.

Dr. rer. pol., geb. 1971; Akademischer Rat im Fach Politikwissenschaft am Institut für Sozialwissenschaften, Westring 400, 24098 Kiel
E-Mail: E-Mail Link: WKnelangen@politik.uni-kiel.de