Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Klimawandel und Erdsystemmanagement | Klimawandel | bpb.de

Klimawandel Editorial Klimawandel: Keine gemeinsame Teilhabe an der Welt Warum zwei Grad? Vertrauen geschmolzen? Zur Glaubwürdigkeit der Klimaforschung Auf dem Weg zu einem neuen globalen Klimaabkommen? Wie die Menschheit die Klimakrise meistern kann - ein optimistisches Essay Klimawandel und Erdsystemmanagement Futur Zwei. Klimawandel als Gesellschaftswandel

Klimawandel und Erdsystemmanagement

Bernd Uwe Schneider Markus J. Schwab Reinhard F.J. Hüttl Bernd Uwe Schneider Markus J. Schwab / Reinhard F.J. Hüttl /

/ 13 Minuten zu lesen

Klimaveränderungen sind in der langen Erdgeschichte nichts Ungewöhnliches. Es bedarf vertiefter geowissenschaftlicher Erkenntnisse, um den derzeitigen Klimawandel verstehen und ihm angemessen begegnen zu können.

Einleitung

Das Winterhalbjahr 2009/2010 hat mit Blick auf Schneereichtum und die ungewöhnlich lang andauernden winterlichen Extrembedingungen, die in Deutschland bis in das späte Frühjahr reichten, einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Hinzu kam das Orkantief "Xynthia" im Februar dieses Jahres.

Im Gegensatz dazu waren der Herbst und Frühwinter 2009 durch verhältnismäßig hohe Temperaturen gekennzeichnet. Im Mai und Juni 2010 folgten Starkniederschläge, die zu Flutkatastrophen im Weichsel- und Oder-Einzugsgebiet führten. Die Macht dieser Naturereignisse offenbart die Grenzen technisch entwickelter Zivilisationen, sich vor den Folgen dieser Ereignisse zu schützen. Gleichzeitig sind sie die Triebfeder für die fortwährende Anpassung an extreme Situationen.

Grundsätzlich stellt sich hierbei die Frage, ob es sich um Auswirkungen eines vom Menschen verursachten (anthropogenen) Klimawandels handelt oder ob wir eher unabhängig davon die Folgen einer vom Erdsystem getriebenen, globalen Klimaänderung erleben. Erst wenn die Rolle anthropogener und natürlicher Einflüsse auf diese Dynamik hinreichend bekannt ist, können im Hinblick auf Anpassung an und Schutz vor dem Klimawandel möglichst gezielte Maßnahmen ergriffen werden.

Klima und Wissen

Politik und Wissenschaft stehen vor der Herausforderung, Ansätze zu entwickeln, um den globalen Klimawandel besser zu verstehen und daraus Maßnahmen abzuleiten, mit denen die Folgen des Klimawandels für die Gesellschaft beherrschbar und auch die sich ergebenden Vorteile nutzbar gemacht werden können. Die sich eröffnenden Chancen sind nicht zuletzt mit Blick auf das rasante weltweite Bevölkerungswachstum und der damit einhergehenden steigenden Nachfrage nach Ressourcen, wie zum Beispiel Rohstoffe und landwirtschaftliche Nutzflächen, von großer Bedeutung. Ein international abgestimmtes Handeln zum Erhalt des Lebensraums Erde, zur Sicherung der Lebensgrundlagen für unsere und die nachfolgenden Generationen erscheint hier zwingend erforderlich. In diesem Sinne kann Klimaforschung nur dann zu erfolgreichen Lösungsansätzen führen, wenn sie sich gemeinsam mit sozioökonomischer, technik- und insbesondere geowissenschaftlicher Expertise als Teil einer auf das Erdsystem bezogenen Wissenschaft versteht und sich in den interdisziplinären Kontext dieser Fächer einordnet. Am Beispiel der Klimaentwicklung wird diese komplexe Aufgabenstellung für Forschung und Politik besonders deutlich.

Aus geowissenschaftlicher Sicht kann Klimawandel nur dann verstanden werden, wenn die für das System Erde relevanten komplexen Prozesse in ihrer räumlichen und zeitlichen Dimension erkannt und erfasst werden. Konkret müssen hierfür die Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Bausteinen der Geosphäre berücksichtigt werden.

Zu den auf das Erdsystem bezogenen Komponenten gehören die Lithosphäre (Gesteinshülle), die Pedosphäre (die die Oberfläche begrenzende Bodenhülle der Erde), die Kryosphäre (die vom Eis bedeckte Erdoberfläche), die Hydrosphäre (Wasserhülle), die Atmosphäre (Gashülle), die Biosphäre ("belebte Erde") und die Anthroposphäre (vom Menschen direkt beeinflusster Bereich der Geosphäre). Diese Sphären stehen wechselseitig miteinander in Beziehung. Da das System Erde trotz des vor kosmischer Strahlung schützenden Erdmagnetfeldes und der Atmosphäre nicht als geschlossenes System betrachtet werden kann, müssen darüber hinaus extraterrestrische Einflüsse (solare Strahlungszyklen, solare Staubeinträge, Erdmagnetfeldverschiebungen) stärker als bisher in diese Betrachtung einbezogen werden.

Durch den Einsatz moderner Technologien, wie der satellitenbasierten Erderkundung, ist das geowissenschaftliche Verständnis der auf das Erdsystem bezogenen Prozesse, die das Klimageschehen steuern, in den vergangenen Jahren in erheblichem Maße gestiegen. Gleichzeitig ergeben sich hieraus eine Vielzahl neuer Fragestellungen, die sich nicht zuletzt aus der wachsenden Erkenntnis der Komplexität des Systems ableiten lassen. So stellt das heutige Wissen über das Klima im System Erde den umfassendsten Kenntnisstand in der Menschheitsgeschichte dar, ist aber nach wie vor unzureichend.

Es ist bekannt, dass sich das Klima in der Erdgeschichte immer wieder geändert hat. Weniger bekannt ist jedoch, dass das Klima gerade in den vergangenen etwa 10000 Jahren sehr stabil war, was bei Betrachtung länger zurückliegender Zeiträume als außergewöhnlich einzustufen ist. Das gegenwärtige Klima der Erde ist nicht repräsentativ für die längerfristigen Klimaphasen, die auf der Erde seit etwa 600 Millionen Jahren und damit seit Beginn der intensiven Entwicklung des Lebens geherrscht haben. Studien, die das Klima vergangener Zeiten rekonstruieren (Paläoklimatologie), belegen, dass die Erde seit dieser Zeit insgesamt viermal zwischen Phasen mit großflächigen Vereisungen an den Polen ("Eishaus") und solchen ohne jegliche Vereisung ("Treibhaus") wechselte. Das Klima schwankte jedoch nicht nur in geologischen Zeiträumen. Vielmehr gehören auch rapide Temperaturerhöhungen und -senkungen zur Klimageschichte, so beispielsweise Temperaturänderungen von acht Grad Celsius innerhalb weniger Jahre im Spätglazial (Eiszeit) vor etwa 13000 Jahren in Grönland. Diese Variabilitäten auf verschiedenen Zeit- und Raumskalen tragen wesentlich zum grundsätzlichen Verständnis der Klimadynamik bei. Gleichzeitig eignen sie sich als Referenz für Modelle und modellbasierte Szenarienbildung, unter anderem im Hinblick auf die Bewertung des anthropogen verursachten Anteils am aktuellen Klimawandel.

Unwidersprochen findet, und zwar beginnend mit der Industrialisierung, eine Klimaänderung zu höheren Temperaturen statt, auch wenn die globale Durchschnittstemperatur seit dem Jahr 2000 nahezu konstant geblieben ist. Der globale Mittelwert eignet sich daher als Indikator für den Klimawandel offensichtlich weniger als die auf regionaler Ebene ermittelten Messparameter. Dieser Befund zeigt auch, dass Klimawandel auf regionaler Ebene sehr unterschiedlich ausgeprägt ist. Offensichtlich ist der Mensch durch ständig wachsende Treibhausgasemissionen (klimawirksame Gase wie Kohlendioxid/CO2 und Methan/CH4) sowie intensivierte Land- und Ressourcennutzung an dieser rezenten Klimaerwärmung beteiligt.

Im Sinne einer vorsorgenden Umweltpolitik ist es deshalb richtig, die Bemühungen zur Reduktion der Treibhausgasemissionen zu forcieren. Vor diesem Hintergrund erscheinen das Konzept des sogenannten Zwei-Grad-Ziels und die damit verbundenen Maßnahmen gesellschaftspolitisch nachvollziehbar, dürfen aber aus geowissenschaftlicher Sicht nicht mit der Aussicht, dadurch eine Klimakonstanz erzielen zu können, verbunden werden. Auf der Grundlage unseres aktuellen Wissensstandes lassen sich keine Maßnahmen ableiten, die es ermöglichen, die natürliche Klimavariabilität auf unserem Planeten Erde auf ein bestimmtes Maß zu begrenzen.

Aufgrund der Trägheit des Klimasystems und der noch nicht vollkommen verstandenen Rolle der an der Klimadynamik beteiligten natürlichen Faktoren müssen daher neben Maßnahmen der CO2-Minderung und -Vermeidung (Mitigation) solche zur Anpassung an die Auswirkungen des Klimawandels (Adaptation) weitaus stärker als bisher in den Vordergrund des politischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Interesses rücken. Wegen der bereits angesprochenen, regional sehr unterschiedlich ausgeprägten Klimadynamiken müssen diese Maßnahmen regionalspezifisch erfolgen. Hierzu gehören auch innovative Ansätze einer regionalbasierten Klima- und Wetterprognose. Auch hierbei spielt die Paläoklimaforschung eine zentrale Rolle, weil der räumlich differenzierte Blick in die erdgeschichtliche Vergangenheit mögliche Zukunftsszenarien eröffnet.

"Erdsystemmanagement" und Einflussnahme auf den Klimawandel

Ein zentrales Ziel der Geowissenschaften ist es, mit Hilfe eines umfassenden "Erdsystemmanagements" dem Menschen eine lebenswerte Umwelt mit kalkulierbaren Umweltveränderungen und - soweit möglich - beherrschbaren Georisiken zu erhalten bzw. dieses human habitat (den menschlichen Lebensraum) wieder herzustellen.

Vor dem Hintergrund neuer wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Herausforderungen wie eben Klimawandel, Ressourcenknappheit oder Urbanisierung erfordert eine erweiterte Betrachtung des Systems Erde als System Erde-Mensch die konsequente Weiterentwicklung der Geowissenschaften einschließlich der Klimaforschung. Angesichts einer bis zum Jahr 2050 auf vermutlich über neun Milliarden Menschen anwachsenden Weltbevölkerung werden sich die Geowissenschaften zu Leitwissenschaften entwickeln.

Ein erster Schritt hin zum Erdsystemmanagement sind beispielsweise Forschungsarbeiten für die sichere Speicherung von Kohlendioxid (CO2). Dieses Treibhausgas entsteht unter anderem bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe und gelangt so in die Atmosphäre. In aktuellen Forschungsprojekten wird untersucht, wie man das nach dem Verbrennungsvorgang in Kraftwerken abgeschiedene Gas unter Tage in Gesteinsschichten speichern und so der Atmosphäre entziehen kann.

Die Entwicklung von Sicherheitskonzepten und ein besseres Verständnis der Speichermechanismen sind neben der Auswahl und Untersuchung geeigneter Standorte wichtige Bausteine dieser Forschungsaktivitäten. Denn nur wenn das Gas dauerhaft und sicher im Untergrund gelagert werden kann, sind Abscheidung und Transport des CO2 zu den Speicherorten sinnvoll. Bei der Suche nach geeigneten Speicherorten achten die Forscher umfassend auf potenzielle Gefahren, die sich aus der Ausbreitung des CO2 im geologischen Untergrund und der Reaktion mit den umgebenden Gesteinen ergeben können. Seismische und geochemische Untersuchungen sind dabei von großer Bedeutung: Sie machen nicht nur das eingeleitete Gas an seinem Speicherort im Untergrund sichtbar, sondern mit ihrer Hilfe wollen die Geowissenschaftler auch eventuelle Leckagen, chemische Veränderungen und mögliche Wanderungen des Gases rechtzeitig erkennen. Ziel ist die Vorlage eines abgestimmten Konzeptes, auf dessen Grundlage eine verlässliche Bewertung dieser neuen Technologie möglich ist.

Neben der CO2-Speicherung sind auch zunehmend die CO2-Rückgewinnung und -Wiederverwendung Gegenstand von Studien. Sollten diese Ansätze erfolgreich sein, könnte das geologisch gespeicherte CO2 zu einem späteren Zeitpunkt für entsprechende Nutzungen eingesetzt werden. Dazu sind Untersuchungen zur Rückholbarkeit des gespeicherten CO2 notwendig.

Zu einem geowissenschaftlich basierten Erdsystemmanagement gehört auch die Minderung von CO2-Treibhausgasemissonen durch die Bereitstellung von grundlastfähiger (das ist die permanent benötigte Leistung im Stromversorgungssystem) Energie aus Erdwärme bzw. geothermischen Quellen. Erdwärme zählt zu den weltweit am meisten genutzten regenerativen Energien. Sie steht unabhängig von Jahreszeit und Klima jederzeit an jedem Ort zur Verfügung und ist praktisch unerschöpflich. Neben der Nutzung zur Wärmeversorgung wird Geothermie daher auch in Deutschland für die Grundlastversorgung mit Strom immer interessanter. Nach Schätzungen des Weltklimarates IPCC könnte die Geothermie schon in 40 Jahren die weltweite Bereitstellung von grundlastfähiger Elektrizität von bis zu 160 Gigawatt (in etwa die 7,5-fache Bruttostromerzeugungskapazität der Kernkraftwerke in Deutschland) und thermischer Energie in Höhe von ca. 300 Gigawatt (das 1,5-Fache des Jahresenergieverbrauchs 2007 für Raumwärme und Warmwasser in Deutschland) ermöglichen.

Geothermische Anlagen nutzen jeweils heimische Energie und produzieren nur einen Bruchteil der Menge an Kohlendioxid einer vergleichbaren Energiebereitstellung aus fossiler Verbrennung. Der verstärkte Einsatz der Geothermie für die Grundlastversorgung mit Strom und Wärme eröffnet damit neue Chancen für die Umsetzung der Klimaschutzziele.

In aktuellen Forschungsprojekten werden neue Verfahren getestet mit dem Ziel, Energiebereitstellung aus Erdwärme auch in unseren Breiten wirtschaftlich und wettbewerbsfähig zu machen. In-situ-Experimente an Referenzstandorten, wie zum Beispiel in Groß Schönebeck im Norddeutschen Becken, sind dabei von besonderer Bedeutung. Verfahren, die hier erfolgreich angewandt werden, sollen eine weltweite Übertragbarkeit auf andere Regionen gewährleisten. Eine weiträumige Erschließung und Nutzung geothermischer Ressourcen wird jedoch erst dann möglich sein, wenn effiziente Technologien zur Verfügung stehen, die einen wirtschaftlichen und planungssicheren Anlagenbetrieb gewährleisten. Ziel künftiger Forschungsbemühungen wird es daher sein, Lösungen zu finden, die es ermöglichen, geothermische Energie an jedem Ort dieser Welt nutzbar zu machen.

Wissensspeicher im System Erde

Erkenntnisse aus der Erforschung und Beobachtung der Erd- und Umweltprozesse sind die Basis für ein erfolgreiches Erdsystemmanagement. Im Folgenden werden exemplarisch aktuelle Fragen aus der Erdsystemforschung vorgestellt, die dem besseren Verständnis des Systems Erde und damit des Teilsystems Klima dienen.

Geo-Archive.

Wie bereits erläutert, heißt Paläoklimaforschung, aus (dem Klima) der Vergangenheit für die Zukunft zu lernen. Vor dem Hintergrund der Unsicherheiten aktueller Klimaprojektionen hat der Weltklimarat in seinem vierten Sachstandsbericht von 2007 die Rolle der geowissenschaftlichen Daten, in denen Informationen vergangener Klimazustände archiviert sind (Paläoklimadaten), hervorgehoben. Diese Daten aus der Vergangenheit werden als Grundlage für die Modellierung künftiger Klimaentwicklungen genutzt. Mit ihrer Hilfe kann der Zeitraum der instrumentellen Messreihen (etwa 100 Jahre) bis in die Zeit weit vor dem menschlichen Einfluss retrospektiv erweitert werden. Über diese natürlichen Klimaarchive, zum Beispiel Eisbohrkerne, Baumringe, marine Sedimente, Seesedimente sowie Korallen, können frühere Klimavariationen rekonstruiert, Umweltveränderungen quantifiziert und ursächliche Prozesse entschlüsselt werden.

In der Diskussion um den aktuellen Klimawandel kommt Fragen zu Dynamik und Mechanismen abrupter Klimawechsel eine besondere Bedeutung zu. Alle geologischen Klimazeitreihen zeigen, dass solche Änderungen im natürlichen Klimasystem häufig auftreten, bisher aber weitgehend unverstanden sind: Was genau bedeutet "abrupt", also wie schnell kann sich das Klima ändern? Was sind die Ursachen und Schwellenwerte für rasche Klimawechsel vor allem in Warmzeiten? Was sind die regionalen Unterschiede? Gibt es im Vorfeld von abrupten Klimawechseln Anzeichen, die diese ankündigen?

Antworten auf diese Fragen helfen, Klima- und Erdsystemmodelle zu validieren und zu verbessern mit dem Ziel, die Dynamik abrupter Klimaänderungen besser zu verstehen. Um Paläoklimadaten zu Szenarien oder gar Prognosen weiterzuentwickeln, müssen die aktuellen Rechenmodelle optimiert und die numerischen Algorithmen angepasst werden. Durch die Verbindung der Daten aus natürlichen Klimaarchiven und Klimasystemmodellen sind dann zum Beispiel neue Erkenntnisse zur Stabilität von Meeresströmungen und Eisschilden bei zukünftiger Erwärmung zu erwarten.

Unbekanntes Leben.

Die "belebte Erde", die Biosphäre, spielt im System Erde und damit für die das Klima bestimmenden Prozesse eine sehr wichtige Rolle. Die mit ihr verbundenen und für den Menschen nutzbaren Funktionen werden als "Ökosystem-Dienstleistungen" bezeichnet. Neben ihrer Bedeutung für das Klima und die Qualität und Quantität des Grundwassers sind diese biologischen Faktoren auch für die Widerstandsfähigkeit (Resilienz) von Ökosystemen gegenüber Störungen von entscheidender Bedeutung. Das Erdsystemmanagement steht hier vor der Herausforderung, Veränderungen auf der Ebene von Ökosystemen in unterschiedlicher zeitlicher und räumlicher Auflösung zu erfassen und zu bewerten, um daraus Handlungskonzepte, zum Beispiel für die Landnutzung, ableiten zu können.

Eine weitere Herausforderung ist in der Erforschung extremer und bislang weitgehend unbekannter Ökosysteme zu sehen. Hierzu gehören die "tiefe Biosphäre" sowie polare Lebensräume mit ihrer vermutlich sehr hohen Funktionsvielfalt. Die Biosphäre erstreckt sich um Größenordnungen tiefer in die Erdkruste, als dies bislang für möglich gehalten wurde. Mikroorganismen (zum Beispiel Bakterien) können offenbar in der Erdkruste existieren, sofern dort Wasser verfügbar ist; sie tolerieren hohe Drücke und Temperaturen bis mindestens 130 Grad Celsius.

Die Erforschung dieser tiefen Biosphäre, deren Entdeckung eine der größten geowissenschaftlichen Sensationen der vergangenen Jahre darstellt, steht erst noch an ihrem Anfang. Aber die vorliegenden Forschungsarbeiten deuten darauf hin, dass in der tiefen Biosphäre etwa ein Drittel des globalen Biomassevorrats gespeichert ist. Die tiefe Biosphäre bietet damit nicht nur Raum für einen großen Teil des Lebens auf dieser Erde, sondern sie ist auch einer der wichtigsten Faktoren im globalen biogeochemischen Stoffkreislauf. Diese biogeochemischen Prozesse führen zur Bildung enormer Mengen der Treibhausgase Kohlendioxid und Methan, deren Verbleib bislang nur sehr unzureichend nachvollzogen werden kann. Vermutlich gelangen erhebliche Mengen dieser Treibhausgase in die Hydrosphäre und die Atmosphäre. Eine möglichst zuverlässige Quantifizierung dieser Stoffflüsse ist daher von großer Bedeutung für Vorhersagen zur Klimaentwicklung.

Eine besondere Rolle spielt die tiefe Biosphäre im Hinblick auf die Qualität der fossilen Brennstoffe. Insbesondere der biologische Abbau von Erdöl in Lagerstätten führt nicht nur zu der bereits erwähnten Bildung von Treibhausgasen, sondern auch zu einer starken Qualitätsminderung dieses Energieträgers (Degradierung). Das gilt auch für umweltrelevante Eigenschaften dieser fossilen Rohstoffe, wie zum Beispiel den in biologisch degradierten Erdölen unter anderem erheblich höheren Konzentrationen an Schwefel oder Schwermetallen. Die Erforschung der zugrunde liegenden Prozesse ist daher eine wichtige Komponente für die Entwicklung umweltverträglicher Explorations- und Produktionsstrategien für fossile Brennstoffe. Die mikrobielle Bildung von Methan in der tiefen Biosphäre bildet andererseits eine wichtige Grundvoraussetzung für die Verfügbarkeit von Erdgas, dessen Nutzung im Vergleich zu Öl und Kohle energieeffizienter und damit klimaschonender ist.

Böden als critical zone.

Internationale Experten sind sich einig, dass Böden die bedeutendste Georessource der Zukunft sind. Während die Verfügbarkeit von Wasser durch technologische Maßnahmen (zum Beispiel Meerwasseraufbereitung) sichergestellt werden kann, vollzieht sich die Wiederherstellung zerstörter Böden in geologischen Zeiträumen. Als interaktive Schnittstelle zwischen Lithosphäre, Atmosphäre, Biosphäre, Hydrosphäre und Anthroposphäre ist die Pedosphäre - die Bodenhülle - eine existentielle Grundlage für den Lebensraum des Menschen.

Der auch als critical zone bezeichnete oberste Teil der Erdkruste ist der Bereich, in dem die meisten terrestrischen, chemischen, physikalischen und biologischen Austausch- und Umsatzprozesse im System Erde stattfinden. Zentraler Bestandteil der critical zone sind die Böden. Als "Haut der Erde" kontrollieren sie nicht nur die globalen Stoffkreisläufe, sondern Böden erfüllen als Reaktor auch Reinigungsfunktionen für die Atmo- und Hydrosphäre und stellen eine zentrale Grundlage für die Ernährung der Lebewesen auf der Erde dar.

Die globale Bedeutung der critical zone leitet sich ab aus ihrer Schlüsselfunktion für den Umsatz von Kohlenstoff, die Bildung von Mineralphasen aus der chemischen und physikalischen Verwitterung, der Freisetzung und Fixierung von reaktiven Gasen sowie der aus diesen Prozessen resultierenden Bildung von Böden einschließlich der in ihnen gespeicherten Nährstoffe. Die Forschungen auf der Grundlage des critical-zone-Konzepts widmen sich somit der nachhaltigen Verfügbarkeit von Wasser und Boden als natürliche Georessourcen.

Blick aus dem All.

Satelliten wurden im vergangenen Jahrzehnt unentbehrliche Hilfsmittel, um die komplexen Prozesse in und auf der Erde global zu untersuchen. Durch Wiederholungsmessungen können Zeitreihen aufgebaut werden, die Veränderungen im System Erde sichtbar machen. Mit den geowissenschaftlichen Satellitenmissionen CHAMP, GRACE und GOCE (jeweils gestartet in den Jahren 2000, 2002 und 2009) gelang es erstmals, die Magnetfeldforschung sowie die Massenverteilung und Massenverlagerung in und auf unserem Planeten als neues Segment der Erdsystemforschung zu etablieren. Auf den bisherigen Ergebnissen aufbauend, lassen sich die Veränderungsprozesse der Erdoberfläche als Grenzschicht zwischen Atmosphäre und fester Erde mit Eis und Ozeanen erforschen. Genau diese Grenzschicht ist unser Lebensraum und steht damit im Fokus des Interesses. Die Erdoberfläche ist durch extraterrestrische Einflüsse sowie durch Prozesse im Erdinneren geprägt. Zudem ist sie ständig den Auswirkungen menschlichen Handelns ausgesetzt.

Ausgehend von den satellitengestützten Messverfahren sind zwei Zukunftsthemen für ein besseres Verständnis des Systems Erde wichtig: zum einen die Vermessung und Modellierung von Formen und Bewegungsmustern von Kontinent-, Eis- und Ozeanoberflächen und ihre Wechselwirkung mit den Prozessen des inneren und äußeren Erdsystems (die Kinematik und Dynamik der Erdoberfläche) sowie zum anderen die Erfassung und Erforschung von Beschaffenheit, Nutzung und Veränderung der Landoberflächen einschließlich der gesamten Hydrosphäre unter dem Einfluss des Klimawandels.

Resümee

Zur Umsetzung eines erfolgreichen Erdsystemmanagements - insbesondere mit Blick auf Mitigations- und Adaptationsstrategien zum Klimawandel - ist ein umfassendes Verständnis des komplexen Systems Erde-Mensch notwendig. Quantitative Vorhersagen wie zum Beispiel zur Klimaentwicklung sind nur möglich, wenn die Wechselwirkungen der Atmosphäre mit den Ozeanen, den Eisschilden, der Erdoberfläche und dem Erdinneren umfassend modelliert und besser erklärt werden können. Diese Aufgabe erfordert die Zusammenarbeit aller Teildisziplinen der Geowissenschaften; dies gilt insbesondere auch für die Klimaforschung.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), Climate Change 2007. Fourth Assessment Report, Synthesis Report, Cambridge 2007, online: www.ipcc.ch/publications_and_data/ar4/
    syr/en/main.html (1.7.2010).

  2. Vgl. Ludwig Stroink, Die geologische Speicherung von CO2 in Deutschland - Aktuelle Forschung im internationalen Kontext, in: Erdöl Erdgas Kohle, 125 (2009) 4.

  3. Vgl. das Forschungsprojekt "Nachhaltige Produktion und Injektion von Thermalwasser der tiefen sedimentären geothermischen Lagerstätten in Groß Schönebeck" des GFZ Potsdam.

  4. Vgl. IPCC (Anm. 1).

  5. Vgl. Gerold Wefer (Hrsg.), Strategieschrift der Senatskommission für Geowissenschaftliche Gemeinschaftsforschung der Deutschen Forschungsgemeinschaft: Dynamische Erde - Zukunftsaufgaben der Geowissenschaften, Bremen 2010, online: www.geokommission.de/Dynamische_
    Erde.html (13.7.2010).

Dr. rer. nat., geb. 1957; Leiter des Wissenschaftlichen Vorstandsbereichs des GFZ (s.o.). E-Mail Link: schneider@gfz-potsdam.de

Dr. rer. nat., geb. 1966; wissenschaftlicher Mitarbeiter im Wissenschaftlichen Vorstandsbereich des GFZ (s.o.). E-Mail Link: markus.schwab@gfz-potsdam.de

Dr. rer. nat. habil., Dr. h.c., geb. 1957; Professor für Bodenschutz und Rekultivierung an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus; Vorstandsvorsitzender Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ, Telegrafenberg, 14473 Potsdam. E-Mail Link: reinhard.huettl@gfz-potsdam.de