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"Chinas Mona Lisa" - Zur Geschichte des Mao-Porträts und seiner globalen Rezeption | China | bpb.de

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"Chinas Mona Lisa" - Zur Geschichte des Mao-Porträts und seiner globalen Rezeption

Gerhard Paul

/ 18 Minuten zu lesen

Das Mao-Porträt zählt zu den am meisten reproduzierten Herrscherbildern. Als Kultobjekt der internationalen Studentenbewegung und Gegenstand der zeitgenössischen Kunst trug es zur globalen Mythologisierung Maos bei.

Einleitung

Ende des Jahres 2007 erschien in spanischen Zeitungen eine Anzeige des französischen Automobilherstellers Citroën: Von einer Anschlagfläche herunter schielt Mao Zedong, Vorsitzender des Zentralkomitees (ZK) der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) von 1949 bis 1976, dem neuesten Citroën-Modell hinterher. Nach Protesten aus China musste sich der Autobauer beim chinesischen Volk entschuldigen und die Werbung einstellen. Der Anzeige zugrunde lag das offizielle Staatsporträt Maos auf dem Platz des Himmlischen Friedens, dem Tiananmen Platz, in Peking. Dieses Porträt ist als "Chinas Mona Lisa" und als "Mona Lisa der Weltrevolution" bezeichnet worden. Es sei Chinas erster und einziger globaler Markenartikel, befand die New York Times, "a kind of George Washington, James Dean and Che Guevara wrapped in one". Wie die Fotos von Marilyn Monroe und Che Guevara gehört es zu den Ikonen des 20. Jahrhunderts. Mit Maßen von sechs mal vier Metern und einem Gewicht von zwei Tonnen ist es ein Bild der Superlative und vermutlich das größte Outdoor-Porträt, das es gibt. Allein während der Kulturrevolution wurde es in einer Auflage von 2,2 Milliarden Exemplaren vervielfältigt. Der Vergleich mit Leonardo da Vincis "Mona Lisa" drängt sich auf. Wie diese schaut Mao den Betrachter frontal an, und wie Da Vincis Gemälde entfaltet auch das Mao-Bild eine eigene ästhetische Kraft.

Bild-Variationen

Mindestens acht Varianten des Mao-Porträts auf dem Tiananmen Platz lassen sich unterscheiden. Über ein erstes Porträt ist nur bekannt, dass es im Frühjahr 1949 und damit noch vor der Gründung der Volksrepublik (VR) China auf dem Balkon über dem Tor des Himmlischen Friedens angebracht war. Das erste offizielle Porträt, das man während der Proklamation der VR am 1. Oktober 1949 den Massen präsentierte und das nun unterhalb des Balkons angebracht war, war ein Tag zuvor aufgehängt worden. Es beruhte auf einer Fotografie, auf der Mao eine achteckige Kappe und eine grobe, dunkle Uniformjacke mit Stehkragen trägt. Seine unmittelbare Funktion war es, den Menschen auf dem riesigen Platz das Bild ihres Staatsgründers zu zeigen, der auf der Tribüne nur als winziger Punkt zu sehen war und von dem es bislang nur wenige Bilder gab. Mao hat den Kopf hier leicht nach rechts gewendet. Über die Betrachter auf dem Platz hinweg schaut er teilnahmslos in die Ferne. Zum 1. Mai 1950 ersetzte man dieses Bild durch ein Gemälde, das Mao nun ohne Kappe zeigte. Wie auf dem ersten Porträt war der "Große Vorsitzende" aus der Untersicht dargestellt, den Kopf leicht nach links und den Blick gegen den Himmel gerichtet - ebenfalls ohne Blickkontakt zu den Menschen auf dem Platz. Zum ersten Jahrestag der Staatsgründung löste ein viertes Porträt dieses Bild ab, auf dem Mao den Kopf nun wieder leicht nach rechts gedreht hatte, aber weiterhin den Blickkontakt zu den Massen mied. Das eigentliche Ursprungsporträt, wie es bis heute dem offiziellen Porträt zugrunde liegt, stammt aus dem Jahr 1952. Es wurde von dem Kunsterzieher Zhang Zhenshi geschaffen und beruhte ebenfalls auf einer fotografischen Vorlage. Erstmals schaute Mao die Betrachter nun mild lächelnd und direkt an. Dass nur ein Ohr zu sehen war, wurde später als ignorant kritisiert und abgeändert.

Neben diesen Porträts lassen sich drei weitere Varianten ausmachen: das Two-ear-Porträt von 1958; das im Unterschied zu 1952 geglättete, auf der linken Gesichtshälfte leicht verschattete Porträt Wang Guodongs von 1966, auf dem Mao nun deutlich älter und väterlicher dargestellt ist und seinen Kopf wie schon auf dem Porträt von 1950 wieder leicht nach rechts gewendet hat, wodurch nur mehr sein rechtes Ohr zu erkennen ist; sowie das seit Ende der 1970er Jahre bis heute offiziell gültige Two-ear-Porträt von Liu Yang. Der "Große Vorsitzende" wirkt hier deutlich älter, die Augenhöhlen weisen Schatten auf, sein Gesicht ist breiter und leicht aufgedunsen, wodurch die bislang markanten Gesichtszüge verschwimmen.

Zeitloses Herrscherbild

Im Unterschied zu anderen Herrscherporträts des 20. Jahrhunderts dominiert seit nunmehr 60 Jahren eine immer gleiche, ikonenhaft starre Darstellung das offizielle Porträt Maos. Dieser erscheint nicht als der Agitator wie vor ihm Lenin, als Anführer einer Massenbewegung wie Hitler oder als Verkünder des Fortschritts wie Stalin, sondern einzig als der alterslose väterliche "Führer". Mit dem Verzicht auf jedwede Herrschaftssymbole und -insignien betont das Porträt die übernatürlichen und göttlichen Fähigkeiten des "Großen Vorsitzenden", dessen Wille und Kraft als Person im Mittelpunkt der Darstellung stehen. Anders auch als das bekannte Stalin-Bild von Fjodor Schurpin, das den Diktator mit Moderne und Zukunft - symbolisiert durch Traktoren, Hochspannungsmasten und Sonnenaufgang - in Verbindung bringt, verzichtet das Mao-Porträt auf jegliche identifizierbaren Hintergründe. Dadurch wird die transzendente Qualität des Porträtierten hervorgehoben und dieser zur übermenschlichen Figur verallgemeinert. Durch den fehlenden Bildhintergrund, den Verzicht auf zusätzliche Herrschaftsinsignien als auch durch die nur minimalen Änderungen am Ursprungsbild ist es den Einflüssen der Zeit enthoben. Mao erscheint keiner besonderen Rolle verpflichtet, sondern einzig als über den Massen schwebender gottähnlicher "Führer". Durch die fotorealistische Abbildung sowie durch die Fixierung der Betrachter durch den Porträtierten bleibt Mao zugleich eine diesseitige Person.

Unterstrichen wird dieser Eindruck durch die graue, Uniform ähnliche Jacke, die er auf allen Porträts seit 1951 trägt. Zeigten ihn die ersten Porträts noch in einem dunklen Militäranzug mit hoch geschlossenem Stehkragen, bildete ihn Xin Mang erstmals in einem grauen Anzug ab. Dieses, später als Mao-Anzug populär gewordene Kleidungsstück bestand aus einem modernisierten schmalen Rundkragen, zwei symmetrisch aufgenähten Brust- und Seitentaschen sowie fünf Uniformknöpfen, die den Anzug bis zum Kragen verschließen. Anders als Stalin verzichtete Mao auf jedweden Ordensschmuck; vielmehr bestach seine Kleidung durch betonte Schlichtheit, absolute Korrektheit und strenge Symmetrie. Historisch geht das Kleidungsstück auf einen von Sun Yat-sen, den Revolutionsführer und Gründer der chinesischen Republik, in Auftrag gegebenen Anzug zurück, der 1923 von der Kuomintang zur Pflichtkleidung der chinesischen Beamten erklärt und seit 1927 auch von dem jungen Mao getragen wurde.

Anders als spätere Poster lässt das offizielle Mao-Porträt keine originären chinesischen Traditionen etwa der Tusche- oder Bauernmalerei erkennen. Vielmehr ist es der westlichen beziehungsweise der sowjetischen Malerei verpflichtet, wie sie seit 1949/50 an den Kunstakademien in China gelehrt wurde, deren Lehrer vielfach in der Sowjetunion studiert hatten. Und auch der Kult, der um das Porträt später gemacht wurde, erinnert eher an byzantinische Traditionen, in dem der Kaiser als Abbild Gottes erschien. Wie damals sollten die Untertanen in ihrer Haltung zum Bild und im Umgang mit diesem Staat und Partei ihre Loyalität bezeugen.

Blick aus dem Bild und Aura des Ortes

Das Mao-Porträt stellt eine offene Komposition dar, die ihre Wirkung vor allem durch die von ihm ausgelösten Blickbeziehungen zwischen Betrachter und Bild sowie durch den Ort seiner Präsentation bezieht. Mit dem Blick aus dem Bild findet eine Raumerweiterung statt. Das Bild öffnet sich dem Betrachter und fängt ihn geradezu ein. In diesem Sinne ist das Porträt nicht nur gestaltetes Abbild, sondern zugleich Medium, das den Betrachter zur Teilnahme auffordert. Wie die "Mona Lisa" entfaltet das Mao-Porträt damit eine eigene Kraft, indem es unabhängig von den Standorten und Bewegungen jedes einzelnen Betrachters auf dem Platz auf jeden Blick simultan reagiert und die Betrachter durch den Blick auf das Bild an Maos "übernatürlichem Wesen" teilhaben lässt. Allerdings agieren Porträt und Betrachter nie auf Augenhöhe. Vielmehr schwebt Mao über diesen, was das Übernatürliche und Göttliche des Porträtierten betont. Sein Blick überstrahlt den Platz und von diesem aus die Welt. Dieser Effekt sei sehr bewusst geschaffen worden, wie einer der Mao-Porträtisten später einräumte: "This image is very different from any indoor painting in its method of representation and visual effect. (...) It should be equally ideal when viewed from front or sidewalks, and equally powerful when viewed from any spot in Tiananmen Square, whether from the Golden Water Moat, the national flag pole, or from the Monument to the People's Heroes."

Seine Wirkung erzielt das Mao-Porträt darüber hinaus durch den besonderen Ort seiner Präsentation. Zur klassischen Ikonografie des Herrschers zählte immer auch ein entsprechendes architektonisches Umfeld. Vor allem symbolische Orte des Sieges wie Feldherrenhügel, Triumphbögen oder Siegessäulen eigneten sich als Hintergründe, vor denen man sich wie in einer Blue Box porträtieren ließ. Auch das Mao-Porträt macht hiervon keine Ausnahme. Seine Wirkung ist daher auch im Kontext des Ortes und dessen Architektur zu sehen. Diese statteten das Bild mit einer zusätzlichen Aura aus. Der Ort fungiert dabei als metaphorischer Körper, der dem Bild Bedeutung und Sinn verleiht. Für die kanadische Kunsthistorikerin Francesca Dal Lago ist der Ort des Porträts der wichtigste Faktor der Bildwirkung überhaupt.

Seit 1949 hängt das Porträt unverändert an der Nordseite des Tiananmen Platzes. Für die Betrachter befindet es sich optisch vor der Kulisse des mächtigen Kaiserpalastes. Das Bild thront gleichsam über dem Tor des Himmlischen Friedens aus dem 15. Jahrhundert, das bis 1911 für alle normal Sterblichen den Zugang zur Verbotenen Stadt versperrte, und exakt an der Stelle, an der bis zum Ende der Kaiserzeit die kaiserlichen Dekrete der Öffentlichkeit bekannt gemacht worden waren - traditionell ein Ort besonderer Bedeutung. Topografisch befindet es sich auf der Zentralachse des Pekinger Stadtplans. Zugleich hängt es unterhalb der Tribüne, von der aus Mao 1949 die VR China proklamierte und die wiederum von dem offiziellen Staatsemblem - den ährenumkränzten fünf goldenen Sternen und dem goldenen Zeichen des Kaiserpalastes und des Tores des Himmlischen Friedens - gekrönt wird. Für Millionen chinesischer Kommunisten ist der Tiananmen Platz seit 1949 der Ort des Sieges und das symbolische Zentrum des neuen China. Das Porträt besitzt somit keine dekorative Funktion, es beherrscht vielmehr einen zentralen Ort und kreiert zusammen mit anderen Elementen des Platzes einen symbolischen Raum, der traditionelle mit neuen sozialistischen Elementen verknüpft. Seit 1950 ist das Porträt durch die Schriftzüge "Lang lebe die Volksrepublik China" und "Lang lebe die Einheit der Völker der Welt" eingefasst, welche die Bedeutung Maos als Gründer des modernen China wie als Weltpolitiker betonen.

Die Funktion des Ortes und des Tores als Resonanzkörper des Porträts ist das Ergebnis einer rigorosen Stadtplanung. Diese löste das Tor seit 1958 aus seinem traditionellen Umfeld, ließ andere Tore und Monumente sowie die den Platz begrenzenden Mauern schleifen und neue Monumente wie das Denkmal der Volkshelden errichten. Zusätzliche symbolische Bedeutung erhielt der Ort dadurch, dass das Tor seit 1949 mit dem offiziellen Staatsemblem über eine Krone verfügte.

Bis zur Kulturrevolution wurde das Porträt, einer christlichen Reliquie vergleichbar, nur wenige Tage im Jahr gezeigt: um den 1. Mai sowie am Nationalfeiertag, dem 1. Oktober. Seit 1966 hängt das Bild dauerhaft an seinem heutigen Platz. Einmal im Jahr, jeweils unmittelbar vor den Feiern zum 1. Oktober, wird es seitdem durch ein weitgehend identisches Bild ersetzt. Lediglich ein einziges Mal - nach dem Tode Stalins - hing an seiner Stelle zu Ehren des verstorbenen Sowjetführers dessen Konterfei. Nach Maos Tod 1976 wurde das farbige Porträt als Zeichen der Trauer für kurze Zeit durch eine Schwarzweißfotografie ersetzt, an dessen Rändern ein Trauerflor angebracht war. Seit dieser Zeit nun bezieht sich Mao gleichsam auf sich selbst, indem er über den riesigen Platz auf sein eigenes Mausoleum blickt und somit den gesamten Platz beherrscht.

Bildkult

Erst mit der Kulturrevolution setzte sich das Mao-Porträt als wichtigstes Andachtsbild und als allgegenwärtige Ikone in China durch. Voraussetzungen hierfür waren seine multimediale Präsenz und die unterschiedliche Materialität seiner Darstellungen. Seit der Kulturrevolution begrüßten lebensgroße Maos die Besucher in den Eingängen von öffentlichen Gebäuden. An markanter Stelle positioniert zierten sie in Form von Plakaten Regierungsgebäude, Schulen, Kindergärten, Parks und Kultureinrichtungen. Kopien des Tiananmen Porträts befanden sich jetzt in fast jedem Haus. Mit der Mao-Bibel, die 1966 die Auflagenhöhe von einer Milliarde Exemplare überschritt und deren Frontispiz ebenfalls das Porträt des "Großen Vorsitzenden" schmückte, erfuhr das Bild eine weitere Verbreitung. Für einige Zeit nahm die Verehrung Maos geradezu rituellen Charakter an, wenn Mao-Worte vor dem Bild rezitiert, Loyalitätstänze vor dem Porträt aufgeführt oder geradezu fanatisch Kopien hergestellt wurden. Ein sowjetischer Beobachter schrieb beeindruckt: "Bauern ziehen mit Mao-Postern auf die Felder. Manchmal zäunen sie die Felder mit Mao-Bildern ein. Bauern aus Tibet platzieren Mao-Büsten neben Bildnissen von Buddha. Rotgardisten tragen das Porträt Maos auf Brusthöhe wie Ikonen durch Straßen und Gänge." Mitunter hatte der Kult skurrile Züge, wenn dem Porträt Erlösungs- und Wunderqualitäten zugeschrieben wurden. Die Zeitung Peking Review berichtete von einem Mann, der bewusstlos in einem Krankenhaus gelegen und beim Betrachten eines Mao-Porträts die Erinnerung zurück erhalten habe.

Das US-Satiremagazin The Onion brachte die Herrschaftsfunktion des Bilderkults auf den Punkt. Unter der Überschrift "Riesiges Mao-Poster erringt die Macht in China" hieß es in einer fiktiven Meldung aus Peking vom 2. Oktober 1949: "Das chinesische Volk feierte heute, einen langen Bürgerkrieg beendend, die Machtübertragung an ein sechs mal vier Meter großes Poster des Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Chinas Mao Zedong. Nachdem die postergeführte Regierung in ihr Amt eingeführt war, fand ein großer Parteitag auf dem Platz des Himmlischen Friedens statt, währenddessen das Bild vom Balkon herunter über die versammelte Masse schaute. Tausende waren gekommen, um dem Poster, das jetzt die bevölkerungsreichste Nation der Erde führt, ihren Tribut zu zollen. Das Zentralkomitee wählte das Poster zum alleinigen Führer der neuen kommunistischen Regierung Chinas; kleinere Abbildungen sollen regional die Autorität über das geeinte Land gewährleisten."

Bild gegen Bild

Die Beziehungen zwischen Herrschern und Beherrschten erschöpften sich auch in China keineswegs nur in kultischer Verehrung und Erlösungsglauben. Gerade dort, wo die Bürger in ihrer Haltung zum Bild und im Umgang mit diesem Staat und Partei ihre Loyalität bezeugen sollten, war das Porträt immer auch Ziel von Protest. Bekannt wurden vor allem die Demonstrationen vom Frühjahr 1989. Wu Hung hat diese als Kulminationspunkt einer image-making movement beziehungsweise als war of monuments bezeichnet. Nicht zufällig handelte es sich bei vielen Akteuren um Kunststudenten und Künstler. Die Aktionen begannen am 19. April, als Studenten der Pekinger Zentralakademie der Bildenden Künste nach dem Tod des Reformpolitikers Hu Yaobang ein Porträt des Politikers am Denkmal der Heroen des Volkes gegenüber dem Mao-Bild anbrachten. Für Schlagzeilen sorgte am 23. Mai der Farbanschlag von drei jungen Männern aus dem Geburtsort Maos auf das Mao-Porträt. Wie einer der Beteiligten später erklärte, habe man die Kritik an der Kommunistischen Partei "an ihrer Wurzel Mao" demonstrieren wollen. Da andere Demonstranten eine Diskreditierung ihrer Bewegung befürchteten, und auch Mao unter ihnen vielfach noch als positive Ikone gegen das korrupte Regime und sein Porträt damit als sakrosankt galt, wurden die drei "Frevler" von Mitstreitern gepackt und der Polizei übergeben. Höhepunkt der Proteste war die Errichtung eines Gegenmonuments, der Goddess of Democracy, am 30. Mai 1989 durch Kunststudenten unmittelbar gegenüber und auf Augenhöhe mit dem Mao-Porträt. Die Freiheitsgöttin auf dem Tiananmen Platz schaute Mao direkt an. Sie bekundete damit symbolisch ihren Anspruch auf Teilhabe an der Macht. Unmittelbar zu Beginn der blutigen Niederschlagung der Protestbewegung am 4. Juni 1989 wurde das Gegensymbol unter den Augen Maos von einem Armeepanzer zerstört. Nachdem ein Panzer die Zelte der auf dem Platz campierenden Demonstranten überrollt hatte, steuerte er mit Vollgas die Statue der Freiheitsgöttin an, die daraufhin zusammenstürzte und so zur wichtigsten Märtyrerin der Demokratiebewegung avancierte.

"Mona Lisa der Weltrevolution"

Mit den antiautoritären Protestbewegungen der 1960er Jahre und der Pop Art der 1970er Jahre begann das Mao-Porträt um den Erdball zu zirkulieren. Es wurde Teil eines globalen cultural beziehungsweise visual flow, in dem sich Bedeutung und Funktion des Bildes immer neu veränderten. Befördert durch eine merkwürdig positive Rezeption der Kulturrevolution in den antiautoritären Milieus des Westens übertrug sich der Mao-Bildkult seit 1967 auf die studentischen Protestbewegungen in Westeuropa und den USA: der erste Schritt auf dem Weg des Mao-Bildes zur globalen Ikone des Jahrhunderts. Vergleichbar der zwischen Reliquienkult und Protestgestus schwankenden Verehrung Che Guevaras wurde das Mao-Bild auf Demonstrationen in Paris, New York und Berlin wie eine Monstranz mitgeführt. Es wurde Teil eines öffentlichen Kollektivakts, der politische Identität und mediale Wirkung gleichermaßen zu garantieren schien. In Deutschland war es vor allem die Kommune 1, die durch spektakuläre Aktionen wie den Abwurf von Mao-Bibeln von der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche das Mao-Porträt als Protestsymbol und Provokationsmedium bekannt machte. Anfangs sei der Mao-Kult noch eine "Jugendstimmung" und "radikal chic" gewesen; später sei das Mao-Porträt zur Antithese und zum Symbol des Protestes gegen Konsumgesellschaft und Kapitalismus, zur "Mona Lisa der Weltrevolution", avanciert. Sich einen Mao-Button anzustecken oder das Porträt an die Wand seiner Studentenbude zu pinnen, galt als radikalste Antithese zur bürgerlichen Welt wie zur revisionistischen Alt-Linken. Das Mao-Bild avancierte durch solche Praktiken zu eine der Hauptikonen der Studentenbewegung und zur "Popikone der Weltrevolution", ohne dass sich die "68er" jemals ernsthaft mit der Herrschaftspraxis ihres leuchtenden Vorbilds auseinandergesetzt hätten.

Indes demonstrierte die spätkapitalistische Gesellschaft zugleich ihre Fähigkeit, solche Protestsymboliken in Warenkultur und Kulturindustrie einzuverleiben. Die Rockgruppe Pink Floyd integrierte es in ihre Bühnenshow. Angeregt vom Mao-Kult der französischen Studenten verhalf der Pariser Modeschöpfer Pierre Cardin seit 1967 dem Mao-Anzug im Westen zum Durchbruch. International verblasste dabei immer mehr die Erinnerung an Mao als brutalem Gewaltpolitiker.

Mona Lisa der Pop Art

Inspiriert vom Mao-Kult der "68er" griffen Künstler das Mao-Porträt auf. Auch diesen ging es weniger darum, sich kritisch mit der diktatorischen Praxis oder dem totalitären Kunststil in China auseinanderzusetzen als vielmehr darum, die eigenen Mechanismen der Bildproduktion in Medien und Kunst zu reflektieren. Das Mao-Porträt fungierte dabei lediglich als Folie. Bereits 1966 schuf Thomas Bayrle ein mit einem Elektromotor betriebenes kinetisches Holzrelief mit dem Mao-Porträt der 1950er Jahre, das sich in drei Schritten in einen roten Stern verwandelte. Ein Mao-Porträt der 1960er Jahre lag einem Gemälde Gerhard Richters zugrunde. Dieser reproduzierte Maos Gesicht in extremer Unschärfe, wodurch dieser gespensterhaft wie verklärt zugleich wirkte. Ebenfalls noch vor Andy Warhol hatten auch Roy Lichtenstein, Sigmar Polke und Salvador Dali Mao zum Gegenstand künstlerischer Arbeiten gemacht.

Zur Ikone der Pop-Kultur wurde Mao indes erst durch Andy Warhol und die Pop Art, die als transnationale Übersetzungsmaschine fungierte. Indem sich Warhol der ideologisch wie propagandistisch geformten Ikone bediente, die er in seinem Stil adaptierte und nach Gesetzen des kapitalistischen Kunstmarktes vertrieb, führte er den mit dem Mao-Porträt verbundenen Mythos ad absurdum. Wie in der Markenwerbung reduzierte er den chinesischen Staatschef auf den Status einer Markenware, bei der es letztlich nur auf die richtige Verpackung, das heißt auf die Farbgebung von Gesicht und Hintergrund, ankam. Insgesamt schuf Warhol mehr als 2000 Mao-Porträts. Mit ihnen machte Warhol Mao noch zu dessen Lebzeiten zum größten Popstar des Jahrhunderts und zur beliebig reproduzierten Massenware. In der verfremdenden Entpersonalisierung geriet das Mao-Porträt zur teuer gehandelten Ware des Kunstmarktes.

Im Zentrum der künstlerischen Thematisierung Mao Zedongs im Westen standen so primär die eigenen medialen und künstlerischen Perspektiven und Mechanismen und kaum einmal das offizielle Herrscherporträt in China selbst oder gar die historische Gestalt. Wie andere Künstler thematisiere Warhol nicht den historischen Partei- und Staatsführer, "sondern das modifizierte, kommerzialisierbare Symbol, die künstliche Maofigur der westlichen Perspektive, die für bestimmte Schlagworte stand". Indem Künstler wie Warhol und Richter Mao in markt- und medienkritischer Absicht auf eine von Kunstsammlern zu erwerbende Ware und auf ihre dekorative Hülle reduzierten, ihn damit zur konsumierbaren Kunstperson machten, lösten sie ihn aus seinen originären historisch-politischen Kontexten heraus und leisteten somit der Aufspaltung von Oberfläche und Hintergrund, von Bild und Abbild Vorschub. Auf diese Weise entideologisierten sie das Porträt, negierten seine originäre Herrschaftsfunktion, machten es konsumierbar und trugen damit letztlich zur globalen Popularisierung und Mythologisierung Maos bei.

Am radikalsten dekonstruiert wurde das Mao-Porträt von dem aus Peking stammenden, der Kunstrichtung des Zynischen Realismus verpflichteten Künstler Zhang Hongtu. In Installationen wie "Pingpong-Mao" griff Zhang die Ikonenhaftigkeit des Mao-Bildes auf, dessen Gesichtumriss bereits genügt, um die Erinnerung an das Ursprungsbild zu aktivieren. Einer der wenigen Künstler, die die Produktion des Mao-Bildes und den Mao-Kult selbst zum Thema machten, war Jörg Immendorf, ehemals selbst Mitglied der maoistischen Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Mit seinem Gemälde "Anbetung des Inhalts" von 1985 betrieb er zugleich ein Stück künstlerischer Biografiearbeit.

"Mao Craze"

Obwohl nach Maos Tod und dem öffentlichen Eingestehen von Fehlern Maos, dessen Bilder schrittweise aus der Öffentlichkeit verschwanden, blieb das Porträt vom Tiananmen Platz hiervon verschont. Da Mao anders als andere Diktatoren des 20. Jahrhunderts selbst nie entmachtet oder fundamental infrage gestellt wurde, überlebte sein Porträt die politischen und kulturellen Veränderungen nach 1989. Es blieb daher als politische Ikone, als banaler Alltagsgegenstand sowie als Objekt der Kunst auch im modernen China präsent.

Der Bruch mit der chinesischen Variante des Sozialistischen Realismus nach 1989 beförderte eine kritisch-ironische Auseinandersetzung mit dem Mao-Bild in der chinesischen Gegenwartkunst. Künstler begannen mit dem idealisierten Porträt zu spielen wie etwa Wang Keping, der das Abbild des gereiften Mao mit dem einer korpulenten buddhistischen Gottheit verband und damit auf dessen Vergötzung anspielte, oder Liu Wei, in dessen Gemälde Mao nur mehr Hintergrund für ein Kinderfoto ist. In ihrer Thematisierung des Mao-Kults orientierten sich chinesische Künstler vor allem an den Mao-Bildern Gerhard Richters und Andy Warhols. Als bedeutendster Repräsentant der Pop Art-Künstler Chinas und einer der ersten, der Mao als Sujet in die chinesische Kunstszene einführte, gilt Yu Youhan. Seit den frühen 1990er Jahren setzte er sich wiederholt mit dem Mao-Porträt und seiner Vergangenheit auseinander. Dabei benutzte er sowohl Darstellungstechniken der traditionellen chinesischen Malerei als auch der offiziellen Propagandakunst und der Pop Art. Nur selten erfolgte die Auseinandersetzung in genuin chinesischen Kunsttraditionen wie den populären Neujahrsbildern, die die Luo Brothers verwendeten.

Heute könne man in China auf keine moderne Kunstausstellung gehen, auf der sich nicht mindestens ein Drittel der Künstler "irgendwie an Mao abarbeitet, und sei es nur, weil sich solche Kunst gut verkauft", so der in Peking lebende ehemalige Titanic-Redakteur Christian Y. Schmidt im Jahr 2008. Tatsächlich provozierte beziehungsweise motivierte weniger die Politik und herausragende Stellung Maos die Künstler, sondern vor allem dessen Porträt und der es umgebende Bilderkult. Zum Teil war und ist diese Auseinandersetzung biografisch oder politisch motiviert, zum Teil verselbständigte sie sich analog der öffentlichen Nutzung des Mao-Bildes zum modischen Selbstzweck. "Überall und immer wieder", so Schmidt, werde Mao "mit Ikonen der westlichen Moderne kombiniert, tritt er mit Marilyn Monroe und der Freiheitsstatue auf oder trinkt Coca Cola". Die standardisierte Kunstware Mao löste die standardisierte Propagandakunst um den "Großen Vorsitzenden" ab.

Im heutigen China ist der ideologische Mao-Kult einem unpolitischen Alltagskult gewichen, der das Mao-Bild als mächtiges Motiv im Leben der meisten Chinesen präsent hält. Mao-Porträts zieren Schaufenster und Kioske. Models gefallen sich in T-Shirts mit dem Aufdruck des Konterfeis des "Großen Vorsitzenden". Das Mao-Bild fungiert als Warenzeichen für anspruchsvolle Konsumartikel. Das Bild hat gar den Status eines Talismans erhalten, indem es von Taxi- und Busfahrern benutzt wird, um Gefährt wie Passagiere vor Unfällen zu bewahren. All das hatten die Werbefachleute von Citroën nicht bedacht, als sie 2007 ihre Werbekampagne mit dem Porträt Maos planten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Gerhard Paul, Das Mao-Porträt. Herrscherbild, Protestsymbol und Kunstikone, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, 6 (2009) 1, S. 58-84.

  2. New York Times vom 28.5.2006.

  3. Vgl. Tina Mai Chen, Mao Zedong and Sun Yatsen suits, in: Edward L. Davis (ed.), Encyclopedia of contemporary Chinese culture, London-New York 2005, S. 373f.

  4. Vgl. Wu Hung, Remaking Beijing: Tiananmen Square and the Creation of a Political Space, London 2005, S. 78.

  5. Ge Xiaoguang zit. nach: Jia Yinting (Hrsg.), Tiananmen, Peking 1998, S. 92.

  6. Vgl. Francesca Dal Lago, Personal Mao: Reshaping an Icon in Contemporary Chinese Art, in: The Art Journal, 58 (1999) 2, S. 46-59, hier: S. 48.

  7. Vgl. Robert Benewick, Icons of Power: Mao Zedong and the Cultural Revolution, in: Harriet Evans/Stephanie Donald (eds.), Picturing Power in the People's Republic of China - Posters of the Cultural Revolution, Lanham 1999, S. 123-138.

  8. Zit. nach: George Urban (ed.), The Miracles of Chairman Mao: A compendium of devotional literature 1966-1967, London 1971, S. 171-178, hier: S. 175f.

  9. Ebd., S. 144.

  10. Scott Dikkers (ed.), Our Dumb Century: 100 Years of Headlines from America's Finest News Source, New York et al. 1999, S. 77.

  11. W. Hung (Anm. 4), S. 109, 85 und 113.

  12. Vgl. Tsao Tsing-yuan, The Birth of the Goddess of Democracy, in: Jeffrey N. Wassertrom/Elisabeth J. Perry (eds.), Popular Protest and Political Culture in China, Boulder 1994, S. 140-147.

  13. Vgl. Marita Sturken/Lisa Cartwright, Practices of looking. An introduction to visual culture, Oxford 2001, S. 315ff.; Fuwei Shen, Cultural Flow between China and the outside world throughout history, Peking 1996.

  14. Vgl. Laura K. Diehl, Die Konjunktur von Mao-Images, in: Sebastian Gehrig/Barbara Mittler/Felix Wemheuer (Hrsg.), Kulturrevolution als Vorbild? Maoismen im deutschsprachigen Raum, Frankfurt/M. 2008, S. 179-201, hier: S. 179.

  15. Gerd Koenen, Rotwelsch und Zeichensprache, in: Andreas Schwab/Beate Schappach/Manuel Gogos (Hrsg.), Die 68er. Kurzer Sommer - lange Wirkung, (Ausst.-Kat.), Frankfurt/M. 2008, S. 262-271, hier: S. 269.

  16. L.K. Diehl (Anm. 14), S. 179.

  17. Vgl. Lydia Haustein, Global Icons. Globale Bildinszenierung und kulturelle Identität, Göttingen 2008, S. 233ff.

  18. Vgl. Sabine Müller, Symbole in der modernen Medien- und Konsumgesellschaft - Andy Warhols Mao Wallpaper, in: Jörn Lamla/Sighard Neckel (Hrsg.), Politisierter Konsum - konsumierte Politik, Wiesbaden 2006, S. 185-204.

  19. Ebd., S. 202.

  20. Frankfurter Rundschau vom 1.8.2008.

  21. Vgl. Michael Dutton, From Culture Industry to Mao Industry, in: Boundary, 32 (2005) 2, S. 151-168.

Dr. rer. pol., geb. 1951; Professor am Institut für Geschichte und ihre Didaktik an der Universität Flensburg, Auf dem Campus 1, 24943 Flensburg. E-Mail Link: paul@uni-flensburg.de
Externer Link: www.prof-gerhard-paul.de