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Qualität von Arbeit: messen - analysieren - umsetzen

Julia Lepperhoff

/ 15 Minuten zu lesen

Die Qualität von Arbeit ist durch ihre Vielschichtigkeit und den arbeitsmarktpolitischen Kontext nur schwer messbar. Noch schwieriger ist es aber, sie angesichts des Vorrangs von Beschäftigungswachstum politisch umzusetzen.

Einleitung

"Hauptsache Arbeit!" ist in den Auseinandersetzungen um Erwerbsarbeit ein häufig gehörtes Schlagwort. Seit längerem wird der arbeitspolitische Fokus jedoch auch auf die Qualität von Arbeit gelegt. Aber was verstehen wir eigentlich unter Qualität von Arbeit? Welche Kriterien werden zugrunde gelegt, und wie kann Qualität gemessen werden? Um diese Fragen zu beantworten, ist es hilfreich, die auf europäischer und bundesdeutscher Ebene diskutierten Qualitätskonzepte mit Blick auf ihre Inhalte, die damit verbundene Praxis und ihre Leerstellen zu analysieren. Die Bewertung dieser Qualitätskonzepte geht dabei von folgenden Überlegungen aus:

Erstens ist bei (Mess-)Konzepten zur Qualität von Arbeit zentral, wie Arbeit definiert wird. Zu fragen ist, ob es vorrangig um Erwerbsarbeit und damit um die Qualität bezahlter Arbeit geht. Angesprochen ist das meist unsichtbare Feld von Care-Arbeit, die im weitesten Sinne als menschliche Reproduktionsarbeit des Versorgens, Erziehens und Betreuens definiert werden kann. Diese Sphäre schafft nicht nur die sozialen Voraussetzungen für Produktion und globalisierte Märkte, sondern kann selbst als ein zentrales Feld gesellschaftlicher Produktion betrachtet werden. Dementsprechend muss die Frage beantwortet werden, ob auch unentgeltliche Arbeit konzeptionell integriert wird, und wer bei den in der politischen Öffentlichkeit diskutierten Konzepten zur Qualität von Arbeit überhaupt in die Betrachtung eingeschlossen wird. Stehen erwerbstätige Personen im Zentrum, oder geht es auch um diejenigen, die nicht erwerbstätig sind?

Zweitens ist auch die Erwerbsarbeit differenziert zu betrachten. Eva Senghaas-Knobloch unterscheidet vier Funktionen von Erwerbsarbeit: individuelles Einkommen, psychosoziale Funktion, soziale Absicherung und bürgerschaftliche Integration über Erwerbsarbeit. Zu prüfen ist, ob bzw. inwiefern diese Dimensionen bei der Messung von Qualität in einer hierarchischen Rangfolge stehen. So stellt sich die Frage, ob und wie die psychosoziale Funktion von Erwerbsarbeit und die bürgerschaftliche Integration durch Erwerbsarbeit überhaupt in Überlegungen zur Weiterentwicklung der Qualität von Erwerbsarbeit einfließen. Insbesondere hinsichtlich der gesellschaftlichen Integrationsfunktion bleibt offen, wie diese in (Mess-)Konzepten abgebildet werden kann.

Drittens ist es für die Einschätzung von Qualitätskonzepten von zentraler Bedeutung, ob und wie ungleiche Erwerbschancen und -realitäten erfasst werden. Der Arbeitsmarkt in Deutschland, aber auch innerhalb der Europäischen Union (EU) ist stark segregiert. Neben einer starken Geschlechtersegregation sind die nationalen Arbeitsmärkte auch entlang anderer sozialer Kategorien gespalten. Junge oder ältere Beschäftigte, Menschen mit Behinderung oder Migrantinnen und Migranten haben nicht nur niedrigere Beschäftigungsquoten, sondern arbeiten häufiger in atypischen und vielfach prekären Arbeitsverhältnissen. Geschlechtliche und soziale Ungleichheiten im Erwerbsleben sind aber nicht naturgegeben, sondern das Resultat gesellschaftlicher Machtverhältnisse und stehen in engem Zusammenhang mit der politischen Steuerung der Arbeitsmärkte. Sie haben mithin einen primär sozialstrukturellen Hintergrund. Zu fragen ist daher etwa, ob die aktuellen Politiken und die damit verknüpfte Vorstellung von Qualität der Erwerbsarbeit diese Ungleichheiten aufrechterhalten und womöglich eher verschärfen, oder dazu beitragen können, soziale Exklusion abzubauen.

Viertens muss bei jeder Diskussion über Qualität von Arbeit die Form der Messung reflektiert werden: Wird Qualität als abgeleitete Kategorie (von Quantität) begriffen? Stehen vorrangig strukturelle Dimensionen von Erwerbsarbeit im Mittelpunkt, oder werden jenseits dessen auch subjektive Einschätzungen von Arbeitenden erhoben, die ein elementarer Bestandteil bei der Bewertung der Qualität von Arbeit sind? Nur so können die komplexen Verschiebungen abgebildet werden, die sich durch den Wandel von Arbeit und Arbeitsverhältnissen ergeben. Insgesamt wird deutlich, dass es bei der Diskussion und Messung der Qualität von Arbeit auch um Faktoren geht, die nicht notwendig oder gar ausschließlich mit der unmittelbaren Qualität am Arbeitsplatz zusammenhängen. Vielmehr muss die Perspektive auf Arbeit als Medium gesellschaftlicher Integration sowie die Frage der sozial ungleichen Verteilung, Bewertung und Organisation von Arbeit stärker in den Mittelpunkt rücken. Im Folgenden sollen mit Blick auf diese Aspekte die Debatten zur Qualität von Arbeit in der EU und in Deutschland vorgestellt und analysiert werden.

Qualität von Arbeit in der EU

Die Qualität von (Erwerbs-)Arbeit ist seit dem Lissabon-Gipfel im Jahr 2000 ein Thema in der EU. Unter dem Motto "More and better jobs" verfolgt die Europäische Beschäftigungsstrategie (EBS) nicht nur das Ziel, Beschäftigung quantitativ auszuweiten, sondern verbindet dies auch mit dem Anspruch an eine höhere Qualität von Erwerbsarbeit. So wurden vor dem Hintergrund des nicht ausgeschöpften Erwerbspersonenpotenzials einerseits Zielquoten für die Beschäftigung von durchschnittlich 70 Prozent für Männer und 60 Prozent für Frauen bis zum Jahr 2010 festgelegt. Andererseits wurde "die Steigerung der Arbeitsqualität und -produktivität" als Ziel in die Lissabon-Strategie integriert. Im Jahr 2001 wurde ein Katalog aufgestellt, der zehn Dimensionen von Qualität umfasst: 1. Intrinsische Qualität der Arbeitsplätze, 2. Qualifikationen, lebenslanges Lernen und berufliche Entwicklung, 3. Gleichstellung der Geschlechter, 4. Arbeitsschutz, 5. Flexibilität und Sicherheit, 6. Eingliederung und Zugang zum Arbeitsmarkt, 7. Arbeitsorganisation und Vereinbarkeit von Arbeitsleben und Privatleben, 8. Sozialer Dialog und Arbeitnehmermitbestimmung, 9. Diversifizierung und Nichtdiskriminierung, 10. Gesamtwirtschaftsleistung und Produktivität. Diese Überlegungen zur Qualität von Erwerbsarbeit fanden ab 2002 auch ihren Niederschlag in den Leitlinien für die nationalstaatlichen Beschäftigungspolitiken.

Die vergangenen zehn Jahre haben jedoch gezeigt, dass die Qualität von (Erwerbs-)Arbeit dem quantitativen Wachstum von Beschäftigung deutlich untergeordnet wird. Begründet wird das zum einen mit ökonomischen Krisen und den nicht erreichten Zielen bei den Beschäftigungsquoten. Wie zuletzt in der Finanzmärkte- und Wirtschaftskrise ab Herbst 2008 wird die Forderung nach einer besseren Qualität von Erwerbsarbeit als "Luxusdebatte" stigmatisiert, da Qualität als abgeleitete Kategorie von Wachstum und Beschäftigungsausweitung gilt. Dabei sind gerade jene Länder mit den höchsten Beschäftigungsquoten in der Regel auch diejenigen mit einer hohen Qualität von Erwerbsarbeit, so dass diese zwei Ziele einander nicht ausschließen (müssen). Zum anderen konterkarieren auch die nationalen Beschäftigungspolitiken Ziele zur Qualität von Erwerbsarbeit, denn die Umsetzung der beschäftigungspolitischen Leitlinien hängt von der politischen "Interpretation" der einzelnen EU-Mitgliedstaaten ab. Die Orientierung an den Maastrichter Konvergenzkriterien befördert dabei eine Deregulierung und Flexibilisierung von Beschäftigung. Die deutliche Ausweitung atypischer und oftmals prekärer Beschäftigung sowie der Ausbau eines Niedriglohnsektors stehen Kernzielen der Qualitätsoffensive diametral entgegen. Insgesamt hat das Thema der Qualität an politischer Bedeutung verloren. Eine Veränderung dieser Politik ist auch mit der 2010 ausgerufenen neuen EU-Strategie für Wachstum und Beschäftigung "Europa 2020" nicht in Sicht.

Außerdem gibt es auf europäischer Ebene zur Messung der Qualität von Arbeit letztlich keine operationalisierbare Bewertungsmethode. Die EU-Agentur European Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions (Eurofound) hat des Öfteren moniert, dass die Menge und Breite der von der EU aufgerufenen Qualitätsfaktoren eine politische Nutzung deutlich erschweren. Dies zeigen nicht zuletzt die skizzierten Qualitätsdimensionen aus der EBS. Den umfangreichen Erhebungen von Eurofound über Arbeitsbedingungen (European Working Conditions Surveys - EWCS), in denen seit 1990 alle fünf Jahre Beschäftigte und Selbstständige zu ihrer Tätigkeit befragt werden, liegt daher ein Konzept von Erwerbsarbeit und Beschäftigung mit vier Dimensionen (Berufliche Entwicklung und Beschäftigungssicherheit, Gesundheit und Wohlbefinden, Kompetenzentwicklung, Vereinbarkeit von Arbeits- und Freizeit) zugrunde. Eine Übersetzung in politisch überprüfbare Ziele steht dennoch vor großen Schwierigkeiten. Schließlich werden auch ungleiche Erwerbschancen und -verläufe und damit jene Benachteiligungsstrukturen, die den arbeitsmarktpolitischen Kontext für eine Auseinandersetzung mit Arbeitsqualität stellen, nicht hinreichend integriert. So adressieren zum Beispiel die beschäftigungspolitischen Leitlinien des Europäischen Rates besonders gefährdete Gruppen am Arbeitsmarkt keinesfalls durchgängig. Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt werden so nicht als Teil der Qualitätsdebatte verhandelt.

Messkonzept des Statistischen Bundesamts

Das Statistische Bundesamt hat die Qualität von Arbeit 2010 anhand von sieben Dimensionen gemessen: 1. Arbeitssicherheit und Gleichstellung, 2. Einkommen und indirekte Arbeitgeberleistungen, 3. Arbeitszeit, Ausgleich von Beruf und Privatleben, 4. Beschäftigungssicherheit und Sozialleistungen, 5. Arbeitsbeziehungen, 6. Qualifikation und Weiterbildung, 7. Zusammenarbeit und Motivation. Innerhalb dieser Dimensionen wird die Qualität von Erwerbsarbeit mit rund 30 Kennzahlen dargestellt. Als Grundlage für die Daten zur Qualität der Arbeit aus Sicht der Erwerbstätigen dient vor allem die international vergleichbare Arbeitskräfteerhebung im Rahmen des Mikrozensus. So wird eine Fülle von Daten präsentiert, die aber keine Interpretation der Befunde beinhaltet. Daten zum Rückgang von (insbesondere tödlichen) Arbeitsunfällen einerseits und zur hohen Belastung durch arbeitsbedingten Stress andererseits, aber auch die Zunahme von Teilzeitbeschäftigung mit geringem Stundenumfang und befristeter Beschäftigung sowie der wachsende Niedriglohnbereich zeigen zwar den Strukturwandel der Arbeitsgesellschaft an. Es fehlt aber im Weiteren eine arbeitsmarkt-, sozial- und tarifpolitische Bewertung. Damit wird auf die politischen Akteure verwiesen, die Schlussfolgerungen aus diesem Datenmaterial ziehen müssen.

Hintergrund für die Studie ist ein international vereinbarter Indikatorenrahmen, der von einer Taskforce aus Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (UNECE), Internationaler Arbeitsorganisation (International Labour Organization, ILO) und Statistischem Amt der Europäischen Gemeinschaften (Eurostat) entwickelt wurde, um eine europaweite Vergleichbarkeit der Daten zur Qualität von Arbeit zu erzielen. Orientierungspunkte hierbei bilden die Indikatorendiskussion der ILO zur menschenwürdigen Arbeit (decent work) sowie die bereits oben angeführten Qualitätsdimensionen aus der Europäischen Beschäftigungsstrategie "More and better jobs". Qualität der Arbeit wird vom Statistischen Bundesamt als multidimensionales Phänomen betrachtet, das mit einem Mix aus "objektiven" und "subjektiven" Indikatoren erhoben werden müsse. Zugleich verweist das Statistische Bundesamt auf die Schwierigkeit, die Qualität von Arbeit zu bewerten, da diese von sehr unterschiedlichen Kriterien abhänge, deren Beurteilung letztlich nur im Rahmen von politischer Programmatik möglich sei. Eine Anordnung nimmt die Taskforce allerdings dennoch vor, indem sie die Qualitätsdimensionen stufenförmig nach der Maslowschen Bedürfnispyramide strukturiert, mit der fünf Typen menschlicher Bedürfnisse identifiziert werden, die durch Erwerbsarbeit gedeckt werden. Dementsprechend stehen die Dimensionen "Arbeitssicherheit und Gleichstellung" sowie "Einkommen" beispielsweise vor "Zusammenarbeit und Motivation".

Es stellt sich aber nicht nur die Frage der hierarchischen Darstellung von Qualitätsdimensionen, sondern auch die Auswahl der den Dimensionen zugrundeliegenden Indikatoren muss kontinuierlich diskutiert und gegebenenfalls erweitert werden. So wird der Ausgleich von beruflichen und privaten Belangen überwiegend durch das Ausmaß der Vereinbarkeit von Beruf und Familie gemessen (unter anderem über Personen, die Elternzeit und -geld in Anspruch nehmen, Erwerbstätigenquotenverhältnis und Teilzeitquote von Eltern). Dabei umfasst der Ausgleich von beruflichen und privaten Belangen weit mehr als die notwendige Zeit für Familien, zum Beispiel Freiräume für freiwilliges Engagement oder Freizeit. Des Weiteren muss die Aussagekraft manches Indikators relativiert werden: So sagt der Anteil der gesetzlich rentenversicherten Personen noch nichts über die Höhe der Rente aus und ob sie existenzsichernd ist. Weitere Indikatoren sind in diesem Zusammenhang notwendig, um das Bild zur Qualität von Arbeit zu verdichten. Dabei wird deutlich, dass eine zu starke Anlehnung an der quantitativen Dimension von Beschäftigung und sozialer Sicherung eher verwässert als klärt.

Initiative Neue Qualität der Arbeit

Eine andere Aktivität, die stärker im politischen Raum angesiedelt ist, stellt die Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) dar, die vor dem Hintergrund des Wandels von Erwerbsarbeit im Jahr 2002 als Gemeinschaftsinitiative von Bund, Ländern, Sozialpartnern, Sozialversicherungsträgern, Stiftungen und Unternehmen startete und mit der eine gesellschaftliche Debatte angestoßen werden sollte zur Frage: "Wie wollen wir arbeiten?" Erklärtes Ziel aller Akteure ist es, über Wissenstransfer, Förderung von unternehmensbezogenen Modellprojekten und gute betriebliche Praxen, "qualitativ gute Arbeitsbedingungen zum Wohle der Betriebe und Beschäftigten zu realisieren". Unter dem Motto "Wertschöpfung und Wertschätzung" soll ein Einklang zwischen den Zielen von Wettbewerbsfähigkeit und menschengerechten Arbeitsbedingungen hergestellt werden. Handlungsfelder sind im Besonderen Unternehmenskultur, demografischer Wandel, gesunde Belegschaft - gesundes Unternehmen, guter Mittelstand und Branchen mit hohen Gesundheitsgefahren. Die Initiative ist vor allem auf den Bereich der bezahlten Arbeit in Produktion, Handwerk und hoch qualifizierter Dienstleistung zugeschnitten und entsprechend dem in Deutschland dominanten Modell der Sozialpartnerschaft auf Unternehmen und Arbeitnehmervertretung orientiert.

Typisch für die deutsche Perspektive ist zudem die Konzentration auf die unmittelbaren Bedingungen am Arbeitsplatz, insbesondere hinsichtlich Gesundheit und Arbeitsschutz. INQA ist institutionell bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) angesiedelt, die mit der Erfassung und Analyse von Arbeitssicherheit, Gesundheitssituation und Arbeitsbedingungen in Betrieben und Verwaltungen befasst ist. Dabei hat die BAuA ihren ursprünglich traditionellen Ansatz des Arbeitsschutzes durchaus erweitert: "Die Zusammenhänge zwischen den Arbeitsbedingungen und moderner Technik werden ebenso betrachtet wie das soziale Zusammenleben der Menschen im Betrieb oder die ökonomische Seite sicherer Arbeit." In ihren Publikationen zur Qualität von Arbeit sind Unfälle, Berufskrankheiten, Arbeitsbedingungen, Arbeitszeiten, Arbeitsunfähigkeit und Renten von zentraler Bedeutung. Befunde zur Arbeitssituation von Frauen werden in der Regel gesondert ausgewiesen. Festzuhalten bleibt, dass hier einerseits versucht wird, die Qualitätsdimension tatsächlich ins Zentrum zu rücken und entscheidende Schritte zur Konkretisierung von Qualifikationskriterien getan wurden, andererseits Referenzpunkt dieser Aktivitäten in der Regel ein Normalarbeitsverhältnis bzw. arbeitspolitisch gestaltbares Beschäftigungsverhältnis ist, so dass bestimmte Gruppen in prekärer oder irregulärer Beschäftigung von vornherein von dieser Qualitätsoffensive ausgeschlossen bleiben.

DGB-Index "Gute Arbeit"

Im Rahmen von INQA wurde 2006 auch eine Studie unter dem Titel "Was ist gute Arbeit? Anforderungen aus der Sicht von Erwerbstätigen" veröffentlicht, welche die Basis für den von gewerkschaftlicher Seite im Jahr 2007 initiierten DGB-Index "Gute Arbeit" bildete. Dieser Index soll die Arbeitsbedingungen in Deutschland aus Sicht der Beschäftigten erfassen und Ansatzpunkte für eine verbesserte Arbeitsgestaltung liefern. Unter der Devise "Gut ist eine Arbeit, die den Ansprüchen der Beschäftigten gerecht wird" wird durch eine schriftliche Befragung einmal jährlich die Arbeitsqualität aus Sicht der abhängig Beschäftigten erhoben. Die Beschäftigten bewerten in 15 Arbeitsdimensionen ihre Arbeitssituation, wobei diese Dimensionen in drei Teilindizes geteilt sind: Ressourcen, Belastungen sowie Einkommen und Sicherheit, die je zu einem Drittel in den Gesamt-Indexwert eingehen. Der DGB-Index "Gute Arbeit" liefert also im Ergebnis eine Kennzahl für die Qualität der Arbeit. Auf einer Skala von 1 bis 100 erhalten Werte im Bereich 80 und mehr das Prädikat "Gute Arbeit" (2010 lag die durchschnittliche Arbeitsqualität bei 59 Punkten). Laut des Berichtes von 2010 beurteilen die befragten Beschäftigten 15 Prozent als gute Arbeit, 52 Prozent als mittelmäßige Arbeit und 33 Prozent als schlechte Arbeit. Insgesamt zeigt sich in den Erhebungen, dass die befragten Beschäftigten der Einkommens- und Beschäftigungssicherheit ein besonders hohes Gewicht geben.

Die Reaktionen auf den Index sind überaus gespalten: Teile der Arbeitswissenschaft und die Arbeitgeberseite kritisieren, dass die subjektive Einschätzung der Beschäftigten einen sehr hohen Stellenwert hat und Aspekte zählen, die nicht im Einflussbereich von Betrieben liegen. Dieser Argumentation wird von anderen Stimmen aus der Arbeitsforschung und der gewerkschaftlichen Seite entgegengehalten, dass gerade die systematische Integration der subjektiven Dimension und damit von Ansatzpunkten zur Verbesserung der Qualität von Arbeit nach Maßgabe der Beschäftigten eine Erweiterung bisheriger Untersuchungen zur Qualität von Erwerbsarbeit und des engen Verständnisses von Arbeit darstellen. Hinter dieser Debatte steht damit auch die grundsätzliche Frage, ob Indizes als politisches Instrument eingesetzt werden (sollten) - oder eben nicht. Und es wird deutlich, dass es sich hierbei um mehr als methodische Fragen handelt, nämlich um eine dezidiert arbeitspolitische Bewertung der Arbeitsbedingungen im Praxistest.

Für einen erweiterten Qualitätsbegriff

Insgesamt wird deutlich, dass verschiedene Konzeptionen von Qualität auch verschiedene (Mess-)Probleme sowie unterschiedliche politische Schlussfolgerungen nach sich ziehen. Eine enge Definition von Qualität, die ausschließlich auf objektiven Strukturdaten basiert, läuft zum einen Gefahr, "weiche" Faktoren auszugrenzen, die nicht an den Dimensionen von Einkommens- und Beschäftigungssicherheit oder eindeutig quantifizierbaren Größen orientiert sind. Hierzu gehören insbesondere Felder, in denen Erwerbsarbeit eine psychosoziale oder eine gesellschaftliche Integrationsfunktion besitzt. Zum anderen orientiert sich eine enge Definition von Qualität zwangsläufig am Status quo und kann den Wandel von Beschäftigung nur ex post beschreiben. Längerfristige, sich oftmals nur sukzessive abzeichnende Entwicklungen im Wandel der Arbeitsgesellschaft können dabei nicht angemessen berücksichtigt werden. Gleichwohl bleibt auch die strukturelle Dimension zur Erfassung der Qualität von Arbeit wichtig, um zu sehen, wie stark ungleiche Erwerbschancen und -verläufe in die Grundstrukturen des Arbeitsmarktes eingelassen und für dessen Funktionsweise konstitutiv sind. Insofern ist letztlich das Mischungsverhältnis objektiver und subjektiv relevanter Messgrößen bei der Entwicklung von Qualitätskonzepten entscheidend.

Qualität von Erwerbsarbeit muss zudem in einem größeren arbeitsmarktpolitischen Kontext analysiert und diskutiert werden, da ansonsten die gesellschaftliche Integrationsfunktion von Arbeit aus dem Blick gerät. Eine kontextlose Definition der Qualität von Arbeit ignoriert die höchst unterschiedlichen Zugangsmöglichkeiten zum Arbeitsmarkt und die im Arbeitsmarkt fortgesetzten sozialen Ungleichheiten. So zeigt sich, dass sich für jene Gruppen, deren Arbeitsbedingungen durch niedrige Qualität gekennzeichnet sind und die nur einen eingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt besitzen, arbeits(markt)politisch auch am wenigsten bewegt hat bzw. diese Gruppen zu schnell aus dem Blick geraten. Dies gilt für die deutsche Beschäftigungspolitik mit ihrer starken Konzentration auf den sozialpartnerschaftlichen Dialog noch stärker als für die europäische Ebene, die sozialen Zusammenhalt und Inklusion als Kern des europäischen Sozial- und Beschäftigungsmodells betrachtet und vor diesem Hintergrund zumindest um ein Mindestmaß an Integration von am Arbeitsmarkt benachteiligten Gruppen bestrebt sein muss.

Wie stark Qualitätskonzepte gesellschaftliche Hierarchien und Widersprüche widerspiegeln, zeigt sich zuletzt auch dadurch, dass alle hier besprochenen Ansätze ausschließlich Erwerbsarbeit in das Zentrum ihrer Erfassung stellen. Der Bereich von Care und Reproduktion wird in der Regel als nachgeordnet betrachtet. Er muss sich den Erfordernissen von Erwerbsarbeit unterordnen bzw. mit ihnen "vereinbar" werden. Gerade vor dem Hintergrund der wachsenden Durchlässigkeit von öffentlicher und privater (Produktions-)Sphäre unter dem Vorzeichen der Marktdurchdringung (versinnbildlicht durch die Care-Worker oder die Entgrenzung von Erwerbsarbeit) und der hohen ökonomischen Bedeutung der unbezahlten Arbeit wäre es geboten, den Bereich von Care auch im Rahmen von Qualitätsoffensiven neu zu denken. Überlegungen zur Messung des Wertes unbezahlter Arbeit sollten von Regulierungsbemühungen prekärer Arbeit (Mindestlöhne, Mindeststandards) und einer verstärkten gewerkschaftlichen Mobilisierung in diesen Feldern begleitet werden. Damit ließen sich Geschlechterhierarchien, aber auch die hierarchische Konzeption von Produktion und Reproduktion entlang weiterer Kategorien sozialer Ungleichheit hinterfragen.

Seit über zehn Jahren gibt es nunmehr Versuche, Qualität von Erwerbsarbeit zu messen und politisch zu befördern. Allerdings sind wir noch weit davon entfernt, Qualität von (Erwerbs-)Arbeit als allgemein anerkanntes Ziel und arbeitspolitische Strategie etabliert zu haben. Das lässt sich bei der Betrachtung der deutschen Situation klar erkennen. Qualität wird, wie in der jüngsten ökonomischen Krise erneut offensichtlich geworden ist, vorrangig als abgeleitete Kategorie von Quantität begriffen, mithin als "weiches" Thema für gute Zeiten. Bislang hat das quantitative Beschäftigungswachstum also vorderste Priorität, allen Qualitätsoffensiven zum Trotz. Deswegen ist die Qualität von (Erwerbs-)Arbeit politisch immer umstritten und benötigt neben guten Konzepten und Strategien auch eine breite gesellschaftliche Unterstützung.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Ursula Apitzsch/Marianne Schmidbaur, Care und Reproduktion. Einleitung, in: dies. (Hrsg.), Care und Migration. Die Ent-Sorgung menschlicher Reproduktionsarbeit entlang von Geschlechter- und Armutsgrenzen, Opladen-Farmington Hills 2010, S. 12.

  2. Vgl. Eva Senghaas-Knobloch, Von der Arbeits- zur Tätigkeitsgesellschaft, in: Arbeit, 8 (1999) 2, S. 119ff.

  3. Vgl. European Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions, More and better Jobs? Patterns of Employment Expansion in Europe (1995-2006), Luxemburg 2008.

  4. Vgl. Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen. Beschäftigungspolitik und Sozialpolitik: ein Konzept für Investitionen in Qualität, KOM(2001) 313, Brüssel 2001, S. 12ff.

  5. Vgl. Alexandra Scheele, Ambivalenzen der Frauenerwerbstätigkeit in Europa und geschlechtergerechte Kriterien zur Bestimmung der Qualität von Arbeit, in: Julia Lepperhoff/Ayla Satilmis/Alexandra Scheele (Hrsg.), Made in Europe. Geschlechterpolitische Beiträge zur Qualität von Arbeit, Münster 2005, S. 42.

  6. Vgl. Europäische Kommission, Die Herausforderung annehmen. Die Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung. Bericht der Hochrangigen Sachverständigengruppe unter Vorsitz von Wim Kok, Luxemburg 2004.

  7. Vgl. Julia Lepperhoff/Alexandra Scheele, "More and better Jobs"? Politische Konzepte zur Qualität von Arbeit, in: Heike Brabandt/Bettina Roß/Susanne Zwingel (Hrsg.), Mehrheit am Rand? Geschlechterverhältnisse, globale Ungleichheit und transnationale Handlungsansätze, Wiesbaden 2008, S. 134f.

  8. Vgl. Sylvia Walby, Gender and Work in Europe: Rethinking Concepts and Theories, in: J. Lepperhoff/A. Satilmis/A. Scheele (Anm. 5), S. 28.

  9. Vgl. Klaus Dräger, Alternativen zur Lissabon-Strategie der EU. Europa braucht eine integrierte Nachhaltigkeitsstrategie, in: Widerspruch. Europa sozial, 25 (2005) 48, S. 17-30.

  10. Vgl. Eurofound, Changes over time - First findings from the fifth European Working Conditions Survey, Dublin 2010, online: www.eurofound.europa.eu/publications/
    htmlfiles/ef1074.htm (28.2.2011).

  11. Vgl. Europäischer Rat, Beschluss des Rates vom 21. Oktober 2010 über Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten, 2010/707/EU.

  12. Vgl. Statistisches Bundesamt, Qualität der Arbeit - Geld verdienen und was sonst noch zählt, Wiesbaden 2010, S. 4.

  13. Vgl. Thomas Körner/Katharina Puch/Christian Wingerter, Qualität der Arbeit - ein international vereinbarter Indikatorenrahmen, in: Wirtschaft und Statistik, (2010) 9, S. 827-845.

  14. Dazu zählen physiologische Bedürfnisse, Sicherheit, soziale Bedürfnisse, Wertschätzung und Selbstverwirklichung.

  15. Vgl. Th. Körner/K. Puch/Ch. Wingerter (Anm. 13), S. 837.

  16. INQA, Erfolg durch gute Arbeitsbedingungen, Berlin 2010, S. 2.

  17. BAuA, Arbeitswelt im Wandel. Zahlen - Daten - Fakten, Dortmund 2010, S. 5.

  18. DGB-Index Gute Arbeit, Leitbild, online: www.dgb-index-gute-arbeit.de/leitbild (20.2.2011).

  19. Vgl. DGB-Index Gute Arbeit, Der Bericht 2010. Wie die Beschäftigten die Arbeitsqualität in Deutschland beurteilen, Berlin 2010.

  20. Vgl. Jochen Prümper/Gottfried Richenhagen, Arbeitswissenschaftliche Bewertung des DGB-Index "Gute Arbeit", in: Zeitschrift für Arbeitswissenschaft (ZfA), 63 (2009) 2, S. 175-187 (Themenheft "Für eine neue Humanisierungsoffensive"); ebd., 64 (2010) 1 (Themenheft "Gute Arbeit").

Dr. phil., geb. 1969; Professorin für Sozialpolitik an der Evangelischen Hochschule Berlin, Teltower Damm 118-122, 14167 Berlin. E-Mail Link: lepperhoff@eh-berlin.de