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Jugendstrafvollzug | Strafvollzug | bpb.de

Strafvollzug Editorial Vom Sinn des Strafens - Essay Strafvollzug in Deutschland - rechtstatsächliche Befunde Strafvollzug oder Haftvermeidung - was rechnet sich? Jugendstrafvollzug Psychiatrische Maßregelbehandlung Gefangenensubkulturen Minoritäten im Strafvollzug

Jugendstrafvollzug

Philipp Walkenhorst

/ 15 Minuten zu lesen

Das Angebot des Jugendstrafvollzugs steht im Widerspruch zu den durch die Zwangsunterbringung mitbedingten subkulturellen Gewalt- und Drogenproblematiken. Relativ hohe Rückfallquoten machen die Übergangsbegleitung unabdingbar.

Einleitung

Jugendstrafvollzug ist für die Straftaten junger Menschen zuständig, auf welche mit Verhängung von Jugendstrafe ohne Bewährung reagiert wird. Dieser Anteil umfasst lediglich 6,7 Prozent aller jugendrichterlichen Verurteilungen. Jugendstrafe bezeichnet die zwangsweise Fremdunterbringung eines rechtskräftig dazu verurteilten jungen Straftäters in einer für diese Form der Strafvollstreckung vorgesehenen, in der Regel besonders gesicherten Einrichtung der Justiz. Das Jugendgerichtsgesetz (JGG) als Rechtsgrundlage der Verhängung von Jugendstrafe definiert diese als "Freiheitsentzug in einer für ihren Vollzug vorgesehenen Einrichtung". Werden diese Einrichtungen umgangssprachlich auch "Gefängnis" oder "Jugendgefängnis" genannt, so lautet die offizielle Bezeichnung "Justizvollzugsanstalt", auch "Jugendanstalt" (Niedersachsen) oder "Jugendstrafanstalt" (Rheinland-Pfalz). 1912 wurde in Wittlich an der Mosel die erste deutsche Jugendstrafanstalt errichtet. Obwohl der Erwachsenenstrafvollzug schon 1977 durch das Strafvollzugsgesetz auf eine rechtliche Basis gestellt wurde, regelten über mehr als drei Jahrzehnte hinweg lediglich die "Bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschriften für den Jugendstrafvollzug" (VVJug) den Vollzug der Jugendstrafe - ein im Prinzip unhaltbarer, da gesetzloser Zustand. Dieser wurde erst durch ein wegweisendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 31. Mai 2006 beendet. Zugrunde lagen zwei Verfassungsbeschwerden eines eine mehrjährige Jugendstrafe absitzenden Beschwerdeführers, welcher sich gegen die Kontrolle seiner Post sowie verschiedene Disziplinarmaßnahmen zur Wehr setzte. Das BVerfG formulierte in seinem Urteil eindeutig, dass das Vollzugsziel darauf ausgerichtet sein muss, dem jungen Inhaftierten künftig ein straffreies Leben in Freiheit und damit soziale Integration zu ermöglichen. Begründet wird dies mit dem Gebot der Achtung der Menschenwürde. Auch straffällig gewordene (junge) Menschen seien nicht als bloße Objekte staatlicher Erziehungsbemühungen anzusehen, sondern stets als Subjekte mit eigenen Rechten.


Ziel des Vollzugs der Jugendstrafe ist insoweit allein die Legalbewährung, ein Leben ohne Straftaten, welches durch geeignete Angebote der Integrationsförderung erreicht werden soll. Dass der Jugendstrafvollzug ein nicht unproblematischer Ort zur Umsetzung dieses Ziels ist, zeigt schon der Hinweis des Verfassungsgerichtes, wonach gesetzliche Vorkehrungen dafür getroffen werden müssen, dass "innerhalb der Anstalten einerseits Kontakte, die dem positiven sozialen Lernen dienen können, aufgebaut und nicht unnötig beschränkt werden, andererseits die Gefangenen vor wechselseitigen Übergriffen geschützt sind". Die Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug und damit auch für den Jugendvollzug wurde im Rahmen der Föderalismusreform mit Wirkung vom 1. September 2006 vom Bund auf die Länder übertragen. Zum 1. Januar 2008 regelten die Bundesländer Bayern, Hamburg und Niedersachsen den Jugendstrafvollzug als Teilgebiet innerhalb eines allgemeinen Strafvollzugsgesetzes. Die übrigen Bundesländer legten eigene Jugendstrafvollzugsgesetze vor. Diese bzw. die gesonderten Abschnitte für den Jugendstrafvollzug in den einheitlichen Strafvollzugsgesetzen regeln allein den Vollzug der Jugendstrafe. Für freiheitsentziehende Maßregeln der Besserung und Sicherung, Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus sowie in einer Entziehungsanstalt gelten die Maßregelvollzugsgesetze der Bundesländer.

Rechtstatsächliche Befunde

Vollzogen wird Jugendstrafe in "geschlossenen" und für geeignete Inhaftierte in "offenen" Anstalten. Geschlossener Vollzug beinhaltet die "sichere" Unterbringung. Beim offenen Vollzug werden keine oder nur verminderte Vorkehrungen gegen Entweichungen getroffen (keine baulichen und technischen Sicherungsmaßnahmen wie Umfassungsmauern, Fenstergitter und besonders gesicherte Türen; keine ständige und unmittelbare Aufsicht). Jugendstrafvollzug "in freien Formen" ermöglicht es, den Vollzug außerhalb einer Strafanstalt in Einrichtungen der Jugendhilfe abzuleisten, um die problematischen Begleitumstände der Unterbringung in Haftanstalten zu verringern und größere pädagogische Handlungsspielräume nutzen zu können. Am 31. März 2008 befanden sich in den 27 selbständigen Anstalten des Jugendstrafvollzugs 6 557 junge Inhaftierte im Alter von 14 bis 24 Jahren, davon 6 089 im geschlossenen und 468 im offenen Vollzug. 240 junge Frauen waren in geschlossenen und 24 in offenen Formen des Jugendvollzugs untergebracht. Für junge männliche und weibliche Inhaftierte bestehen zudem Sonderabteilungen innerhalb von Erwachsenenanstalten. "Eigentliche" Jugendliche (unter 18 Jahren) stellen regelmäßig eine Minderheit von selten mehr als zehn Prozent der jeweiligen Vollzugspopulation dar. Restriktive Vollzugspolitik führt zu Überbelegungen im geschlossenen und freien Kapazitäten im offenen Vollzug.

Die meisten Jugendstrafgefangenen verbüßen ihre Haftstrafe wegen Eigentums- und Vermögensdelikten (33,5 %), gefolgt von Raub und Erpressung mit 25,7 % und Gewaltdelikten mit 22,9 %. Drogendelikte haben einen Anteil von 7,4 %, Sexualdelikte von 3,6 %. Der Gewalttäteranteil ist in den ostdeutschen Bundesländern deutlich größer. Während sich der Gewaltdeliktanteil unter Einschluss von Raub und Erpressung sowie der Sexualdelikte von 1980 (22,5 %) bis 2005 (52,2 %) fast verdoppelte, ging der Anteil von Diebstahl und Unterschlagung zurück. Auch bei anderen Tätergruppen (Drogendealer, Eigentumstäter im Bereich Wohnungseinbruch, Autodiebstahl) können im Einzelfall erhebliche Aggressions- und Gewaltpotentiale angenommen werden. Inwieweit daraus Begründungen für deliktspezifische Förderkonzepte (wie Anti-Aggressivitäts-Trainings) ableitbar sind, ist unklar. Dennoch wurden in den Jugendanstalten vor dem Hintergrund politischer Entscheidungen eigene Abteilungen für Sexual- und ggf. sonstige Gewalttäter eingerichtet. Unbekannt ist die Zahl partiell oder vollständig falscher jugendstrafrechtlicher Verurteilungen und unrechtmäßig Inhaftierter.

Der Anteil der Betäubungsmitteldelinquenten lag 2002 bei etwa 9 %. Als drogenabhängig werden bis zu 30 % männlicher und bis zu 70 % weiblicher Inhaftierter je nach Vollzugsart eingeschätzt. Ein hoher Prozentsatz konsumiert in der Haft trotz erschwerter Beschaffung und erhöhten Preisniveaus zumindest gelegentlich Drogen. Bisher nicht betroffene Inhaftierte können unter Haftbedingungen zu Drogenabhängigen werden.

Zahlen über psychisch kranke Inhaftierte in deutschen Jugendanstalten liegen nicht vor. Im schleswig-holsteinischen Jugendvollzug wurden jedoch bei einem Großteil der jungen Gefangenen psychische Störungen diagnostiziert. Rund 81 % der Untersuchten wiesen Störungen des Sozialverhaltens, 77 % eine Persönlichkeitsstörung auf.

Lebens- und Lerngeschichten junger Inhaftierter, ihre schulische und berufliche Qualifikation werden als ungünstig beurteilt (übermäßige Aggressivität, geringe schulische Qualifikation, Lehrabbrüche, sexueller Missbrauch, Drogenkonsum, Anschaffungsprostitution, Heimaufenthalte, frühe Kriminalisierung). Die in westdeutschen Jugendanstalten vorhandene ethnische Vielfalt markiert angesichts mangelnder sprachlicher Verständigungsmöglichkeiten, unterschiedlichster Religionszugehörigkeiten und ritueller Bedürfnisse sowie vorhandener Gegensätze zwischen einzelnen Ethnien oder Religionen weitere erzieherische Herausforderungen. Die meisten Jugendstrafgefangenen verbüßen eher kurze Strafzeiten. Diese liegen bei männlichen Inhaftierten in der Regel zwischen fünf und 30, im Durchschnitt bei etwa 13 Monaten. Bei weiblichen Inhaftierten umfassen sie fünf bis 16, im Durchschnitt 8,5 Monate. Ein Teil der Gefangenen kommt wegen kurzer Haftzeit nicht für den Besuch schulischer oder beruflicher Maßnahmen infrage. Die Fluktuation in den Anstalten führt zu ständigem Wechsel von Maßnahmeteilnehmern mit störenden Auswirkungen auf die Bildungsprozesse.

Struktur und Aufbau der Jugendanstalten

In der föderalen Struktur der Bundesrepublik sind die Länderjustizministerien nunmehr zuständig für Regelung und Durchführung des (Jugend-)Strafvollzugs. Anzahl und Zuordnung der Jugendanstalten differieren je nach Bundesland. In den Stadtstaaten und in den neuen Bundesländern gibt es nur jeweils eine Jugendanstalt, während in den übrigen Bundesländern zwei bis fünf Jugendanstalten vorhanden sind, die teils nach regionalen Gesichtspunkten (beispielsweise Rheinland-Pfalz), Alter der Verurteilten zur Tatzeit (Hessen), Sicherungsgrad (Bayern, Niedersachsen) oder Ausbildungsschwerpunkten (beispielsweise NRW) belegt werden. In der Regel verfügen sie über 150 bis 300 Haftplätze. Nur die Einrichtungen in Adelsheim (Baden-Württemberg), Berlin, Hameln (Niedersachsen) und Siegburg (NRW) weisen bis zu 600 und mehr Haftplätze auf. Im äußeren Erscheinungsbild (Sicherung durch Mauern, Gitter, teilweise auch Stacheldraht) unterscheiden sich Jugendanstalten kaum von solchen für Erwachsene (Ausnahmen: die offenen Anstalten in Hövelhof, Laufen-Lebenau, Rosdorf und Vechta-Falkenrott). Wohnbereiche sind in der Regel von den Schul-, Berufsausbildungs-, Wirtschafts- und Arbeitsbereichen getrennt. Problematisch und fachlich randständig behandelt ist die Situation der wenigen zu Jugendstrafe verurteilten weiblichen Inhaftierten. In vielen Bundesländern sind weniger als 20, gegebenenfalls weniger als zehn weibliche junge Gefangene untergebracht, meist in Abteilungen von Frauenhaftanstalten.

Geführt werden die Anstalten von einem Anstaltsleiter als verantwortlichem Vollzugsleiter und Dienstvorgesetzten des Personals (Juristen, auch Psychologen oder Pädagogen). Diese bestimmen wesentlich Anstaltsklima und Handlungsspielräume des Personals. Über dem Anstaltsleiter stehen die Landesjustizverwaltungen als Aufsichtsbehörden. Auf den Abteilungen der Jugendanstalten werden Versorgungs- und Betreuungsaufgaben von der zahlenmäßig größten Gruppe des Allgemeinen Vollzugsdienstes (AVD) wahrgenommen, an deren Spitze der Leiter des AVD steht. Die Beamten sollen für die Erziehungsaufgaben geeignet und ausgebildet sein. Deren vielfach vor allem auf Rechtsnormenvermittlung und den Erwachsenenvollzug abstellende Ausbildung erscheint dringend ergänzungsbedürftig hinsichtlich der Kenntnisse und Methodik des Umgangs mit jugendlichen und heranwachsenden Inhaftierten. Die Beamten des Aufsichtsdienstes arbeiten nach Verwaltungsvorschriften, die Belange der Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung in den Mittelpunkt stellen (Dienst- und Sicherheitsvorschriften für den Strafvollzug "DSVollz"). Sie kontrollieren die Hafträume, sind für die Durchsetzung von Ordnungs- und Disziplinarmaßnahmen zuständig, führen erzieherische Gespräche und stellen gleichzeitig wesentliche Bezugspersonen für die jungen Inhaftierten dar, ebenso emotionale "Blitzableiter" in Spannungs- und Konfliktsituationen. Praxisbegleitung ist trotz widersprüchlicher Rollenanforderungen nicht vorgesehen. Innervollzugliche Reformen hängen wesentlich von der Akzeptanz durch diese Gruppe ab.

Bürokratische Abläufe und verwaltungsmäßige Regelungen persönlicher Angelegenheiten gewährleistet der Verwaltungsdienst als zweitgrößte Beschäftigtengruppe. Der Werkdienst schließlich setzt sich aus den Werkbeamten zusammen, welche als Handwerksmeister die Werkstätten und Ausbildungseinrichtungen leiten. Sie weisen die besten und spannungsärmsten Kontakte zu den Inhaftierten auf, da sie häufig Berufsideale und ein gelingendes Leben repräsentieren, das auch Gefangene für sich als bedeutsam ansehen. Die Gruppe der Lehrer, der Pädagogische Dienst, sorgt in den Schulabteilungen für die Deckung des Bildungsbedarfs der jungen Gefangenen im Rahmen schulischer und beruflicher Qualifizierung. Kein anderes Förderangebot erreicht mehr Gefangene als das Bildungsangebot, sowohl hinsichtlich absoluter Zahlen als auch der Zeiträume, in denen sich Lehrer konkret und in Unterrichtsgruppen mit den Inhaftierten beschäftigen. Neben Unterricht gehören Bildungsmanagement, Organisation von Bildungs-, Kultur- wie auch Freizeitangeboten, Fortbildung der Beamten des AVD, Betreuung der Gefangenenbücherei und vieles mehr zu ihren Aufgaben. Angesichts von Bildungsferne und hohen Bildungsdefiziten ist Motivationsarbeit zur Teilnahme der Inhaftierten an Bildungsangeboten von größter Bedeutung.

Sozialarbeiter nehmen sozial unterstützende Tätigkeiten mit meist deutlich administrativem Einschlag wahr (gutachterliche Stellungnahmen zu Vollzugslockerungen wie Urlaub, Verlegungen und vorzeitigen Entlassungen). Kontakte mit Ämtern beziehen sich auf die Gewährung von Leistungen für Inhaftierte. Für die Entlassungsvorbereitung ist unter oft widrigen Umständen für Unterkunft und Erwerbsmöglichkeiten zu sorgen, Bewährungshelfer sind zu kontaktieren, ehrenamtliche Helfer müssen gefunden werden. In Einzelfällen leisten Schulsozialarbeiter Unterstützung bei schulischen Bildungsprozesse. Zu den Aufgaben der Psychologen gehören diagnostische Tätigkeiten im Bereich von Zuweisung, Vollzugslockerungen wie Beurlaubungen sowie bei Entscheidungen über Verlegungen und vorzeitige Entlassungen. Hinzu kommen Kriseninterventionen (Beruhigung tobender Gefangener, Beistand für Suizidgefährdete, therapeutische Hilfen bei Verhaltensstörungen) sowie Mitwirkung im Bereich der Aus- und Fortbildung sowie Erforschung der Förder- und Behandlungskonzepte.

Ein Schwerpunkt seelsorgerischer Arbeit liegt im persönlichen, der Schweigepflicht unterliegenden Gespräch mit Inhaftierten. Über den kirchlichen Bereich hinaus betätigen sich Gefängnisseelsorger als Kontaktvermittler zu Familienangehörigen, besonders zur Milderung von Ehe- und Partnerschaftskrisen. Sie setzen sich für Vollzugslockerungen ein, geben finanzielle Unterstützung und engagieren sich für menschenwürdige Vollzugsverhältnisse. Die Gefangenenmitverantwortung "GMV" verkörpert eine gewisse institutionelle Mitwirkung Inhaftierter am Vollzug. Ihr Doppelcharakter liegt im demokratischen Impetus, ihre Meinungen einzubringen, sowie einer Resozialisierungskomponente, um demokratische Gestaltungsmöglichkeiten des Zusammenlebens und des Lebens in Freiheit einzuüben. Faktisch kann sie bei der Gestaltung des Radio- und Fernsehprogramms mitentscheiden, Speisewünsche koordinieren, bei Feiern und sonstigen Freizeitaktivitäten mitwirken wie auch eigene, jedoch zensierte Gefangenenzeitungen herausgeben. Ihre Gestaltungsmöglichkeiten werden zurückhaltend beurteilt, da sie nur selten und kaum proaktiv genutzt werden.

Vertreter der Öffentlichkeit sind die Anstaltsbeiräte im Sinne der Beteiligung freier Bürger am Vollzug. Ihren Kontroll- und Beratungsfunktionen sind jedoch keine entsprechenden Änderungskompetenzen zugeordnet. Ihre Befugnisse liegen im Besichtigungs-, Kontakt- und Entgegennahmerecht. Betreuung von Gefangenen, Anregungen und Verbesserungsvorschläge hinsichtlich der künftigen Vollzugsgestaltung gehören zu ihren Hauptaufgaben. Bürgerschaftliches Engagement durch ehrenamtliche Betreuer wird mittlerweile als fester Bestandteil des Fördervollzugs angesehen. Sein Beitrag liegt in der Losgelöstheit von der Zwangsinstitution Strafvollzug, der Möglichkeit "normaler" mitmenschlicher Kontakte wie auch einer nachhaltigen, freundschaftlichen Begleitung Inhaftierter über die Haftzeit hinaus. Letztlich fungieren die Anstalten als Subsysteme des zuständigen Ministeriums. Sie können nur begrenzt als selbständig handelnde Systeme betrachtet werden. Für die Vollzugsrealität sind in erster Linie die Justizministerien der Länder mit ihren Strafvollzugsabteilungen verantwortlich. Wesentliches Organ der Strafvollzugspolitik ist die Justizministerkonferenz der Länder. Entscheidungen über Bau und Konzeption neuer Anstalten, Beschäftigungspolitik, Arbeitsbeschaffung, Mittelzuweisung für die einzelnen Anstalten, den Stab und die Personalausstattung fallen in den Justizministerien. Maßgeblich für die Mittelzuweisung sind letztlich die Finanzministerien. Die Anstalten entscheiden nur in diesem abgesteckten Rahmen, wenngleich der informelle Einfluss der Anstaltsleitungen auf ministerielle Entscheidungen nicht zu unterschätzen ist. Ansätze von Verwaltungsreform und Neuer Steuerung werden seit einigen Jahren auf den Vollzug als modernes Dienstleistungsunternehmen übertragen.

Pädagogische Herausforderungen

Jugendvollzug soll die jungen Inhaftierten zu einem Leben ohne Straftaten befähigen. Vorhandene, sozial akzeptierte Verhaltensmuster und -bereitschaften sind zu unterstützen und zu ermutigen, unakzeptable Muster und Bereitschaften zu konfrontieren und auch deutlich zu begrenzen sowie nicht vorhandene (pro-)soziale Verhaltensmuster und -bereitschaften aufzubauen und einzuüben.

Jugendvollzug gestaltet sich anders als Erwachsenenvollzug. Das Zeitempfinden junger Menschen ist anders, ihr Gegenwartsbezug größer als die Zukunftsorientierung, ihre Selbstkontrolle bisweilen unterentwickelt. Sie leiden stärker unter erzwungenem Alleinsein, der Trennung vom gewohnten Umfeld und fallen häufiger durch Disziplin- und Autoritätskonflikte gegenüber dem Personal auf. Ihr Verhalten ist weniger verfestigt, ihre Entwicklungsmöglichkeiten sind offener. Die Haftzeit birgt Chancen, junge Inhaftierte über eine große Bandbreite pädagogisch-psychologischer Hilfen zu erreichen, aber auch Gefahren durch schädliche Wirkungen der Inhaftierung (gewalttätige Subkulturen, Langeweile, schwierige Zukunftsaussichten durch den Strafmakel). Immerhin werden in der Mehrzahl der Länderstrafvollzugsgesetze weit über die Bestimmungen der bis zum 31.12. 2007 geltenden VVJug hinausgehend präzise Inhaltsbereiche der Förderung beschrieben. Z.B. heißt es im § 5 Abs. 3 des hessischen Jugendstrafvollzugsgesetzes (HessJVollzG) vom 19.11. 2007: "Die Maßnahmen sollen den Gefangenen ermöglichen, sich mit ihrer Straftat und deren Folgen auseinanderzusetzen. Sie umfassen darüber hinaus insbesondere schulische und berufliche Bildung, Arbeitstherapie, soziales Training, Sport und die verantwortliche Gestaltung des alltäglichen Zusammenlebens, der Freizeit sowie der Außenkontakte."

Dies ist ein gelungener Versuch, als wesentlich im Hinblick auf das Vollzugsziel erkannte inhaltliche Schwerpunkte vollzuglicher (Re-) Sozialisierungsarbeit festzuschreiben. Pädagogisches Handeln ist ständig gefordert, junge Gefangene auf der Basis ermutigender Grundhaltung mit Phantasie und Kreativität dafür zu gewinnen, ihre Lebensführung zu überdenken, Handlungsmuster einer alternativen, dem Vollzugsziel näher kommenden Lebensperspektive zu entwickeln und entsprechende Entscheidungen zu treffen. Jedoch weist Jugendvollzug diesbezüglich strukturelle und nur begrenzt korrigierbare Schwachstellen und Widersprüche auf. Merkmale der Haft sind auch die Mikroökonomie illegaler Güter und Dienstleistungen, Misstrauen gegenüber Mitgefangenen und Bediensteten sowie Strategien des "Überlebens" in einer permanent unsicheren Situation mit psychischen und sozialen Belastungen. Offiziellen Programmen von Schule, Berufsausbildung, Freizeitgestaltung und Therapie steht ein Schattenprogramm gegenüber, das in erster Linie auf Anerkennung durch Mithäftlinge im Nahbereich, Konformität mit eigenen Bezugsgruppen bzw. Cliquen und nicht zuletzt auf Anwendung körperlicher Gewalt basiert. Autonomie und Verselbständigungsversuche kollidieren mit den starren Ordnungs- und Organisationsstrukturen einer Haftanstalt, welche auf Disziplinkonflikte eher mit Bestrafung als mit erzieherischen Gesprächen reagieren. Auswirkungen solcher Widersprüche auf spätere Reintegration wurden bislang kaum untersucht (man denke an Folgen der Zwangsgemeinschaften von Menschen, die fast alle mehr oder weniger langdauernde abweichende Karrieren, teils schon Hafterfahrung hinter sich haben und mit dieser Erfahrung den Apparat gut durchschauen und für sich nutzbar machen).

Widersprüchlich ist auch das Lernen für die Freiheit unter Bedingungen von Abgeschlossenheit, dessen Chancen als Labor und Trainingsmöglichkeit für angemessenes Verhalten jedoch auch zu beachten sind. Hinzu kommt das systemkonstitutive Machtgefälle zwischen Inhaftierten und Mitarbeiterschaft, wenn doch Lernen aufgrund von Einsicht und nicht aufgrund erzwungener Opportunität stattfinden soll - eine bislang kaum bewältigte Herausforderung für glaubwürdige und handlungsorientierte politische Bildung im Jugendvollzug. Problematisch ist die Konzentration schwieriger junger Menschen auf engstem Raum unter weitgehender Absenz nicht-delinquenter, positiver und nacheifernswerter Verhaltensmodelle, die finanzielle und personalbezogene Unmöglichkeit, allen vorhandenen Förderbedarfen in differenzierter Weise gerecht zu werden und recht kurze Verweildauern, welche eine umfassende Förderung kaum zulassen. Hinzuweisen ist auf die Marginalstellung des Mädchen- und Frauenvollzugs innerhalb eines auf männliche Inhaftierte abgestellten Strafvollzugs sowie das verbreitete Desinteresse von Öffentlichkeit und Medien an gelingender vollzuglicher Reintegrationsarbeit.

Perspektiven

Hinsichtlich des Vollzugsziels der Befähigung zu einem Leben in Freiheit und ohne Straftaten bedarf es dreier Hauptkomponenten angemessener Förderung:

  1. der vorinstitutionellen und diagnostischen Komponente, d.h. der Nutzung personbezogener Erfahrungsbestände "abgebender" Einrichtungen wie Schulen, Heime, sonstige Jugend- und Sozialhilfeeinrichtungen und des Einsatzes aktueller, möglichst dialogisch angelegter diagnostischer Verfahren zur Abklärung des bildungsbezogenen wie auch psychosozialen Förderbedarfs,

  2. der institutionellen Komponente differenzierter, ressourcenorientierter Förderung entsprechend den festgeschriebenen Inhaltsbereichen, durch förderliche Unterbringungsformen, qualifiziertes Personal und weitestmögliche Angleichung des Anstaltslebens an die Lebensverhältnisse in Freiheit sowie

  3. der nachinstitutionellen Komponente als qualifizierter Entlassungsvorbereitung sowie einzelfallorientierter Nachbegleitung, bei Haftentlassung auf Bewährung unter anderem durch die Bewährungshilfe, bei Entlassung nach Verbüßung der Endstrafe durch den Vollzug in Kooperation mit der freien Straffälligenhilfe sowie durch freiwilligen Verbleib in der Anstalt zum Abschluss von Bildungsmaßnahmen und weitere Stabilisierungsangebote.

Jugendstrafe ohne Bewährung weist mit etwa 78 % die höchste Rückfallquote auf, mit Bewährung dagegen nur 60 %. "Wirkliche" Rückfalldeterminanten sind weitgehend unbekannt. Alter (junge Entlassene), Geschlecht (Männer), Vorerfahrungen (frühe formelle Polizei- und Justizkontakte), "kritische Zeiträume" nach Haftentlassung (höchste Rückfallgefahr in den ersten drei bis sechs Monaten nach Haftentlassung), u.U. die Beendigung der Bewährungsaufsicht markieren rückfallbegünstigende Faktoren. Hinzu kommen erschwerte Lebenssituationen wie Alkoholprobleme, oberflächliche Sozialkontakte, negative Arbeitshaltung und häufiger Kontakt zum Milieu. Aufgrund kurzer Haftzeiten und hoher Rückfallraten kommt der Nachsorge und Stabilisierungshilfen nach Haftentlassung große Bedeutung zu, wie auch schon während der Haft positive vorhandene Sozialkontakte und berufliche Orientierungen nach Möglichkeit erhalten und gefördert werden sollen.

Dennoch bleibt die Inhaftierung junger Straftäter eine "ultima ratio", wenn man mit dem Straftäter nichts Besseres anzufangen wusste, als ihn einzusperren.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Joachim Walter, Aktuelle kriminalpolitische Strömungen und ihre Auswirkungen auf den Jugendstrafvollzug. In: DVJJ-Journal, 11 (2000) 3, S. 253.

  2. Jugendgerichtsgesetz (JGG) § 17 Abs. 1.

  3. Vgl. Jochen Goerdeler/Helmut Pollähne, Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31.5. 2006 als Prüfmaßstab für die neuen (Jugend-)Strafvollzugsgesetze der Länder, in: Jochen Goerdeler/Philipp Walkenhorst (Hrsg.), Jugendstrafvollzug in Deutschland, Mönchengladbach 2007, S. 57ff.

  4. Vgl. BVerfG, 2 BvR 1673/04, Urteil vom 31.5. 2006: Zum Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage für den Jugendstrafvollzug, J C I 4b, online: www.dvjj.de/artikel.php?artikel=742 (23.12. 2009).

  5. Ebd., C I 5a.

  6. Vgl. die Jugendstrafvollzugsgesetze der einzelnen Bundesländer, online: www.dvjj.de/artikel.php?artikel =984 (5.1. 2010).

  7. Vgl. Heribert Ostendorf, Jugendgerichtsgesetz. Kommentar, Baden-Baden 2007, § 7 Rn 9.

  8. So beispielsweise das Projekt "Chance" in Baden-Württemberg, online: www.projekt-chance.de/Jugendprojekte/Jugendprojekt.htm (5.1. 2009).

  9. Vgl. Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Rechtspflege: Strafvollzug - Demographische und kriminologische Merkmale der Strafgefangenen zum Stichtag 31.3. - Fachserie 10, Reihe 4.1 (Stand: 31.3. 2008), Wiesbaden 2009, online: www.destatis.de (30.12. 2009).

  10. Vgl. Frieder Dünkel/Bernd Geng, Rechtstatsächliche Befunde zum Jugendstrafvollzug in Deutschland, in: Forum Strafvollzug, 56 (2007) 2, S. 69f.

  11. Vgl. Ulrich Eisenberg, Zum RefE eines JStVollG des BMJ vom 28.4. 2004, in: Recht der Jugend und des Bildungswesens, 87 (2004) 5, S. 355.

  12. Vgl. Ulrich Eisenberg, Kriminologie - Jugendstrafrecht - Strafvollzug, München 2000, S. 70.

  13. Vgl. Bundesministerium des Innern/Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht, Berlin 2006, S. 612.

  14. Vgl. Michael Walter, Strafvollzug, Stuttgart 1999, S. 282f.; Heino Stöver, Drogenkonsum und Infektionskrankheiten im Strafvollzug, in: Kriminologisches Journal, 31 (1999) 4, 271 - 288.

  15. Vgl. Denis Köhler, Psychische Störungen bei jungen Straftätern, Hamburg 2004.

  16. Beispiel NRW: zwischen zehn und zwölf Monaten; vgl. Ulrike Eder, Jugendstrafvollzug in NRW heute. Ein aktueller Sachstandsbericht, in: Bündnis 90/Die Grünen im Landtag Nordrhein-Westfalen (Hrsg.), Ist der Jugendstrafvollzug noch zeitgemäß?, Düsseldorf 2004, S. 4.

  17. Vgl. J. Walter (Anm. 1), S. 252 und 264; Justizministerium des Landes NRW (Hrsg.), Justizvollzug in Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 2008, S. 29.

  18. Zur Notwendigkeit pädagogischer Kurzzeitmodule vgl. Gotthilf Gerhard Hiller, Lebenslagen und Lebenswege junger Menschen als Bezugsrahmen für Bildungstheorie und Schulpädagogik, in: Evangelische Akademie Bad Boll (Hrsg.), Neue Herausforderungen für die Pädagogik im Justizvollzug: Berufsbild - Didaktik - Werte, Bad Boll 2000, S. 43.

  19. Vgl. Hans Schöch, Vollzug und Registrierung jugendstrafrechtlicher Entscheidungen, in: Bernd-Dieter Meier/Dieter Rössner/ Hans Schöch, Jugendstrafrecht, München 2003, S. 287f.

  20. Zu seinen Gestaltungsmöglichkeiten und Abhängigkeiten vgl. Thilo Eisenhardt, Strafvollzug, Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz 1978, S. 90ff.; M. Walter (Anm. 14), S. 207ff.

  21. Vgl. Joachim Walter/Wilfried Ostheimer, Zusatzausbildung für Bedienstete des Jugendstrafvollzugs in Baden-Württemberg, in: Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe, 48 (1999) 2, S. 92 - 96.

  22. Vgl. Heribert Ostendorf, Jugendgerichtsgesetz. Kommentar, Köln 2003, S. 879f.

  23. Vgl. M. Walter (Anm. 14), S. 220f.

  24. Vgl. Peter Bierschwale, Wohin treibt es den Justizvollzug?, in: Bundesarbeitsgemeinschaft der Lehrer im Justizvollzug (Hrsg.), Justizvollzug/Pädagogik - Tradition und Herausforderung, Herbolzheim 2001, S. 121.

  25. Vgl. Frank Selig, Bericht über die Schulsozialarbeit in der JA Neustrelitz (unveröff. Manuskript), Neustrelitz 2003, S. 1.

  26. Vgl. Die deutschen Bischöfe, "Denkt an die Gefangenen, als wäret Ihr mitgefangen" (Hebr. 13.3) - Der Auftrag der Kirche im Gefängnis, Bonn 2006, online: www.kath-gefaengnisseelsorge.de/download/Bi schoefe2006.pdf (2.1. 2010); Evangelische Kirche in Deutschland/Kirchenamt, Strafe: Tor zur Versöhnung? Eine Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Strafvollzug, Gütersloh 1990.

  27. Vgl. T. Eisenhardt (Anm. 20), S. 89f.

  28. Vgl. Bernd Maelicke, Grundlagen des Vollzugsmanagements, in: Christian Flügge/Bernd Maelicke/Harald Preusker (Hrsg.), Das Gefängnis als lernende Organisation, Baden-Baden 2001, S. 31 - 58.

  29. Vgl. Philipp Walkenhorst, Rehabilitationspädagogische Perspektiven des Jugendstrafvollzugs, in: Helmut Reiser/Andrea Dlugosch/Mark Willmann (Hrsg.), Professionelle Kooperation bei Gefühls- und Verhaltensstörungen, Hamburg 2008, S. 196ff.

  30. Joachim Walter/Uli Waschek, Die Peergroup in ihr Recht setzen. Das Just-Community-Projekt in der Justizvollzugsanstalt Adelsheim, in: Mechthild Bereswill/Theresia Höynck (Hrsg.), Jugendstrafvollzug in Deutschland, Mönchengladbach 2000, S. 194f.

  31. Vgl. H. Ostendorf (Anm. 22), S. 86f.

  32. Vgl. ders., Vorbemerkungen, in: ders. (Hrsg.), Jugendstrafvollzugsrecht, Baden-Baden 2009, S. 88f.

  33. Vgl. Daniela Hosser/Oliver Lauterbach/Theresia Höynck, Und was kommt danach? Entlassungsvorbereitung und Nachentlassungssituation junger Strafentlassener, in: J. Goerdeler/P. Walkenhorst (Hrsg.) (Anm. 3), S. 409.

Dr. päd. habil.; Professor für Erziehungshilfe und Soziale Arbeit, Universität zu Köln, Humanwissenschaftliche Fakultät, Department Heilpädagogik und Rehabilitation, Klosterstraße 79c, 50931 Köln.
E-Mail: E-Mail Link: pwalkenhorst@hrf.uni-koeln.de