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Christen im Nahen Osten - Essay | Religiöse Minderheiten im Islam | bpb.de

Religiöse Minderheiten im Islam Editorial Christen im Nahen Osten - Essay Christen in der islamischen Welt Zeugen uralter Kulturen: Christen im Irak und in Syrien Religiöse Minderheiten in der Türkei Religiöse Minderheiten im Iran Die Religionsgemeinschaften im Libanon

Christen im Nahen Osten - Essay

Udo Steinbach

/ 13 Minuten zu lesen

Im 20. Jahrhundert sind die Christen im Orient zwischen die Mühlsteine der Konflikte geraten. Wenn sich die Auswanderung fortsetzt, wird das Christentum am Ort seines Ursprungs verschwinden.

Einleitung

Das mit dem Sturz des diktatorischen Regimes in Bagdad ausgebrochene Chaos hat auch die alteingesessenen christlichen Gemeinden im Irak nicht unberührt gelassen. Bombenanschläge auf Kirchen und Versammlungsräume und mörderische Attentate auf einfache Gemeindemitglieder wie hochrangige Vertreter der ost- und westsyrischen Kirche haben deutlich gemacht, dass die Christen im Irak in das bürgerkriegsartige Mahlwerk geraten sind.



Spätestens mit der planvollen Vernichtung hunderttausender Armenier (1915/16) war erkennbar, wie gefährdet die lange Symbiose zwischen Muslimen und Christen geworden war. Seither ist die Gefährdung christlicher Minderheiten ein Symptom tief greifender Veränderungen und Krisen, welche die Gesellschaften im Nahen Osten im 20. Jahrhundert durchlaufen haben. Aus einer gewissen Distanz lassen sich vier Konfliktfelder ausmachen, die in wechselnder Konfiguration zu einer Dauerbelastung für die Lebensumstände der autochthonen Christen geworden sind: der Nationalismus in den nach dem Ersten Weltkrieg größtenteils neu entstandenen oder unabhängig gewordenen Staaten im Nahen Osten; die Staatsgründung Israels und die westliche Positionierung im Nahostkonflikt; die grassierende islamistische Strömung und die opportunistische Reaktion der Staatsführungen; sowie die Schwächung zentralstaatlicher Autorität (wie im libanesischen Bürgerkrieg und im Irak) und die dadurch bedingte Fraktionierung ursprünglicher Lebensgemeinschaften.

Das Schicksal der Christen im Nahen Osten hat im Westen nur begrenzte Aufmerksamkeit erfahren. Erschien es im Zeitalter des Säkularismus unzeitgemäß, Religion zum Thema von Außenpolitik zu machen? Tatsache ist, dass sich zahlreiche Christen im Nahen Osten alleingelassen fühlen. Die Frage steht im Raum, ob sich europäische Regierungen vor dem Hintergrund der Bedeutung des orientalischen Christentums für die allfällige Modernisierung der Gesellschaften in der Region ein solches Wegsehen noch werden leisten können. Auf der anderen Seite wird die Idee der interreligiösen und interkulturellen Toleranz in Europa aller Voraussicht nach nur dann funktionieren, wenn auch in der islamischen Welt ein tolerantes Zusammenleben von Religionsgemeinschaften möglich wird. Deshalb sollte die Frage nach der Zukunft orientalischer Christen auch Teil der Agenda in der Gestaltung der politischen Beziehungen Europas zur islamischen Welt sein - nicht, um einen religiösen Graben aufzureißen, sondern im Sinne des umfassenden Primats der Menschenrechte.

Licht und Schatten der Geschichte

Als die Araber im ersten Drittel des 7. Jahrhunderts aufbrachen, ein islamisches Reich zu gründen, stießen sie im Nahen und Mittleren Osten sowie in Nordafrika auf eine weithin christianisierte Welt. Diese war alles andere als uniform. In ihren unterschiedlichen Lehrmeinungen waren die Konfessionen das Ergebnis der Ausbildung der theologischen und dogmatischen Lehren im Orient in den ersten Jahrhunderten des Christentums. Viele von ihnen entzogen sich der byzantinischen Staatskirche ebenso, wie sie sich einem lateinisch-römischen Führungsanspruch entgegenstellten. Die konfessionelle Vielfalt ist auch in der Gegenwart ein Charakteristikum der "christlichen Szene" im Raum zwischen Ägypten und dem Irak.

Die muslimischen Araber haben im Zuge ihrer Expansion keine systematische Islamisierung betrieben. Über einen langen Zeitraum stellte in Teilen des Reiches der Kalifen das Christentum die Mehrheit. Politische, wirtschaftliche und rechtliche Erwägungen waren es, die früher oder später einen Übertritt zum Islam angeraten erscheinen ließen. Die Beurteilung der Beziehungen zwischen den Vertretern des islamischen Staates und den Christen fällt zwiespältig aus: Die einen verweisen auf die zahlreichen Einschränkungen, denen Christen aufgrund ihres Status als "Schutzbefohlene" (dhimmi) unterworfen waren; auch waren sie Bürger zweiter Klasse und unterlagen zeitweilig einer hohen Steuerbelastung. Andere stellen die Freiheit der Religionsausübung sowie die weitgehende Eigenständigkeit bei der Regelung rechtlicher Belange heraus. Auch wirtschaftlich konnten sich die Christen im Herrschaftsbereich des Islams entfalten.

Die Kreuzzüge brachten die römische Kirche und die Christen im Vorderen Orient in enge Berührung. Während sich die byzantinische Staatskirche und die europäischen Invasoren feindselig gegenüberstanden - 1204 eroberten die Kreuzfahrer Konstantinopel und schwächten damit Byzanz als Widerlager der Muslime unumkehrbar -, suchten andere christliche Gemeinden die Union mit Rom. Neben den Armeniern waren dies vor allem die Maroniten, die 1182 diesen Schritt taten.

Eine wichtige Rolle haben orientalische Christen bei der Vermittlung griechischen Wissens an die muslimischen Araber gespielt. Naturgemäß nahmen die Angehörigen der einstigen byzantinischen Staatskirche dabei zunächst eine herausragende Stellung ein, denn sie sorgten für direkte Übersetzungen aus dem Griechischen ins Arabische. Doch daneben traten Angehörige anderer Denominationen hervor, die griechisches Gedankengut vermittelten. Besonders beachtlich war die Leistung zahlreicher ostsyrischer Gelehrter. Sie übersetzten Texte vom Griechischen ins Syrische und machten so die Welt griechischer Medizin, Philosophie und Theologie im syrischsprachigen Kulturraum präsent. Dabei kam es natürlich auch zu Anpassungen und Veränderungen des Gedankengutes aus der griechischen Antike, das schließlich nach der Eroberung des syrischsprachigen Kulturraums durch die Araber über die Übersetzungen vom Syrischen ins Arabische vermittelt wurde.

Die osmanische Expansion im Nahen Osten - 1517 wurde Kairo, 1534 Bagdad erobert - machte die orientalischen Christen zu Untertanen des Sultans in Konstantinopel. Die Geschichtsschreibung hat die Herrschaft der Osmanen meist als Epoche der Stagnation der arabischen Welt erscheinen lassen. Das gilt auch für die christlichen Untertanen. Unter der osmanischen Verwaltung genossen Christen der unterschiedlichen Konfessionen - wie auch die Juden - freie Ausübung der Religion und die Respektierung ihres Rechts. Die religiösen Führer dieser - so der osmanische Begriff - milletler (Singular: millet) waren die Ansprech- und Verhandlungspartner der osmanischen Verwaltung nicht zuletzt in Steuerangelegenheiten.

Neuanfang, Belastungen, Katastrophe im 19. Jahrhundert

Die vergangenen beiden Jahrhunderte bedeuten für das orientalische Christentum Renaissance und Niedergang, ja Katastrophe zugleich. Der im 19. Jahrhundert unaufhaltsame Niedergang des Osmanischen Reiches ließ allenthalben Kräfte entstehen, die auf nationale Selbstbestimmung und Unabhängigkeit drängten. Zwar konnte der Nationalismus im arabischen Raum keine Durchschlagskraft wie auf dem Balkan entfalten - Muslime taten sich schwerer als Christen, ihre vornehmliche Zuordnung in der Nation zu erkennen. Ihre Loyalität galt fast bis zuletzt dem "islamischen" Osmanischen Reich. Gleichwohl setzte auch im arabischen Raum eine Bewegung ein, das "nationale" Erbe des Arabertums hinter dem geistigen Stillstand der osmanisch-türkischen Herrschaft wieder sichtbar zu machen. Im syrisch-libanesischen Raum, im Irak und in Ägypten widmeten sich Christen der Wiederbelebung der arabischen Literatur und Wissenschaften, ja der Schönheit der arabischen Sprache. Auch wenn muslimische Araber an dieser Bewegung teilhatten, so war der Anteil der Christen deutlich größer als ihr zahlenmäßiger Anteil an der arabischen Bevölkerung dieser Länder. In dieser Wiederentdeckung arabischer Identität, die im Ersten Weltkrieg im Aufstand der Araber gegen die Osmanen gipfelte, spielte auch der Islam als "arabische Religion" und geschichtliche Kraft eine große Rolle. Die meisten der christlichen arabischen Nationalisten hatten keine Probleme, den überwältigenden Beitrag der islamischen Religion zur nationalen arabischen Grandeur anzuerkennen.

Neben der Dynamik aus dem Inneren der osmanischen Untertanen sind Impulse von außen in das Osmanische Reich und seine christlichen Untertanen getragen worden. Der Niedergang des Reiches öffnete Räume für die Einmischung europäischer Mächte. Frankreich schwang sich zur Schutzmacht der orientalischen Katholiken auf, England agierte für die orientalischen Protestanten und die altorientalischen Kirchen der Armenier, Kopten und Syrer, Russland für die chalzedonische Orthodoxie. Mit Blick auf die orientalischen Christen waren diese Schutzverhältnisse auch Ausdruck eines Überlegenheitsgefühls, das man im Westen gegenüber orientalischen Brüdern und Schwestern empfand, deren Lebensverhältnisse als weit hinter den europäischen geistigen und zivilisatorischen Errungenschaften stehend wahrgenommen wurden. Man war bemüht, diese Lebensstandards auf allen Ebenen anzuheben: nicht zuletzt durch eine tief greifende Verbesserung des Bildungssystems. Was ihre Schulen - die missionarische Haupttätigkeit - anging, hielten sich die protestantischen und katholischen Missionen am Vorabend des Ersten Weltkriegs in etwa die Waage. Stärker als die katholischen waren die protestantischen Missionarinnen und Missionare seit Mitte des 19. Jahrhunderts auch im Landesinneren präsent, namentlich im Inneren und Osten Kleinasiens, also in jenen multiethnischen Provinzen, die auch von Kurden, Armeniern und syrischen Christen bewohnt waren. Auch die Rum, die griechisch-orthodoxen Osmanen im westlichen Kleinasien, und die arabischsprachigen Christen im Libanon, in Palästina und Ägypten bildeten eine wichtige Klientel der Missionsschulen. Der Ruf einiger der von europäischen und amerikanischen Missionaren gegründeten Hochschulen in Istanbul, Beirut und Kairo hat bis in die Gegenwart überdauert. Dass sich diese Missionsbestrebungen von Seiten der Protestanten auch auf die muslimischen Untertanen des Sultans richteten, verstärkte das Gefühl, es handle sich bei dieser Fürsorglichkeit um eine Strategie, das Osmanische Reich von innen zu unterminieren.

Tatsächlich stand der Sultan unter enormem Druck von außen, Reformen zu unternehmen, um das Reich der ständigen militärischen Zudringlichkeit europäischer Mächte zu entziehen und zu einem stabilen Partner im Konzert der europäischen Mächte zu machen. Eine Reihe von Reformschritten sollte den Status der nichtmuslimischen Untertanen verändern und diese zu gleichberechtigten Bürgern machen. Bildungsboom aber und Reformen schufen Nichtmuslimen, namentlich auch den Christen, neuen Handlungsspielraum. Die sunnitischen Muslime, die traditionellen Träger des Staates (millet-e hakime, "herrschende Gruppe"), sahen sich als Verlierer. Die sunnitische Mehrheit der Kurden in den Ostprovinzen verstand sich als Verliererin sowohl der osmanischen Reformen, die in den 1830er und 1840er Jahren mit der Aufhebung besonders ihrer Fürstentümer einhergegangen war, als auch einer zunehmenden - wirklichen oder vermeintlichen - Penetration ihrer Gebiete durch einen bedrohlichen Gegner, den ausländischen gavur (pejorativ für Nichtmuslim).

Hier liegt die Wurzel der armenischen Tragödie. Der osmanische Staat und seine sunnitische Basis empfanden den Protestantismus (der auch unter Muslimen und Alewiten zu missionieren suchte) und die (zunehmend imperialistischen) europäischen Mächte als bedrohlich. Im Libanon kam es 1860, nach antichristlichen Pogromen, zur europäischen Intervention. In den osmanischen Provinzen im Osten Kleinasiens konnte der Staat seine Macht nur im Pakt mit sunnitischen Notabeln und Stammesführern halten - meist zu Ungunsten der Christen. Die großen Massaker von 1895/96 betrafen in jener ostanatolischen Region primär die Armenier. 100.000 Menschen fielen ihnen zum Opfer. Es handelte sich um aggressive Auswüchse eines neuartigen muslimischen Nationalismus bzw. Islamismus; die Rolle des Sultans ist ungeklärt. Zehn Jahre später, mitten im Ersten Weltkrieg, traf die Armenier eine noch größere Katastrophe. Während die antichristliche, insbesondere antiarmenische Gewalt vor 1915 meist den Charakter von Pogromen hatte, war die Situation von 1915/16 insofern eine andere, als die Zentralregierung im Schatten des Krieges die umfassenden antiarmenischen Maßnahmen steuerte und durch eigene Organe, die "Spezialorganisation", ausführen ließ.

Das wechselvolle 20. Jahrhundert

Die Katastrophe von 1915/16 warf einen dunklen Schatten auf das Zusammenleben von Muslimen und Nichtmuslimen im 20. Jahrhundert. Die Ereignisse ließen erkennen, dass die über mehr als ein Jahrtausend - wenn auch nicht ohne Probleme - bestehende Symbiose prekär geworden war. Die Entwicklungsprobleme, Krisen und Konflikte, mit denen die Staaten und Gesellschaften, die aus dem zerfallenen Osmanischen Reich hervorgingen, konfrontiert waren, sollten sich belastend auf das Zusammenleben auswirken. Vier Faktoren sind hier zu nennen:

- Der Nationalismus, die treibende Kraft im Staatenbildungsprozess im Nahen Osten, verstand die Nation als ethnisch und religiös homogene Größe. Christliche ethnische Minderheiten wurden über Jahrzehnte aus Gebieten verdrängt, in denen sie seit Jahrtausenden (z.B. Griechen in Anatolien und Ägypten) ansässig gewesen waren. Da der Islam de jure oder de facto zur Staatsreligion wurde, wurden Christen den nationalen, religiös konnotierten Wertvorstellungen unterworfen. Dies hatte vielfältige Konsequenzen, die von der Behinderung der Religionsausübung über Beschränkungen im beruflichen, öffentlichen und wirtschaftlichen Leben bis zu Behinderungen im Erziehungswesen reichten. Dabei gerät aus dem Blick, dass Christen beim Entstehen des arabischen Nationalismus und der Schaffung arabisch-nationalistischer Parteien (etwa der Ba'th-Partei) herausragende Beiträge geleistet haben. In Israel sind die Christen als religiöse Minderheit innerhalb der arabischen Minderheit besonderen Schwierigkeiten ausgesetzt: "Wir christlichen Araber sind ohne Chance. Weil die muslimische Mehrheit auf der Suche nach ihrer Identität islamistischer wird, wird ihre Toleranz gegenüber Christen immer geringer", wird ein christlich-arabischer Israeli zitiert. In der Türkei haben sich der Konflikt des türkischen Staates mit der kurdischen Minderheit und der griechisch-türkische Konflikt, insbesondere auf der Insel Zypern, immer wieder belastend auf die Stellung der Christen, vor allem der griechisch-orthodoxen und der syrisch-orthodoxen am Tur Abdin, ausgewirkt.

- Die Staatsgründung Israels führte zur Auswanderung nahezu aller Juden aus den arabischen Staaten. Die Christen, schon im Osmanischen Reich verdächtigt, "fünfte Kolonne" westlicher Mächte zu sein, gerieten unter den Generalverdacht, nicht loyal zu sein und mit den Kolonialmächten, die Israel geschaffen hatten, zu kollaborieren. Dies ist umso weniger gerechtfertigt, als sich Christen unterschiedlicher Denominationen in der palästinensischen Nationalbewegung nachhaltig engagiert haben. Zwar sehen sich in Palästina Muslime und Christen als Schicksalsgemeinschaft, doch während der palästinensische Nationalismus von Jassir Arafats Fatah mit seiner impliziten Religiosität die palästinensische christliche Minderheit einbeziehen konnte, schließt der religiöse Nationalismus der Hamas diese christliche Minderheit tendenziell aus, marginalisiert sie zumindest.

- Der islamische Fundamentalismus, der seit Anfang der 1970er Jahre erheblichen Einfluss auf die gesellschaftlichen Entwicklungen hat, sieht Nichtmuslime per definitionem als Bürger zweiter Klasse an. Dies ist in der Islamischen Republik Iran schon aufgrund der Verfassung von 1979 gegeben. Wo die islamistische Bewegung andernorts an Dynamik gewann, bedeutete ihr Ziel, eine islamische Ordnung auf der Basis der Scharia zu errichten, ipso facto einen Rückschritt in Zeiten, da Nichtmuslime als Schutzbefohlene zwar geduldet wurden, aber keine Chance auf Gleichberechtigung hatten. Opportunistisches Entgegenkommen bei den Islamisierungsforderungen der Islamisten von Seiten einiger Regierungen (z.B. in Ägypten) vertieften die Spannungen zwischen Muslimen und Nichtmuslimen und engten die Spielräume gesellschaftlicher und politischer Entfaltung auf Seiten der Christen ein. Die gewalttätigen Übergriffe militanter Islamisten gegen die christliche Minderheit im Irak unmittelbar nach dem Zusammenbruch des säkularen ba'thistischen Regimes waren nahezu programmiert.

- Der Fall des Irak bestätigt, dass der Zerfall staatlicher Gewalt die Bedrohung der Existenz der Christen im Nahen Osten steigen lässt. Der Libanon ist das eindrücklichste Beispiel. Der Verlust ihrer zahlenmäßigen Mehrheit in den Jahrzehnten nach Ende des Zweiten Weltkriegs, die immer stärkere Einbeziehung des Libanon in den israelisch-palästinensischen Konflikt, das Ergebnis des Bürgerkrieges, das ihre Machtstellung gegenüber der nunmehr muslimischen Mehrheit reduziert hat, und der Verlust ihrer wirtschaftlichen Dominanz sowie der anhaltend starke Einfluss Syriens auf die libanesische Politik haben sich angesichts der Schwäche der libanesischen Regierung negativ auf die Sicherheit christlicher Existenz ausgewirkt. Sollten sich in Syrien, wo ein laizistisches Regime den Christen eine stabile Existenzgrundlage gewährt, Veränderungen ergeben, die das System insgesamt schwächen, dürfte dies negative Auswirkungen für die Christen in diesem zwischen dem Libanon und dem Irak gelegenen Land zeitigen.

Anhaltender Druck oder auch nur die stetige Sorge um ihre Existenz haben einen Auswandererstrom orientalischer Christen in viele Teile der Welt entstehen lassen. Im Frühjahr 2008 wurde in Deutschland über eine Anregung des Bundesinnenministers diskutiert, ein Kontingent irakischer Christen als Flüchtlinge aufzunehmen. Zu den Argumenten, die gegen diesen Vorschlag vorgetragen wurden, gehörte, dass damit ein weiteres Tor der Auswanderung geöffnet werde. Denn von den einmal nach Deutschland gewanderten Christen dürfte kaum einer zurückkehren - selbst dann nicht, wenn im Irak eine wie auch immer geartete Stabilität erreicht sein wird. Insgesamt ist die Einschätzung von Kennern mit Blick auf die Fortexistenz von Christen in ihren Wohngebieten eher skeptisch. Wenn ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung die Marke von einem Prozent unterschreitet, kann von Koexistenz kaum noch gesprochen werden.

Internationale Aufmerksamkeit

Die Debatte in Deutschland über die Aufnahme von irakischen Christen zeigt, dass den Christen im Orient größere Aufmerksamkeit geschenkt wird als in der Vergangenheit. Das gilt auch für die Kirchen. Kann es als Wende der Politik des Vatikans gesehen werden, dass Papst Benedikt XVI. neben seiner Ansprache am 25. Dezember 2006 eine Botschaft an die Katholiken des Mittleren Ostens gesandt hat, an jene "kleine Herde", die inmitten von Gläubigen anderer Religionen lebe und "ernsten Unbilden und Schwierigkeiten" ausgesetzt sei? Seine Forderung nach "mehr Rechten für christliche Minderheiten" macht auf das Schicksal aller Christen - ganz gleich welcher Glaubensgemeinschaft - aufmerksam.

2007 haben die beiden großen Kirchen Deutschlands Delegationen ins Heilige Land geschickt; eine Geste, die als Signal der Aufmerksamkeit für die Christen dort gewertet werden sollte. Die katholischen Bischöfe haben sich nicht gescheut, anlässlich dieses Besuches einige Tatsachen anzusprechen, die das Leben von Christen (aber auch Muslimen) erschweren. Auch hat die katholische Kirche 2007 im Rahmen der "Solidarität mit verfolgten und bedrängten Christen in unserer Zeit" eine informative "Arbeitshilfe" veröffentlicht. Es geht also keineswegs um "Christentümelei". Dahinter steckt die Erkenntnis, dass die Zukunft der Christen mit der Zukunft des Nahen und Mittleren Ostens insgesamt verbunden ist. Dass dies auch unsere Zukunft berührt, wird in der Migrationsdebatte immer wieder deutlich.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Eine Sammlung authentischer Stimmen orientalischer Christen zu ihrer Lage findet sich in: Die Zukunft der orientalischen Christen - Eine Debatte im Mittleren Osten, hrsg. vom Evangelischen Missionswerk in Deutschland, dem Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten und Alexander Flores, Hamburg-Berlin 2001.

  2. Vgl. Martin Tamcke, Christen in der islamischen Welt. Von Mohammed bis zur Gegenwart, München 2008; ders., Religionsgeschichte der orientalischen Christen, in: Udo Steinbach (Hrsg.), Autochthone Christen im Nahen Osten. Zwischen Verfolgungsdruck und Auswanderung, Hamburg (Deutsches Orient-Institut) 2006, S. 11 - 29.

  3. Vgl. ebd., S. 132 - 147.

  4. Vgl. Hans-Lukas Kieser, Mission, Modernisierung und Verfolgung, in: U. Steinbach (Anm. 2), S. 40 - 52.

  5. Vgl. die Beiträge von Fikret Adanir, Helga Baumgarten, Martin Beck, Renate Dieterich, Henner Fürtig, Axel Havemann, Albrecht Metzger, Johanna Pink und Irmgard Schrand, in: U. Steinbach (Anm. 2).

  6. Jörg Bremer, Auf der Suche nach dem richtigen Platz in Israel, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 7. 5. 2008, S. 6.

  7. Vgl. Helga Baumgarten, Koexistenzperspektiven in Israel/Palästina, in: U. Steinbach (Anm. 2), S. 189f.

  8. Zu den - geschätzten - Zahlen vgl. Rita Breuer, "Fürchte dich nicht, kleine Herde!" Leben und Überleben der Christen in der arabischen Welt, in: Rainer Brunner et al. (Hrsg.), Islamstudien ohne Ende. Festschrift für Werner Ende zum 65. Geburtstag, Würzburg 2002, S. 49 - 58; vgl. auch M. Tamcke (Anm. 2), S. 186ff.

  9. Vgl. Hans-Christian Rößler, "Dann sind sie für den Irak verloren", in: FAZ vom 17. 4. 2008, S. 3; Thomas Krapf, Irak: Christentum vor dem Ende, in: Rheinischer Merkur, (2008) 15, S. 25.

  10. Vgl. die Thesen von M. Tamcke und U. Steinbach, in: ders. (Anm. 2), S. 193 - 200.

  11. Deutsche Bischofskonferenz, Arbeitshilfe 210, Verfolgte Christen im Nahen Osten, Bonn 2008.

Dr. phil., geb. 1943; Professor am Centrum für Nah- und Mittelost-Studien der Philipps-Universität Marburg, Deutschhausstraße 12, 35032 Marburg.
E-Mail: E-Mail Link: us@udosteinbach.eu
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