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Iran Editorial Iran als außenpolitischer Akteur Machtstrukturen in Iran Scheitern des Chomeinismus Frauenrechte in Iran Verliert die Islamische Republik die Jugend? Kinder der Revolution - Die iranische Blogosphäre

Iran als außenpolitischer Akteur

Volker Perthes

/ 16 Minuten zu lesen

Iran ist als gleichermaßen rationaler wie opportunistischer Akteur zu verstehen. Das Land strebt nach wirtschaftlichem und wissenschaftlichem Fortschritt, aber auch nach Prestige und Status. Zugleich ist Regimesicherheit ein zentrales Motiv der iranischen Politik.

Einleitung

Die Beziehungen der Islamischen Republik Iran zu seiner internationalen Umwelt werden nicht allein durch den so genannten Nuklearkonflikt bestimmt. Drei Dimensionen sind zu unterscheiden, wenn es um Irans Rolle in der Welt geht. Zunächst ist das Verhältnis des Landes zu seiner regionalen Umgebung zu nennen, das durch die Instabilität in Nachbarländern wie Afghanistan oder Pakistan, Fragen der Sicherheit am Persischen Golf, aber auch den Nahostkonfikt und Irans Interessen in der Nah- und Mittelostregion geprägt ist.



Dann sind da die Beziehungen zur Europäischen Union (EU), zu Großmächten wie Russland, China und Indien und zu internationalen Organisationen wie der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO). Hier haben Wirtschaftsinteressen schon immer eine Rolle gespielt. Iran ist ein Schwellenland, das ausländische Investitionen und Zusammenarbeit mit den Industriestaaten braucht, um seine wirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben, das aber auch über die weltweit zweitgrößten Öl- und Gasvorkommen verfügt. Damit ist das Land für die Außenbeziehungen der EU-Staaten, Japans oder Indiens in jedem Fall wichtig. Seit 2003 dominiert der Konflikt um das iranische Atomprogramm die Beziehungen gerade zu Europa.

Die dritte Dimension ist die bilaterale US-amerikanisch-iranische. Auch hier spielt der Atomkonflikt eine zentrale Rolle, stellt allerdings nicht das einzige Problem dar. Die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Staaten sind seit fast drei Jahrzehnten unterbrochen. Auch wenn man seit dem Amtsantritt Barack Obamas über eine Wiederannäherung spricht, dürften die Beziehungen von großer Skepsis geprägt bleiben, solange die Islamische Republik ihre ideologische Orientierung aufrecht erhält und gleichzeitig zunehmend zu einem Konkurrenten der USA um Einfluss im Nahen und Mittleren Osten wird.

Es geht in diesem Artikel nicht darum, den für die Beziehungen Irans zum Westen so wichtigen Atomstreit zu beleuchten. Dies ist an anderer Stelle geschehen. In den Monaten nach dem Redaktionsschluss dieses Beitrags, im Frühherbst 2009, dürften diesbezüglich eher dynamische Entwicklungen zu erwarten sein. Stattdessen werden einige der Konstanten iranischer Außenpolitik betrachtet. Die iranische Interessenlage zu verstehen bleibt eine grundlegende Voraussetzung, um politische Lösungen für die Konflikte Irans mit seiner regionalen und internationalen Umwelt zu finden.

Iran als rationaler Akteur

Bei fast allen Debatten über die internationale Politik gegenüber Iran wird auch über die Rationalität dieses Staates gestritten. Zweifel am rationalen Verhalten Irans oder seiner Führungseliten werden vor allem durch die unverantwortliche Rhetorik und das provokante Handeln einer Reihe wichtiger Entscheidungsträger immer wieder genährt. Vor allem der seit 2005 amtierende Präsident Mahmoud Ahmadinedschad hat hierzu beigetragen, nicht zuletzt, indem er das Existenzrecht Israels offen in Frage stellte und den Holocaust leugnete. Dessen Rhetorik ist allerdings nur eine der vielen Facetten iranischer Politik. Wer die Diskurse iranischer Politiker in ihren realpolitischen Rahmen stellt, wird bemerken, dass die Führungseliten des Iran in den Jahrzehnten seit der Islamischen Revolution von 1979 sehr wohl als rationale außenpolitische Akteure aufgetreten sind, die Risiken und Chancen abwägen. Das bedeutet auch, dass negative oder positive Impulse von außen Entscheidungen der iranischen Führung beeinflussen können. Rationales Handeln muss dabei immer auf die Ziele und Interessen des Regimes bezogen werden. Regimesicherheit bzw. das Überleben des Regimes ist zweifellos das oberste Interesse der iranischen Führung. Mangelnde Offenheit und die Neigung iranischer Unterhändler, Verhandlungen durch mehr oder weniger gezielte Ablenkungsmanöver zu verkomplizieren, machen es für ihre internationalen Partner allerdings oft sehr schwer, die Ziele der iranischen Seite zu verstehen.

Der Wert der Unabhängigkeit

Manchmal scheint es, als gäbe es innerhalb der iranischen Elite nur zwei Strömungen: Eine, die insbesondere dem Westen gegenüber wenig Vertrauen entgegenbringt, und eine zweite, die niemandem vertraut. Ohne Zweifel stellen diejenigen, die man als Islamo-Nationalisten bezeichnen könnte - hierzu gehört Präsident Ahmadinedschad -, die misstrauischste Gruppe dar. Allerdings sind sowohl zahlreiche Mitglieder der politischen Elite als auch Teile der Bevölkerung der Auffassung, dass Iran wiederholt Objekt der Machenschaften fremder Mächte gewesen sei. Im Gegensatz zu den Islamo-Nationalisten unterscheiden Realisten und Reformer - wie die ehemaligen Präsidenten Ali Akbar Haschemi Rafsandschani (1989 bis 1997) und Mohammed Chatami (1997 bis 2005) - dabei zwischen den USA einerseits und Europa und anderen Staaten andererseits. Vor allem sehen Vertreter dieser Strömungen, dass es trotz der historischen Verletzungen notwendig ist, zu Kompromissen auch mit den USA zu gelangen und deren Interessen zu berücksichtigen.

Die iranische Elite ist durchaus nicht isolationistisch eingestellt. Niemand stellt ernsthaft in Frage, dass Iran die Beziehungen mit dem Rest der Welt pflegen muss. Alles andere wäre für ein Land mit dieser geopolitischen Lage, der Geschichte und der Ressourcenausstattung auch irrational. Die "Isolation" ist gemäß der iranischen Sicht der Dinge vielmehr etwas, das dem Land von außen aufgezwungen wird.

Tatsächlich hat Teheran Grund, sich unsicher zu fühlen. Mit Blick auf die regionale Umgebung ist kaum zu übersehen, dass sich die Regierung von US-Präsident George W. Bush darum bemühte, mit so genannten moderaten arabischen Staaten und Israel eine Allianz gegen Iran zu bilden. Zudem sind US-amerikanische Kampftruppen in Irak und in Afghanistan stationiert, die amerikanische Flotte patrouilliert im Persischen Golf, die Türkei ist NATO-Mitglied, Pakistan ein Verbündeter Washingtons und selbst Aserbaidschan unterhält militärische Kooperationsbeziehungen zu den USA - dies fördert auf Seiten Irans das Gefühl, faktisch von den USA und ihren Alliierten umzingelt zu sein. So sehr innerhalb des Regimes über die internationale Politik des Landes gestritten wird, besteht gleichzeitig Einigkeit über den hohen Wert der Unabhängigkeit und Souveränität des Landes und darüber, dass Iran als aufsteigende Macht auch angemessen behandelt werden sollte. Während Reformer und Pragmatiker die Außenpolitik dabei mit Bezug auf die nationalen Interessen des Landes erklären, neigen Islamo-Nationalisten eher zu ideologischen Bekenntnissen.

Auf gleicher Augenhöhe

In der inneriranischen Debatte wird keinem anderen Staat so viel Interesse zuteil wie den USA. Man ist der Überzeugung, dass sich beide Länder auf gleicher Augenhöhe begegnen sollten. Dies ist nur konsequent, wenn man, wie realistische Autoren dies tun, das Verhältnis zu den USA mit "Rivalität" oder "geopolitischer Konkurrenz" beschreibt. Iranische Gesprächspartner beschweren sich oft, dass die USA Iran und sein System nicht anerkennen. Gerade auch deshalb machte die Botschaft von US-Präsident Obama zum iranischen Neujahrsfest im März 2009 Eindruck: Obama hatte das Land mit seinem offizielle Staatsnamen als "Islamische Republik Iran" und gleichermaßen Führung und Volk des Landes angesprochen. Insbesondere auf konservativer iranischer Seite ist man gleichwohl davon überzeugt, dass die USA und andere westliche Staaten weiterhin versuchen werden, mit den Akteuren der iranischen Zivilgesellschaft auf eine "samtene Revolution" hinzuarbeiten. Insofern waren die Vorwürfe Ahmadinedschads, dass die Proteste der Opposition gegen das Ergebnis der Präsidentenwahl vom 12. Juni 2009 vom Ausland gesteuert seien, zwar die erwartbare Reaktion eines autoritär gesinnten Politikers, sie entsprach aber auch seinem von grundsätzlichem Misstrauen geprägten Weltbild.

Nicht nur Realisten und Reformer treten für eine Wiederherstellung der Beziehungen zu den USA ein. Auch Konservative und Islamo-Nationalisten führen seit dem Amtsantritt Ahmadinedschads Diskussionen über die Gestaltung des amerikanisch-iranischen Verhältnisses. Dabei wird deutlich, dass Ahmadinedschad ein Interesse daran hat, als der iranische Regierungschef in die Geschichte einzugehen, der Iran wieder mit den USA ins Geschäft gebracht hat. Offen bleibt, ob er sich dabei nicht mit seiner eigenen Politik im Wege stehen wird.

Zur Überraschung vieler erklärte Anfang 2008 der "Geistige Führer", Ayatollah Chamenei, er persönlich werde "ohne Zweifel, sobald die Beziehungen mit Amerika sich für die iranische Nation als nützlich erweisen, der erste sein, der dazu seine Zustimmung gibt". Chamenei machte damit den Weg frei für öffentliche Debatten, unter welchen Umständen denn nun die Beziehungen zu den USA wiederhergestellt werden könnten. Gleichzeitig signalisierte er, dass er und niemand sonst eine Entscheidung dieser Bedeutung treffen werde. In der politischen Klasse Irans besteht Konsens, dass ohne die ausdrückliche Unterstützung Chameneis kein Präsident in der Lage sein wird, hochrangige Gespräche mit den USA zu beginnen. Ahmadinedschads Versuch, hier initiativ zu werden, war insofern bemerkenswert: Immerhin demonstrierte er recht deutlich sein Interesse daran, mit Washington auf Augenhöhe ins Gespräch zu kommen, als er Barack Obama nach dessen Sieg bei den Präsidentschaftswahlen ein Glückwunschschreiben schickte. Ihrem Inhalt nach war diese Gratulation, gelinde gesagt, ungeschickt. Aber kein iranischer Präsident vor Ahmadinedschad, auch der Reformer Chatami nicht, hatte je einem amerikanischen Präsidenten zur Wahl gratuliert.

Iran auf dem Weg zur Regionalmacht

Der Irak-Krieg von 2003 stellte eine geopolitische Revolution für den Nahen und Mittleren Osten dar. Insbesondere arabische Beobachter sehen Iran als Gewinner der Umwälzungen - und nicht wenige machen die USA dafür verantwortlich. Mit dem Sturz Saddam Husseins und der Taliban in Afghanistan wurden gefährliche Gegner Irans entmachtet. Seit dem Ende des Baath-Regimes in Irak spielen schiitische Parteien und Personen, die enge Beziehungen zu Iran haben, eine wichtige Rolle. Dies trägt dazu bei, dass Iran nach den USA oder - was das politische Gewicht betrifft - sogar gleichauf mit den Vereinigten Staaten der wichtigste externe Akteur in Irak ist.

Dass der iranische Einfluss darüber hinaus bis in die Levante reicht, wurde nicht zum ersten Mal im Sommer 2006, während des Krieges zwischen Israel und der Hisbollah, demonstriert. Die iranische Position im Libanon war bereits durch den Abzug der israelischen Truppen im Jahr 2000 und nochmals durch den der syrischen Armee 2005 gestärkt worden. Dagegen ist der iranische Einfluss in den Palästinensergebieten vergleichsweise begrenzt geblieben, auch wenn er seit 2006 zugenommen hat. Aus iranischer Sicht war der Sieg der Hamas bei den palästinensischen Parlamentswahlen 2006 eine positive Entwicklung. Er schien zu bestätigten, dass die Menschen im Nahen und Mittleren Osten, wenn man ihnen die Wahl ließe, für Islamisten stimmen würden. Der internationale Boykott der von der Hamas geführten palästinensischen Regierung bescherte dem Iran zudem eine quasi offizielle Eintrittskarte nach Palästina. Immerhin konnte man nun auch Bitten um materielle Unterstützung nachkommen, die nicht nur von politischen Gruppen wie Hamas oder dem Palästinensischen Islamischen Jihad, sondern auch von der Palästinensischen Autorität oder einer De-facto-Regierung im Gazastreifen geäußert wurden.

Die arabischen Staaten sind über den Aufstieg des persischen Nachbarn beunruhigt, fürchten sie doch einen zunehmenden schiitischen Einfluss in ihrer eigenen Bevölkerung. Es ist daher wenig überraschend, dass unter den sunnitischen Eliten in den Staaten des Golfkooperationsrates (Bahrain, Katar, Kuwait, Oman, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate) und innerhalb Jordaniens der Begriff einer "schiitischen Achse" aufkam, die angeblich von Iran über Irak und Syrien bis in den Libanon reicht. Bislang haben sich die arabischen Staaten vergeblich bemüht, einen Keil zwischen Damaskus und Teheran zu treiben. Dennoch werden die Stimmen lauter, die Iran offen als Bedrohung bezeichnen und die USA sowie den Rest der internationalen Gemeinschaft auffordern, seinen Einfluss einzudämmen.

Nachbarschaftspolitik gegenüber Irak und Afghanistan

Die amerikanisch-iranischen Beziehungen werden wesentlich durch die iranische Politik gegenüber Irak, Israel, dem arabisch-israelischen Konflikt sowie Afghanistan bestimmt. Gleichzeitig beeinflussen die gespannten Beziehungen zu den USA wie auch deren Truppenpräsenz in Irak und in Afghanistan die iranische Außenpolitik. Für die USA und Iran war es deshalb nahe liegend, für eine begrenzte Wiederaufnahme offizieller Gespräche erst einmal Irak zum Thema zu machen. Zwar stoßen hier iranische und amerikanische Interessen aufeinander, decken sich teilweise aber auch: Beide unterstützen die demokratisch gewählte irakische Regierung und haben ein Interesse an der Stabilisierung des Landes. Iran erkennt einerseits an, dass die USA mit dem Regime Saddam Husseins seinen jahrzehntelang stärksten Feind vernichtet haben. Anderseits hat Iran wiederholt den Abzug der "Besatzungstruppen zum frühest möglichen Zeitpunkt" gefordert. Obwohl Iran an einem stabilen Irak gelegen ist, wird dieser zugleich misstrauisch beäugt. Aus iranischer Sicht wäre die Wiedererrichtung eines starken, zentralisierten Regimes in Bagdad ein Albtraum, insbesondere wenn es von den Vereinigten Staaten militärisch ausgerüstet und mit ihnen verbündet wäre. Teheran befürwortet daher ein föderatives System in Irak und versucht zu verhindern, dass Irak durch die USA instrumentalisiert wird, um eine Basis für eine Eindämmungsstrategie oder gar zu militärischen Aktionen gegen Iran zu erhalten. Zeitweise hat Teheran deshalb militante irakische Gruppen, darunter die so genannte Mahdi-Armee des Muqtada al-Sadr, unterstützt - auch wenn dieses Vorgehen die Stabilität des Irak unterminierte und die von Iran unterstützte irakische Regierung schwächte. Die Ankündigung der US-Regierung, alle amerikanischen Truppen bis Ende 2011 aus Irak abzuziehen, ist in Iran positiv aufgenommen worden und hat die Bereitschaft, Unruhestifter wie al-Sadr zu unterstützen, entsprechend sinken lassen.

Ähnlich verhält es sich mit Blick auf Afghanistan. Iran hat das neue Regime in Kabul unterstützt, will aber auch seinen Einfluss vor allem in den westlichen Grenzregionen aufrecht erhalten. Amerikanische Regierungsstellen haben Iran wiederholt beschuldigt, in Afghanistan Regierungsgegner zu unterstützen. Teheran weist diese Vorwürfe zwar zurück - allerdings ist es durchaus wahrscheinlich, dass Teile des Regimes Washington zeigen wollen, dass man amerikanischen Interessen durchaus schaden kann. Dabei liegt Iran nichts an einer Rückkehr der Taliban an die Macht und fordert deshalb auch nicht ausdrücklich ein Ende der NATO-Präsenz. Allerdings macht man die westliche Allianz für die Instabilität und für mangelnde Fortschritte im Land verantwortlich - nicht zuletzt, weil Drogenhandel und Flüchtlingsströme aus Afghanistan Iran vor große Probleme stellen. Aus iranischer Sicht sind aber nicht nur die praktischen Schwierigkeiten, die sich aus der Anwesenheit von wohl mehr als einer Million afghanischer Flüchtlinge ergeben, eine Herausforderung. Man sieht hier vielmehr einen weiteren Beleg dafür, dass die internationale Gemeinschaft die konstruktive Rolle Teherans nicht anerkennt.

Israel als "koloniales Implantat"

Das konfliktträchtigste Thema für die Beziehungen Irans zum Westen bleibt Israel. Israelfeindschaft ist zu einem Teil der Staatsideologie und der revolutionären Identität der Islamischen Republik geworden. Wenn Iran eines Tages Frieden mit Israel schließen sollte, bliebe von der internationalen Dimension der Revolution wenig übrig. Zweifelsohne würde ein Teil der politischen Elite Irans genau das gerne erreichen. Für den harten konservativen Kern dagegen bleibt Israel ein nützlicher äußerer Feind - aber nicht nur das: Viele in diesen Kreisen sind der Auffassung, dass Israel ein illegitimes koloniales Implantat ist und seine bloße Existenz eine Aggression gegen den Islam darstellt.

Für Israel und die internationale Gemeinschaft ist letztendlich jedoch weniger entscheidend, was iranische Führungskreise über Israel sagen, sondern was sie praktisch unternehmen. Die iranische Regierung kritisiert die Bemühungen des so genannten Nahostquartetts (EU, USA, Russland und die Vereinten Nationen), den israelisch-palästinensischen Friedensprozess wieder in Gang zu bringen, und lehnt eine Zweistaatenlösung für Israel und Palästina ab. Iran unterstützt darüber hinaus die palästinensische Hamas-Bewegung und die libanesische Hisbollah. Israel muss vor allem wegen des iranischen Atomprogramms beunruhigt sein. Niemand sollte sich daher wundern, dass in Israel alle Optionen - einschließlich der Möglichkeit eines eigenen militärischen Angriffs auf die iranischen Nuklearanlagen - ernsthaft diskutiert werden. Auf iranischer Seite fühlt man sich jedoch von Israel kaum bedroht. Vielmehr sind die meisten Mitglieder der politischen Klasse Irans überzeugt, dass die eigentliche Gefahr von einem amerikanischen Militärschlag ausgeht, nicht von einem israelischen.

In Iran gibt es auch Stimmen, die zu bedenken geben, dass die aggressiven Äußerungen Ahmadinedschads den iranischen Interessen schaden. Diese sind sicher keine Freunde Israels, sie stehen aber für eine eher pragmatische Haltung. Für sie ist es entscheidend, die Prioritäten richtig zu setzen und auch westliche Sicherheitsverpflichtungen für Israel einzukalkulieren.

Iran und die arabische Welt

Neben den unmittelbaren arabischen Nachbarn sind der Libanon und Syrien für den Iran von besonderer Bedeutung. Die iranisch-syrische Beziehung ist wahrscheinlich das einzige bilaterale Verhältnis im Nahen und Mittleren Osten, das man zu Recht eine strategische Partnerschaft nennen könnte. Dazu gehört, dass beide Staaten sich in Krisen gegenseitig unterstützt haben, auch wenn ihre regionale Politik nicht dieselben Ziele verfolgte. Tatsächlich sind die Interessen Irans und Syriens auch dort keineswegs identisch, wo sie sich überschneiden. So unterstützen beide Staaten die Hisbollah, die stärkste schiitische Partei und Miliz im Libanon. Allerdings betrachtet Damaskus die "Partei Gottes" als eine Art Instrument, das es notfalls auch auf Kosten des Ansehens der Hisbollah oder der schiitischen Gemeinschaft im Libanon zu nutzen bereit ist. Syrien wird auch keine Skrupel haben, die Hisbollah für einen Friedensschluss mit Israel fallen zu lassen, wenn die Bedingungen stimmen. Teheran dagegen hat ein originäres Interesse daran, das Überleben der Hisbollah zu sichern und ihr zu helfen, eine stärkere Position innerhalb des politischen Gefüges des Libanon zu gewinnen.

Interessenpolitik gegenüber Türkei, Indien, Russland und China

Wie sehr die iranische Führung die Wahrung der nationalen Interessen als Orientierungsprinzip für die Gestaltung bilateraler Beziehungen betrachtet, demonstriert etwa das iranisch-türkische Verhältnis. Teheran unterhält trotz der NATO-Mitgliedschaft der Türkei solide Beziehungen zu Ankara. Ähnliches gilt für das iranisch-indische Verhältnis. Man äußert sich zwar kritisch zu den militärischen Beziehungen zwischen Indien und Israel, betrachtet Indien aber gleichwohl als strategischen Partner - und dies, obwohl das Land 2006 in der IAEO zugestimmt hat, den Konflikt über das iranische Atomprogramm an den UN-Sicherheitsrat zu überweisen.

Komplexer noch ist das Bild der iranisch-russischen Beziehungen. Es gibt auch hier historischen Ballast, weil Russland bzw. die Sowjetunion einst Teile Irans besetzt hatten. Während des irakisch-iranischen Krieges (1980 bis 1988) wurde die Sowjetunion allerdings für Iran zu einem Hauptlieferanten für Rüstungsgüter; russische Firmen haben diese Position bis heute inne. Iran hat der Sowjetunion und später Russland gegenüber eine klar an nationalen Interessen orientierte Politik verfolgt. So wurde kein Versuch unternommen, russische Muslime zu mobilisieren und sich auch jeglicher Unterstützung für die Aufständischen in Tschetschenien enthalten.

Heute sind beide Staaten darauf aus, dem amerikanischen Einfluss im Nahen und Mittleren Osten etwas entgegenzusetzen. Beide Staaten sind füreinander wichtige, wenn auch skeptische Handelspartner. So hat Russland den ersten iranischen Nuklearreaktor in Bushehr fertig gestellt. Aber auch russische Politiker glauben nicht an ausschließlich zivile Zwecke des iranischen Nuklearprogramms; Russland hat mittlerweile drei Sanktionsresolutionen gegen Iran im Sicherheitsrat mitgetragen und scheint sich beharrlich zu weigern, das dem Iran schon zugesagte hoch entwickelte Luftabwehrsystem S-300 zu liefern. Die iranische Führung hat Zweifel, ob sie sich wirklich auf Russland als Lieferanten von Atombrennstoff verlassen kann. In Teheran betrachtet man zudem die russischen Bestrebungen mit Misstrauen, die Energielieferungen aus den zentralasiatischen Staaten nach Europa über das eigene Territorium zu leiten und so zu monopolisieren. In diesen Fragen sind Iran und Russland Konkurrenten, wenn nicht, wie es in einer Studie heißt, gar "Rivalen".

China schließlich wird in Iran immer stärker als Wirtschaftspartner betrachtet, insbesondere für Geschäfte, für die europäische Firmen nicht mehr zur Verfügung stehen. Die iranische Führung war deshalb besonders beunruhigt, als nicht nur Russland, sondern auch China begann, europäische und amerikanische Bemühungen zu unterstützen, Iran wegen seines Atomprogramms unter Druck zu setzen.

Fazit: Zwischen Angst und Ambition

Die Politik der Islamischen Republik Iran gegenüber ihrer regionalen und internationalen Umgebung wird durch eine Mischung aus Ambition und Furcht getrieben; das Atomprogramm ordnet sich hier nahtlos ein. Zu den iranischen Ambitionen gehört das Streben nach wirtschaftlichem und wissenschaftlichem Fortschritt, vor allem aber auch nach Prestige und Status: Man will nicht nur als legitimer Gesprächspartner der USA und anderer internationaler Mächte anerkannt werden, wenn es um Probleme in Afghanistan oder Irak oder um die Sicherheit im Persischen Golf geht, sondern beansprucht genau wie die USA, Europa oder Saudi-Arabien das Recht, den eigenen Einfluss jenseits der unmittelbaren Nachbarschaft, im Libanon etwa oder in anderen Teilen des Nahen Ostens, wirksam werden zu lassen. Dazu kommt ein Element der Furcht oder der Unsicherheit. Regimesicherheit ist ein zentrales Motiv der iranischen Politik; man ist eingerahmt von drei Atommächten (Israel, Pakistan, Indien), fühlt sich von den USA umzingelt und unterstellt dem Westen, sich nicht mit dem islamischen Regime abgefunden zu haben.

Iran ist als gleichermaßen rationaler wie opportunistischer Akteur zu verstehen: Iran nutzt seine Gelegenheiten, und dies meist mit wenig Rücksicht auf die Sicherheitsperzeptionen anderer Akteure. So tendiert die Islamische Republik dazu, den direkten Nachbarn und wichtigen Partnern gegenüber ausgesprochen pragmatisch zu agieren, sich aber aggressiv ideologisch und im höchsten Maße kompetitiv zu verhalten, wo es sich dies leisten kann oder leisten zu können glaubt - insbesondere gegenüber Israel und den USA.

Im Verhältnis zu den USA und zur NATO gibt es mit Blick auf Irak, Afghanistan oder Pakistan ähnliche Interessenlagen. Weder Iran noch der Westen wollen, dass diese zu "failed states" werden. Die USA und Iran unterstützen die Regierung in Irak, beide wollen den afghanischen Drogenhandel eindämmen, eine Rückkehr der Taliban an die Macht in Afghanistan und eine Talibanisierung Pakistans verhindern. Teheran wird gleichwohl verhindern wollen, dass diese drei Staaten zu Klienten der USA werden. Die USA und Iran befinden sich hier in direkter Konkurrenz - und diese wird das Verhältnis weiter bestimmen, unabhängig davon, ob der Atomstreit friedlich beigelegt werden kann. Neben der direkten Beteiligung der USA an möglichen neuen Atomverhandlungen mit Iran wird deshalb ein hochrangiger bilateraler Dialog zwischen Washington und Teheran, der so unterschiedliche Dinge, wie die politischen Beziehungen zwischen beiden Staaten, Terrorismus, die militärische Rolle der USA in der Region des Persischen Golfes, den nahöstlichen Friedensprozess und das Existenzrecht Israels umfasst, eine der unabdingbaren Voraussetzungen für Entspannung und regionale Stabilität im Nahen und Mittleren Osten sein.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Volker Perthes, Iran - Eine politische Herausforderung. Die prekäre Balance von Vertrauen und Sicherheit, Frankfurt/M. 2008; Sharam Chubin, Iran's Nuclear Ambitions, Washington D.C. 2006.

  2. Vgl. Johannes Reissner, Irans Selbstverständnis als Regionalmacht. Machtstreben im Namen antikolonialer Modernität, SWP-Studie 2008/S 29, Oktober 2008.

  3. Vgl. Ephraim Kam, A Nuclear Iran: What Does It Mean, and What Can Be Done, Tel Aviv 2007, S. 9; so auch der amerikanische National Intelligence Estimate (NIE), Iran: Nuclear Intentions and Capabilities, November 2007, in: www.dni.gov/press_releases/200712 03_release.pdf (29.10. 2009); oder Mohsen M. Milani, "Tehran's Take". Understanding Iran's US Policy, in: Foreign Affairs, July/August 2009, S. 46 - 62.

  4. Vgl. die Ansprache von George W. Bush in Abu Dhabi vom 13. Januar 2008, Übersetzung in: www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Nahost/
    bush11.html (30.10. 2009).

  5. Ein iranisch-amerikanischer Autor behauptet sogar, Irans Außenpolitik sei unter der Islamischen Republik genauso "US-zentriert" wie zu Zeiten des Schahs. Vgl. M. Milani (Anm. 3).

  6. Vgl. Mahmood Vaezi/Nasser Saghafi-Ameri, The Global Strategy of the United States in Relation with the Islamic World: A Perspective from Iran, unpublished paper, Januar 2008.

  7. Die Rede lässt sich auf der Website Chameneis nachlesen: "No benefit in U.S. ties for now" vom 3.Januar 2008, in: www.leader.ir/langs/en/index.php? p=contentShow&id=3661 (30.10. 2009).

  8. Übersetzung des Briefs in: Washington Post vom 6.11. 2008, in: www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/article/2008/11/06/
    AR2008110603030.html (30.10. 2009).

  9. Vgl. David Menashri, After the War: Iranian Power and its Limitations, in: Shlomo Brom/Meir Elran (eds.), The Second Lebanon War: Strategic Perspectives, Tel Aviv 2007, S. 155.

  10. Vgl. Manouchehr Mohammadi, Principles of Iran's Foreign Policy, in: The Iranian Journal of International Affairs, 19 (2007) 1, S. 1-10, hier S. 8.

  11. Vertreter des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) unterstreichen, dass Iran im Umgang mit Flüchtlingen auf seinem Staatsgebiet Enormes leistet. Die Flüchtlinge erhalten kostenlos Zugang zum öffentlichen Gesundheits- und Schulwesen. Iran erhält dafür keinerlei internationale finanzielle Unterstützung.

  12. Vgl. vor allem E. Kam (Anm. 3); ferner Reuven Pedatzur, The Iranian Nuclear Threat and the Israeli Options, in: Contemporary Security Policy, 28 (2007) 3, S. 513-541.

  13. Vgl. M. Vaezi/N. Saghafi-Ameri (Anm. 6), S. 11.

  14. Vgl. Nasser Saghafi-Ameri, The Strategic Interaction between Iran and Europe, Center for Strategic Research, Tehran, May 2006, S. 20.

  15. Vgl. Jubin M. Goodarzi, Syria and Iran: Diplomatic Alliance and Power Politics in the Middle East, London-New York 2006.

  16. Vgl. Ghoncheh Tazmini, Russian and Iranian Relations in Perspective, Ravand Institute for Economic and International Studies, Ravand Policy Paper 1, Tehran 2008.

  17. Vgl. S. Chubin (Anm. 1).

Prof. Dr., geb. 1958; Direktor des Deutschen Instituts für Internationale Politik und Sicherheit und geschäftsführender Vorsitzender der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Ludwigkirchplatz 3 - 4, 10719 Berlin.
E-Mail: E-Mail Link: volker.perthes@swp-berlin.org